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LG Ingolstadt, Endurteil v. 23.07.2020 – 34 O 3157/19
Titel:

Schadensersatz, Fahrzeug, Kaufvertrag, Annahmeverzug, Kaufpreis, Bescheid, Sittenwidrigkeit, Software, Minderung, Nebenbestimmung, Berichterstattung, untersagung, Rechtsanwaltskosten, Berufung, Zug um Zug, unternehmerische Entscheidung, zeitlicher Zusammenhang

Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Kaufvertrag, Annahmeverzug, Kaufpreis, Bescheid, Sittenwidrigkeit, Software, Minderung, Nebenbestimmung, Berichterstattung, untersagung, Rechtsanwaltskosten, Berufung, Zug um Zug, unternehmerische Entscheidung, zeitlicher Zusammenhang
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61713

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 27.385,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.12.2020 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 Cabrio 3.0 TDI Clean Diesel Quattro mit der Fahrgestellnummer zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.12.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.358,86 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2019 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
6. Das Urteil ist für die Klagepartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit den in der öffentlichen Berichterstattung als „Abgasskandal“ bekannt gewordenen Vorgängen.
2
Die Klagepartei erwarb am 27.03.2019 bei der , das Fahrzeug Audi A5 Cabrio 3.0 TDI Clean Diesel Quattro 180 Kw mit der Fahrgestellnummer …06 für einen Kaufpreis von 29.400,00 €. Der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug bei Übergabe 34.910 km. Das Fahrzeug hat den Motorkennbuchstaben CKVC. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung wies das streitgegenständliche Fahrzeug eine Laufleistung von 56.503 km auf. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Anlage K1 verwiesen.
3
Im streitgegenständlichen Fahrzeug kommen vier unterschiedliche Abgasstrategien zum Einsatz, die das Kraftfahrtbundesamt (KBA) als sogenannte Strategien A bis D bezeichnet. Das Kraftfahrtbundesamt hat hinsichtlich dieser Abgasstrategien mittels Bescheiden gegenüber der Beklagten die Anordnung einer nachträglichen Nebenbestimmung zur EG-Typgenehmigung der Gesamtfahrzeuge verfügt:
- Audi A6 3.0 l Diesel Euro 6 (Bi-Turbo)
- Audi A7 3.0 l Diesel Euro 6 (Bi-Turbo)
- Audi A6, Typ 4G jeweils 3.0 l Diesel Euro 6 (sogenannte Euro 6 - Vorerfüller)
- Audi A7, Typ 4G jeweils 3.0 l Diesel Euro 6 (sogenannte Euro 6 - Vorerfüller)
4
Ausweislich des wortgleichen Tenors der Bescheide hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) jeweils unter Ziffer 1 erster Spiegelstrich angeordnet, in den betroffenen Fahrzeugen alle unzulässigen Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nummer 715/2007 aus dem Emissionskontrollsystem zu entfernen. Hinsichtlich der Strategie A, die als sogenannte aufheizt Strategie bezeichnet wird, führt das Kraftfahrtbundesamt (KBA) im Rahmen der Begründung der jeweiligen Bescheide aus, dass das Motorsteuerungsgerät mit der Strategie A eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält, die auf den sogenannten Prüfzyklus ausgerichtet ist. Wörtlich führt das Kraftfahrtbundesamt in den Bescheiden folgendes auszugsweise aus:
„Mit der Strategie A enthält das Motorsteuergerät eine Abschalteinrichtung. Durch Erfassung und Auswertung verschiedener physikalischer Größen wird eine Aufheizstrategie im Emissionskontrollsystem betrieben oder abgeschaltet. Wird die Aufheiztstrategie (Strategie A) abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten.
Die Wirkung des Emissionskontrollsystems wird durch die Verwendung einer mit einer Prüfzykluserkennung einhergehenden Aufheizstrategie (Strategie A) außerhalb der Prüfbedingungen der VO (EG) Nr. 715/2007 in Verbindung mit der VO (EU) 692/2008 im unzulässigen Umfang verringert. Da Gründe gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 2, Buchstaben a) - c) der VO (EG) Nr. 715/2007 hierfür nicht erkannt werden, wird die Strategie A als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.“
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Die sog. Aufheizstrategie (Strategie A) ist ausgehend von den applizierten Schaltkriterien so bedatet, dass diese Sicherheit im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) nicht abgeschaltet wird und nahezu ausschließlich dort aktiv ist, so dass eine Überschreitung des NOx-Grenzwertes von 80 mg/km bei der Prüfung Typ 1 in Zusammenspiel mit der Strategie B vermieden wird. Bei geringfügigen Abweichungen von den Prüfbedingungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen wird die Strategie deaktiviert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die unter Anlage K 18 vorgelegten Bescheide und die dortigen Ausführungen.
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Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat für Fahrzeuge des Typs Audi A5 Cabrio 3.0 V6 - TDI Quattro (EU 6) durch Bescheid eine nachträgliche Nebenbestimmung zur EG-Typgenehmigung erlassen. In Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) nimmt die Beklagte für den genannten Fahrzeugtyp eine Aktualisierung der Motorsoftware vor. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt einem amtlichen Rückruf mit dem Rückrufcode 23X6. Mit Schreiben aus dem November 2019 (Anlage K 20) hat die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf den Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 12.12.2018 (Rückruf 23X6-NOx-Emissionen bei V-TDI-Motoren (Dieselmotoren)) über den Rückruf und über die Notwendigkeit eines Software-Updates am Motorsteuergerät informiert. Während die Beklagte zunächst zur Begründung ausführte, dass Hintergrund des Rückrufs die missbräuchliche Falschbefüllung des AdBlue Tanks sei, hat sie mit Schreiben aus dem Januar 2020 (Anlage K 21) dargelegt, dass das Fahrzeug über Unregelmäßigkeiten in der Motorsteuerungssoftware verfügt, die sich auf die Funktionsweise des Emissionsminderungssystems auswirken.
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In der gerichtsbekannten Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten, die das KBA mit Bearbeitungsstand vom 30.03.2020 im Internet frei zugänglich unter https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht2.pdf_blob=publicationFil e& v=5 veröffentlicht hat, ist der Audi A5 mit einer Motorleistung von 180 Kw und dem Motorkennbuchstaben CKV mit Rückrufcode 23X6 aufgeführt.
