Inhalt

OLG München, Beschluss v. 29.10.2020 – 19 U 3139/20
Titel:

Berufung, Kaufvertrag, Fahrzeug, Rechtsmittel, Zulassung, Berufungsverfahren, Anspruch, Hinweis, Verkaufspreis, Stellungnahme, Sicherung, Bedeutung, Unparteilichkeit, Kostenentscheidung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Die Fortbildung des Rechts

Schlagworte:
Berufung, Kaufvertrag, Fahrzeug, Rechtsmittel, Zulassung, Berufungsverfahren, Anspruch, Hinweis, Verkaufspreis, Stellungnahme, Sicherung, Bedeutung, Unparteilichkeit, Kostenentscheidung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Die Fortbildung des Rechts
Vorinstanzen:
LG München I vom 29.04.2020 – 14 O 19576/18
LG München I, Urteil vom 29.04.2020 – 14 O 19676/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 17.11.2022 – VII ZR 260/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61425

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29.04.2020, Aktenzeichen 14 O 19676/18 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 37.629.898,84 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihre vermeintlichen Ansprüche auf Schadensersatz wegen des Erwerbs von insgesamt 5740 Fahrzeugen weiter.
2
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 29.04.2020 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO).
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
4
Dagegen richtet sich die die Berufung der Klägerin, welche die Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 29.04.2020, Az. 14 O 19576/18 begehrt und ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgt Hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das erstinstanzliche Urteil, dort Seite 460 bis 1345, Bezug genommen.
5
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
6
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 06.08.2020 (Bl. 6116/6120 d.A.), auf die Bezug genommen wird, wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
7
Mit den Schriftsätzen vom 26.08.2020, 02.10.2020 und 23.10.2020, auf die Bezug genommen wird, nahm die Klägerin dazu Stellung.
8
Im Übrigen und ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
9
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I, Aktenzeichen 14 O 19576/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
10
Der Senat hält das angefochtene Urteil des Landgerichts München I für offensichtlich zutreffend und nimmt auf dieses Bezug. Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis des Senats vom 06.08.2020, wonach er die Berufung im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält.
11
Ergänzend ist noch auszuführen:
12
1. Soweit die Klägerin von der Beklagten unverändert den Ersatz des zum Zeitpunkt des jeweiligen Kaufvertragsabschlusses behaupteten Minderwertes der erworbenen Fahrzeuge von mindestens 20% des Kaufpreises begehrt (Stellungnahme vom 26.08.2020, Seite 2), steht ihr dieser Anspruch nicht zu.
13
Auf die Ausführungen im Hinweis vom 06.08.2020 unter Ziffer 1 wird Bezug genommen.
14
Die Klägerin verkennt, dass die aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB resultierenden Ansprüche in der Regel nicht den Ersatz des Erfüllungsinteresses ermöglichen, weswegen der Anspruchsteller grundsätzlich nicht verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre (BGH, Beschluss vom 09.06.2020 - VIII ZR 315/19 mit Verweis auf BGH, Urteile vom 18.01.2011 - VI ZR 325/09; vom 14.05.2012 - II ZR 130/10). Wird (…) ein Schaden geltend gemacht, der lediglich den auf der Mangelhaftigkeit beruhenden Unwert der Sache für das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Käufers ausdrückt, ist für deliktische Schadensersatzansprüche kein Raum (BGH, BGH, Beschluss vom 09.06.2020 - VIII ZR 315/19 mit Verweis auf BGH, Urteile vom 18.01.1983 - VI ZR 310/79; vom 16.12.2008 - VI ZR 170/07). Denn die deliktischen Verkehrspflichten sind grundsätzlich nicht darauf gerichtet, die Erwartung des Käufers zu schützen, Wert und Nutzungsmöglichkeit einer mangelfreien Sache zu erhalten (BGH, BGH, Beschluss vom 09.06.2020 - VIII ZR 315/19 mit Verweis auf BGH, Urteile vom 18.01.1983 - VI ZR 310/79; vom 16.12.2008 - VI ZR 170/07).Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse nicht; vielmehr richtet sich der deliktische Schadensersatzanspruch grundsätzlich allein auf Ersatz des Erhaltungsinteresses und damit auf das negative Interesse (BGH, Beschluss vom 09.06.2020 - VIII ZR 315/19 mit Verweis auf BGH, Urteile vom 18.01.2011 - VI ZR 325/09; vom 4.05.2012 - II ZR 130/10).
15
Die Klägerin kann also - bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen - nur verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stünde, wenn sie nicht über die Manipulation getäuscht worden wäre, mithin so, als ob sie den Kaufvertrag über das das Fahrzeug nicht abgeschlossen hätte. Diesen Anspruch macht die Klägerin hingegen nicht geltend. Die hilfsweisen Ausführungen der Klägerin dazu, dass bei der Rückabwicklung der Kaufverträge die Leasingerlöse im Wege des Vorteilsausgleichs nicht zu berücksichtigen sind (Stellungnahme vom 26.08.2020, Seite 2 ff), gehen daher deshalb insoweit ins Leere ungeachtet dessen, dass der zugrundeliegende Tatsachenvortrag verspätet und zurückzuweisen ist (vgl. unten Ziffer 2).
16
