Titel:
Begründeter Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von Aufklärungspflichten bei einer Beteiligung am grauen Kapitalmarkt
Normenkette:
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1, § 249, § 252 S. 1, § 280 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Im Rahmen einer objektgerechten Beratung ist ein Anleger zutreffend über die für die Beurteilung der Anlageentscheidung relevanten Eigenschaften und Risiken der empfohlenen Anlage zu informieren. Ihm sind alle maßgeblichen Informationen, die dieser benötigt, um die Risiken seiner in Aussicht genommenen Anlageentscheidung einschätzen zu können, rechtzeitig, richtig, vollständig und in verständlicher Weise zu übermitteln. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die persönliche Aufklärungspflicht zur objektgerechten Beratung entfällt nur dann, wenn die entsprechende Belehrung in einem Prospekt oder anderen Unterlagen enthalten ist und davon auszugehen ist, dass der Anleger diesen gelesen und verstanden hat sowie gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt. Allerdings ist es in diesem Fall verwehrt, Risiken abweichend von den Prospektangaben darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidung des Anlegers mindert. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beteiligung am grauen Kapitalmarkt, Verletzung von Aufklärungspflichten, Anlageberatungsvertrag, Auskunftsvertrag, objektgerechte Beratung, Emissionsprospekt, Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung, Fehlberatung
Rechtsmittelinstanzen:
LG Landshut, Berichtigungsbeschluss vom 23.09.2020 – 22 O 249/20
OLG München, Hinweisbeschluss vom 25.11.2020 – 3 U 5553/20
OLG München, Beschluss vom 23.02.2021 – 3 U 5553/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 01.12.2022 – III ZR 229/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61891
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 90.230,91 € zu zahlen.
2. Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 44.430,91 € i. H. v. 2 % p. a. vom 30.01.2010 bis 21.12.2018 sowie Zinsen aus 16.810,23 € i. H. v. 2 % p. a. vom 16.02.2016 bis 21.12.2018 zu zahlen.
3. Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 44.430,91 € i. H. v. 2 % p. a. vom 30.01.2010 bis 12.10.2018 sowie Zinsen aus 16.810,23 € i. H. v. 2 % p. a. vom 16.02.2016 bis 12.10.2018 zu zahlen.
4. Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 90.230,91 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.10.2018 bis 21.12.2018 zu zahlen.
5. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 90.230,91 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.12.2018 zu zahlen.
6. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Kläge von sämtlichen weiteren Verpflichtungen aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung an der V. GmbH (Nr. ...) freizustellen.
7. Die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Ziffern 1 bis 6 erfolgt Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte des Klägers aus der Beteiligung an der V. GmbH (Nr. ...) an die Beklagten.
8. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Annahme der Gegenleistung gemäß vorstehender Ziffer 7 in Annahmeverzug befinden
9. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
10. Die Widerklage wird abgewiesen.
11. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
12. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
13. Der Streitwert wird auf 95.070,91 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einer Beteiligung am grauen Kapitalmarkt.
2
Der Kläger ist Maschinenbautechniker und leitet ein Unternehmen, das Werkzeuge herstellt. Vor der streitgegenständlichen Geldanlage beteiligte er sich bei einem kleinen Unternehmen in der Schweiz und verlor hier Geld. Nach einer telefonischen Kontaktaufnahme, die von den Beklagten ausging, und mehreren Beratungsgesprächen in seinem Unternehmen beteiligte sich der Kläger im Alter von 55 Jahren durch Abschluss dreier Treuhandverträge an der V. GmbH. In den Beratungsgesprächen sprachen der Kläger und der Beklagte zu 2) allgemein über die wirtschaftliche Lage (Finanz-/Eurokrise und deren Auswirkungen im Versicherungs- und Kapitalanlagebereich). Der Beklagte zu 2) erklärte, es sei besser in Sachwerte zu investieren, also in Unternehmensbeteiligungen oder Aktien. Die streitgegenständliche Fondsbeteiligung stellte allein der Beklagte zu 1) vor. Bei den Beteiligungen des Klägers handelt es sich zunächst um eine Anlagesumme von 16.800 € unter der Vertragsnummer … (Anlage K 1). Die Beitrittserklärung sah vor, dass der Kläger einen Betrag in Höhe von 3360 € als Einmalzahlung erbringt und im Übrigen monatliche Raten in Höhe von 100 €, beginnend ab 15.01.2010, zahlt. Auf diese Beteiligung zahlte der Kläger 11.700,00 € ein. Die Beteiligung wurde am 11.07.2016 stillgelegt. Unter der Vertragsnummer … (Anlage K 2) war eine Anlagesumme von 45.000 € vereinbart, die der Kläger am 29.01.2010 in voller Höhe als Einmalzahlung leistete. Der Kläger erhielt Ausschüttungen in Höhe von 569,09 €. Schließlich handelt es sich um eine Anlagesumme von 50.400 € unter der Vertragsnummer … (Anlage K 3). Hier sollte der Kläger einen Betrag in Höhe von 10.080 € als Einmalzahlung erbringen und im Übrigen monatliche Raten in Höhe von 300 €, beginnend ab 15.01.2010, zahlen. Auf diese Beteiligung zahlte der Kläger 34.100,00 € ein. Die Beteiligung wurde nach dem 15.02.2016 stillgelegt. Kurz nach der Zeichnung im Jahr 2009 las der Kläger den Emissionsprospekt. Im Zusammenhang mit der Zeichnung verkaufte er seine bestehenden Lebensversicherungen an die P. I. GmbH; der gesamte Kaufpreis in Höhe von 61.241,14 € wurde in die streitgegenständlichen Beteiligungen einbezahlt (Anlage K 8b). Auf diese Möglichkeit hatten ihn die Beklagten hingewiesen. Im Jahr 2018 holte der Kläger erstmals anwaltliche Beratung ein. Mit Schreiben vom 30.04.2018 (Anlagen K 20, K 21) forderte der Kläger die Beklagten vergeblich zur Zahlung von Schadensersatz unter Fristsetzung zum 30.05.2018 auf. Über das Angebot der V. GmbH gibt es einen Emissionsprospekt. Die Anleger konnten sich als Treugeber beteiligen. Im Innenverhältnis werden die Treugeber wie Direktkommanditisten behandelt. Bei der Beteiligung belaufen sich die Fondsnebenkosten auf 23,45%. Es war eine Laufzeit der Gesellschaft bis 31.12.2035 geplant, wobei eine ordentliche Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen ist. Das von den Anlegern eingezahlte Kapital sollte zum Erwerb von Beteiligungen auf dem Zweitmarkt genutzt werden. Darüber hinaus konnten auch Direktbeteiligungen an Unternehmen eingegangen werden.
