Titel:
Schadensersatz, Fahrzeug, Software, Annahmeverzug, Kenntnis, Feststellung, Anspruch, Laufleistung, Berichterstattung, Zwangsvollstreckung, Leistung, Beweislast, Klage, Verschulden, Zug um Zug, Darlegungs und Beweislast, Zug um Zug Leistung
Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Software, Annahmeverzug, Kenntnis, Feststellung, Anspruch, Laufleistung, Berichterstattung, Zwangsvollstreckung, Leistung, Beweislast, Klage, Verschulden, Zug um Zug, Darlegungs und Beweislast, Zug um Zug Leistung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 10.03.2021 – 17 U 6060/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 15.12.2022 – VII ZR 292/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61729
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz in Form der Rückabwicklung wegen des Erwerbs eines Fahrzeugs im Zuge des sog. „VW-Abgasskandals“.
2
Die zu diesem Zeitpunkt in … wohnhafte Klagepartei erwarb am 11.10.2010 bei der … einen Pkw Audi A3 Ambition Sportback 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … als Neuwagen zu einem Preis von 35.380,00 € (Anlage MM1). Dieser wurde mit einem Kilometerstand von 0 km an die Klagepartei übergeben.
3
Eingebaut in das Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 189, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde. In dem eingebauten Motor vom Typ EA 189 wurde eine Motorsoftware zu Optimierung der Stickstoffemissionswerte im behördlichen Prüfverfahren eingebaut. Dabei erkennt die Software, ob sich das Kfz auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet. Auf dem Rollprüfstand spielt die eingebaute Software ein anderes Motorprogramm ab als im Normalbetrieb. Hierdurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt.
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Mit Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 hatte die Beklagte die Öffentlichkeit über den Umstand informiert, dass bei Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 auffällige Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt wurden. In der Folgezeit wurde die Thematik des in der Öffentlichkeit so genannten „Abgasskandals“ breit diskutiert und in Presse, Funk und Fernsehen darüber berichtet, insbesondere auch über die Betroffenheit einzelner Fahrzeugmodelle der unterschiedlichen Konzernmarken. Das Kraftfahrtbundesamt ordnete mit Bescheid vom 15.10.2015 den Rückruf der Fahrzeuge mit dem Motor des Typs EA189 EU5 und eine entsprechende Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge an. Die Beklagte selbst berichtete in einer Pressemitteilung vom 15.10.2015 über den Rückruf. Bereits im Herbst 2015 schalteten die Beklagte sowie ihre Konzerntöchter wie etwa die … eine Internetwebseite frei, auf der sich Kunden mit Hilfe der Fahrzeug-Identifkationsnummer darüber informieren konnten, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen ist. Dies wurde in den Medien auch bekannt gemacht, etwa in der Bild, dem Focus, der Zeit usw.
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Ein in der Folge von der Beklagten entwickeltes Software-Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben und am 13.12.2017 auch am klägerischen Fahrzeug aufgespielt (Anlage MM2). Mit Schreiben vom Februar 2016 der … wurde der Kläger darüber informiert, dass auch in seinem Fahrzeug eine entsprechende Software verbaut sei (Anlage K3). Auch über das Software-Update und dessen Freigabe wurde in den Medien ausführlich berichtet.
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Die Klagepartei forderte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 24.12.2019 dazu auf, zu erklären, dass sie bereit sei, an den Kläger Zug um Zug gegen Übereignung seines Fahrzeuges einen Betrag in Höhe von derzeitig 23.350,80 € zu zahlen (Anlage MM3). Hierfür wurde eine Frist bis zum 30.12.2019 gesetzt. Dieser Aufforderung kam die Beklagte nicht nach.
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Die vorliegende Klage vom 24.12.2019 ist am 30.12.2012 bei Gericht eingegangen und der Beklagten am 27.01.2020 zugestellt worden. Das klägerische Fahrzeug wies im Zeitpunkt der letz ten mündlichen Verhandlung eine Laufleistung von 103.765 km auf.