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Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat mit Pressemitteilung vom 23.01.2018 über den Rückruf von Fahrzeugen der Marke Audi mit 3.0 l Dieselmotoren des Typs EU 6 unterrichtet. Die im Internet frei zugängliche und allgemein bekannte Pressemitteilung lautet auszugsweise wie folgt:
„Flensburg, 23. Januar 2018. Bei der Überprüfung der Audi 3.0 l Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7, durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurden unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion springt bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibt diese NOx-Schadstoffminderung. Die Strategien unterscheiden sich leicht von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp.
… Audi wurde aufgefordert, dem KBA bis Anfang Februar ein Motorsoftware-Update für die betroffenen Fahrzeuge vorzustellen. Freigaben durch das Kraftfahrt-Bundesamt erfolgen, wenn das KBA sich von der Wirksamkeit der optimierten Emissionskonzepte überzeugt hat und keine Zweifel an der Zulässigkeit der optimierten Konzepte bestehen.
Das KBA hat deshalb in den vergangenen Wochen verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet, um die Vorschriftsmäßigkeit der produzierten Fahrzeuge wiederherzustellen. Davon sind in Deutschland rund 77.600 und weltweit insgesamt rund 127.000 zugelassene Fahrzeuge betroffen.“
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Mit Anwaltsschriftsatz vom 04.12.2019 hat die Klagepartei die Beklagte unter Fristsetzung auf den 18.12.2019 aufgefordert, den Kaufpreis in Höhe von 29.400,00 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Berücksichtigung der aktuellen Kilometerlaufleistung von 49.988 km zurück zu bezahlen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das unter Anlage K 14 Bezug genommen.
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Die Beklagte reagierte hierauf nicht.
12
Mit Schriftsatz vom 20.12.2019 reichte die Klagepartei Klage ein. Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte die Zustellung der Klageschrift am 27.01.2020.
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Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor:
14
Die Klagepartei behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei ein Motor des Typs EA897 evo verbaut. Sie trägt weiter vor, die Beklagte habe in der Motorsteuerung des Motors eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte bezüglich der Schadstoffwerte manipuliert worden. Die Manipulation führe dazu, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) geringere Abgaswerte aufweise, während bei Fahrten unter normalen Fahrbedingungen auf der Straße die Abgaswerte dadurch erhöht seien, dass im Emissionskontrollsystem verwendete Strategien zur Reduzierung der Abgaswerte nicht zur Anwendung kommen.
15
Der Kläger ist im Kern der Auffassung, dass die Beklagte ihm auf deliktischer Grundlage aus § 826 BGB Schadensersatz in Form der Rückabwicklung des geschlossenen, aber ungewollten Fahrzeugkaufvertrags schulde. Durch den Verbau der Manipulationssoftware im Motor habe die Beklagte auf die Dispositionsfreiheit des Klägers eingewirkt. In diesem Zuge müsse sich die Beklagte die Kenntnis von Haftungsvertretern analog §§ 31, 166 BGB zurechnen lassen.
16
Die Klagepartei beantragt zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei ein Betrag von 27.661,16 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten seit 28.03.2019 bis 18.12.2019 und seither von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 29.400 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …06 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 19.12.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2077,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2019 zu zahlen.
17
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Die Beklagte ist zusammenfassend der Auffassung, deliktische Schadensersatzansprüche scheiterten jedenfalls am Vorliegen eines nach §§ 249 ff. BGB erforderlichen Schaden, da weder der Marktwert noch die Nutzbarkeit des Fahrzeugs trotz Rückrufs negativ betroffen sei.
19
Sowohl die EG-Typgenehmigung als auch die EU-Übereinstimmungsbescheinigung seien weiterhin gültig, inhaltlich richtig und wirksam, so dass unter keinen Umständen mit Fahrverboten oder Stilllegung zu rechnen sei. Nach der geltenden Differenzhypothese läge kein Schaden vor. Soweit die Klagepartei einen Schaden im ungewollten Vertragsschluss erkennen will, scheitere dies nach der einschränkenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an der gegebenen Nutzungs- und Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs.
20
Für eine Haftung nach § 826 BGB fehle es insbesondere an der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, da schon mangels Beteiligung am Kaufgeschäft keine Täuschung gegenüber dem Kläger erfolgt sei.
21
Die klägerseits behauptete angebliche Täuschung der Beklagten sei jedenfalls nicht kausal für den Abschluss des Kaufvertrages gewesen. Es handele sich bei dem Streit gegen ständigen Fahrzeug um ein solches mit Sechszylinder-Turbodiesel Motor mit 3,0 l Hubraum, sodass das Emissionsverhalten des Fahrzeuges kein maßgeblicher Faktor für den Kauf gewesen sei. Im Übrigen habe die Klagepartei das Fahrzeug in Kenntnis der Betroffenheit von einer behördlichen Maßnahme des KBA erworben.
22
Hinsichtlich der Frage der Zurechnung nach § 31 BGB analog vertritt die Beklagte die Auffassung, dass diese keine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der klägerischen Behauptung zur Kenntnis und Billigung seitens ihrer Vorstände treffe.
23
Das Gericht hat am 18.06.2020 mündlich verhandelt und die Klagepartei informatorisch angehört. Das Gericht hat der Beklagtenpartei Schriftsatznachlass bis 16.07.2020 gewährt. Der nachgelassene Schriftsatz ging bei Gericht am 15.07.2020 ein. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen und auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung (Bl. 315 ff.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
24
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Ingolstadt ist nach §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
25
II. Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die Klagepartei hat daher gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 27.385,23 EUR Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus §§ 826, 249 BGB. Die Klagepartei hat sich insbesondere einen Nutzungsersatz in Höhe von 2.014,77 EUR auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km anrechnen zu lassen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges ist ebenfalls begründet.
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Im Übrigen war die Klage hinsichtlich der Zinsen als Nebenforderungen und der erhöhten vorgerichtlichen Vergütung abzuweisen.
