Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 18.08.2020 – 1 U 167/20
Titel:

Rente, Unfallversicherung, Berufung, Versicherungsnehmer, Gutachten, Unfallrente, Versicherer, Beurteilung, Anlage, Bewertung, Verletzung, Verfahren, Umfang, Anerkenntnis, erstinstanzliche Entscheidung, abweichende Beurteilung, Gelegenheit zur Stellungnahme

Schlagworte:
Rente, Unfallversicherung, Berufung, Versicherungsnehmer, Gutachten, Unfallrente, Versicherer, Beurteilung, Anlage, Bewertung, Verletzung, Verfahren, Umfang, Anerkenntnis, erstinstanzliche Entscheidung, abweichende Beurteilung, Gelegenheit zur Stellungnahme
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Endurteil vom 23.03.2020 – 23 O 454/17
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 05.10.2020 – 1 U 167/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61834

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 23.03.2020 (23 O 454/17) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 94.292,70 € festzusetzen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 25.09.2020.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Unfallversicherung.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten über eine Unfallversicherung versichert. Für den Fall der Invalidität sieht der Vertrag eine Grundsumme in Höhe von 58.630,00 € vor. Ab einem Invaliditätsgrad von mindestens 50% ist eine Unfallrente versichert.
3
Am 22.10.2011 erlitt der Kläger bei einer Frontalkollision mit einem entgegenkommenden PKW erhebliche Verletzungen. Insbesondere erlitt der Kläger ein Schädel-Hirn-Trauma 2. Grades. Am rechten Bein erlitt der Kläger eine Fraktur der Kniescheibe samt Abriss der Patellasehne mit großflächiger Ablederung von Knorpeln an den Gelenkfortsätzen des Oberschenkelknochens, eine Rippenserienfraktur und drei ca. 1 cm tiefe Risswunden.
4
Als Unfalldauerfolgen attestiert ein ärztlicher Bericht des Klinikums … vom 01.03.2013 (Anlage K 5) dem Kläger wegen verbliebener Einschränkungen des rechten Knies einen Invaliditätsgrad von 23,3%.
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Darüber hinaus erfolgte eine Untersuchung des Klägers dahingehend, ob auf neurochirurgischem Gebiet ebenfalls dauerhafte unfallbedingte Folgen verbleiben sind. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. A. vom 11.05.2015 (Anlage K 8) kommt zu dem Ergebnis, dass beim Kläger wegen eines unfallbedingten Psychosyndroms samt kognitiver Defizite eine weitere Beeinträchtigung in Höhe von 40% sowie wegen eines somatoformen Schmerzsyndroms mit psychischen und körperlichen Symptomen sowie posttraumatischer Migräne und posttraumatischer Belastungsstörung eine Beeinträchtigung von weiteren 20% zu verzeichnen seien.
6
Ein hierauf durch die Beklagte bei Prof. Dr. Dr. B. in Auftrag gegebenes Gutachten vom 02.11.2015 (Anlage K 10) kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger lediglich ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen vorliege und bezifferte die hierdurch bedingte Beeinträchtigung mit 20%.
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Die Beklagte leistete an den Kläger eine Zahlung aus der Unfallversicherung in Höhe von 46.899,00 € unter Ansatz eines Invaliditätsgrades von 43,3%, zusammengesetzt aus einer Teilinvalidität in Höhe von 20% für die Folgen des Schädel-Hirn-Traumas und einer Teilinvalidität von 23,3% für eine Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines, insgesamt also in Höhe von 43,3% (Anlage K 9).
8
Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, es sei ein Invaliditätsgrad von mindestens 50% anzunehmen. Für die Folgen des Schädel-Hirn-Traumas sei ein Wert von 50% anzusetzen. Für die Knieverletzung und weitere unfallbedingte Beeinträchtigungen an Wirbelsäule und Schulter sei eine Invalidität von 30% angemessen. Die Gesamtinvalidität betrage somit 80%. Dem Kläger sei damit nicht nur die vereinbarte Rente zu zahlen, sondern auch ein entsprechender Kapitalbetrag als Einmalzahlung.
