Titel:
Schadensersatzanspruch bei einem Dieselfall
Normenkette:
BGB § 31, § 249, § 826
Leitsätze:
1. Ein Fahrzeughersteller handelt sittenwidrig, wenn er den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung systematisch verschweigt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Schaden kann auch darin liegen, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (Anschluss BGH BeckRS 2014, 22065). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Trägt der Geschädigte hinreichende Anhaltspunkte vor, dass ein verfassungsgemäß berufener Vertreter von dem als sittenwidrig einzustufenden Handeln wusste, so trifft den Unternehmer eine sekundäre Darlegungslast (Anschluss BGH BeckRS 2018, 1197). (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel, Abschalteinrichtung, Manipulation, sittenwidrig, verwerflich, Schaden, Vertragsschluss, Zurechnung, sekundäre Darlegungslast
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 13.09.2021 – 3 U 1418/20
LG München I, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.12.2021 – 28 O 16198/18
OLG München, Beschluss vom 12.08.2022 – 11 W 467/22
OLG München vom 25.08.2022 – 11 W 467/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2023 – VIa ZB 22/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 61220
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 13.010,73 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.01.2019 Zug um Zug gegen Rückgewähr des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …65 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1. genannten Zug um Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 15.490,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche nach einem PKW-Kauf in Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal“ geltend.
2
Die Klagepartei kaufte am 15.11.2012 bei der … ein Fahrzeug der … mit der Fahrgestellnummer … zu einem Kaufpreis in Höhe von 15.490,00 als Neuwagen (vgl. Anlage K 1). Das Fahrzeug hatte die EU-Typengenehmigung nach der Euro-5-Norm.
3
Die Beklagte ist Herstellerin des Motors des streitgegenständlichen Pkw. In das Fahrzeug der Klagepartei ist ein Motor des … eingebaut. In dem Fahrzeug der Klagepartei war zudem eine Motorensteuerungsgerätesoftware installiert, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt, und dann einen besonderen Modus aktiviert (sog. Umschaltlogik). In diesem Modus wird die Rückführung von Abgasen im Vergleich zu dem normalen Betriebsmodus verändert, wodurch der nach der Euro-5-Norm vorgegebene NOx-Grenzwert während des Durchfahrens des NEFZ eingehalten wird. Im normalen Fahrbetrieb - auch unter vergleichbaren Bedingungen wie im NEFZ - wird dieser Modus deaktiviert, wodurch es zu einem höheren Schadstoffausstoß kommt. Durch Verwendung der Motorensteuerungsgerätesoftware erlangte die Beklagte die EU-Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug.
4
Im Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrzeugbundesamt Nebenbestimmungen für die erteilten Typengenehmigungen an. Hiernach waren zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der mit der Typengenehmigung genehmigten Aggregate … die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit insbesondere der Emissionen des genehmigten Systems nach der Entfernung dieser zu ergreifen. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Rückrufaktion.
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Die Beklagte entwickelte ein Update für die Motorensteuerungsgerätesoftware, nach dessen Einspielen das Fahrzeug nur noch über einen einheitlichen Betriebsmodus verfügt. Das Kraftfahrtbundesamt sieht das Aufspielen des Updates als verpflichtend an. Wer davon absieht, muss damit rechnen, dass der Zustand des Fahrzeugs von den Prüforganisationen im Rahmen der Hauptuntersuchung als erheblicher Mangel eingestuft wird. Unter Umständen ist auch mit einem Entzug der Zulassung zu rechnen.
6
Am 6.04.2017 hat die Klagepartei das angebotene Software-Update durchführen lassen.
7
Mit Schreiben vom 30.01.2018 verlangte die Klagepartei von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises bis zwei Wochen nach Zugang des Schreibens (Anlage K 27).
8
Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 40.014 km. Die erteilte EU-Typengenehmigung für das Fahrzeug der Klagepartei wurde vom Kraftfahrt-Bundesamt bisher nicht widerrufen.