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Der Kläger behauptet, die Beklagten hätten zunächst nach Lebens- und/oder Rentenversicherungen des Klägers gefragt, er habe dies also nicht von sich aus mitgeteilt. Der Kläger habe erklärt, er habe mehrere Lebensversicherungen, das sei seine einzige Altersvorsorge, da er als Selbständiger keine gesetzliche Rente bekomme. Er habe auch deutlich gemacht, dass für ihn lediglich ein sicheres Produkt der Altersvorsorge in Betracht komme. Die Beklagten hätten dann die bestehenden Verträge schlecht geredet sowie dringend die Kündigung und einen Verkauf an die P. I. GmbH empfohlen, um das Kapital im streitgegenständlichen Fonds anzulegen. Sie hätten angeboten, die Lebensversicherungen zu analysieren und auf Werthaltigkeit zu prüfen. Bei dem streitgegenständlichen Fonds handele es sich nach Aussage der Beklagten um eine absolut sichere Anlage (und bessere Alternative zu den bestehenden Lebensversicherungen) mit einer sehr guten Rendite. Es seien handschriftliche Berechnungen (Anlage K 8a) erstellt worden, dabei habe man hohe Exitbeträge für einzelne Beteiligungen – die in den Milliardenbereich gingen – in Aussicht gestellt. Es sei der zweite Fonds eines erfolgreichen Vorgängerfonds. Spezialisten würden in junge Unternehmer mit sehr guten Zukunftsaussichten investieren. Außerdem würden Beteiligungen an anderen Fondsgesellschaften angekauft werden. Da nicht alle Eier in einen Korb gelegt würden, sei auch eine breite Streuung gegeben und der Fonds habe daher sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten. Der Euro und die Lebensversicherungen würden demnächst kaputt gehen. Risikohinweise hätten die Beklagten nicht erteilt. Es sei weder auf das Totalverlustrisiko und die unternehmerische Beteiligung noch auf die Laufzeit und die fehlende Fungibilität hingewiesen worden. Auch auf die sehr hohen Provisionen sowie die hohen sonstigen Kosten des Fonds sei nicht hingewiesen worden. Schließlich sei der Kläger auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass die Anlage aufgrund der hohen Weichkosten und des Geschäftskonzepts unplausibel sei. Der Emissionsprospekt sei erst am 23.12.2009, nicht bereits am 18.12.2009 übergeben worden. Wäre der Kläger über die mit der Beteiligung in Zusammenhang stehenden Risiken und Prospektfehler ordnungsgemäß aufgeklärt worden und auf die Unplausibilität der Anlage hingewiesen worden, hätte er die Beteiligungen niemals erworben und die Lebensversicherungen nicht gekündigt.
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Der Kläger meint, er sei von den Beklagten nicht hinreichend aufgeklärt worden. Die Anlageberatung sei weder anleger- noch anlagegerecht gewesen. Die Beklagten hätten in den Gesprächen gemeinsam arbeitsteilig gehandelt und seien gemeinsam als Anlageberater gegenüber dem Kläger aufgetreten. Zudem sei der Emissionsprospekt fehlerhaft.
I. Die Beklagten zu 1) und 2) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von € 11.700,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 2 Prozent p.a. vom 16.02.2016 bis Rechtshängigkeit sowie nebst Zinsen aus € 11.700,00 in Höhe 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, die Klagepartei von sämtlichen weiteren Verpflichtungen aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung an der V. GmbH (Nr. …) freizustellen.
III. Die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Anträgen I. und II. erfolgt Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte der Klagepartei aus der an der V. GmbH (Nr. …) an die Beklagten zu 1) und 2).
IV. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten zu 1) und 2) mit der Annahme der Gegenleistung gem. vorstehendem Antrag III. in Annahmeverzug befinden.
V. Die Beklagten zu 1) und 2) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von € 44.430,91 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 2 Prozent p.a. vom 30.01.2010 bis Rechtshängigkeit sowie nebst Zinsen aus € 44.430,91 in Höhe 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
VI. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, die Klagepartei von sämtlichen weiteren Verpflichtungen aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung an der V. GmbH (Nr. …) freizustellen.
VII. Die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Anträgen V. und VI. erfolgt Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte der Klagepartei aus der an der V. GmbH (Nr. …) an die Beklagten zu 1) und 2).
VIII. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten zu 1) und 2) mit der Annahme der Gegenleistung gem. vorstehendem Antrag VII. in Annahmeverzug befinden.
IX. Die Beklagten zu 1) und 2) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von € 34.100,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 2 Prozent p.a. vom 16.02.2016 bis Rechtshängigkeit sowie nebst Zinsen aus € 34.100,00 in Höhe 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
X. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, die Klagepartei von sämtlichen weiteren Verpflichtungen aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung an der V. GmbH (Nr. …) freizustellen.
XI. Die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Anträgen IX. und X. erfolgt Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte der Klagepartei aus der an der V. GmbH (Nr. …) an die Beklagten zu 1) und 2).
XII. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten zu 1) und 2) mit der Annahme der Gegenleistung gem. vorstehendem Antrag XI. in Annahmeverzug befinden.
