Inhalt

AG Kaufbeuren, Endbeschluss v. 17.11.2020 – 3 F 131/20
Titel:

Verwirkung nachehelichen Unterhalts

Normenkette:
BGB § 1579 Nr. 5
Leitsätze:
1. Ändern sich die maßgeblichen Verhältnisse während des Verfahrens, so besteht für den Unterhalt begehrenden Ehegatten eine Pflicht zur unaufgeforderten Information des Gegners hinsichtlich der Umstände, die sich auf den geltend gemachten Unterhaltsanspruch auswirken können. (Rn. 25) (red. LS Axel Burghart)
2. Für die Verwirkung eines Unterhaltsanspruchs reicht es aus, dass eine Täuschung über die realen Einkommensverhältnisse versucht wird. Ob es letztlich zu einem Schaden kommt, ist für Verwirkung unerheblich. (Rn. 27) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Unterhalt, Trennungsunterhalt, Verwirkung, Täuschung, Versuch
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 22.02.2021 – 4 UF 1417/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 19.10.2022 – XII ZB 113/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61308

Tenor

1. Der Antrag wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Tatbestand

1
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner rückständigen nachehelichen Unterhalt ab 01.01.2019 sowie laufenden nachehelichen Unterhalt.
2
Die Beteiligten haben am geheiratet, ein Scheidungsbeschluss vom ... 2018 erwuchs am 06.12.2018 in Rechtskraft. Der Ehe entstammen die Töchter A., geboren … und S., geboren ….
3
Der Antragsgegner bezieht eine wegen der Durchführung des Versorgungsausgleichs im Rahmen der Scheidung gekürzte Rente. Diese betrug im Jahr 2019 gerundet 1.204,00 Euro, vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 1.244,00 Euro, ab dem 01.07.2020 1.287,00 Euro.
4
Er bewohnt in seinem Eigentum stehendes Einfamilienhaus. Die Grundstücksgröße beträgt Knapp 1.000 qm. Auf dem Grundstück befindet sich ein halber Tennisplatz, die andere Hälfte liegt auf dem benachbarten Grundstück des Bruders des Antragsgegners.
5
Insoweit geht die Antragstellerseite von einem Wohnwert von mindestens 1.500,00 Euro aus, die Antragsgegnerseite von einem Wohnwert von 800,00 Euro bzw. zuletzt 675,00 Euro.
6
Der Antragsgegner war Eigentümer von vier Photovoltaikanlagen, die er zum 01.11.2018 auf die Tochter A. übertragen hat. Insoweit ist die Antragstellerseite der Auffassung, dass nur eine Übertragung von drei Anlagen erfolgte und die vierte noch im Eigentum des Antragsgegners steht. Die Übertragung sei unterhaltsrechtlich unbeachtlich, dem Antragsgegner sei aus dem Photovoltaikanlagen ein Einkommen von 1.620,00 Euro monatlich zuzurechnen.
7
Der Antragsgegner trägt vor, dass die Übertragung der Photovoltaikanlage deswegen erfolgt sei, weil ein höherer Zuverdienst seine Rente kürzen würde. Die Übertragung sei unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden.
8
Der Antragsgegner betrieb und betreibt nun auf deutlich niedrigerem Niveau einen Maschinenhandel sowie einen Maschinenservice. Der Antragsgegner ist insoweit der Auffassung, dass das daraus resultierende Einkommen als über obligatorisch unterhaltsrechtlich nicht zu beachten sei. Er verpachtet landwirtschaftliche Grundstücke und bezieht daraus ca. 55,00 Euro Pacht monatlich.
9
Die Antragstellerin ist insoweit der Auffassung, dass es vom Antragsgegner verlangt werden könne, dass er seinen Maschinenhandel und den Maschinenservice aufgäbe und die hierzu benötigten Hallen verpachten würde. Er könne dann insgesamt 2.500,00 Euro Pacht monatlich erzielen.
10
Die Antragstellerin war im Jahr 2018 bei einer Firma S. tätig und erzielte 1.036,00 Euro netto.
11
Mit Arbeitsvertrag vom 06.11.2018 nahm sie ab dem 15.11.2018 eine Tätigkeit bei der Firma C. mit einem monatlichen Nettoverdienst von 1.640,00 Euro auf. Sie arbeitete dort bis 05.07.2019.
12
Von 16.08.2019 bis 15.02.2020 arbeitete sie bei der Firma M. mit einem Nettogehalt von gerundet 1.640,00 Euro. Der Antragsgegner hat jeweils das Einkommen der Antragstellerin und den Grund der Kündigung bestritten. Hinsichtlich der Tätigkeit bei der Firma M. hat die Antragstellerin vorgetragen, dass ihr während der Probezeit ordentlich gekündigt worden sei.
13