9
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten, die Invalidität des Klägers sei mit insgesamt 43,3% zutreffend bemessen worden.
10
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung schriftlicher Sachverständigengutachten.
11
Das orthopädische und unfallchirurgische Fachgutachten des Sachverständigen Dr. E. vom 31.05.2018 nebst Zusatzgutachten vom 11.01.2019 kam zu dem Ergebnis, dass ein Beinwert von 7% für das rechte Knie anzusetzen sei.
12
Das nervenärztliche Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 30.05.2018 nebst ergänzender Stellungnahme vom 05.12.2018 und mündlicher Anhörung des Sachverständigen kam zu dem Ergebnis, dass auf nervenärztlichem Fachgebiet eine Invalidität von 40% bestehe.
13
Das Landgericht ging daher von einer Gesamtinvalidität von 47% aus und sprach dem Kläger unter Abweisung der Klage im Übrigen eine weitere Kapitalentschädigung in Höhe von 6.454,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2016 zu.
II.
14
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner zulässigen Berufung.
15
Der Kläger beruft sich darauf, die Beklagte habe mit ihrem Abrechnungsschreiben vom 13.11.2015 (Anlage K 9) eine Invalidität des rechten Beines in Höhe von 23,3% anerkannt. Zusammen mit der vom Sachverständigen Dr. G. angenommenen Invalidität in Höhe von 40% auf nervenärztlichem Fachgebiet ergebe sich eine Invalidität von insgesamt 63,3%, so dass die Voraussetzungen für eine Unfallrente gegeben seien. Außerdem sei eine entsprechend höhere Kapitalentschädigung zu zahlen. Darüber hinaus rügt die Berufung Mängel des Gutachtens Dr. E.. Die erstinstanzliche Entscheidung müsse als Überraschungsentscheidung angesehen werden.
16
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. In dem Schreiben vom 13.11.2015 liege kein Anerkenntnis. Die Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. E. seien nicht begründet. Es handele sich auch nicht um eine Überraschungsentscheidung.
17
Auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 25.05.2020 und in der Berufungserwiderung vom 26.06.2020 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
III.
18
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO), in der Sache jedoch nicht begründet.
19
1. Das Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 13.11.2015 (Anlage K 9) stellt kein Anerkenntnis nach § 187 Abs. 1 VVG, Nr. 11 AUB dar. Zwar hat die Beklagte in diesem Schreiben erklärt, dass sie bezüglich des rechten Beins von einer Teilinvalidität von 23,3% ausgehe. Eine die Entschädigung bejahende Erklärung des Versicherers im Rahmen der Erstbemessungspflicht stellt aber letztlich nur eine einseitige, ohne besonderen Verpflichtungswillen abgegebene Absichtserklärung des Versicherers ohne unmittelbare rechtliche Auswirkung dar. Es handelt sich insbesondere nicht um ein selbständiges (§ 781 BGB) oder auch nur deklaratorisches Anerkenntnis (Prölss/MartinKnappmann, VVG, 30. Aufl., § 187 VVG Rdnr. 6 mwN). Dies gilt insbesondere für ein Abrechnungsschreiben des Versicherers (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.2018 - 24 U 15/18 - Juris, Leitsatz 1. und Rdnr. 11 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 16.06.2004 - 20 U 15/04 - Juris Rdnr. 42; OLG Frankfurt, Urteil vom 01.07.1999 - 3 U 175/97 Rdnr. 33; Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 187 Rdnr. 9). Ein derartiges Schreiben enthält regelmäßig nur eine Mitteilung an den Versicherungsnehmer, in welchem Umfang Ansprüche als berechtigt anerkannt und reguliert werden sollen. Es handelt sich um ein Anerkenntnis ohne besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen, das der Versicherer zu dem Zweck abgibt, dem Versicherungsnehmer seine Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen. Die Beklagte ist dadurch nicht gehindert, nachträglich geltend zu machen, dass die Invalidität hinsichtlich des rechten Beines auf der Grundlage der im Verfahren erfolgten gutachtlichen Bewertung durch den Sachverständigen Dr. E. lediglich mit 7% zu bewerten ist. Die Erklärung der Beklagten führt auch nicht zu einer Beweislastumkehr bei späterem Streit über den Umfang der Invalidität (vgl. OLG Saarbrücken, VersR 2014, 456).