9
Die Klagepartei trägt vor, sie sei auf der Suche nach einem umweltfreundlichen und wertstabilen Fahrzeug gewesen, es sei ihr auch darauf angekommen, das Fahrzeug uneingeschränkt nutzen zu können, auch in Städten. Bei Kenntnis von der streitgegenständlichen Software, die dazu führe, dass die Abgaswerte im Straßenbetrieb ganz erheblich von den gemessenen Werten auf dem Prüfstand abweichen und damit die seitens des Herstellers versprochenen Grenzwerte der EURO-Norm nicht eingehalten werden, hätte die Klagepartei das Fahrzeug nicht erworben. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von der Manipulation gehabt und diese gebilligt. Der Vorstand sowie zahlreiche Mitarbeiter hätten von dem Einsatz des Defeat Device gewusst sowie von der Tatsache, dass die betroffenen Autokäufer, und so auch die Klagepartei, durch den Kauf eines betroffenen Fahrzeugs einen Schaden erleiden würden. Das von der Beklagten angebotene Software Update habe auch nicht zu einer folgenlosen Entfernung der illegalen Abschalteinrichtung geführt. Vielmehr habe dies zu Folgemängeln geführt. Zudem habe das Fahrzeug einen Wertverlust erlitten. Die Klagepartei ist der Ansicht, die Beklagte habe sie durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs durch Einsatz einer gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung, vorsätzlich unter Verstoß gegen die guten Sitten nach § 826 BGB geschädigt. Der Schaden der Klagepartei liege in dem Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Kraftfahrzeug, dessen Abgaswerte unter Verwendung einer manipulierten Motorsteuersoftware erzielt worden seien. Bei Kenntnis der Sachlage hätte die Klagepartei diesen für sie nachteiligen Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Darüber hinaus stehe ihr Schadensersatz auch aus deliktischer Haftung der Beklagten aus § 823 II BGB i.V.m. mehreren Schutzgesetzen zu.
10
Die Klagepartei beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.724,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus einem Betrag in Höhe von 15.490,03 € seit dem 15. November 2012 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges der Marke … der Fahrzeugidentifikationsnummer … nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
Hilfsweise beantragt die Klagepartei:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs der Marke Seat vom … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … durch die Beklagte resultieren.
Weiter beantragt die Klagepartei:
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Klageanträgen genannten Zug um Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.184,05 freizustellen.
11
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
12
Die Beklagte behauptet, das Fahrzeug der Klagepartei unterliege keinerlei Einschränkungen hinsichtlich seiner Gebrauchstauglichkeit und begründe auch keine sonstigen Vermögensnachteile. Das Vorliegen eines Mangels wird bestritten. Das Fahrzeug sei stets sicher und fahrbereit gewesen und habe über alle erforderlichen Genehmigungen verfügt. Der Klagepartei sei kein Schaden entstanden. Das Software-Update sei bereits durchgeführt worden, so dass bereits aus diesem Grund kein mit der ursprünglichen Umschaltlogik begründbarer Nachteil mehr vorliege. Bestritten wird, dass das Software Update negative Auswirkungen habe. Die Beklagte trägt vor, sie habe gegenüber der Klagepartei keinerlei täuschende, unwahre Angaben gemacht. Sie sei am Vertragsschluss nicht beteiligt gewesen und habe weder getäuscht, noch Aufklärungspflichten gegenüber der Klagepartei verletzt. Es habe keine Aufklärungspflicht hinsichtlich der vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung bestanden. Ein Schaden sei durch die Verwendung der Umschaltlogik und durch die Durchführung des Software-Updates klägerseits nicht entstanden. Ein für deliktisches Handeln erforderlicher Vorsatz liege nicht vor, ebenso wenig habe die Beklagte sittenwidrig gehandelt. Zumindest fehle es an der erforderlichen haftungsbegründenden Kausalität.
13
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zum Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27.01.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
15
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht München I ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO zuständig. Das Feststellungsinteresse für den Annahmeverzug ergibt sich aus § 756 ZPO.
16
Die Klage ist überwiegend begründet.
17
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 13.010,73 € Zug um Zug gegen Übereignung des im Tenor bezeichneten Fahrzeugs gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.
18
Die Beklagte hat der Klagepartei in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
19
Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (BGH U. v. 3.12.2013 - Az. XI ZR 295/12). Wer jedoch bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bringen, handelt in der Regel sittenwidrig, so bei unwahren Angaben über vertragswesentliche Umstände (Palandt, § 826, Rn. 20).
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Die Beklagte ist hier nicht die Vertragspartnerin der Klagepartei, jedoch können diese Grundsätze für den vorliegenden Fall sinngemäß angewendet werden. Es gibt den allgemeinen Grundsatz, dass sittenwidrig in der Regel handelt, wer durch Täuschung einen anderen zu einem Vertragsschluss bringt, der unmittelbar oder mittelbar dem Täuschenden zum Vorteil gereicht. Zwar ist im vorliegenden Fall nicht unmittelbar die Beklagte durch den Vertragsschluss begünstigt, jedoch mittelbar. Denn die Produktion des Motors ist darauf ausgelegt, das Fahrzeug letztendlich an den Endabnehmer weiter zu veräußern. Unabhängig davon, ob und wie viele Zwischenhändler es davor gibt, ist der Vertragsschluss mit dem Endabnehmer für die Beklagte Ziel der Produktion. Im Hinblick auf diesen Endabnehmer hat die Beklagte gerade das Interesse daran, den Vertragsschluss herbeizuführen. Das ergibt sich schon aus der einfachen Überlegung, dass die etwaigen Zwischenhändler ebenfalls das Fahrzeug nur wegen des Weiterverkaufs erwerben. Aber auch wenn das Fahrzeug erst gebraucht gekauft wird, so ist davon auszugehen, dass die Beklagte ein Interesse daran hat, dass die gebrauchten Fahrzeuge mit dem streitgegenständlichen Motor weiterverkauft werden. Denn es ist im Fahrzeughandel vollkommen üblich, dass Fahrzeuge nicht nur von einem einzigen Endabnehmer bis zur Verschrottung gehalten werden.