Zwischen den Beteiligten war bei dem Amtsgericht - Familiengericht - K. das Verfahren 2 F xxx/18 wegen Trennungsunterhalt anhängig. In diesem Verfahren fand am 17.01.2019 ein Gerichtstermin statt, bei dem die Beteiligten einen Vergleich dahin abschlossen, dass der Antragsgegner an die Antragstellerin zur Abgeltung aller Unterhaltsansprüche bis einschließlich Dezember 2018 5.000,00 Euro zahlte. Im Rahmen dieses Verfahrens wies die anwaltliche Vertreterin des Antragsgegners den anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 07.01.2019 darauf hin, dass die Antragstellerin Lohnnachweise nur bis zum Juni 2018 vorgelegt habe und verlangte Lohnnachweise von Juli 2018 bis Dezember 2018. Diese Unterlagen wurden durch die Antragstellerseite bis zum Gerichtstermin vom 17.01.2019 nicht vorgelegt. Die Antragstellerin teilte auch nicht mit, dass sie nicht mehr bei der Firma S. arbeitete, sondern bei der Firma C. und dort ein höheres Gehalt erzielte.
14
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Kürzung der Rente des Antragsgegners wegen des Versorgungsausgleichs nicht beachtlich sei, es sei ein Verfahren wegen Aussetzung der Kürzung des Versorgungsausgleichs wegen Zahlung des Unterhalts anhängig. Insoweit ist die Antragsgegnerseite der Auffassung, dass eine Entscheidung in diesem Verfahren - 3 F xxx/19 - noch nicht erfolgt ist.
15
Die Antragsgegnerseite ist der Auffassung, dass die Antragstellerin keine ehebedingten Nachteile erlitten habe, die Antragstellerin meint, dass es hierauf nicht ankomme, weil Aufstockungsunterhalt gefordert werde.
16
Die Antragstellerin bezog von 16.02. bis 31.07.2020 Arbeitslosengeld von 36,98 Euro kalendertäglich sowie ab 01.08. Arbeitslosengeld von 33,11 Euro täglich. Sie pflegt ihre Mutter und bezieht ein Pflegegeld von 316,00 Euro.
17
Nachdem die Antragstellerseite zunächst rückständigen Unterhalt von Oktober 2018 an geltend gemachte hatte,
beantragte sie zuletzt
der Antragsgegner ist verpflichtet, an die Antragstellerin laufenden monatlichen Unterhalt in Höhe von 2.500,00 Euro monatlich jeweils monatlich im Voraus ab Februar 2020 zu bezahlen,
sowie
der Antragsgegner ist verpflichtet, an die Antragstellerin einen Unterhaltsrückstand für die Zeit von Januar 2019 bis einschließlich Januar 2020 in Höhe von 32.500,00 Euro zu bezahlen.
18
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
19
Wegen des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Der zulässige Antrag ist im Ergebnis nicht begründet.
21
Es kann dahinstehen, in welcher Höhe ein nachehelicher Unterhaltsanspruch besteht.
22
Die Antragstellerin kann diesen nicht vom Antragsgegner verlangen, weil ein Unterhaltsanspruch nach § 1579 Nr. 5 BGB verwirkt ist.
23
Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, das die Antragstellerin bis Juni 2018 bei der Firma S. arbeitete und dort 1.036 Euro netto verdiente und dass sie ab dem 15.11.2018 bei der Firma C. arbeitete. Dort verdiente sie nach Angaben der Antragstellerseite 1.640,00 Euro, nach Angaben des Antragsgegners gerundet 1.900,00 Euro netto. Diese Stelle hatte die Antragstellerin bis 05.07.2019 inne.
24
Es ist weiterhin unstreitig, dass zwischen den Beteiligten bereits im Herbst 2018 das Trennungsunterhaltsverfahren Amtsgericht Kaufbeuren 2 F xxx/18 anhängig war, dass am 17.01.2019 in diesem Verfahren ein Gerichtstermin stattfand und dass hierbei ein Vergleich geschlossen wurde, in dem der Antragsgegner sich zur Zahlung eines pauschalen Trennungsunterhalts verpflichtete. Es ist weiter unstreitig, dass der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.01.2019 aufforderte, Lohnnachweise von Juli 2018 bis Dezember 2018 vorzulegen und dass sowohl dies nicht erfolgte als auch die Antragstellerin ihre neue Stelle bei der Firma C. und das neue, höhere Einkommen nicht erwähnte.
25
Wer von seinem getrennt lebenden Ehegatten Unterhalt verlangt, muss alle der Begründung des Anspruchs dienenden tatsächlichen Umstände wahrheitsgemäß angeben. Er darf auch nichts verschweigen, was seine Unterhaltsbedürftigkeit in Zweifel ziehen könnte. Wegen § 138 Abs. 1 ZPO gilt dies erst recht in einem laufenden Gerichtsverfahren wegen Unterhalt. Ändern sich die maßgeblichen Verhältnisse während des Verfahrens, so besteht für den Unterhalt begehrenden Ehegatten eine Pflicht zur unaufgeforderten Information des Gegners hinsichtlich der Umstände, die sich auf den geltend gemachten Unterhaltsanspruch auswirken können. Damit sollen wahrheitsgemäße Angaben im Unterhaltsverfahren gefördert werden und schon der Versuch zur Täuschung sanktioniert werden (Palandt § 1518 BGB Randziffer 8).
26
Wie dargelegt, hat die Antragstellerin gegen diese Offenbarungsobliegenheit verstoßen. Sie hat nicht nur von sich aus ihre geänderte, bessere Einkommenssituation nicht offenbart, sie hat darüber hinaus auf eine entsprechende Anfrage der Gegenseite nicht reagiert und so die Gegenseite über ihre realen Einkommensverhältnisse getäuscht.