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Nur ausnahmsweise kann die Erklärung des Versicherers in Einzelfällen die Wirkung eines vergleichsweise abgegebenen bindenden Schuldanerkenntnisses haben. Voraussetzung ist, dass Streit über Grund und Höhe des Anspruchs bestand, der endgültig einverständlich beigelegt werden sollte. Dann sind Einwendungen, die zum Zeitpunkt der Erklärung bekannt waren oder mit denen zu rechnen war, ausgeschlossen (Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Aufl., § 187 VVG Rdnr. 7). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es bestand zwar Streit über den Umfang des Anspruchs, dieser sollte aber durch das Schreiben vom 13.11.2015 nicht endgültig einverständlich beigelegt werden. Der Kläger war mit dem Ergebnis der vorgerichtlichen Begutachtung vielmehr gerade nicht einverstanden, was dann letztlich zur Klageerhebung führte.
21
2. Die Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. E. sind nicht begründet.
22
a) Die Berufung rügt, dass der Sachverständige Dr. E. bei seiner Beurteilung auf den aktuellen Zeitpunkt seiner Untersuchung des Klägers abgestellt habe. Dieser sei aber nicht maßgeblich, sondern der Zeitpunkt 3 Jahre nach dem Unfall, also der 22.10.2014. Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist richtig, dass maßgeblich auf den 3-Jahres-Zeitraum nach dem Unfall abzustellen ist. Dem ist der Sachverständige auch nachgekommen. Der Sachverständige hat den Kläger zwar erst am 17.05.2018 untersucht (Gutachten Dr. E., Seite 1). Der Sachverständige hat seiner gutachterlichen Beurteilung aber den Zustand im Jahr 2015, also kurz nach Ablauf des 3-Jahres-Zeitraumes zugrunde gelegt. So hat der Sachverständige die im Jahr 2015 gefertigten Röntgenaufnahmen vom rechten Knie des Klägers ausgewertet und auf Seite 47/48 seines Gutachtens ausgeführt, dass diese eine Retropattelarthrose am rechten Kniegelenk zeigen, die dem Unfall zuzurechnen sei. Auf Seite 50 führt der Sachverständige aus: „Es ist ein Dauerschaden eingetreten, der im Jahr 2015 eine Invalidität von 2/20 Beinwert begründet hat“. Die Invalidität wurde also zum maßgeblichen Zeitpunkt beurteilt. Dies hat der Sachverständige Dr. E. nochmals im Ergänzungsgutachten vom 11.01.2019 ausgeführt. Auf die Ausführungen des Sachverständigen auf Seite 17 bis 20 des Ergänzungsgutachtens wird Bezug genommen. Danach begründet der bereits im Jahr 2015 klinisch und radiologisch dokumentierte Dauerschaden eine Invalidität von 2/20 Beinwert. Damit hat der Sachverständige zum maßgeblichen Zeitpunkt zum Ablauf der 3-Jahres-Frist eine Invalidität von 7% hinsichtlich des rechten Beines bejaht. Der Einwand, die Beurteilung sei auf den Untersuchungszeitpunkt 2018 bezogen, ist daher nicht begründet.