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Die Beklagte hat die Klagepartei bewusst über Tatsachen getäuscht, um sie zum Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu bringen.
22
Eine Täuschung ist das Einwirken auf das Vorstellungsbild eines anderen, um eine Fehlvorstellung über die Wirklichkeit hervorzurufen. Sie kann ausdrücklich, konkludent und durch Unterlassen begangen werden. Tatsachen wiederum sind Gegebenheiten der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind.
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Die wesentliche Tatsache, über die die Beklagte in diesem Fall getäuscht hat, liegt in der Verwendung einer Software, die erkennt, dass sich ein Fahrzeug im Prüfzyklus oder „auf der Straße“ befindet und die dann das Eingreifen eines bestimmten Betriebsmodus veranlasst, was zu niedrigeren Ausstoßmengen im Prüfbetrieb im Vergleich zur Straße führt.
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Eine ausdrückliche oder konkludente Täuschung über diese Tatsache ist abzulehnen. Ausdrücklich wurde von der Beklagten unstreitig nichts erklärt. Allein im Inverkehrbringen des Motors könnte eine konkludente Täuschung gesehen werden. Voraussetzung hierfür wäre jedoch eine Handlung mit Erklärungswert. Allein im Inverkehrbringen eines Produkts kann nach Auffassung des Gerichts nicht eine Erklärung dergestalt gesehen werden, dass dieses Produkt über eine gewisse Software verfügt oder nicht. Damit würde man den Erklärungswert einer Handlung übermäßig ausdehnen.
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Jedoch hat die Beklagte die Täuschung durch Unterlassen begangen. Voraussetzung hierfür ist, dass das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Es genügt nicht allein eine Rechtspflicht, sondern es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Die Beklagte hatte die Pflicht, den jeweiligen Endabnehmer (unabhängig ob aus erster oder zweiter Hand) darüber aufzuklären, dass in dem Motor die streitgegenständliche Software verbaut war. Diese Rechtspflicht ergibt sich aus Ingerenz (pflichtwidriges Vorverhalten). Das Vorverhalten muss gegen eine Sorgfaltsnorm verstoßen haben, die gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient (Pflichtwidrigkeits- oder Schutzzweckzusammenhang). Die Verwendung der streitgegenständlichen Software in dem Motor stellt ein solches Verhalten dar. Die Software diente unstreitig dazu, auf dem NEFZ die notwendigen Ausstoßwerte zu erreichen, um aufgrund des bestandenen Tests die Typengenehmigung zu erhalten, die wiederum Voraussetzung für die Zulassung und den Verkauf der betroffenen Fahrzeuge ist. Durch dieses Verhalten hat die Beklagte das ihr zurechenbare Risiko gesetzt, dass bei Aufdecken dieses Sachverhalts - wie es 2015 geschehen ist -, die Zulassung und damit Nutzbarkeit der betroffenen Fahrzeuge nicht mehr gewährleistet ist.
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Denn bei der Software handelt es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Manipulation der Abgassoftware hat zur Folge, dass das Fahrzeug im Prüfstand weniger Stickoxid ausstößt als im Fahrbetrieb. Nur der im Testlauf unter Laborbedingungen verringerte Stickoxidausstoß erfüllte die Voraussetzungen der EU-Norm 5 nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Zwar bestreitet die Beklagte, dass es sich bei der verbauten Software um eine Abschalteinrichtung nach Art. 3 VO (EG) handele. Zudem komme es zwischen dem Prüfstandsbetrieb und dem Straßenbetrieb „naturgemäß“ zu einer Abweichung des angegebenen Schadstoffausstoßes. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Schließlich werden die vorgeschriebenen Emissionswerte im Prüfstand nur eingehalten, weil eine Software regulierend eingreife.