XIII. Die Beklagten zu 1) und zu 2) werden weiter verurteilt, an die Klagepartei die Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 3.061,16 nebst Prozesszinsen in Höhe von 5% p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen
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Der Beklagte zu 1) beantragt
im Wege der Widerklage hilfsweise für den Fall, dass die Klageforderung begründet ist:
Es wird festgestellt, dass der Kläger an den Beklagten zu 1) Erlöse aus der Vermittlung von Aktien in Höhe von 450.000 zu je USD 1,00 pro Aktie der E. R. S. S. H. Limited gem. des Zertifikats vom 24.10.2016 mit der Nummer … zu 70% zu erstatten hat.
Abweisung der Hilfswiderklage.
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Die Beklagten behaupten, im ersten Gespräch hätten sie dem Kläger erklärt, sie würden Sachwertanlagen vermitteln, dabei seien die Renditechancen deutlich höher als bei „klassischen Versicherungsprodukten“, es seien aber auch höhere Risiken beinhaltet. Im weiteren Termin am 18.12.2009 habe der Kläger den Beklagten mitgeteilt, dass er sich von seinen Lebensversicherungen trennen wolle. Er habe die Beklagten dann gebeten, ihm eine Alternative anzubieten, er sei auch bereit, ein höheres Risiko mit dem Abschluss der Kapitalanlage einzugehen. Der Kläger habe nicht erklärt, er sei nur an einer absolut sicheren Kapitalanlage zum Zweck der Altersvorsorge interessiert. Es sei dann unter Vorlage des Emissionsprospekts die Anlage erläutert worden. Insbesondere sei das Totalverlustrisiko angesprochen worden, jedoch werde die Gesellschaft versuchen, dieses Risiko durch Streuung des Kapitals in eine Vielzahl von Unternehmen zu minimieren. Es sei dann ein weiterer Termin vereinbart worden auf den 23.12.2009, dabei habe der Kläger erklärt, dass er den Inhalt des Emissionsprospekts gelesen und verstanden habe. Der Beklagte zu 1) behauptet weiter, er habe dem Kläger im Jahr 2015 als Kompensation für Verluste aus der streitgegenständlichen Beteiligung die Investition in die Anlage „S.“ vorgeschlagen. Zugunsten des Klägers habe er 700 € investieren wollen.
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Die Beklagten rügen die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Landshut. Mit dem Beklagten zu 1) sei kein Anlageberatungsvertrag, sondern nur ein Auskunftsvertrag geschlossen worden, da er sich auf den Vertrieb einer bestimmten Kapitalanlage im Auftrag der Fondsgesellschaft beschränkt habe. Der Beklagte zu 2) unterliege wegen seiner bloß allgemeinen Ausführungen zur Wirtschaftslage überhaupt keiner vertraglichen Haftung. Die Beklagten erheben die Einrede der Verjährung. Schließlich habe der Kläger dem Beklagten zu 1) einen Teil etwaiger Erlöse aus der Investition in „S.“ im Wege des Vorteilsausgleichs zu erstatten.
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Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 11.10.2019 und 24.07.2020 Bezug genommen. Der Kläger hat ursprünglich als Beklagten zu 3) auch den Gründungsgesellschafter verklagt. Das Gericht hat das Verfahren gegen ihn mit Beschluss vom 28.11.2019 abgetrennt.
Entscheidungsgründe
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Der Klage war im tenorierten Umfang stattzugeben, da sie zulässig und weit überwiegend begründet ist. Die Widerklage war abzuweisen, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
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Die Klage ist zulässig.
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Das Landgericht Landshut ist zuständig gem. § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, § 32b Abs. 1 ZPO. Mit dem ehemaligen Beklagten zu 3) war gem. § 32b Abs. 1 ZPO ein Prospektverantwortlicher mitverklagt, so dass das Landgericht Landshut als Gericht am Sitz der Emittentin örtlich zuständig ist. Die Prozesstrennung (§ 145 ZPO) durch Beschluss vom 28.11.2019 änderte gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nichts an der einmal eingetretenen Zuständigkeit.
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Für die Klageanträge II., VI., X. liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen gem. § 256 Abs. 1 ZPO vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es unschädlich, dass der Kläger die Ansprüche nicht beziffert, da sein Antrag nicht auf Freistellung, sondern auf Feststellung gerichtet ist.
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Hinsichtlich der Klageanträge zu IV., VIII., XII. stellt der Annahmeverzug zwar grundsätzlich kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i. S. v. § 256 I ZPO dar. Eine Ausnahme ist aber für dessen Nachweis bei Verurteilung zu einer Zug-um-Zug-Leistung gem. §§ 756, 765 ZPO zu machen, vgl. BGH NJW 2000, 2663. Insofern liegt auch das Feststellungsinteresse der Klägerin gem. § 256 I ZPO vor.
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Die Klage ist weit überwiegend begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung i. H. v. 90.230,91 € (11.700 € wegen der Anlage Nr. …; 44.430,91 € wegen der Anlage Nr. …; 34.100 € wegen der Anlage Nr. …) gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten.
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1. Zwischen den Parteien ist ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen. In diesem Rahmen erwartet der Kapitalanleger vom Anlageberater nicht nur die Mitteilung von Tatsachen, sondern eine auf seine persönlichen Verhältnisse zugeschnittene fachkundige Beratung und Bewertung. Die Beklagten meinen, ein solcher Anlageberatungsvertrag sei aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen. Dieser Ansicht kann das Gericht nicht folgen.