2. Soweit die Klägerin ihre geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz des Minderwertes in Höhe von 20% des jeweiligen Kaufpreises hilfsweise aus §§ 826, 252 BGB bzw. 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 252 BGB herleiten möchte, ist ihr ebenfalls kein Erfolg beschieden.
17
Ihr Vortrag, sie hätte, wenn sie von dem Einbau der unzulässigen Abschaltvorrichtung gewusst hätte, für ihre jeweiligen Kunden ein vergleichbares Fahrzeug, welches nicht vom Dieselskandal betroffen ist, angeschafft, diese Fahrzeuge zu vergleichbaren Vertragskonditionen an die Kunden verleast und dann den erwarteten (und im Rahmen der Leasingkalkulation zugrundegelegten) Verkaufspreis auf dem Gebrauchtmarkt erzielt, erfolgte erstmals in ihren Stellungnahmen vom 26.08.2020 bzw. 02.10.20 und ist damit als verspätet zurückzuweisen.
18
Die der Klägerin eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 II 2 ZPO ermöglicht nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“. Soweit daher in den beiden Schriftsätzen der Klägerin vom 26.08.2020 und 02.10.2020 im Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb gem. §§ 530, 296 I ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 522 Rnr. 28, BGH, Beschluss vom 18.07.2019 - IX ZR 276/17). Darauf hatte der Senat als nobile officium auch bereits in seinen Allgemeinen Verfahrenshinweisen ausdrücklich aufmerksam gemacht.
19
Die Verspätung ist nicht deshalb entschuldigt, weil das Landgericht - wie die Klägerin meint - den erforderlichen und rechtlich gebotenen Hinweis darauf, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 252 BGB zur Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns hätte vortragen und ggfs. Beweis hätte anbieten müssen, unterlassen hat (Stellungnahme vom 26.08.2020, Seite 7). Die Klägerin verkennt, dass das Erstgericht nicht gehalten war, zusätzlichen neuen Tatsachenvortrag, der zur Begründetheit des Anspruch führen könnte, herbeizuführen. Ein solcher Hinweis hätte vielmehr das Gebot der Unparteilichkeit verletzt.
20
Auch würde durch die Zulassung dieses Vortrags eine Verzögerung des gesamten Rechtstreits herbeigeführt werden, da dieser entscheidungsreif ist.
21
Anders als die Klägerin meint, ist über die Zulassung ihres neuen Tatsachenvortrages nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 18.07.2019 - IX ZR 276/17).
22
Im Übrigen wäre der Berufung auch bei Berücksichtigung dieses Vortrages kein Erfolg beschieden. Denn der behauptete Schaden, den die Klägerin dadurch erlitten haben will, dass sie für die alternativ erworbenen Fahrzeuge den Verkaufspreis erzielt hätte, der dem für die streitgegenständlichen Fahrzeuge kalkulierten Verkaufspreis entsprochen hätte, während der Verkaufspreis für die streitgegenständlichen Fahrzeuge um einen Betrag von mindestens 20% des ursprünglichen Kaufpreises unter dem kalkulierten Verkaufspreis gelegen hätte, ist von der Klägerin nicht hinreichend konkret dargelegt. Es fehlt jegliche Darstellung des kalkulierten Verkaufspreises. Ebensowenig stellt die Klägerin die tatsächliche Differenz zwischen kalkuliertem und tatsächlichem Verkaufspreis dar, so dass konkrete Ausführungen zum angeblich erlittenen Schaden fehlen. Für die von der Klägerin begehrte Schätzung des Schadens gemäß § 287 ZPO ist daher kein Raum. Soweit die Klägerin für die Darlegung und den Nachweis der Höhe des dieselskandalbedingten Schadensbetrages auf den erstinstanzlichen Vortrag verweist (Stellungnahme vom 26.08.2020 Seite 7), verhilft ihr das ebenfalls nicht zum Erfolg. Auch erstinstanzlich hat die Klägerin nicht konkret die Differenz zwischen kalkuliertem und tatsächlichem Verkaufspreis dargestellt, sondern als Schaden einen gemäß § 287 ZPO zu schätzenden merkantilen Minderwert von mindestens 20% des jeweiligen Kaufpreises behauptet (vgl. KlSS vom 28.02.2020 Seite 8 f und Seite 50 ff).
23
Desweiteren kann ausgeschlossen werden, dass ein bis zum 22.09.2015 im Verhältnis zum kalkulierten Verkaufspreis niedrigerer tatsächlicher Verkaufspreis auf der behaupteten streitgegenständlichen sittenwidrigen Täuschung wegen der eingebauten „Umschaltlogik“ beruhte. Der sog. „Dieselskandal“ wurde erstmals mit der Adhoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 bestätigt. Ein Absinken der Verkaufspreise beruhend auf dem Dieselskandal vor diesem Zeitpunkt liegt daher fern.
24
Unabhängig davon wäre die Klägerin zudem gehalten gewesen, aufzeigen, welche Fahrzeuge als vergleichbare Fahrzeuge, die sie alternativ erworben hätte, überhaupt in Betracht gekommen wären. Die pauschale Behauptung, sie hätte vergleichbare Fahrzeuge erworben, hält der Senat für nicht hinreichend.
25
3. Lediglich ergänzend ist noch auszuführen, dass - selbst wenn die Klage in der Hauptsache begründet wäre - vor dem Hintergrund der uneingeschränkten Nutzbarkeit der erlangten Fahrzeuge keine Verzinsung eines Teils des Kaufpreises in etwa der Höhe des wirtschaftlichen Minderwerts der Fahrzeuge in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19). Auch insoweit hat es bei den Ausführungen im Hinweis vom 06.08.2020 sein Bewenden.
III.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
27
Der Streitwert von 37.629.898,84 € (Berufungsantrag 1: 26.878.499,17 € / Berufungsantrag 2 10.751.399,67 €) für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG, § 3, 4 ZPO bestimmt.