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Somit hatte das Kraftfahrtbundesamt neben der - realisierten - Möglichkeit von nachträglichen Nebenbestimmungen grundsätzlich auch die Möglichkeit, die Typengenehmigung gemäß § 25 Abs. 3 EGFGV zu widerrufen und damit zur Stilllegung der betroffenen Fahrzeuge zu führen. Dieses Risiko hat die Beklagte durch die Verwendung der streitgegenständlichen Software zurechenbar gesetzt. Dieses Risiko entfaltet auch gerade gegenüber dem Endabnehmer seine Wirkung. Gerade der Endabnehmer bzw. aktuelle Nutzer des Fahrzeugs ist von dem Risiko der Stilllegung betroffen. Deshalb war die Beklagte dazu verpflichtet gerade den Endabnehmer über dieses Risiko aufzuklären. Die Beklagte hat durch die Verwendung der Software eine Sorgfaltspflicht verletzt, die auch gerade dem Schutz des betroffenen Endabnehmers diente.
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Etwas anderes gilt auch nicht deswegen, weil die in Bezug genommene EU-Verordnung an sich nicht dem Vermögensschutz des einzelnen Verbrauchers dient. Denn der Bezug zum Schutz des Verbrauchers wird durch die Möglichkeit der Stilllegung gerade hergestellt. Wenn aber das Kraftfahrtbundesamt die Möglichkeit hat in solchen Konstellationen, die Typengenehmigung zu widerrufen, dann muss dies Einfluss haben auf den Umfang der Aufklärungspflicht. Die Beklagte kann sich dann gerade nicht darauf berufen, dass der Verstoß gegen die EU-Verordnung nicht dem Schutz des Verbrauchers dient.
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Diese rechtliche Einschätzung wird auch nicht dadurch entkräftet, dass inzwischen das Kraftfahrtbundesamt von seinem Ermessen dahingehend Gebrauch gemacht hat, dass es nachträgliche Nebenbestimmungen erlassen hat und die Typengenehmigung gerade nicht widerrufen hat. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt des Unterlassens war dies noch nicht klar. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Kraftfahrtbundesamt sein Ermessen unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt dahingehend hätte ausüben können, dass es die Typengenehmigung widerruft (Ermessensreduzierung auf Null). Somit war zum relevanten Täuschungszeitpunkt das Risiko der Stilllegung geschaffen, was nicht dadurch beseitigt wird, dass das Risiko nachträglich de facto dann nicht eingetreten ist. Es kommt auf die Sicht ex ante an.
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Diese Täuschung durch Unterlassen war sittenwidrig, da besondere Umstände vorliegen, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks, wegen des angewandten Mittels beziehungsweise mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen.
32
Zunächst ist der Beklagten dahingehend zuzustimmen, dass das grundsätzliche Ziel der Gewinnmaximierung nicht per se sittenwidrig ist. Die Verfolgung dieses Ziels ist im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems nicht zu beanstanden und wird von wohl allen Unternehmen am Markt verfolgt.
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Jedoch darf ein zulässiges Ziel nicht „um jeden Preis“ verfolgt werden. Die Sittenwidrigkeit eines Verhaltens kann gerade daraus resultieren, dass das zur Erreichung des Zwecks angewandte Mittel in Verbindung mit der gezeigten Gesinnung verwerflich ist.
34
Die Besonderheit der Umstände, durch die dieser Fall als gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßend anzusehen ist, liegt zum einen darin, dass die Beklagte die Verwendung der Abschalteinrichtung systematisch verschwiegen hat. Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. Die Beklagte hat planmäßig die gesamte Serie dieses Motors, der in ca. 2,4 Mio. Fahrzeugen allein für den deutschen Markt verbaut ist, mit dieser Abschalteinrichtung ausgestattet und unterlassen, dies mitzuteilen. Dadurch wurden Millionen Endabnehmer getäuscht, die - Kausalität unterstellt - im Falle einer richtigen Aufklärung einen Vertrag über das betroffene Fahrzeug nicht abgeschlossen hätten. Angesichts dieser Vorgehensweise kann auf eine Gesinnung geschlossen werden, dass die Beklagte ihre verfolgten Ziele der Gewinnmaximierung um jeden Preis durchsetzt, sogar unter Täuschung Millionen Endabnehmer und unter Inkaufnahme des Risikos, dass die gesamten mit dem streitgegenständlichen Motor ausgestatteten Fahrzeuge stillgelegt werden.
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Zum anderen sind die Umstände dieses Falls besonders verwerflich, da die Beklagte durch ihr Vorgehen gerade die zuständigen Behörden täuscht. Der NEFZ dient dazu, dass die verschiedenen Fahrzeuge miteinander verglichen werden können und von den zuständigen Behörden festgestellt werden kann, ob das Fahrzeug gewisse Abgaswerte einhält und damit die Euro-Schadstoffklasse 5 erhalten darf. Denn der einzelne Endabnehmer ist nicht in der Lage, diese Voraussetzung eigenständig zu überprüfen. Er ist darauf angewiesen, auf die Tests der zuständigen Behörden zu vertrauen, da die Einhaltung der Schadstoffklassen für in verdeckt sind und nicht nachprüfbar.