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a. Der Beklagte zu 1) meinte zuletzt, mit ihm habe der Kläger allenfalls einen Auskunftsvertrag geschlossen worden, da er sich auf den Vertrieb einer bestimmten Kapitalanlage im Auftrag der Fondsgesellschaft beschränkt habe. Dies trifft aber nicht zu. Der Beklagte zu 1) trat dem Kläger gegenüber gerade nicht allein als Vertreter eines bestimmten Produktgebers gegenüber, vielmehr bewertete er verschiedene Produkte auf Grundlage der finanziellen Interessen des Klägers. Unstreitig verkaufte der Kläger im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Beteiligung seine bestehenden Lebensversicherungen an die P. I. GmbH. Auf diese Möglichkeit hatten ihn die Beklagten hingewiesen. Zwar ist zwischen den Parteien umstritten, ob die Beklagten die bestehenden Lebensversicherungen auch schlecht geredet sowie dringend die Kündigung und einen Verkauf an die P. I. GmbH empfohlen hätten, um das Kapital in Höhe von ca. 61.000 € im streitgegenständlichen Fonds anzulegen. Insofern ist aber schon der Vortrag der Beklagten nicht nachvollziehbar. Zu Beginn der Gespräche mit dem Kläger habe der Beklagte zu 2) in Anwesenheit des Beklagten zu 1) unstreitig die zu diesem Zeitpunkt wegen der Finanz- und Eurokrise angespannte wirtschaftliche Gesamtlage und die Auswirkungen im Versicherungs- und Kapitalanlagebereich erörtert. Der Beklagte zu 2) erklärte in Anwesenheit des Beklagten zu 1), es sei besser in Sachwerte zu investieren, also in Unternehmensbeteiligungen oder Aktien. Diese Ausführungen des Beklagten zu 2) muss sich der Beklagte zu 1) zurechnen lassen (vgl. dazu noch unten B.I.1.b.). In der Gesamtbetrachtung dieser Gesprächssituation haben die Beklagten die finanziellen Interessen des Klägers hinsichtlich seiner Lebensversicherungen der streitgegenständlichen Beteiligung gegenübergestellt und für ihn beurteilt. Besonders eindrücklich zeigt dies die Aussage des Beklagte zu 2) im Rahmen der persönlichen Anhörung („Wir haben dann erwähnt, dass es bei der Lebensversicherung verschiedene Möglichkeiten gibt ganz wie er das möchte, er kann sie kündigen, er kann sie stilllegen, er kann sie auch verkaufen“). Da der Kläger selbst die P. I. GmbH gar nicht kannte, beruhte die Kündigung der Lebensversicherungen und die Umschichtung des Kapitals in die streitgegenständliche Beteiligung auf der Beratung der Beklagten. Ziel der Beratung war es offenkundig, dem Kläger die streitgegenständliche Beteiligung nicht lediglich zu vermitteln, sondern sie an Stelle der bisherigen kapitalbildenden Lebensversicherung als Mittel der privaten Altersvorsorge darzustellen. Dies ergibt sich plausibel aus den vom Kläger geschilderten Umständen, die den Beklagten nicht verborgen bleiben konnten.
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b. Unzutreffend ist die Auffassung des Beklagten zu 2), er habe gegenüber dem Kläger bloß allgemeine Ausführungen zur Wirtschaftslage gemacht und unterliege daher keiner vertraglichen Haftung. Zwar hat selbst der Kläger im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung mehrfach deutlich gemacht, dass allein der Beklagte zu 1) die streitgegenständliche Beteiligung vorgestellt habe. Der Gesprächsbeitrag des Beklagten zu 2) kann aber nicht isoliert davon betrachtet werden, sondern stellte die Grundlage für die Beratung durch den Beklagten zu 1) dar. Auch ausweislich der persönlichen Anhörung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gab es eine zwischen ihnen vereinbarte Rollenaufteilung. Dies zeigt sich darin, dass die Beklagten bei allen Gesprächen mit dem Kläger gemeinsam anwesend waren, selbst wenn nur einer der Beklagten sprach (beim ersten Gespräch ging es nur um die allgemeine wirtschaftliche Lage, erst beim zweiten Gespräch am 18.12.2009 wurde die streitgegenständliche Beteiligung vorgestellt). Verdeutlicht wird dies, dass der Beklagte zu 2) im Rahmen der persönlichen Anhörung selbst über das zweite, vom Beklagten zu 1) geführte, Gespräch von „wir“ spricht („Wir haben dann erwähnt, dass es bei der Lebensversicherung verschiedene Möglichkeiten gibt…“). Auch der Beklagte zu 1) sprach in der Wir-Form („Wir haben keine festen Renditen zugesagt“). Die Beiträge der beiden Beklagten waren auch gleichwertig. Die Bedeutung des Beitrags des Beklagten zu 2) zeigt sich darin, dass der Beklagte zu 1) unmittelbar darauf aufbaute, indem er gerade die Investition in Sachwerte vorstellte, auf die der Beklagte zu 2) zuvor eingegangen war. Durch eine solche arbeitsteilige Vorgehensweise kann der Beklagte zu 2) aber nicht der vertraglichen Haftung entgehen.
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2. Zur Überzeugung des Gerichts haben die Beklagten ihre Pflichten verletzt. Im Rahmen der objektgerechten Beratung haben sie den Kläger nicht zutreffend über die für die Beurteilung der Anlageentscheidung relevanten Eigenschaften und Risiken der empfohlenen Anlage informiert. Sie haben ihm nicht alle maßgeblichen Informationen, die dieser benötigt, um die Risiken seiner in Aussicht genommenen Anlageentscheidung einschätzen zu können, rechtzeitig, richtig, vollständig und in verständlicher Weise übermittelt (vgl. BGH NJW-RR 2000, 998). Die Pflichtverletzung liegt in den Angaben des Beklagten zu 1) über die streitgegenständliche Beteiligung, deren Erklärungsgehalt sich der Beklagte zu 2) als eigene Erklärung zurechnen lassen muss. Das gemeinsame Auftreten der Beklagten im Rahmen der Beratungsgespräche kann nur als einheitliche Beratungsleistung betrachtet werden mit gleichwertigen Beiträgen des jeweiligen Beklagten. Es diente nach dem offenbaren Plan der Beklagten dazu, ihre Vertriebschancen zu erhöhen. Wenn sich der Beklagte zu 2) die Vorteile der Arbeitsteilung mit dem Beklagten zu 1) zunutze macht, muss er auch für dessen Erklärungen einstehen.