23
b) Bei den auf Seite 5, 6 und 7 der Berufungsbegründung zitierten Ausführungen handelt es sich um Zitate des Gutachters aus den Schriftsätzen der Parteien, nicht um die eigene Beurteilung des Gutachters. Auf Seite 5, 6, 7 des Gutachtens, woraus der Klägervertreter zitiert, findet sich die Aktenanalyse des Sachverständigen. Dort gibt der Sachverständige lediglich den Sachvortrag der Parteien wieder. Die eigenen Befunde und die Beurteilung des Sachverständigen beginnen auf Seite 10 ff. des Gutachtens. Der Gutachter Dr. E. hat sich zu keinem Zeitpunkt in unsachlicher Weise geäußert. Der Sachverständige hat insbesondere nicht, wie der Kläger unterstellt, in seinem Gutachten „triumphierend“ festgestellt, dass eine Invalidität nur in Höhe von 47% begründet sei. Der Sachverständige Dr. E. hat seine vom Vorgutachten abweichende Beurteilung vielmehr sachlich damit begründet, dass eine Invalidität von 1/3 Beinwert nicht begründet sei. Um dies anzunehmen, müsse die Beweglichkeit des Kniegelenks soweit eingeschränkt sein, dass ein ausgeprägtes Beugedefizit oder/und ein deutliches Streckdefizit des rechten Kniegelenks die Funktion des rechten Kniegelenks ausgeprägt einschränke. Dies konnte der Sachverständige jedoch nicht feststellen (Seite 47, 48 und Seite 51 des Gutachtens). Auch ist aus Seite 52 des Gutachtens, wo der Gutachter ausführt, dass eine Bewertung von 1/3 Bein heute „nicht mehr“ gerechtfertigt ist, nicht zu entnehmen, dass diese Bewertung früher, d. h. im maßgeblichen Dreijahreszeitpunkt, gerechtfertigt war. Dafür, dass die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Kniegelenks im Jahr 2014/2015 deutlich schlechter war als zum Zeitpunkt der Untersuchung im Jahr 2018 haben sich in der Begutachtung keine Anhaltspunkte ergeben. Die Vorbefunde aus den vorangegangenen Zeiträumen hat der Gutachter in seine Beurteilung einbezogen.
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c) Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich nicht um eine Überraschungsentscheidung. Das rechtliche Gehör wurde nicht verletzt. Die Entscheidung entsprach den Ergebnissen der im Verfahren erholten Gerichtsgutachten, was nicht überraschend ist. Zwar hat das Landgericht im Urteil nicht ausdrücklich zum Gutachten S. (Anlage K 17) Stellung genommen. Darin liegt aber keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, denn mit dem Gutachten von Dr. S. hat sich der gerichtliche Sachverständige Dr. E. in seinem Ergänzungsgutachten auseinandergesetzt. Auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. E. auf Seite 18/19/20 seines Ergänzungsgutachtens vom 11.01.2019 wird Bezug genommen. Der Sachverständige begründet dort im Einzelnen, dass die von Dr. S. erhobenen Befunde und die Beurteilung von 1/3 Beinwert mit dem Begutachtungswerk der Bewertung von Kniegelenksfunktionen nicht vereinbar seien. Dem Kläger wurde mit Verfügung vom 13.03.2019 (Blatt 122) Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. E. vom 11.01.2019 eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 15.04.2019 (Blatt 129-131) hat der Kläger zu dem Ergänzungsgutachten Dr. E. vom 11.01.2019 Stellung genommen. Einwendungen in Bezug auf die Beurteilung von Dr. S. wurden in diesem Schriftsatz nicht vorgebracht. Darauf mußte das Gericht im Urteil auch nicht gesondert eingehen.
25
Aus den dargelegten Gründen beabsichtigt der Senat, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Auf die im Falle einer Rücknahme der Berufung in Betracht kommende Ermäßigung der Gerichtsgebühren (KV-Nr. 1220, 1222) weist der Senat ausdrücklich hin.
IV.
26
Den Streitwert des Berufungsverfahrens beabsichtigt der Senat gemäß §§ 47 Abs. 1 GKG, 3, 6 ZPO auf 94.292,70 € festzusetzen. Dieser setzt sich wie folgt zusammen:
Antrag zu 1): 35.764,30 €
Antrag zu 2): 40.443,20 €
Laufende Rente: 18.085,20 € (430,60 € x 42 Monate)
94.292,70 €