27
Die von der Beklagten getroffene unternehmerische Entscheidung, den mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motor in unterschiedlichen Fahrzeugtypen und damit auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug einzubauen und dieses sodann in Verkehr zu bringen, war sittenwidrig (vergleiche hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019,17 U 160/18; LG Ingolstadt Endurteil v. 28.2.2020 - 51 O 926/19, BeckRS 2020, 9629 Rn. 17). Durch diese Entscheidung ist der Klagepartei ein kausaler Schaden entstanden, da sie in Unkenntnis der durchgeführten Manipulation an der Abschalteinrichtung einen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug abgeschlossen hat, den sie bei entsprechender Kenntnis nicht eingegangen wäre. Der Beklagten ist zum Zeitpunkt der ihr zur Last zu legenden Handlung des Inverkehrbringens des Fahrzeuges die Kenntnis hinsichtlich hierdurch kausal verursachter Schäden beim Erwerb solcher Fahrzeuge, die bei den für sie handelnden Organen vorlag, zuzurechnen. Gleiches gilt für die Sittenwidrigkeit des Verhaltens ihrer Organe.
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1. Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB.
29
a. Es kann dahinstehen, ob in dem Fahrzeug der Klagepartei ein Motor des Typs EA897 oder ein Motor des Typs EA896 Gen2 verbaut ist. Unabhängig von der konkreten Motorenbezeichnung steht aufgrund des unstreitigen gebliebenen Sachvortrages fest, dass im Fahrzeug eine sog. Aufheizstrategie zum Einsatz kommt, die das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in parallelen Rückrufbescheiden als Strategie A bezeichnet und als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet hat. Die Klagepartei hat im Replikschriftsatz unter Bezugnahme auf Bescheide des Kraftfahrtbundesamtes in Parallelverfahren, d. h. für Fahrzeuge mit 3.0 l - Dieselmotoren der Beklagten substantiiert auf der Basis einer zulässigen Vermutung behauptet, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die Strategien haben bis die zur Anwendung gelangen. Dem ist die Beklagte nicht ausreichend entgegengetreten, so dass die Behauptung als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO.
30
Im Übrigen geht das Gericht davon aus, dass angesichts des eindeutigen Vortrags der Klagepartei, der sich den Inhalt von amtlichen Bescheiden zu eigen macht, ein einfaches Bestreiten ausnahmsweise nicht als ausreichend anzusehen ist, sondern die Beklagte gehalten war, substantiiert zu bestreiten (Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020 Rn. 10, ZPO § 138 Rn. 10). Dies ist trotz des Umstandes, dass es der Beklagten als Herstellerin des streitgegenständlichen Motors und der daraus folgenden Erkenntnismöglichkeiten zumutbar und möglich war, nicht erfolgt. Die Beklagte hat sich letztlich zunächst nur pauschal dagegen verwahrt, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Vielzahl von unzulässigen Abschalteinrichtung festgestellt habe. Anschließend hat die Beklagte - wenngleich sehr umfassend und ausführlich - lediglich zu den Abgasstrategien vorgetragen, ohne dass aus dem Zusammenhang erkennbar wird, dass hiermit aus der Sicht des objektiven Dritten (§§ 133, 157 BGB) der Klägervortrag in Abrede gestellt werden soll. Dem Beklagtenschriftsatz vom 09.06.2020 ist ein ausdrückliches, einfaches Bestreiten dieser Tatsache, d.h. im Hinblick auf die Verwendung der Strategie A, nicht zu entnehmen. Dies gilt ebenfalls für den nachgelassenen Schriftsatz, der sich dezidiert lediglich mit den Strategien B-D auseinandersetzt. Die Ausführungen zum Warmlaufmodus stellen das sachliche Vorliegen der vom KBA als unzulässigen Aufheizstrategie (Strategie A) im streitgegenständlichen Fahrzeug weder ausdrücklich noch konkludent in Frage.
31
Seitens des Gerichts ist davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die Strategie A, d. h. die sogenannte Aufheizstrategie, zur Anwendung gelangt. Bei der rechtlichen Beurteilung der verwendeten Strategie schließt sich das erkennende Gericht der Rechtsauffassung des Kraftfahrtbundesamtes an, dass die Aufheizstrategie als eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 ansieht. Der Bescheid über die Anordnung nachträglicher Nebenbestimmungen in den Parallelverfahren beschreibt die von der Beklagten im Emissionskontrollsystem verwendete Strategie A der sogenannten „Aufheizstrategie“ so, dass zum Starten dieser Strategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet wird, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind. Alle Bedingungen müssen gleichzeitig vorliegen, damit die Aufheizstrategie genutzt wird. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und in den Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Wird die Aufheizstrategie abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten (LG Ingolstadt Endurteil v. 28.2.2020 - 51 O 926/19, BeckRS 2020, 9629 Rn. 21). Von ihrer Wirkungsweise entspricht die Aufheizstrategie der bei EA 189 verwendeten Umschaltlogik. Es besteht ein klarer räumlicher, sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Prüfstandsituation.
32
Das Gericht geht mit dem OLG Karlsruhe (BeckRS 2019, 18710; BeckRS 2019, 18702) zudem davon aus, dass der beklagte Automobilhersteller für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes im Sinne der gegenständlichen VO darlegungs- und beweisbelastet ist. Dies begründet sich aus der gesetzlichen Systematik, wonach Abschalteinrichtungen zunächst per se als unzulässig angesehen werden, s. Art. 5 Abs. 2 S. 1 EG (VO). Die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist Teil einer gesetzlichen Vermutung, die ihrerseits die bekannten Folgen auf die Verteilung der Beweislast zeitigt. Dabei geht das Gericht auch davon aus, dass sich aus der Ausgestaltung einer Abschalteinrichtung, d.h. ihrer konkreten Wirkungsweise, in nicht unerheblichen Maße auf den subjektiven Tatbestand zurückschließen lässt. Die Beklagte ist schon ihrer Darlegungslast hierfür nicht nachgekommen. Ein Ausnahmetatbestand, der die Einflussnahme auf das Emissionskontrollsystem rechtfertigen könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
33
b. Durch das Inverkehrbringen eines Motors mit der streitgegenständlichen Strategie A bzw. eines mit einem solchen Motor ausgestatteten Fahrzeugs hat die Beklagte die Klagepartei konkludent über die Gesetzeskonformität des Fahrzeuges getäuscht. Das Inverkehrbringen eines solchen Motors enthält zumindest einen konkludenten Erklärungswert, dass der Motor bzw. ein mit diesem bestücktes Fahrzeug dem obligatorischen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren bei der zuständigen Behörde, dem KBA, unterzogen worden ist und alle materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung vorlagen (OLG München BeckRS 2019, 33717 Rn. 32 ff., 34). Der durchschnittliche Erwerber eines Kraftfahrzeugs darf daher berechtigt darauf vertrauen, ein Fahrzeug zu erhalten, das objektiv zur dauerhaften Nutzung im Straßenverkehr geeignet ist.