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a. Die persönliche Aufklärungspflicht zur objektgerechten Beratung entfällt, wenn die entsprechende Belehrung in einem Prospekt oder anderen Unterlagen enthalten ist und die Beklagten davon ausgehen durften, dass der Kläger diesen gelesen und verstanden hat sowie gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt. Allerdings ist es den Beklagten in diesem Fall verwehrt, Risiken abweichend von den Prospektangaben darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidung des Anlegers mindert (BGH, Urt. v. 24.04.2014 – Az. III ZR 389/12). Die schriftlichen Unterlagen über ein Anlageobjekt müssen den Anleger möglichst zeitnah über alle Umstände, die für seine Entschließung von wesentlicher Bedeutung sind, sachlich richtig und vollständig unterrichten. Dazu gehört eine Aufklärung über Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder den vom Anleger verfolgten Zweck gefährden können (BGH, Urt. v. 24.04.2014 – Az. III ZR 389/12).
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Allerdings hat der Kläger vorgetragen, der Emissionsprospekt sei erst am Tag der Zeichnung (23.12.2009) überreicht worden. Dies haben die Beklagten bestritten. Der Emissionsprospekt sei dem Kläger bereits im vorherigen Gespräch am 18.12.2009 überlassen worden. Der Anleger trägt für eine behauptete nicht rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospekts die Darlegungs- und Beweislast. Die mit dem Nachweis der negativen Tatsache der fehlenden Prospektübergabe verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete fehlende Übergabe substantiiert bestreiten muss. Im Regelfall geschieht dies durch die Darlegung, wann und unter welchen Umständen der Prospekt übergeben worden sein soll. Der für die Darlegung negativer Tatsachen maßgebliche Gesichtspunkt der Möglichkeit und Zumutbarkeit ist indes nicht auf die darlegungs- und beweispflichtige Partei beschränkt, sondern auch auf Seiten der anderen Partei zu berücksichtigen. Die Darlegung, wann und unter welchen Umständen der Prospekt übergeben worden ist, muss zumutbar sein (BGH, Urt. v. 19.10.2017 – Az. III ZR 565/16; BGH, Urt. v. 04.10.2018 – Az. III ZR 213/17).
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Der Vortrag der Beklagten wirft insofern Fragen auf, als im Informationsprotokoll zu allen drei streitgegenständlichen Beteiligungen eingetragen ist, Emissionsprospekt und Zeichnungsschein seien „am 23.12.2009 übergeben und besprochen worden“. Im Rahmen der persönlichen Anhörung konnte der Beklagte zu 1) hierzu keine plausiblen Angaben machen, dies könne „daran liegen, dass das Eintragungen auf Kopien sind“. Es habe „nämlich oft eine Vielzahl von Unterlagen gegeben“. Aufklären konnte er den Widerspruch zu seinem Vortrag, wann der Emissionsprospekt übergeben worden sein soll (am 18.12.2009), nicht. Darauf kommt es letztlich auch nicht an. Selbst wenn der Prospekt wie von den Beklagten behauptet am 18.12.2009 übergeben wurde, so ist dies angesichts des umfangreichen Emissionsprospekts im Streitfall nicht rechtzeitig. Zwischen dem 18.12.2009 und dem 23.12.2009 liegen lediglich fünf Tage. Eine Zeitspanne für die Rechtzeitigkeit der Übergabe des Emissionsprospekts ist nicht festgelegt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat insofern einen Zeitraum von zwei Wochen gebilligt (BGH NJW-RR 2007, 1692). Eine solche Zwei-Wochen-Frist ist auch für andere Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Tragweite vom Gesetzgeber für angemessen erachtet worden (vgl. etwa § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG). Maßgeblich ist, ob der Anleger den Inhalt des Emissionsprospekts zur Kenntnis nehmen und verstehen kann. Dies sieht das Gericht im Streitfall nicht als gegeben an. Der Emissionsprospekt hat einen Umfang von über 100 Seiten. Die streitgegenständliche Beteiligung im Wege eines Treuhandverhältnisses stellt eine komplexe Konstruktion dar. Der Kläger verfügte weder über besondere Fachkenntnisse im Bereich der Geldanlagen (etwa aufgrund seiner Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit) noch über gefestigte Erfahrungen mit vergleichbaren Beteiligungen. Eine einmalige Beteiligung an einem kleinen Unternehmen in der Schweiz ist mit der streitgegenständlichen Beteiligung nicht vergleichbar. Es ist nicht ersichtlich, dass für den Kläger ausnahmsweise die kurze Zeitspanne zwischen dem 18.12.2009 und dem 23.12.2009 genügt hätte.
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b. Damit konnte die Aufklärungspflicht des Beklagten nicht entfallen. Der Beklagte hat die behaupteten Aufklärungsfehler bestritten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt derjenige, der eine Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung behauptet, dafür die Beweislast. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die vom Anleger behauptete Fehlberatung (dafür genügt es, wenn der Anleger die behaupteten Angaben und Versäumnisse des Beraters oder Vermittlers in ihrem inhaltlichen Kerngehalt wiedergibt, BGH III ZR 66/12) substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten/aufgeklärt worden sein soll. Dem Anleger obliegt dann der Nachweis, dass diese Gegendarstellung nicht zutrifft (BGHZ 126, 217, 225; BGH WM 1982, 13, 16, WM 1987, 590, 591, WM 1999, 645, 646). Dies gilt auch für den Bereich der Anlageberatung (BGH WM 2000, 1441, 1443, WM 2000, 1685, 1686).
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aa. Zum Ablauf des Gesprächs über die streitgegenständliche Beteiligung hat das Gericht den Kläger informatorisch angehört. Er hat hierbei wie schon im Rahmen der Klageschrift substantiiert zur fehlerhaften Aufklärung des Beklagten zu 1), die sich der Beklagte zu 2) zurechnen lassen muss, vorgetragen.