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Daneben muss der Umstand berücksichtigt werden, dass die Beklagte eine Gefahr geschaffen hat, die zur vollständigen Unbrauchbarmachung der betroffenen Fahrzeuge führen kann. Es ist streitgegenständlich ein Mangel, der - mag er behebbar sein oder nicht - zumindest die Gefahr in sich trägt, dass das Kraftfahrbundesamt die Typengenehmigung widerruft. Damit wäre unumkehrbar die Nutzbarkeit des gesamten Fahrzeugs aufgehoben. Es läge auch nicht in der Hand der Beklagten, diese Nutzbarkeit etwa durch eine Nachbesserung wiederherzustellen. Denn der Widerruf der Typengenehmigung liegt allein in der Hand des Kraftfahrbundesamts.
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Des Weiteren hat die Beklagte bewusst das ihr entgegengebrachte Vertrauen der Verbraucher ausgenutzt. Sie verfügt über ein über viele Jahre gewachsenes überdurchschnittliches Vertrauen, das auf einer in der Vergangenheit erfolgreichen Unternehmenspolitik sowie einem Qualitätsanspruch beruhte, von dem der Durchschnittsbürger annahm, dass die Beklagte ihm überwiegend gerecht wird. Dieses Vertrauen hat sie genutzt, als sie in der jüngeren Vergangenheit mit der besonderen Umweltverträglichkeit der von ihr entwickelten Dieselmotoren geworben hat. Verbraucher haben die dort angepriesenen technischen Merkmale und aufgezeigten Grenzwerte insbesondere auch deshalb nicht infrage gestellt, weil die Beklagte insofern als glaubwürdig galt. Tatsächlich erfüllten die beworbenen Motoren ohne die Software allerdings nicht einmal die gesetzlichen Anforderungen. Dieses Verhalten ist als verwerflich einzuordnen. Zwar ist es nicht schon verwerflich, wenn ein Unternehmen seinen eigenen Ansprüchen oder denjenigen der Verbraucher nicht genügt. Die unternehmerische Freiheit muss ihre Grenze jedoch dort finden, wo - wie hier - das besondere Vertrauen unter Inkaufnahme einer essenziellen Schädigung der potentiellen Kunden ausgenutzt wird, um aus Gewinnstreben sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
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Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass sich die Beklagte durch die Verwendung der streitgegenständlichen Software und der unterlassenen Aufklärung darüber über die Belange des Gesundheits- und Umweltschutzes vollkommen hinweggesetzt hat. Durch den millionenfachen Verkauf von Fahrzeugen, die mehr Schadstoffe ausstoßen als vom Endabnehmer und von der zuständigen Behörde angenommen, hat die Beklagte in relevantem Umfang negativ auf die Umwelt und die Gesundheit eingewirkt. Dazu kommt, dass Dieselfahrzeuge als besonders umweltschonend galten und zum Teil mit Sicherheit auch gerade deshalb erworben wurden. Somit hat die Beklagte die Endabnehmer einerseits gerade mit der besonderen Umweltfreundlichkeit gelockt und andererseits genau die umweltschonenden Kriterien nicht erfüllt.
39
Unter der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände ist somit davon auszugehen, dass die Beklagte die Klagepartei in sittenwidriger Weise getäuscht hat.
40
Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil das Fahrzeug für die Klagepartei nutzbar war und sie keiner konkreten (beispielsweise Gesundheits-)Gefahr ausgesetzt hat. Denn die Nutzbarkeit des Fahrzeugs ist vor allem eine Frage der Vorteilsausgleichung. Im Übrigen mag zwar nicht die Gesundheit der Klagepartei verletzt worden sein, jedoch wurde durch die Beklagte zumindest die schützenswerten Umweltbelange verletzt. Der Schutz der Umwelt hat im Übrigen durch Art. 20a Grundgesetz Verfassungsrang. Gerade unbestimmten Rechtsbegriffe wie in § 826 BGB müssen im Lichte des Grundgesetzes ausgelegt werden. Insofern kann die Sittenwidrigkeit des Verhaltens nicht deshalb wegfallen, weil die Beklagte „nur“ die Umweltbelange unberücksichtigt gelassen hat.
41
Der Klagepartei ist durch die sittenwidrige Schädigung der Beklagten ein Schaden entstanden.
42
Ein Schaden gemäß § 826 BGB liegt nicht nur vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt, sondern auch dann, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende „ungewollte“ Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (BGH, Urteil vom 28.10.2014, Az. VI ZR 15/14 Rz. 19 mit zahlreichen w.N. = NJW-RR 2015, 275, 276 Wagner in Münchner Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 41; Förster in BeckOK BGB, 43. Edition, Stand 15.06.2017, § 826 Rn. 25). Entscheidend ist daher, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (BGH, a.a.O., Rz. 18 m.w.N.).