34
Diese berechtigte Erwartungshaltung hat die Beklagte durch Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung der Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs wissentlich und willentlich enttäuscht. Die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware war nämlich so programmiert, dass sie auf den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durch ihre konkrete Bedatung angepasst war. Eine Genehmigungsfähigkeit und Vorschriftsmäßigkeit des streitgegenständlichen Motors lag mithin anfänglich nicht vor.
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Die im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Motorsteuerungssoftware enthält bzw. enthielt daher eine sog. Umschaltlogik, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19, BeckRS 2019, 33717 Rn. 35 unter Hinweis auf BGH NJW 2019, 1133, 1134 Rn. 9 ff.). Ein Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007, der die Einflussnahme auf das Emissionskontrollsystem rechtfertigen könnte, ist nicht zu erkennen (hierzu auch OLG München BeckRS 2019, 33717 Rn. 39).
36
Die Täuschung durch das Inverkehrbringen des vorschriftswidrigen Motors wirkt auch bei Weiterveräußerung in der Käuferkette fort (OLG München Endurteil v. 15.10.2019 - 24 U 797/19, BeckRS 2019, 25424; OLG München BeckRS 2019, 33717 Rn. 40). Der Umstand, dass ein Fahrzeug nicht unmittelbar von der Beklagten erworben wurde, berührt die Haftung nicht (BeckOGK/Spindler § 826 Rn. 12.1; OLG München Endurteil v. 15.10.2019 - 24 U 797/19, BeckRS 2019, 25424).
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2. Die schädigende Handlung ist der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeuges zuzurechnen.
38
Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung vom 25.05.2020, dass einen beklagten Automobilhersteller, der selbst als Motorenentwickler am Markt agiert, eine sekundäre Darlegungslast dahingehend trifft, wenn die primär darlegungsbelastete Partei hinreichend Anhaltspunkte für die Kenntnis des Vorstandes von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorbringt (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1967 Rn. 39). Für die Verwendung der Umschaltlogik in der EA 189 - Motorenreihe hat der BGH es als ausreichend angesehen, dass es bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit den Motoren der Serie betreffende Strategieentscheidung handelte, die mit erheblichen Risiken für den gesamten Konzern und auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war. Dies gelte insbesondere wegen Bedeutung gesetzlicher Grenzwerte und der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Einhaltung für die Geschäftstätigkeit des Herstellers. Dies ist auf die vorliegende Konstellation übertragbar. Bei den betroffenen Drei-Liter-Motoren handelt es sich um Bauteile aus dem Premium-Segment, die einer Vielzahl unterschiedlicher Fahrzeugklassen der Beklagten zur Anwendung gelangen sollten.
39
Jeder Hersteller hat bei von ihm gefertigten Neufahrzeugen die Verpflichtung nur solche Bauteile zu verwenden, die in ihrer Konstruktion, Fertigung und Montage geeignet sind, dass das Fahrzeug dann sämtlichen gesetzlich vorgegebenen Betriebsbedingungen entspricht (s. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 bezogen auf die Bauteile, die das Emissionsverhalten betreffen). Vorsätzliche Manipulationen einzelner Bauteile, die eine „Abschalteinrichtung“ platzieren, die auch nicht von den ausdrücklich normierten Ausnahmetatbeständen der gesetzlichen Vorgaben gedeckt sind, muss sich der Hersteller auch dann über § 31 BGB zurechnen lassen, wenn er sich - wie hier - konzernintern absprachegemäß serienmäßig Bauteile vom Mutterkonzern zum Einbau liefern lässt. Anderenfalls würde die Beklagte sich als Hersteller jeglicher Haftung für das von ihr produzierte Fahrzeug entziehen können, weil sie das betreffende Bauteil nicht hergestellt hat, und der Mutterkonzern mit der Begründung, dass sie zwar den Motor, aber nicht das betreffende Fahrzeug hergestellt und in den Verkehr gebracht hat. Dieser absurde Zirkelschluss würde zu dem untragbaren Ergebnis führen, dass alleine durch die Aufgabenverteilung innerhalb eines Konzerns auf verschiedene Mutter- und Tochtergesellschaften letztlich niemand mehr für deliktische Handlungen im Zusammenhang mit der Herstellung und Inverkehrbringung mangelhafter Delikte haften müsste.
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Die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten bzw. ihres Mutterkonzerns haben zunächst die unzulässige Software aufgespielt und in Kenntnis der Tatsache, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Typenzulassung wegen des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 EG (VO) 715/2007/EG gemäß Art. 10 Abs. 2 EG (VO) Nr. 715/2007 nicht vorliegen, vorsätzlich eine falsche Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV für das Fahrzeug ausgestellt. Die damit einhergehende Täuschungshandlung ist nach Überzeugung der Kammer auch nur vorsätzlich denkbar, weil die Beklagte als etablierte Fahrzeugherstellerin sowie Herstellerin des Motors die Kenntnis der Programmierung ihrer eigenen Fahrzeuge sowie der für sie einschlägigen Rechtsnormen unterstellt werden kann. Jedenfalls liegt insofern aufgrund der substanziierten Darlegung der Klagepartei eine sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten, welcher die Beklagte nicht genügt hat.
41
Eine Zurechnung der jeweiligen Handlungen auch verschiedener Mitarbeiter an die Beklagte erfolgt über eine entsprechende Anwendung von § 31 BGB. Dabei muss im Rahmen der Rechtsprechung zur Repräsentantenhaftung auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet werden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diese Personen satzungsgemäß oder (nur) im Rechtsverkehr die juristische Person vertreten, da letztere nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will.
42
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten, der für die Entwicklung, den Einsatz wie Einbau der Software verantwortlich zeichnet, zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
43
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für die Kammer jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist. Es ist vielmehr von einer tatsächlichen Vermutung dahingehend auszugehen, dass ein Vorstand oder Repräsentant des Herstellers den Einsatz einer beanstandeten Motorsteuerungssoftware gekannt und gebilligt hat und ein „Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters“ mit der Lebenswirklichkeit in Anbetracht der vorhandenen Konzernstrukturen nicht vereinbar erscheint (OLG München, Verfügung vom 04.07.2019 - 18 U 4761/18 BeckRS 2019, 16812 unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 3395 Rn. 55 ff m. w. Nachweisen).