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Die Klageseite trägt im Wesentlichen vor, sie hätte den Kauf bei Kenntnis der Sachlage nicht getätigt. Von dem Umstand, dass auch sein Fahrzeug von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen sei, habe der Kläger im Jahr 2015 noch keine Kenntnis gehabt. Er habe erst im Zuge der Rückrufaktion durch das Schreiben der … vom Februar 2016 davon erfahren. Die Beklagte hätte auch Kenntnis davon gehabt, dass der verbaute Motor nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Die Manipulationen wären den verfassungsgemäßen Vertretern der Beklagten bekannt gewesen. Welches konkrete Organ Kenntnis hatte, müsse die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vortragen. Der Mangel des Fahrzeugs könne auch nicht durch das Softwareupdate behoben werden. Es bestünde eine Vielzahl von typischen negativen Kurzzeit- als auch Langzeitfolgen des Updates.
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Die Klageseite ist der Rechtsansicht, die Beklagte hafte der Klagepartei jedenfalls aus § 826 BGB. Durch die Manipulation der Abgasbehandlung sei der Klagepartei bereits mit Kaufvertragsabschluss ein Vermögensschaden entstanden. Die geltend gemachten Ansprüche seien auch nicht verjährt. Die Beklagte sei für die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers von der eigenen Schadensbetroffenheit darlegungs- und beweisbelastet. Die Beklagte müsse darlegen, aus welchen äußeren Umständen der Kläger bereits im Jahr 2015 auf den Vorsatz der sittenwidrigen Schädigung habe schließen können.
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Der Kläger hatte ursprünglich angekündigt, in Ziffer 3. der Klage die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Aufwendungen und Schäden, die dem Kläger aufgrund des Erwerbs und des Unterhalts des Fahrzeugs Audi A3 Ambition Sportback 2.0 TDI entstanden sind. Nach entsprechendem Hinweis des Gerichts nahm der Kläger diesen Antrag im Termin vom 20.07.2020 vor sonstiger Antragsstellung zurück.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, ar den Kläger 23.350,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über den Basiszinssatz seit dem 01.01.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges Audi A3 Ambition Sportback 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer: ...
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annehme der in dem Klageantrag genannten Zug um Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte hat den Kläger von den außergerichtlicher Anwaltskosten seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 1.590,91 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt:
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Der Kläger habe insbesondere durch die Pressemitteilungen und die darauffolgenden Medienberichte bereits im Herbst 2015 Kenntnis von der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie aller anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt. Dies aufgrund der umfassenden Medienberichterstattung zur Dieselthematik sowie den von der Beklagten unternommenen Schritten zur Aufklärung der betroffenen Fahrzeughalter wie beispielsweise der Freischaltung einer Internetseite zur Überprüfung der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs anhand der FIN.
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Die Beklagte ist primär der Rechtsansicht, die geltend gemachten Ansprüche der Klageseite seien gem. §§ 195, 199 BGB verjährt. Der Klagepartei sei auch bereits im Jahr 2015 die Klageerhebung möglich gewesen, jedenfalls wenn das Gericht von einer sekundären Darlegungslast zulasten der Beklagten in Hinblick auf die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen ausgehen sollte. Eine etwaige Unkenntnis des Klägers von der eigenen Schadensbetroffenheit sei jedenfalls grob fahrlässig gewesen. Im Übrigen ist die Beklagte der Rechtsansicht, dass es an sämtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB fehle.
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Das Gericht hat am 20.07.2020 mündlich verhandelt und dabei den Kläger als Partei vernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten und zur Ergänzung des Sachvortrags wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 111-114 d.A.).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet, da sich die Beklagte erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen kann.
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Die Rücknahme des Feststellungsantrags in Ziffer 3. der Klage war vor mündlicher Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache i.S.d. § 137 Abs. 1 ZPO gem. § 269 Abs. 1 ZPO unproblematisch möglich.
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Die Klage zulässig, insbesondere ist das Landgericht Traunstein sachlich nach §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich nach § 32 ZPO zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass der Wohnsitz des Klägers zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses im Bezirk des angerufenen Gerichts lag und dort das Klägervermögen belegen war (vgl. hierzu etwa BayObIG BeckRS 2019, 5991).