43
Nach diesen Grundsätzen liegt der Schaden der Klagepartei in dem Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags über ein mangelhaftes Fahrzeug.
44
Das Fahrzeug ist mit einem Sachmangel behaftet. Gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
45
Dies ist vorliegend nicht der Fall, weshalb es auf die Frage, ob die Parteien im Hinblick auf bestimmte Emissionswerte oder dergleichen eine Beschaffenheit des Fahrzeugs (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder im Vertrag eine bestimmte Verwendung vereinbart haben und ob sich das Fahrzeug für diese Verwendung eignet (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB), nicht ankommt.
46
Das Fahrzeug ist mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Üblicherweise ist nach dem Erwartungshorizont eines vernünftigen Durchschnittskäufers bei Kraftfahrzeugen eine softwaregesteuerte Differenzierung zwischen dem Betrieb im Prüfzyklus und der übrigen Verwendung nicht vorhanden.
47
Die Stickoxidgrenzwerte, die Grundlage der Typengenehmigung und damit mittelbar der Betriebserlaubnis des einzelnen Fahrzeuges sind, können nur hier mit Hilfe einer Motorsteuerungssoftware und nur im Prüfzyklus eingehalten werden (vgl. LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, 3 O 139/16, Rn. 53 nach juris). Die Motorsteuerungssoftware ist so programmiert, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte, bei dem eine umfangreichere Abgasrückführung erfolgte, die im Übrigen außer Kraft gesetzt wurde. Der Käufer eines Fahrzeugs muss jedoch berechtigterweise nicht mit einer wirkungsvollen Begrenzung des Schadenstoffausstoßes nur im Prüfzyklus rechnen.
48
Eine Differenzierung zwischen dem Straßenbetrieb und dem NEFZ darf indes nicht erfolgen. Dies zeigt bereits Art. 4 Abs. 2 VO (EU) 715/2007 wonach die Auspuff- und Verdunstungsgase unter „normalen Nutzungsbedingungen“ in Bezug genommen werden. Auch systematische Gesichtspunkte rechtfertigen dieses Verständnis. So nimmt Art. 5 Abs. 1 der vorgenannten Verordnung auf das durch Bauteile beeinflusste Emissionsverhalten unter „normalen Betriebsbedingungen“ Bezug und untersagt ein abweichendes Emissionsverhalten, indem es die Bauteile und Software, die eine Differenzierung zulassen, als grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtungen bewertet, unabhängig davon, an welcher Stelle sie den Schadenstoffausstoß beeinflussen. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist nicht definiert und nach dem Zweck der Begrenzung des Schadenstoffausstoßes auf einzelne Bauteile begrenzt. Genau diese Begrenzung insbesondere des Stickoxidausstoßes verhindert aber die Softwareprogrammierung des Motors EA 189 (vgl. LG Offenburg, Urteil vom 12.05.2017, 6 O 119/16, Rn. 36 nach juris).
49
Der Schaden entfällt auch nicht dadurch, wenn ein Software-Update durchgeführt wird. Denn der Anknüpfungspunkt für den entstandenen Schaden ist nicht der Sachmangel direkt, sondern die Belastung mit einem ungewollten Vertragsschluss. Dieser wird durch ein Software-Update - so es überhaupt den Mangel beheben würde - aber nicht ungeschehen gemacht. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich der arglistig getäuschte Käufer einer mangelhaften Sache nicht auf eine Beseitigung des Mangels verweisen lassen muss. Gerade der Käufer eines Neuwagens will nach der Lebenserfahrung kein mangelhaftes Fahrzeug erwerben, auch wenn der Mangel noch beseitigt werden soll. Insoweit kommt es auch gar nicht an, ob das Software Update eine geeignete Nacherfüllung darstellen würde oder zu denen von der Klagepartei behaupteten weiteren Mängeln führen würde.
50
Die sittenwidrige Schädigung war auch kausal für den bei der Klagepartei entstandenen Schaden.
51
Das Inverkehrbringenlassen von mangelhaften Fahrzeugen dieser Bauart unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Funktion zur Manipulation der Emissionswerte auf dem Prüfstand durch die Beklagte war ursächlich für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei. Wären mangelhafte Fahrzeuge dieser Art nicht in Verkehr gebracht worden, hätte die Klagepartei ein solches Fahrzeug nicht erwerben können.