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Nach den Maßstäben der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Beklagtenpartei der Behauptung des Klägers, die Vertreter der Beklagten hätte um die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst, nicht hinreichend substantiiert entgegen getreten, mit der Folge, dass der Vortrag als zugestanden anzusehen war, § 138 Abs. 3 ZPO (zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1965 Rn. 29 ff.).
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3. Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt.
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Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte, § 291 ZPO. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die in den Fahrzeugen verbauten Motoren hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten sowie die Käufer von betroffenen Gebrauchtwagen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
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4. Bei einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles verstößt das Verhalten der Beklagten gegen die guten Sitten.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten sittenwidrig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2014, 1098).
49
Das Verhalten der Beklagten ist deshalb als sittenwidrig anzusehen, da als Beweggrund für das Inverkehrbringen der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motorsteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung in Betracht kommt, außerdem die Beklagte die EG-Typengenehmigung für alle mit der Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Kfz von den dafür zuständigen Erteilungsbehörden erschlichen hat, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen und zudem den Käufern eines mit einer derart erschlichenen EG-Typengenehmigung versehenen Fahrzeugs die Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs droht und das Fahrzeug insoweit auch bemäkelt ist. Bei Würdigung dieser Umstände ist das Verhalten der Beklagten als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zu werten.
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Dabei geht das Gericht davon aus, dass die von der Beklagten durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zum Einsatz gebrachte Motorsteuerung einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 i.V. m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 darstellt, weil sie eine Abschalteinrichtung ist, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert. Aus Art. 3 Nr. 4, 6 VO (EG) 715/2007 ergibt sich, dass Stickoxide, auf die sich die fragliche Motorsteuerung auswirkt, Immissionen im Sinne der Richtlinie sind. Nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 definiert die Abschalteinrichtung als ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdrück im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirkung des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Aus der umfassenden Formulierung und dem weitgefassten Schutzzweck der Richtlinie, die der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte sowie insbesondere einer erheblichen Minderung der Stickoxidemissionen bei Fahrzeugen mit Dieselmotoren dient - vergleiche Nr. 6 der Erwägungsgründe zur Richtlinie VO (EG) 715/2007 -, wird erkennbar, dass die Vorschrift umfassend auch solche Konstellationen abdecken soll, in denen konstruktionsbedingt, auch durch Steuerung technischer Einrichtungen mittels Software, Unterschiede zwischen dem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und im Normalbetrieb bestehen. Dies folgt auch aus Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007: Danach hat der Hersteller ein Fahrzeug so auszurüsten und Bauteile, die das Emissionsverhalten zu beeinflussen geeignet sind, so zu konstruieren, zu fertigen und zu montieren, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Hierdurch wird erkennbar, dass eine Einrichtung, die zu geringerem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und demgegenüber höherem Schadstoffausstoß bei Nutzung des Fahrzeugs im regulären Straßenverkehr führt, unterbunden werden soll.
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Die maßgebliche Schädigungshandlung der Beklagten liegt damit im Inverkehrbringen des Dieselmotors mit der gesetzeswidrigen Motorsteuerung. Dabei setzte sich die Beklagte gezielt - denn anders als gezielt ist der Einbau der geschilderten Motorsteuerung nicht denkbar - über die einschlägigen Rechtsvorschriften hinweg.
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Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motors kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Ein anderer Grund ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ersichtlich und die Beklagte trägt hierzu auch keinen anderen konkreten Grund vor.
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Zwar ist Gewinnstreben als Motiv des Handelns eines Wirtschaftsunternehmens nicht verwerflich; im Gegenteil ist es der in einer Marktwirtschaft anerkannte Zweck eines Unternehmens, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen und zu mehren. Allerdings führen die Tragweite der Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer hohen Zahl von Fahrzeugen verbaut wird, die Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens sowie die in Kauf genommenen drohenden erheblichen Folgen für die Käufer in Form der Stilllegung der erworbenen Fahrzeuge zur Sittenwidrigkeit der Entscheidung der Beklagten im Sinne des § 826 BGB.
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Das an sich erlaubte Ziel der Gewinnmaximierung erweist sich auch deshalb als verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - des KBA (§ 2 I EG-FGV) - erreicht werden soll (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1964 Rn 23). Die hier als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufende Strategie A (Aufheizstrategie) weist unstreitig einen klaren Prüfstandsbezug auf und ersichtlich dafür konzipiert, die Entdeckung in der Prüfsituation durch die zuständige Behörde zu vermeiden.
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Vorliegend hat sich die Beklagte in diesem Gewinnstreben nicht nur gezielt über zwingende Rechtsvorschriften hinweggesetzt und damit deren dem Schutz der Allgemeinheit vor Luftverschmutzung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen dienenden Zweck missachtet. Vielmehr hat sie zugleich dadurch die Interessen einer großen Zahl an Käufern derartiger Fahrzeuge und damit auch der Klagepartei verletzt. Der zum Einsatz gebrachte Dieselmotor wurde in Großserie produziert und in hohen Stückzahlen verkauft. Die Beklagte hat durch ihr Verhalten bewirkt, dass eine unübersehbare Vielzahl an Kunden, die um die Hintergründe der Motorsteuerung weder wussten noch wissen konnten, weil diese erst später bekannt wurden, Fahrzeuge erhielten, die wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung den einschlägigen Zulassungsvorschriften nicht entsprachen und die erforderliche Typgenehmigung nur erhalten hatten, weil die Beklagte die Funktionsweise der Motorsteuerung im Genehmigungsverfahren nicht offengelegt hatte. Die Käufer trugen damit das Risiko, dass den mit diesem Motor ausgestatteten Fahrzeugen die Typgenehmigung entzogen werden könnte. Diese Möglichkeit war nicht fernliegend und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages im Grad ihres Risikos nicht abschätzbar. Dies ergibt sich aus der Anordnung seitens des Kraftfahrzeugbundesamtes zur Entwicklung von Nachrüstungsmaßnahmen für die betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte, damit die betroffenen Fahrzeuge letztlich die behördliche Freigabe erhielten und damit einen Entzug der Typgenehmigung verhinderten. Diese Entwicklung war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages jedoch nicht absehbar, insbesondere deshalb, weil die infolge der Einstufung der Abschalteinrichtung als unzulässig durch das Kraftfahrt-Bundesamt erforderlich gewordenen Nachrüstungsmaßnahmen durch die Beklagte erst - aufwendig - entwickelt werden mussten. Den Käufern eines betroffenen Fahrzeugs drohte damit zunächst ein Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs und nach Aufspielen des Softwareupdates bleibt zumindest eine Bemäkelung des Fahrzeugs. Es ist zudem naheliegend, dass reine Software-Lösungen (ohne Veränderung der Hardware) keine vollkommene Abhilfe bezüglich der erhöhten Abgaswerte bei gleichbleibender Funktionalität des Fahrzeugs schaffen können, da ansonsten für die Beklagte von Anfang an überhaupt kein Grund bestanden hätte, die ursprüngliche Software zu verwenden.