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Der Klageantrag Ziff. 2. gerichtet auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten ist zulässig. Das Feststellungsinteresse resultiert aus der mit der Feststellung verbundenen Vereinfachung und Beschleunigung des Zugriffs in der Zwangsvollstreckung, vgl. §§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, weil die Beklagte dem Klageanspruch erfolgreich die rechtshemmende Einrede der Verjährung entgegenhalten und somit die Leistung verweigern kann, § 214 Abs. 1 BGB.
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1. Es kann dahinstehen, ob die von der Klagepartei behaupteten deliktischen Ansprüche gemäß §§ 826 bzw. 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehen. Denn selbst soweit ihre tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen würden (was in Bezug auf § 826 BGB wohl zu bejahen wäre), sind etwaige Ansprüche verjährt.
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2. Für die hier geltend gemachten deliktischen Ansprüche gilt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB, mithin 3 Jahre. Der Beginn der Verjährung richtet sich nach § 199 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung vom 07.02.2020 die Einrede der Verjährung erhoben und diese ausführlich näher begründet und dargelegt. Damit ist die Beklagte ihrer Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Verjährung nachgekommen. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Anspruch der Klagepartei mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt ist, da der Anspruch der Klagepartei bereits mit Abschluss des Kaufvertrages entstanden ist und die Klagepartei jedenfalls im Herbst/Winter 2015 ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangen hätte müssen. Die Verjährungsfrist begann somit mit Ablauf des Jahres 2015 und endete mit Ablauf des Jahres 2018.
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a) Die Verjährungsfrist begann im vorliegenden Fall zur Überzeugung des Gerichts mit Ablauf des Jahres 2015.
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aa) Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen müsste.
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Das Gericht konnte sich zwar nicht restlos davon überzeugen, dass die Klagepartei tatsächlich bereits im Jahr 2015 Kenntnis davon erlangte, dass ihr Fahrzeug konkret von dem Dieselskandal betroffen war. Denn die Klagepartei hat schriftsätzlich sowie im Termin vorgetragen, frühestens durch das Rückrufschreiben der … auf Veranlassung des Kraftfahrtbundesamtes im Jahr 2016 positiv Kenntnis von der eigenen Betroffenheit erlangt zu haben. Unter Bezugnahme auf ein vorgelegtes Schreiben der … vom Februar 2016 trug die Klageseite vor, erst mit diesem Schreiben Kenntnis hiervon erlangt zu haben (Anlage K3).
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bb) Hierauf kommt es allerdings ohnehin nicht entscheidend an, weil sich die Klagepartei Ende 2015 jedenfalls grob fahrlässig in Unkenntnis befunden hatte. Dies aufgrund der allgemeinen Kenntnis von der Dieselproblematik an sich und des sich daraufhin aufdrängenden weiteren Nachgehens. Dabei schließt sich das Gericht auch den in dem Beschluss des OLG München vom 02.06.2020 dargelegten Erwägungen an (vgl. OLG München, Beschl. v. 02.06.2020 – 3 U 7229/19 = BeckRS 2020, 11023, Rn. 21, beck-online).
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(1) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Hierbei trifft den Gläubiger aber generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (vgl. BGH, Urteil v. 08.07.2010 – III ZR 249/09 = NJW 2010, 3292 Rn. 28, beck-online).
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Die Obliegenheit des Gläubigers, sich über die anspruchsbegründenden Umstände Kenntnis zu verschaffen, beinhaltet eine Organisations-, Prüfungs- und Nachforschungskomponente. Im Rahmen seiner Nachforschungsobliegenheit hat der Gläubiger allen Indizien nachzugehen, die darauf hindeuten, dass ihm ein bestimmter Anspruch gegen eine bestimmte Person zusteht. Sind solche Indizien vorhanden, obliegt es dem Gläubiger zumindest solche Nachforschungen anzustellen, die weder einen unverhältnismäßigen Aufwand noch unverhältnismäßige Kosten verursachen. Im Rahmen seiner Prüfungsobliegenheit hat er die ihm vorliegenden oder zumindest zugänglichen Informationsquellen zu konsultieren (MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl. 2018, BGB § 199 Rn. 31 m.w.N.).