52
Die Klagepartei hätte den Kaufvertrag in Kenntnis des Mangels auch nicht geschlossen. Davon ist das Gericht überzeugt. Hätte die Beklagte die Funktionsweise der Software bei Markteinführung des Motors EA 189 offen gelegt, wäre ohnehin das von der Klagepartei gekaufte Fahrzeug in dieser Form wegen zeitnahen Einschreitens der zuständigen Behörden nicht mehr verkauft worden, wie die Entwicklung nach dem tatsächlichen Bekanntwerden der Manipulation im Jahr 2015 zeigt. Jedenfalls wären der Klagepartei, die mit dem Erwerb eines betroffenen Fahrzeugs verbundenen Risiken für Hauptuntersuchung und Zulassung infolge öffentlicher Diskussion so deutlich vor Augen gestanden, dass sie von dem Kauf des mangelhaften Fahrzeugs abgesehen hätte. Kein vernünftiger Käufer würde sich auf die Unsicherheit des möglichen Widerrufs der Zulassung einlassen und ein solches Fahrzeug erwerben. Der Käufer eines Neuwagens will vernünftigerweise auch nicht die Unsicherheiten und Unannehmlichkeiten einer erforderlichen technischen Überarbeitung in Kauf nehmen, sondern erwartet ein im ausgelieferten Zustand dauerhaft nutzbares Fahrzeug.
53
Der Beklagten ist das vorsätzliche Handeln ihrer Repräsentanten gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Die Beklagte handelte im Hinblick auf die Schadenszufügung auch vorsätzlich.
54
Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen. Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt im Grundsatz voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH in NJW 2017, 250). Die Klagepartei, die die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte behauptet und deshalb Schadensersatzansprüche geltend macht, trägt grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen.
55
Bei den Anforderungen, die an die Darlegungslast der Klagepartei zu stellen sind, ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nach Einschätzung des Gerichts fernliegend ist, dass der millionenfache Einbau der Motorsteuerungssoftware ohne Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstandes erfolgt sein soll. Insbesondere die hohe Relevanz der Optimierung von Dieselmotoren zur Reduzierung von Emissionen bei gleichzeitiger Leistungssteigerung und Einsparung von Kosten spricht dafür, dass so weitreichende Entscheidungen mit Wissen und Wollen der Vorstandsebene gefällt worden sind. Es wäre höchst unwahrscheinlich, dass ein untergeordneter Mitarbeiter eine solche Entscheidung im Alleingang getroffen und den Vorstand über den Einbau der Software in keiner Form informiert hätte (vgl. OLG Karlsruhe in BeckRS 3395, Rnr. 55).
56
Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen der Klagepartei ausreichend, um ihrer eingeschränkten Darlegungslast in Bezug auf den Vorsatz eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses zu genügen. Die Klagepartei hat hinreichend unter Benennung der Personen der Beklagten, die ihrer Auffassung nach Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatten und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst haben, vorgetragen.
57
Da die Klagepartei hinreichend Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, dass ein verfassungsgemäß berufener Vertreter von der Manipulation der Fahrzeuge wusste oder diese zumindest gebilligt hat, trifft die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen ist. Eine sekundäre Darelegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (vgl. BGH in NJW 2018, 2412, 2414).
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So verhält es sich hier. Bei der Beklagten handelt es sich um einen Konzern, so dass die Klagepartei keinen Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten hat und insoweit auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen ist. Demgegenüber hat die Beklagte die Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen. Insbesondere hätte sie darzulegen, wie es zu der Planung und dem Einbau der Software ohne Kenntnis des Vorstandes gekommen ist. Der pauschale Vortrag der Beklagten, nach dem „derzeitigem“ Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinne an der Entwicklung beteiligt waren oder die Verwendung der Software seinerseits in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten, ist unzureichend. Die Beklagte trägt schon nicht vor, woraus sich im Einzelnen die Einschätzung ergibt, die bisherigen Untersuchungen hätten keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstandes ergeben. Angesichts des Zeitablaufes seit dem öffentlichen Bekanntwerden der Softwaremanipulation ist der Vortrag, dass derzeit noch keinerlei Erkenntnisse vorlägen nicht ausreichend, um den Ausführungen der Klagepartei entgegenzutreten (vgl. OLG Köln in BecksRS 2019, 15507 Rnr 21). Da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, ist der klägerische Vortrag diesbezüglich gem. § 138 III ZPO als zugestanden zu behandeln.
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Die Beklagte handelte vorsätzlich. Zumindest nahm die Beklagte billigend in Kauf, dass sich ihr Verschweigen der implementierten Manipulationssoftware nachteilig auf die Kunden auswirken würde. Der Kunde sollte zum Kauf eines Fahrzeuges bewegt werden, obwohl dieses mit einer Abschalteinrichtung versehen war. Die Verantwortlichen nahmen billigend in Kauf, dass die Verbraucher ihre Kaufentscheidung auf einer fehlerhaften beziehungsweise unvollständigen Tatsachengrundlage trafen, die sie bei Kenntnis gar nicht oder zu anderen Konditionen getroffen hätten.
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Als Rechtsfolge kann die Klagepartei von der Beklagten Zahlung von 13.010,73 € Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen.
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Die Beklagte hat gemäß § 249 S. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Klagepartei ist daher vorliegend so zu stellen, wie wenn er den Vertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen hätte. In diesem Fall hätte die Klagepartei den Preis in Höhe von 15.490,00 € für das Fahrzeug nicht gezahlt.
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Die Klagepartei hätte allerdings auch keine Vermögensvorteile in Form der während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen erzielt. Diese sind auf den Ersatzbetrag anzurechnen, weil andernfalls eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde. Die Berechnung des Nutzungswerts erfolgt, indem der Bruttokaufpreis mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Produkt durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung bzw. Restlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird.
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Die voraussichtliche Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 250.000 km (ebenso für einen VW Touran mit Dieselmotor LG Berlin, Urteil vom 05. Dezember 2017 - 4 O 150/16 - LG Baden-Baden, Urteil vom 27. April 2017 - 3 O 163/16 - LG Bielefeld, Urteil vom 30. Juni 2017 - 7 O 201/16 - LG Bochum, Urteil vom 17. August 2017 - 8 O 26/17 - LG Arnsberg, Urteil vom 08. September 2017 - 2 O 101/17 - für 300.000 km dagegen LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17. Juli 2017 - 13 O 174/16 - LG Krefeld, Urteil vom 12. Juli 2017 - 7 O 159/16 - LG Trier, Urteil vom 07. Juni 2017 - 5 O 298/16 -). Es handelt sich um den Mittelwert der in der neueren Rechtsprechung zumeist angenommenen Gesamtlaufleistungen zwischen 200.000 und 300.000 km (Nachweise bei Staudinger/Dagmar Kaiser (2012) BGB § 346, Rn. 260). Von der Beauftragung eines Sachverständigen sieht das Gericht nach § 287 ZPO ab, weil auch ein Sachverständiger nur eine eigene, subjektive Schätzung der Gesamtlaufleistung vornehmen könnte. Empirische Studien über die durchschnittliche Laufleistung am Ende der Lebensdauer von Fahrzeugen der streitgegenständlichen Art werden mangels statistischer Erfassung der Fahrleistung zum Ende der Lebensdauer auch Sachverständigen nicht vorliegen.
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Die von der Klagepartei auszugleichenden Vorteile errechnen sich daher wie folgt:
„15.490,00 € × 40.014 km / 250.000 km = 2.479,27 €“
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Darüber hinaus kann die Klagepartei die Feststellung des Annahmeverzugs verlangen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs ist zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Vereinfachung der Zwangsvollstreckung. Seit Ablauf der mit anwaltlichem Schreiben vom 09.01.2018 gesetzten Frist befindet sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug, spätestens mit Zustellung der Klageschrift hat die Klagepartei der Beklagten ein wörtliches Angebot auf Rückübereignung des Pkws gemacht, § 295 BGB. Die Beklagte hat spätestens mit Zugang des Schriftsatzes zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft und dem darin enthaltenen Antrag auf Klageabweisung dieses Angebot abgelehnt und befindet sich daher seit Zugang des Angebotes in Annahmeverzug (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2011, Az. 17 U 53/10, Rz. 63).
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Der Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus § 291 ZPO.
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Ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises vor Klageerhebung ist jedoch zurückzuweisen. Die Voraussetzungen des § 849 BGB liegen nicht vor. Die Ersatzpflicht der Beklagten beruht weder auf der Beschädigung einer Sache noch auf der Entziehung einer Sache. Selbst wenn man in der Überweisung von Geld die Entziehung einer Sache sehen würde, so hat die Klagepartei hierfür eine Gegenleistung erhalten, nämlich die Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen.
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Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB. Die erforderlichen Anwaltskosten ergeben sich der Höhe nach aus einer 1,3 Geschäftsgebühr nach einem berechtigten Wert von 13.010,73 in Höhe von 845,00 €, zuzüglich Auslagenpauschale von 20 € und 19 % Mehrwertsteuer = 164,35 €. Eine über eine 1,3 Geschäftsgebühr hinausgehende Geschäftsgebühr zu zahlen darf die klagende Partei nicht für erforderlich halten. Es handelt sich vorliegend sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrades nicht um einen überdurchschnittlichen Fall. Die diskutierten Rechtsfragen sind Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsentscheidungen, die Beteiligten verwenden standardisierte Schreiben und Textbausteinsteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert war in Höhe des begehrten Kaufpreises anzusetzen (§ 48 GKG, § 3 ZPO).