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Darüber hinaus hat sich die Beklagte über die Interessen einer Vielzahl von Kraftfahrzeug-Verkäufern hinweggesetzt, denen die Motorsteuerung der Dieselmotoren zunächst ebenso wenig bekannt war und bekannt sein konnte wie den Käufern. Die Verkäufer, unter denen vor allem eigene Vertragshändler der Beklagten waren, hafteten den Käufern gegenüber verschuldensunabhängig aus kaufrechtlicher Gewährleistung, weil die Ausstattung eines Fahrzeugs mit der rechtswidrigen Motorsteuerung eine Abweichung von der üblicherweise zu erwartenden Beschaffenheit eines Fahrzeugs ist und damit einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB begründet. Die Beklagte hat so eine Vielzahl von gutgläubigen Verkäufern, insbesondere solche, mit denen sie selbst langfristig vertraglich verbunden ist, verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrechten der Käufer ausgesetzt.
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Dem Schadensersatzanspruch des Klägers aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB steht nicht entgegen, dass die rechtlichen Regelungen für die Typgenehmigung, insbesondere die VO (EG) 715/2007, nicht primär dem Individualschutz dienen, sondern Belangen der Allgemeinheit. Der relevante Schutzzweckzusammenhang zwischen der deliktischen Handlung der Beklagten und dem eingetretenen Vermögensschaden ist gegeben.
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5. Der Klagepartei ist nach Überzeugung der Kammer durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs gemäß §§ 249 ff. BGB auslöst.
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Der Bundesgerichtshof hat in seiner ersten Entscheidung zum sog. Dieselskandal mit allgemeinem Geltungsanspruch klar gestellt, dass der Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten dient, sondern auch dazu, dass sich der Geschädigte von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien kann (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1968 Rn 47).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (grundlegend für den Dieselskandal, BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff., BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
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Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber, wie die Klagepartei hier, infolge des dem Hersteller zur Last liegenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt.
62
Hätte der Hersteller keine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung erteilt und stattdessen offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätte deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen. Von der Übereinstimmungsbescheinigung ist der Motor und damit einer der wertvollsten und elementarsten Bestandteile eines Kraftfahrzeugs betroffen. Die hier in Rede stehenden Daten haben Einfluss auf die Schadstoffklasseneingruppierung und die Zulassung dieses Fahrzeugs.
63
Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Daten der Übereinstimmungsbescheinigung auf die Kaufentscheidung des Käufers Einfluss hatten, ohne dass es darauf ankommt, ob er im Ankaufsgespräch konkret äußerte, ein besonders schadstoffarmes Fahrzeug oder ein Fahrzeug mit einer bestimmten Art der Zulassung erwerben zu wollen. Es spielt keine Rolle, welches konkrete Motiv für den einzelnen Erwerber bestimmend gewesen wäre. Ein Teil der Käufer mag besonderen Wert daraufgelegt haben, im Interesse des Umweltschutzes ein Fahrzeug zu nutzen, das die geltenden Grenzwerte für Abgasemissionen einhält, ein anderer Teil nicht. Es ist nach der Lebenserfahrung jedenfalls davon auszugehen, dass der Käufer ein Fahrzeug erwerben wollte, welches den gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Vorschriften entsprach. Nach Überzeugung der Kammer lässt sich keinem der Erwerber unterstellen, ihm wäre gleichgültig gewesen, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug war deshalb aus Sicht der Erwerber jedenfalls zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsträchtige Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße bei den Fahrzeugerwerbern geführt hat.
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Nach Ansicht der Kammer liegt hierin auch kein allgemeiner Vermögensschutz, der im Deliktsrecht ja gerade nicht gelten soll. Vielmehr wird konkret auf den Vertragsschluss als Schaden abgestellt. Dass dies auch die Rückzahlung des Kaufpreises nach sich zieht, ist die konsequente Wirkung dieser Rechtsfolge. Dass das Vermögen allein aber nicht geschützt wird, ist auch aus der anzurechnenden Nutzungsentschädigung für gefahrene Kilometer ersichtlich, welche sich manche Kläger unter Berufung auf den rechtswidrigen Zustand nicht anrechnen lassen wollen.
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Die Klagepartei hat daher gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Anrechnung von Gebrauchsvorteilen im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB.
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6. Die oben genannte Entscheidung der Beklagten ist auch kausal für den der Klagepartei entstandenen Schaden.
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Es ist anerkannt, dass es bei täuschendem bzw. manipulativem Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. BGH vom 12.05.1995, Az. V ZR 34/94, NJW 1995, 2361). Nach Überzeugung des Bundesgerichtshofs ist ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergebenden Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, als Grundlage der tatrichterlichen Überzeugung von der Kausalität nicht revisionsrechtlich angreifbar und zu beanstanden (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1968 Rn 49). Der Bundesgerichtshof gelangt zu folgendem Grundsatz:
„Bei einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug sind dessen Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit für den Eigentümer von so großer Bedeutung, dass die vorübergehende Entziehung eines Kraftfahrzeugs auch bei der Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs einen Vermögensschaden darstellt. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs wirkt sich typischerweise als solcher auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant aus; bei generalisierender Betrachtung erfolgen Anschaffung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs in erster Linie um des wirtschaftlichen Vorteils willen, der in der Zeitersparnis liegt (stRspr, vgl. etwa Senat BGHZ 217, 218 = NJW 2018, 1393 Rn. 5-7 mwN). Das rechtfertigt nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer, der - wie hier der Kl. - ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte (vgl. auch Heese JZ 2020, 178 [182]).“
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Ein Abweichen von diesen Grundsätzen ist aufgrund der Vergleichbarkeit der Sachverhaltskonstellationen nicht geboten.
69
Es ist daher nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Käufer ein Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von der oben beschriebenen Software gewusst hätte. Denn bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung drohen Maßnahmen der zuständigen Behörden bis hin zur Stilllegung. Hauptzweck des Autokaufs ist, wie auch im vorliegenden Fall, grundsätzlich das Führen des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.
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Im Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs war die vollumfängliche Brauchbarkeit des Fahrzeuges nicht sichergestellt. Die Gefahr einer behördlichen Maßnahme hatte sich anders als in den Fällen der EA 189 - Motorenreihe von der latenten Gefahr zur konkreten Gefahr der Betriebsbeschränkung bzw. -untersagung iSv § 5 Abs. 1 FZV verdichtet.
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Das KBA hatte zum 23.01.2018 eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei allen 3.0 Liter - Motoren Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7 festgestellt und verpflichtende Rückrufe angeordnet wurden. Die rechtliche wie tatsächliche dauerhafte Nutzbarkeit der mit der Abgasstrategie A ausgestatteten Fahrzeuge war damit durch die zuständige Behörde in Frage gestellt. Die Vollziehung der Rückrufe war entscheidend mit der ungewissen Tatsache verknüpft, ob die Beklagte dem KBA Software-Update vorlegen wird können, die gesetzlich erforderliche Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems erstmalig herstellen. Sofern die Beklagte mit dem Hinweis auf die Pressemitteilung hingegen die zu Gunsten der Klagepartei geltende Vermutungsregelung erschüttern möchte, gelingt ihr dies nicht. Das Gericht verkennt nicht, dass der Erwerb des gegenständlichen Fahrzeugs nach der Pressemitteilung liegt. Allerdings hat die Beklagte nicht dargetan, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist, was den Schluss nahe legen könnte, die Klagepartei habe - zumindest wahrscheinlich - von der Rückrufaktion Kenntnis erlangt. Die Beklagte selbst hat erst Ende des Jahres 2019 die Klagepartei über die Rückrufaktion 23X6 informiert. Eine Kontaktaufnahme mit dem vormaligen Halter des Gebrauchtfahrzeugs ist weder vorgetragen noch bekannt.
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7. Die Klagepartei hat sich im Wege der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.014,77 EUR anrechnen zu lassen.
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Im Rahmen der Rückabwicklung muss sich die Klagepartei nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung den Abzug von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung gefallen lassen (grundlegend für die Fallkonstellationen im sog. „Dieselskandal“ BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 65 ff.), welche sie auch bereits selbst in ihrem Klageantrag berücksichtigte. Sofern die Klagepartei die Auffassung vertritt, die Anrechnung von Nutztungsersatz sei mit dem Wesen des Deliktsrechts als auch mit dem zu beachtenden europarechtlichen Grundsatz „effet utile“ unvereinbar, folgt das erkennende Gericht dem ausdrücklich nicht. Wesensprägend für das deutsche Deliktsrecht ist das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, das eine Überkompensation auf Seiten des Geschädigten vermeiden will (zuletzt Riehm NJW 2019, 1105, 1106). Ein sog. Strafschadensersatz (“punitive damages“), der eine zusätzliche Kompensation bewirken soll, entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers (Riehm aaO unter Hinweis auf BGH NJW 1992, 3096, 3102; BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 66). Der Grundsatz des „effet utile“ führt ebenfalls nicht zum Entfall des Nutzungsersatzes. Selbst wenn das Gericht die Entscheidung an entscheidenden Weichen mit dem Verstoß gegen europarechtliche Normen begründet, kann - angesichts der derzeitigen Klagewelle - schon aus rechtstatsächlichen Gründen nicht angenommen werden, dass der nach deutschem Recht gebotene (aA Heese NJW 2019, 257) Abzug von Nutzungsersatz die Durchsetzung europäischen Normen hindert (im Ergebnis ebenso LG Krefeld BeckRS 2019, 1580 Rn. 38 ff.; LG München II, BeckRS 2019, 1631 Rn. 53 ff.). Zu einem anderen Ergebnis gebietet auch nicht die Vorschrift des § 817 S. 2 BGB, der als klare Ausnahmevorschrift für das Bereicherungsrecht kein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke zu entnehmen ist (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 71).
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Die Nutzungsentschädigung, deren Abzug die Klagepartei bei Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung hinzunehmen hat, ist nach Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall auf 2.014,77 EUR festzusetzen. Die Berechnung nimmt die Kammer dabei nach folgender Formel vor:
75
Die Klagepartei hat das Fahrzeug als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 61.190 km erworben. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 172.528 km, so dass eine Nutzungsentschädigung für 111.338 gefahrene Kilometer zu leisten ist.
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Das Gericht geht im Rahmen der Berechnung weiter aufgrund einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 350.000 km aus. Hierbei ist im Vergleich zu den Motoren der EA 189 - Reihe der technische Fortschritt in Bezug auf die Materialentwicklung zu berücksichtigen.
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Die Nutzungsentschädigung beläuft sich daher auf 29.400 EUR (Bruttokaufpreis) x 21.593 km (gefahrene km) : 315.090 km (Restlaufzeit bei Kauf) = 2.014,77 EUR
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II. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen (s.o.).
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1. Die Beklagte schuldet aus Rechtsgründen keine Zinsen nach §§ 849, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, 288 BGB.
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Es ist zwar anerkannt, dass die Vorschrift des § 849 BGB über den bloßen Wortlaut hinaus auch auf die Entziehung von Geldmitteln Anwendung findet (Spindler, in: BeckOK, § 849 Rn. 2), allerdings ist der Anwendungsbereich auf Fallgestaltungen der unfreiwilligen Überlassung von Geldmittel ohne gleichzeitig nutzbare Gegenleistung zu beschränken. Ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend, dass Schadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt der Entstehung zu verzinsen seien, ist dem deutschen Recht fremd (Wagner, in: MüKo, § 849 Rn. 4). In Fällen von Anlagegeschäften soll die Anwendung von § 849 BGB zwar den Verlust der Nutzbarkeit des hingegebenen Geldes als eine Art Mindestschadensersatz ausgleichen. Diese von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgeleiteten Grundgedanken sind auf vorliegende Situation nicht übertragbar. Der Geschädigte hat eine nutzbare Gegenleistung erhalten, auch wenn diese später im Rahmen eines Schadensersatzanspruches an den Schädiger rückübereignet wird. Denn durch einen Fahrzeugkauf, den die Klagepartei in jedem Fall beabsichtigte und nach dem sie das Fahrzeug auch nutzte, hätte sie auch ohne die Täuschung der Beklagten den Kaufpreis nicht gewinnbringend anlegen können. Der Kaufpreis wurde nicht unfreiwillig, sondern bewusst und nicht an die Beklagte, sondern an den Vertragspartner des Klägers gezahlt.