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Hinsichtlich der Umstände, die der Gläubiger kennen müsste, geht es im Allgemeinen um die Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen dergestalt, dass dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Es kommt auch nicht darauf an, dass der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt (BGH, Urteil v. 26.02.2013 – XI ZR 498/11 = NJW 2013, 1801 Rn. 27 m.w.N., beck-online).
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(2) In Anwendung dieser Grundsätze konnte die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts darlegen und nachweisen, dass die Klagepartei jedenfalls Ende des Jahres 2015 ohne grobes Verschulden Kenntnis all der Umstände hätte haben müssen, die es ihr zumutbar erlaubt hätten, eine Klage zu erheben.
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(a) Mit einer Pressemitteilung vom 22.09.2015 informierte die Beklagte öffentlich darüber, dass in weltweit rund elf Millionen Dieselfahrzeugen der Motor des Typ EA 189 verbaut ist, bei welchem auffällige Abweichungen zwischen den Prüfstandswerten und dem tatsächlichen Fahrbetrieb festgestellt wurden. Die Beklagte arbeite mit Hochdruck an einer Beseitigung und stehe in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrtbundesamt. In der Folge wurde, wie dem Gericht selbst bekannt ist, in sämtlichen nationalen, aber auch internationalen Medien über den sog. Dieselskandal berichtet. Das Gericht nimmt insoweit auch Bezug auf die von der Beklagten in der Klageerwiderung erwähnten Medienberichte. Es handelte sich zum damaligen Zeitpunkt um eine beispiellose Abgas-Affäre, die eines der wichtigsten deutschen Unternehmen betraf und deren Auswirkungen auf das Unternehmen noch nicht absehbar waren. Allein die Dimension von elf Millionen betroffenen Fahrzeugen war gewaltig.
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Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der EA-189-Thematik wurde in den Medien auch zu der Betroffenheit einzelner Fahrzeugmodelle der unterschiedlichen Konzernmarken der Beklagten berichtet, sodass Kunden anhand der Berichterstattung erkennen konnten, ob ihr Fahrzeug von der Thematik betroffen war. Beispielsweise wurde in der Tagesschau bereits im September zu einzelnen betroffenen Modellen, etwa die Betroffenheit der Modelle A3, A1, A4 und A6 bei Audi, berichtet. Auch das Onlinemedium Bild.de berichtete über die Betroffenheit einzelner Modelle.
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Am 15.10.2015 informierte die Beklagte über die Tatsache, dass das KBA beschlossen habe, den Zeit- und Maßnahmenplan zur Beseitigung der Umschaltlogik durch einen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge umzusetzen, der im Januar 2016 starten sollte. In der Folge wurde über den angeordneten Rückruf ebenfalls breit in Print- und Fernsehmedien berichtet.
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Zudem wurde Anfang Oktober 2015 eine Website zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit freigeschaltet, auf der man durch Eingabe der FIN überprüfen lassen konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Software ausgestattet war. Diese Homepage stand bereits seit 02.10.2015 zur Verfügung. Über diese Freischaltung informierte die Beklagte mittels einer Pressemitteilung vom 02.10.2015 und präsentierte den Link hierfür besonders prominent auf ihrer Internetpräsenz. Auch die Konzerntöchter bzw. ihre deutschen Importeure wie die entwickelten entsprechende Websites für eine FIN-Abfrage und veröffentlichten entsprechende Pressemitteilungen. Über diese Websites berichteten u.a. das Handelsblatt, die Süddeutsche, die Bild, der Focus. Auch in der Pressemittelung vom 15.10.2015 der Beklagten selbst zu dem Rückruf durch das KBA wurde bereits auf diese Website sowie die Websites der Konzerntöchter wie etwa der Audi AG hingewiesen.