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(1) Der Kläger gab dazu an, die Beklagten hätten die streitgegenständliche Beteiligung als „hoch attraktiv“ beschrieben. Er habe ihnen gesagt, dass er eine monatliche Rente von 400,00 Euro erwarte und deswegen nichts riskieren könne. Die Beklagten hätten darauf erwidert, der Euro und damit auch die Lebensversicherungen gingen kaputt, wenn er nichts mache, dann gehe alles kaputt. Bei der streitgegenständlichen Beteiligung dagegen könne nichts passieren, denn diese sei breit gestreut. Nach der Haltedauer habe der Kläger nicht konkret gefragt, weil es geheißen habe, dass es nach zwei bis drei Jahren schon einen Rückfluss gebe. Beim Risiko hat es geheißen, es gebe kein Risiko, allenfalls ein kleines Risiko, weil die Beteiligung so breit gestreut sei, da könne nichts passieren. Dies konkretisierte der Kläger dahin, dass ihm die streitgegenständliche Beteiligung nicht als absolut risikolos verkauft worden sei, es habe geheißen, es gebe „nur ein ganz kleines Risiko“. Jedenfalls sei das Wort Totalverlustrisiko niemals angesprochen worden. Die Lebensversicherungen hingegen würden alle kaputt gehen. Der Kläger habe auch nicht nach der Veräußerbarkeit der Beteiligung gefragt, da er mit Gewinnausschüttungen rechnete. Die Laufzeit bis 2035 sei nicht angesprochen worden. Es habe keine Informationen über die Nebenkosten und die Höhe der Provision gegeben. Dem Kläger sei zwar bewusst gewesen, dass man für eine höhere Rendite auch ein höheres Risiko eingehen müsse und dass auch Unternehmen pleite gehen könnten. Er meinte aber, dass „ein so großes Unternehmen“ nicht pleite gehen könne. Wenn er gewusst hätte, welches Risiko mit der streitgegenständlichen Beteiligung verbunden ist, hätte er „das auf keinen Fall gemacht“.
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(2) Es besteht für das Gericht kein Anlass, am substantiierten Vortrag des Klägers zu zweifeln. Seine Darstellung war widerspruchsfrei und plausibel. Besonders eindrücklich war, dass der Kläger die Fehlberatung nicht nur in ihren Einzelheiten darlegen konnte. Dies wurde dadurch besonders glaubhaft, dass ihm die im Nachhinein erkannten Fehler persönlich nahegingen („Ich habe mich also im Grunde genommen breitschlagen lassen…Meine Frau ist auch sehr verärgert, dass ich das gemacht habe“).
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bb. Diese Darstellung vermochten die Beklagten nicht hinreichend substantiiert zu bestreiten und haben sie in Teilen sogar zugestanden. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hätten sie substantiiert bestreiten und darlegen müssen, wie im Einzelnen beraten/aufgeklärt worden sein soll. Der Beklagte zu 1) führte dazu zwar aus, er habe etwa „das mit den Bonuszahlungen erklärt, wie das sich dann in der Zukunft mit den Auszahlungen gestaltet [und] ihm auch das mit den Grundlagen erklärt, mit dem Managementgebühren wie es dann bei einem Verkauf sich gestaltet“. Er habe auch dargelegt, wie der Fonds seine Geschäfte mache. Feste Renditen hätten er und der Beklagte zu 2) nicht zugesagt. Jedenfalls sei auf das Totalverlustrisiko hingewiesen worden. Zugleich räumte der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ein, sie seien „aber im Prospekt nicht alle 15 oder 30 Seiten mit allen Risikohinweisen durchgegangen“. Wenngleich er darauf hingewiesen habe, „dass es die Kosten mit 25% gibt, wenn es Gewinnausschüttungen gibt“, so seien doch die Kosten nicht detailliert besprochen worden. Auch konnte sich der Beklagte zu 1) nicht erinnern, dass hinsichtlich der Laufzeit etwas „konkret berechnet worden wäre“. Sie hätten „damals ja gedacht, dass nach der Einmalanlage 10 Jahre die Laufzeit ist und dass man bei den anderen ja nach fünf Jahren entsprechend stilllegen kann“. Ob das Jahr 2035 angesprochen wurde, konnte der Beklagte zu 1) nicht mehr sagen.
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cc. Anhand dieser Umstände gelangt das Gericht zur Überzeugung, dass bereits nach der Darlegung der Beklagten keine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat. Zwar hat wohl insofern eine Aufklärung stattgefunden, als dem Kläger (wie er auch zugab) die streitgegenständliche Beteiligung nicht als absolut risikolos vorgestellt wurde. Gleichwohl räumte der Beklagte zu 1) selbst ein, sich bei der Risikobelehrung nicht exakt an die Ausführungen des Emissionsprospekts gehalten zu haben, was aber (angesichts der nicht rechtzeitigen Übergabe) seine Pflicht gewesen wäre. Besonders deutlich hat sich nach der Anhörung des Beklagten zu 1) gezeigt, dass über die Langfristigkeit der Anlage bis zum Jahr 2035 (in dem der Kläger 81 Jahre alt sein wird) nicht gesprochen wurde. Das Gericht ist nach den Einlassungen des Beklagten zu 1) schon nicht der Überzeugung, dass diesem selbst die Langfristigkeit hinreichend bewusst war.
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c. Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger in der Vergangenheit bei einer Beteiligung in ein kleines Unternehmen in der Schweiz Geld verlor, weil dies mit der Komplexität der streitgegenständlichen Beteiligung nicht vergleichbar ist. Zu den Risikohinweisen in den Informationsprotokollen der streitgegenständlichen Beteiligung gestand der Kläger ein, diese überflogen, aber nicht ausreichend beachtet zu haben. Dazu mag auch beigetragen haben, dass es der Beklagte zu 1) selbst war, der das Informationsprotokoll so ausfüllte, dass der Kläger nur noch unterschreiben musste. Im Übrigen hat das unterschriebene Informationsprotokoll keine Aussagekraft dergestalt, dass die Risikohinweise tatsächlich erteilt worden wären.
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3. Eine Pflichtverletzung der Beklagten ist im Übrigen auch darin zu sehen, dass die streitgegenständliche Beteiligung nicht anlegergerecht ist. Zum Zeitpunkt der Zeichnung war der Kläger ausweislich der Eintragung im Informationsprotokoll bereits 55 Jahre alt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht vertretbar, dem Kläger zu der streitgegenständlichen Beteiligung zu raten, die mit ihren Eigenheiten bis zum Jahr 2035 läuft, wenn der Kläger 81 Jahre alt sein wird.
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Die streitgegenständliche Beteiligung verfehlte auch deshalb die erkennbaren Anlageziele des Klägers, weil sie für Zwecke der Altersvorsorge ungeeignet war. Das sehen auch die Anbieter so, da im gerichtsbekannten Emissionsprospekt auf den Seiten 11 ff. unter den Überschriften 2.1.1 bis 2.1.25 in 25 Unterkapiteln der unternehmerische Charakter und die Risikostruktur des Fonds ausführlich beschrieben werden. Eine Eignung zur Altersvorsorge wird dem Angebot an keiner Stelle beigemessen. Soweit die Beklagten darlegen, es habe eine Reduzierung des Risikos durch Streuung der Anlagen gegeben, müssen sie sich entgegenhalten lassen, dass diese Streuung weder im Emissionsprospekt noch im Gesellschaftsvertrag unter den Investitionsrichtlinien verbindlich vereinbart ist. Es blieb dem Belieben des Managements überlassen, wie die Gelder eingesetzt wurden. Die Beteiligung an der V. GmbH war ein höchst spekulatives und damit besonders riskantes Geschäft. Das Geschäftsmodell des Fonds sollte darauf abzielen, sich an Firmen zu beteiligen, die „nach Möglichkeit bereits Innovations- oder Gründerpreise gewonnen haben und vorwiegend auf zukunftsträchtigen Gebieten, wie z.B. auf dem Gebiet der Biotechnologie tätig“ sind, VII Nr. 3.2 des Emissionsprospekts. Zudem sollte ein weiterer Teil des Fondsvermögens in weitere Fonds investiert werden, die ihrerseits Firmenbeteiligungen eingehen sollten, VII Nr. 3.1 des Emissionsprospekts. Bereits das in dieser Zielrichtung enthaltene BlindPool-Risiko machte die Beteiligung zu einem Geschäft mit höchst ungewissem Ausgang. Weder war ein Markterfolg der Zielinvestments auch nur wahrscheinlich noch war gesichert, dass die Auswahl der Zielinvestments unter Renditegesichtspunkten ertragreich ausfallen würde. Es war nach den Investitionsrichtlinien des Fonds zudem nicht sichergestellt, dass der Fonds seine Gelder überhaupt streute, da es dazu keine bindenden Vorgaben, sondern nur unverbindliche Absichtserklärungen gab. Zudem wies das Fondskonstrukt hohe Weichkosten von 23.45% auf. Solch hohe Weichkosten sind geeignet, negative Auswirkungen auf die Rentabilität der Anlage zu haben, da dann nur ein geringer Teil der von den Anlegern einbezahlten Gelder tatsächlich in die Zielobjekte fließen und dort Rendite erzielen kann, vgl. BGH NJW 2004, 1732. Hinsichtlich der Beteiligungen am Zweitmarkt sollten Ankaufspreise bezahlt werden, die sich an der Zeichnungssumme der Verkäufer orientierten und nicht am echten inneren Wert des zu erwerbenden Anteils, vgl. VII Nr. 3.1 des Emissionsprospekts. Über diese Umstände haben die Beklagten ausweislich der pauschalen Behauptung, das Risiko werde durch Streuung minimiert, nicht aufgeklärt. Von einer „positiven Kapitalstreuung“ und einer damit einhergehenden Minimierung des Totalverlustrisikos kann beim streitgegenständlichen Fonds nicht die Rede sein. Nachdem das Fondsmanagement die Gelder nach Belieben investieren durfte, standen bei der hoch spekulativen Anlage keinesfalls die Risiken und die Chancen in einem korrelierenden Verhältnis. Jede einzelne Investitionsentscheidung gefährdete das Vermögen des Fonds, ohne dass es einen Zusammenhang mit zeitgleich sich durch andere Investmententscheidungen eröffnenden Chancen gab. Es sprach nichts dafür, dass eines der zufällig ausgewählten Unternehmen einen solchen wirtschaftlichen Höhenflug erleben werde, dass damit Verluste nicht nur aufgefangen, sondern sogar in einen Gewinn verwandelt werden könnten.
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4. Umstände, die zur Entlastung der Beklagten im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB führen, sind nicht vorgetragen.
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5. Die Falschberatung war auch kausal für den Anlageentschluss. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung wird vermutet, dass sich der Kläger bei korrekter Aufklärung am Fonds nicht beteiligt hätte, BGHZ 193, 159 ff. Der Kläger hat im Übrigen glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken „das auf keinen Fall gemacht“ hätte.
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6. Dem Kläger ist infolge der Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten ein Schaden in Höhe von 90.230,91 € entstanden.