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Mit Blick auf die schadensrechtliche Differenzhypothese ist zudem zu berücksichtigen, dass der Geschädigte ein anderes Fahrzeug erworben und das Geld nicht anderweitig hätte (Riehm NJW 2019, 1105, 1107; LG Offenburg BeckRS 2019, 18470 Rn. 26).
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Dies erscheint auch im Hinblick darauf, dass dem Kläger umgekehrt eine Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs vom Kaufpreis in Abzug gebracht wird, nicht unbillig. Denn anders als der Kaufpreis, der im vorliegenden Fall auch nicht an die Beklagte, sondern an einen Händler bezahlt wurde, wird das streitgegenständliche Fahrzeug durch die bestimmungsgemäße Nutzung tatsächlich „verbraucht“ und verliert dadurch zunehmend an Wert, während der abstrakte Geldwert als solcher nicht „verbraucht“ wird, und allenfalls einer möglichen, aber nicht zwingenden Inflation unterfällt. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte den irgendwann aufgrund eines eigenen Vertragsverhältnisses unabhängig vom Kläger als späteren Endkunden erhaltenen Händlereinkaufspreis zur gewinnbringenden Nutzung zur Verfügung hatte, da von diesem Preis zunächst ihre eigenen Aufwendungen für die Entwicklung, Produktion und Vertrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs abzuziehen wären, so dass allenfalls ein hier nicht näher bekannter möglicher Gewinnanteil der Beklagten verbleiben würde, aus dem diese einen wirtschaftlichen Nutzen gezogen haben könnte.
83
2. Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen, soweit mehr als 1,3 Geschäftsgebühren geltend gemacht wurden. Im Übrigen war der Gegenstandwert entsprechend dem Grad des Unterliegens zu kürzen.
84
Da es sich vorliegend um ein Massenverfahren handelt, bei dem der wesentliche Aufwand beim Klägervertreter gleichzeitig für eine Vielzahl von Verfahren anfällt, und es sich bei den eingereichten Schriftsätzen um solche handelt, die in hohen Maße unter Verwendung von fallspezifischen Textbausteinen erstellt wurden, ist ein höherer Ansatz als der Mittelsatz von 1,3 für die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 Anlage 1 VV RVG) nicht gerechtfertigt. Die Sach- und Rechtslage ist weder umfangreich noch schwierig i.S.d. Nr. 2300 Anlage 1 VV RVG.
85
Erstattungsfähig sind nach § 249 BGB vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten lediglich, soweit sie tatsächlich berechtigt sind. Der Abzug des Nutzungsersatzes blieb hier seitens der Klägervertreter unberücksichtigt. Dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH BeckRS 2017, 138416 Rn. 7). Abzustellen ist dabei auf die nach dem Urteil begründete Forderung (OLG München, BeckRS 2016 Rn. 4574 Rn. 31; aA wohl LG München II BeckRS 2019, 1631 Rn. 63 f., das auf den Zeitpunkt des anwaltlichen Schreibens abstellt und den Nutzungsersatz bezogen auf diesen Zeitpunkt „zurückrechnet“). Der Gegenstand ist daher mit 27.385,23 € anzusetzen, so dass vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in der zugesprochenen Höhe erstattungsfähig sind und der Kläger insoweit freizustellen ist.
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III. 1. Der klägerische Anspruch ist nach fruchtloser Mahnung gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 S. 2, 187 BGB zu verzinsen. Mit Schreiben vom 04.12.2019 hat die Klagepartei die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeuges bis zum 18.12.2020 aufgefordert.
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2. Der Antrag zu 2) ist zulässig, das Feststellungsinteresse ergibt sich aus §§ 256, 756 Abs. 1, 765 ZPO. Die materiellen Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB liegen vor.
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3. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nach §§ 823 Abs. 2 iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV; 826, 249 BGB in der tenorierten Höhe aus dem zuzusprechenden Klageantrag zu 1) nebst Verzugszinsen zu ersetzen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
90
Im Rahmen der Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Klagepartei mit den geltend gemachten Zinsen (§ 849 BGB) nicht durchdringt. Das erhebliche Unterliegen in Bezug auf die Nebenforderung (§ 4 Abs. 1 S. 2 ZPO) wirkt sich auf die Kostenquote aus (siehe nur BGH NJW 1988, 2173). Es kommt für das Unterliegen im Sinne von § 92 ZPO schon dem Wortlaut nach nicht auf die Einordnung in Haupt- oder Nebenforderung an (allgemeine Ansicht siehe Zöller, § 92 Rn. 3). Zu Berechnung der Kostenquote ist durch Addition des Zinsbetrages ein fiktiver Streitwert zu bilden (Jaspersen, in: BeckOK-ZPO, § 92 Rn. 26). Dieser fiktive Streitwert war unter Hinzurechnung des geltend gemachten Zinsbetrags für den Zeitraum ab Kauf bis zum Eintritt des Verzugszinsanspruchs zu bilden und die Kosten waren im Verhältnis des Obsiegens wie Unterliegens auch in Ansehung der Zuvielforderung an Deliktszinsen zu verteilen.
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Dies ergibt einen nur für die Kostenentscheidung zu berücksichtigenden fiktiven Streitwert bestehend aus Kaufpreis zuzüglich Zinsen in Höhe von 4% aus dem Kaufpreis für den Zeitraum ab 28.03.2019 bis 18.12.2019 (853,81 EUR) Höhe von insgesamt 30.253,18 EUR. Insoweit obsiegt die Klagepartei lediglich in Höhe von 27.385,23 EUR, denn sie verlor in Höhe der weiter abzuziehenden Nutzungsentschädigung und des deliktischen Zinsanspruchs. Dies ergibt aus dem fiktiven Streitwert eine Kostenquote der Klagepartei in Höhe von 9,48%, so dass die Kosten nach insgesamt der Beklagtenpartei auferlegt werden können, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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5. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.