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(b) Von diesen Maßnahmen der Beklagten sowie den vorgenannten Inhalten in der öffentlichen Berichterstattung ist ausgehend von dem detaillierten Vortrag der Beklagten, dem die Klageseite insoweit auch nicht entgegengetreten ist, auszugehen.
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(3) Das Gericht folgt der Argumentation der Beklagten, dass gerade die vorliegende Klage zeigt, dass eine Erhebung dieser Klage bereits mit den im Jahr 2015 vorliegenden Informationen möglich gewesen wäre.
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(a) Die Klagepartei hätte all die erforderlichen Informationen bereits im Oktober 2015 kennen können, wenn sie ihr Fahrzeug auf der von der … angebotenen Homepage überprüft hätte. Dies wäre von ihr auch zu verlangen gewesen: Es war durch breite Berichterstattung bekannt, dass weltweit ca. elf Millionen Diesel-PKW der Beklagten betroffen sind. In Deutschland wurde ein Rückruf für immerhin 2,4 Millionen PKW angeordnet. Es wurde insbesondere auch darüber berichtet, dass 2,0l-Dieselmotoren betroffen sind. Auch wurde über die konkrete Betroffenheit der verschiedenen Modelle berichtet. Aus Sicht des Gerichts hat es sich der Klagepartei als Eigentümer eines solchen 2,0l-Dieselfahrzeuges daher geradezu aufdrängen müssen, dass sie betroffen sein könnte. Mit der Überprüfung anhand der Homepage stand eine Informationsmöglichkeit zur Verfügung, die ohne nennenswerte Kosten oder Hürden und mit geringem zeitlichem Aufwand in Anspruch genommen werden konnte. Dem Gericht leuchtet nicht ein, warum die Klagepartei davor die Augen verschlossen und das Naheliegende nicht getan hat. In rechtlicher Hinsicht wäre die Klagepartei dringend dazu gehalten gewesen, anhand der Homepage zu überprüfen, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen ist. Das Unterlassen dieser Abfrage stellt sich zur Überzeugung des Gerichts als grobe Fahrlässigkeit dar.
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(b) Die Klageerhebung im Jahr 2015 war zudem auch nicht aufgrund einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage unzumutbar.
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(aa) Obwohl die zutreffende rechtliche Würdigung der anspruchsbegründenden Tatsachen grundsätzlich keine Voraussetzung für den Beginn der Regelverjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB darstellt, ist die Erhebung einer Klage nach Auffassung der Rechtsprechung auch unzumutbar, wenn die Rechtslage so unklar ist, dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einschätzen kann. In diesem Fall soll es dem Gläubiger nicht zuzumuten sein, sich auf einen Rechtsstreit mit völlig offenem Ausgang einzulassen (vgl. BeckOGK/Piekenbrock, 01.05.2020, BGB § 199 Rn. 131).
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Dies wird in Hinblick auf die für den Rechtsverlust des Gläubigers verfassungsrechtlich erforderliche Legitimation bei § 199 Abs. 1 BGB in Form der „beharrlichen Nichtbetätigung“ angenommen. Denn für eine solche „beharrliche Nichtbetätigung“ muss dem Gläubiger überhaupt eine faire Chance eröffnet sein, seinen Anspruch geltend zu machen. Dazu zählt auch, dass der Anspruch in rechtlicher Hinsicht erkennbar ist. Dies kann zu verneinen sein, wenn die Rechtslage in besonderer Weise unklar ist (vgl. BeckOGK/Piekenbrock, 01.05.2020, BGB § 199 Rn. 132).
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Die Rechtsverfolgung ist allerdings nicht allein deshalb unzumutbar, weil Divergenzen in der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehen oder weil noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur maßgeblichen Rechtsfrage ergangen ist (BeckOGK/Piekenbrock, 01.05.2020, BGB § 199 Rn. 134). Soweit es um offene, bisher höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfragen geht, erscheint die Klageerhebung vielmehr sehr wohl zumutbar, weil der Rechtsweg und insbesondere die Revisionsinstanz gerade dazu dienen, solche Fragen zu klären (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Dementsprechend heißt es in einer Entscheidung des BAG zutreffend: „Ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren zur Klärung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage ist stets zumutbar“ (vgl. BeckOGK/Piekenbrock, 01.05.2020, BGB § 199 Rn. 133 f.).
42
(bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass eine Klageerhebung noch im Jahr 2015 für den Kläger nicht unzumutbar war. Zwar gab es unterschiedliche Meinungsströmungen sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung, jedoch ist dies für juristische Fragestellungen gerade nicht ungewöhnlich. So sind gerade auch Divergenzen in der obergerichtlichen Rechtsprechung kein Aspekt, der zu einer Unzumutbarkeit der Klage führt (s. o.). Vielmehr maßgeblich ist, dass dem Kläger im Jahr 2015 bereits sämtliche anspruchsbegründende Umstände jedenfalls hätten bekannt sein müssen, insbesondere bestand auch keine Unklarheit hinsichtlich der Frage des richtigen Beklagten.
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(cc) Der Klagepartei wäre der jetzige Vortrag in den relevanten Punkten auch schon 2015 möglich gewesen.
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Die Klagepartei trägt vor, dass der erworbene PKW sittenwidrig in Verkauf gebracht worden sei, weil er eine unzulässige Abschalteinrichtung gehabt hätte. Die Unzulässigkeit wird bis heute auf den Rückrufbescheid des KBA gestützt, der aber bereits ab dem 15.10.2015 bekannt war. Die Beklagte habe dies allein getan, um Kosten zu sparen und Wettbewerbsvorteile zu haben. Der Schaden bestehe darin, dass die Klagepartei einen ihr wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen habe. Es bestehe weiterhin das Risiko einer Stilllegung des PKW. Entwicklung und Einbau einer derartigen Software hätten nicht ohne Kenntnis des Vorstandes erfolgen können. Die Beklagte hafte für ihre Mitarbeiter jedenfalls nach § 31 BGB. Nach der Rechtsprechung genügt im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Es kommt auch nicht darauf an, dass der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt (BGH NJW 2013, 1801 Rn. 27 m.w.N.; NJW 2014, 2348; NJW-RR 2016, 1187 Rn. 28). Bis heute stellt die Rechtsprechung was den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB angeht, ganz überwiegend auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten ab, sodass die Kläger mit ihrer Argumentation meist erfolgreich sind. Dies zeigt aber eben, dass eine solche Klage auch bereits Ende 2015 hätte erhoben werden können.
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c) Die dreijährige Regelverjährungsfrist lief Ende 2018 ab. Eine Hemmung der Verjährung gem. § 209 BGB aufgrund Verhandlungen über den Anspruch sowie aufgrund der Erhebung der Musterfeststellungsklage mit dem Az. 4 MK 1/18 und einer Anmeldung der klagegegenständlichen Ansprüche zum zugehörigen Klageregister gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB kommt vorliegend nicht in Betracht.
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Der Hemmungstatbestand des § 203 BGB ist vorliegend nicht erfüllt, da ein Verhandeln mit der Beklagten weder vorgetragen noch ersichtlich ist. Es wurde lediglich auf fehlende Reaktion der Beklagten infolge des Anschreibens durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers im Dezember 2019 hingewiesen.
47
Auch der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB ist vorliegend nicht erfüllt. Der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem OLG Braunschweig mit dem Az. 4 MK 1/18 hat sich der Kläger nicht angeschlossen.
48
d) Somit begann die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Die 2019 erhobene Klage konnte die Verjährung daher nicht mehr verhindern. Ein durchsetzbarer Anspruch der Klagepartei besteht nicht.
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3. Nachdem die Hauptforderung aufgrund Verjährung nicht durchsetzbar ist, erübrigen sich weitere Ausführungen zu Verzugszinsen, zur Feststellung des Annahmeverzugs sowie zur Ersatzfähigkeit der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
50
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Ein Antrag nach § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO wurde nicht gestellt. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.