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7. Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Die Beklagten konnten nicht nachweisen, dass dem Kläger vor 2015 bekannt war oder in Folge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, dass er falsch beraten wurde, Die Klage wurde dem Beklagten zu 1) am 21.12.2018, dem Beklagten zu 2) am 12.10.2018 zugestellt. Der Kläger holte im Jahr 2018 erstmals anwaltliche Beratung ein. Er gab zwar im Rahmen der persönlichen Anhörung an, im Jahr 2015 nervös geworden zu sein, weil da „etwas faul“ sei, es sei gar kein Geld mehr gekommen. Selbst wenn der Kläger hierbei aber Kenntnis von der Fehlberatung erlangt hat oder hätte erlangen müssen, so wurde die Verjährungsfrist jedenfalls vor Ablauf gehemmt gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger den Emissionsprospekt kurz nach der Zeichnung gelesen hat. Er konnte darin gerade nicht die Aussage finden, die Anlage sei zum Zwecke der Altersvorsorge ungeeignet. Nur den professionellen Beklagten hätte auffallen müssen, dass dieser Satz fehlte, nicht dem Kläger als Laien. Weitere Warnhinweise des Emissionsprospekts (etwa hinsichtlich der Laufzeit und der Kosten) hatten die Beklagten zudem durch ihre fehlerhafte Beratung bagatellisiert. Damit war es dem Kläger, der auf diese Angaben in den Beratungsgesprächen vertraute, nicht möglich, die fehlerhafte Beratung zu erkennen.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung entgangenen Gewinns gem. §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1, 252 Satz 1 BGB in Gestalt von Zinsen aus 44.430,91 € i. H. v. 2% p. a. vom 30.01.2010 bis 21.12.2018 (gegen den Beklagten zu 1) und Zinsen aus 44.430,91 € i. H. v. 2% p. a. vom 30.01.2010 bis 12.10.2018 (gegen den Beklagten zu 2) sowie Zinsen aus 16.810,23 € i. H. v. 2% p. a. vom 16.02.2016 bis 21.12.2018 (gegen den Beklagten zu 1) und Zinsen aus 16.810,23 € i. H. v. 2% p. a. vom 16.02.2016 bis 12.10.2018 (gegen den Beklagten zu 2). § 252 Satz 2 BGB ermöglicht eine abstrakte Schadensberechnung. Für das Maß der Überzeugungsbildung ist § 287 ZPO zu beachten. Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil des in die streitgegenständliche Beteiligung investierten Kapitals unmittelbar aus der Kündigung der Lebensversicherungen des Klägers herrührt (61.241,14 €, Anlage K 8b). Hinsichtlich dieses Betrags war dem Klageantrag stattzugeben. Darüber hinaus war die Klage abzuweisen, da der Kläger insofern nicht dargelegt hat, für welche konkrete Form der Kapitalanlage er sich ohne das schädigende Ereignis entschieden hätte. Darauf haben bereits die Beklagten hingewiesen. Insofern handelt es sich bei den ratierlichen Einzahlungen um überschaubare Beträge (100 € und 300 € monatlich), bei denen eine Vermutung dafür spricht, dass sie nicht anderweitig investiert, sondern konsumiert worden wären.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus 90.230,91 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.10.2018 bis 21.12.2018 gegen den Beklagten zu 2) und ab 22.12.2018 gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gem. §§ 291 Satz 1, 2, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verpflichtet, den Kläger von weiteren Verpflichtungen im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Beteiligungen freizustellen.
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Die Beklagten waren im Rahmen der Vorteilsausgleichung zur Leistung Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus den streitgegenständlichen Beteiligungen zu verurteilen.
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Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs liegen vor.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i. H. v. 3.061,16 € als Schadensposten gem. §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB. Insofern fehlt es bereits an schlüssigem Vortrag. „Zur Schlüssigkeit der Klage gehört daher notwendigerweise auch der Vortrag dazu, dass der Rechtsanwalt zunächst nur den Auftrag zu einer außergerichtlichen Klärung bzw. einen bedingten Prozessauftrag erhalten hat (…). Denn hat der Mandant seinem Rechtsanwalt einen unbedingten Klageauftrag erteilt, ist die Geltendmachung einer Gebühr nach Nr. 3100 VV-RVG ausgeschlossen, weil die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG auch Tätigkeiten erfasst, welche die Klage oder Rechtsverteidigung vorbereiten (…)“, OLG Celle, Hinweisbeschluss v. 17.11.2014 – 2 U 133/14 Rn. 3. Eine diesbezügliche Hinweispflicht bestand nicht, vgl. § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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Der Kläger hat daher auch keinen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen auf die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet. Die Voraussetzungen der vom Beklagten zu 1) in Anspruch genommenen Vorteilsausgleichung liegen nicht vor. „Nach deren Grundsätzen sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen (…). Die vorteilhaften Umstände müssen mit dem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang stehen. Zu berücksichtigen ist ferner, ob eine Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes entspricht und weder der Geschädigte unzumutbar belastet noch der Schädiger unbillig entlastet wird“, BGH NJW 2019, 215 Rn. 17. Im Streitfall kann aber bei wertender Betrachtung die Entwicklung, die die Beteiligung an der V. GmbH einerseits und die Investition bei S. andererseits genommen haben, nicht im Sinne einer Gesamtsaldierung in die Schadensberechnung einbezogen werden. Dafür ist maßgeblich, dass die beiden Geldanlagen nicht Gegenstand eines einheitlichen Beratungsgesprächs und Anlagekonzepts waren, sondern vielmehr fünf Jahre auseinanderliegen. Die Anlageentscheidungen werden also nicht „verklammert“. Die Anlagen sind strukturell verschieden und stellen sich daher nicht als „Paket“ dar. Damit kann nicht von einer einheitlichen Anlageentscheidung des Klägers ausgegangen werden. Das Gericht verkennt nicht den bestrittenen Vortrag des Beklagten zu 1), mit der Investition in S. sei eine Kompensation der Verluste aus der Beteiligung an der V. GmbH vereinbart gewesen. Anlass der weiteren Investition bei S. war also schon nach diesem Vortrag allein die Performance der Beteiligung an der V. GmbH im Jahr 2015, nicht etwa die diesbezügliche Fehlberatung des Beklagten zu 1). Mit letzterer steht die Investition bei S. daher schon nicht in dem erforderlichen qualifizierten Zusammenhang. D.
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Über die Kosten war gem. §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu entscheiden. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, 2 ZPO. Der Streitwert wurde gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG festgesetzt. Für die Klage waren neben dem Zahlungsantrag für die Feststellungsanträge 20% des noch offenen Einzahlungsbetrags nach Stilllegung anzusetzen. Für die Widerklage wurden mangels anderweitiger Anhaltspunkte 560 € (80% von 700 €) berücksichtigt.