27
Soweit die Antragstellerseite meint, dass dieses Verhalten zu keinem Nachteil des Antragsgegners geführt habe, kann die Antragstellerin damit nicht gehört werden. Es wurden zwar keine Vergleichsgrundlagen in die Vereinbarung aufgenommen. Doch spricht die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass der Antragsgegner, wenn er von wesentlich höheren Einkommen der Antragstellerin gewusst hätte, wie sie es tatsächlich bezog, darauf gedrungen hätte, einen deutlich niedrigeren Vergleichsbetrag an die Antragstellerin zu bezahlen. Zudem reicht es für Verwirkung aus, dass eine Täuschung versucht wird. Ob es letztlich zu einem Schaden kommt ist für Verwirkung unerheblich.
28
Dieses grobe Fehlverhalten der Antragstellerin widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise und stellt somit eine grobe Unbilligkeit im Sinne des § 1579 BGB dar. Die Gesamtwürdigung der beiderseitigen Rechts- und Interessenlage führt dazu, dass ein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gänzlich in Wegfall zu kommen hat.
29
Der Antragsgegner befindet sich in Rente. Es spricht viel dafür, dass die Tätigkeit des Antragsgegners aus Maschinenhandel sowie einen Maschinenservice als überobligatorisch nicht zu berücksichtigen ist. Er hat unstreitig vorgetragen, dass er nur bis zu einem Betrag von 6.300,00 Euro jährlich oder 525,00 Euro monatlich hinzuverdienen kann, ohne das ihm deswegen die Rente gekürzt würde. Er käme somit aus Erwerbstätigkeit und Rente auf ein maximales Einkommen von 1.812,00 Euro.
30
Wenn die Antragstellerseite insinuiert, dass durch das Abänderungsverfahren nach § 34 VAG sich die Rente des Antragsgegners erhöhen würde, so geht diese Rechtsansicht in krasser Weise an die Rechtsrealität vorbei: Eine Kürzung des Versorgungsausgleichs erfolgt nur in der Höhe, in der vom geschiedenen Ehegatten Unterhalt zu bezahlen ist. Hat also ein Verfahren wegen Aussetzung der Kürzung des Versorgungsausgleichs Erfolg, wirkt sich dies beim unterhaltspflichtigen in keinster Weise vermögensmehrend aus, weil er in Höhe der erlangten Rente Unterhalt an seinen geschiedenen Ehegatten zahlen muss. Ein Vorteil kann somit nur bei dem unterhaltsberechtigten Ehegatten eintreten.
31
Die Übertragung der Photovoltaikanlagen vom Antragsgegner auf seine Tochter ist unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden und führt nicht zu fiktiven anrechenbaren Einnahmen des Antragsgegners.
32
Dasselbe gilt für eine mögliche Verpachtung von Maschinenhallen. Eine derartige Verpachtung hat während der Ehezeit nicht stattgefunden. Die eheliche Solidarität gebietet es nicht, dass der Antragsgegner nach der Ehezeit Maßnahmen ergreift und zusätzliche Einnahmen generiert, die während der Ehezeit nicht vorhanden waren.
33
Es spricht viel dafür, dass der Wohnwert des vom Antragsteller bewohnten Anwesens nicht 1.500,00 Euro beträgt, sondern darunter liegt. Das Gericht schätzt den Wohnwert vorläufig auf 1.000,00 €. Selbst wenn man den Wohnwert ansetzt, von dem die Antragstellerin ausgeht, ergibt dies ein Einkommen des Antragsgegners von 2.787,00 Euro maximal.
34
Demgegenüber war es der Antragstellerin in der Vergangenheit möglich, mindestens 1.640,00 Euro netto zu verdienen, nach Vortrag der Antragsgegnerseite sogar 1.900,00 Euro netto. Sie hat somit bewiesen, dass sie selbst für ausreichendes Einkommen sorgen kann.
35
Da Verwirkung unter dem Gesichtspunkt der groben Unbilligkeit festgestellt wurde, ist dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Unterhaltsberechtigten besonderes Gewicht beizumessen (Palandt § 1579 BGB Randziffer 37). Die Schwere des der Antragstellerin treffenden Fehlverhaltens ist so erheblich, dass es mit dem Rechtsempfinden unvereinbar wäre, wenn man den Antragsgegner dazu verpflichten würde, der Antragstellerin nach diesem Verhalten noch Unterhalt zu bezahlen. Es kommt deshalb nur ein Ausschluss des Unterhalts nach der genannten Vorschrift in Betracht, Minderung des Unterhalts oder Befristung des Unterhalts reichen zur Sanktionierung des Fehlverhaltens der Antragstellerin nicht aus.
Kosten und Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1 und 2 Nr. 1 FamFG. Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Vorliegend ist hierbei insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen.