Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 26.11.2020 – 23 O 15/20
Titel:

Fahrzeug, Schadensersatzanspruch, Darlehensvertrag, Kaufpreis, Annahmeverzug, Streitwert, Sittenwidrigkeit, Bank, Berichterstattung, Haftung, Pkw, Sicherheitsleistung, Verkauf, Klage, Kosten des Rechtsstreits, kein Anspruch, ins Blaue hinein

Schlagworte:
Fahrzeug, Schadensersatzanspruch, Darlehensvertrag, Kaufpreis, Annahmeverzug, Streitwert, Sittenwidrigkeit, Bank, Berichterstattung, Haftung, Pkw, Sicherheitsleistung, Verkauf, Klage, Kosten des Rechtsstreits, kein Anspruch, ins Blaue hinein
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60864

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 51.042,11 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkw.
2
Der Kläger erwarb am 22.03.2019 bei der … GmbH einen gebrauchten, von der Beklagten entwickelten und produzierten Audi SQ5 plus 3.0 TDI plus quattro mit einem Kilometerstand von 62.750 km für 54.334,33 € (Anlage K1). Die Finanzierung erfolgte teilweise über ein Darlehen der A. Bank.
3
Das Fahrzeug unterlag einem seitens des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) veranlassten Rückrufs auf Grund einer vorgefunden unzulässigen Abschalteinrichtung, der auch in einer Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 veröffentlicht wurde.
4
Seitens der Beklagten wurde ein Softwareupdate entwickelt und angeboten, welches seitens des KBA freigegeben worden ist. Dieses Update wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt, bevor es der Kläger erwarb.
5
Die Beklagte teilte über das Audi Partner Portal (APP) mit Mitteilung vom 22.12.2017 (Anlage B5) und vom 25.01.2018 (Anlage B6) ihren Vertriebspartnern unter anderem mit, dass die Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs nur nach entsprechendem Hinweis an Kaufinteressenten über die Beanstandungen und die Softwareaktualisierung verkauft werden dürften. Zu diesem Zweck wurde den Vertragshändlern und Servicepartnern ein Musterschreiben zur Verfügung gestellt, welches diese Kaufinteressenten vor Abschluss des Kaufvertrags über ein Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs aushändigen mussten.
6
Der Kläger behauptet, das Fahrzeug erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, weil die tatsächlichen Werte an Stickoxiden, die das Fahrzeug ausstoße, massiv überhöht seien. Die Einstufung in die Abgasnorm Euro 6 habe nur erfolgen können, weil die Beklagte eine unerlaubte Abschalteinrichtung eingesetzt habe, unter anderem ein sogenanntes „Thermofenster“.
7
Das Fahrzeug verfüge über einen Motor des Typs EA897.
8
Das Update sei nicht geeignet, die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs zu beseitigen. Auch nach dem Update sei das Fahrzeug nicht in der Lage, im realen Fahrbetrieb die Abgasnormen einzuhalten. Das Fahrzeug sei grundsätzlich nicht zulassungsfähig.
9
Der Kläger behauptet, dass Fahrzeug nicht erworben zu haben, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug die Abgasnorm Euro 6 nur unter rechtswidrigen Bedingungen im Prüfstandbetrieb einhält.
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Auf Beklagtenseite hätten auch entsprechende Kenntnisse über die unzulässige Abschalteinrichtung vorgelegen. Zumindest hätten Mitarbeiter als Verrichtungsgehilfen im Sinne des § 831 BGB vorsätzlich gehandelt.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.553,94 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Höhe von 3.292,22 EUR Zugum-Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges Audi SQ5 3.0 TDI, FIN …, und Übertragung des dem Kläger gegenüber der A. Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs zu zahlen und zwar abzüglich einer weiteren nach der folgenden Formel berechneten Nutzungsentschädigung in EUR: von der Klagepartei gezahlter Kaufpreis x gefahrene Kilometer: Restnutzungsdauer.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den noch nicht fälligen Darlehensraten aus dem Darlehensvertrag mit der Vorgangsnummer … gegenüber der A. Bank freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 2.251,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Die Beklagte ist der Meinung, das Fahrzeug erfülle die Emissionsklasse EU 6 plus und halte den Stickoxidgrenzwert, den das Fahrzeug im Rahmen des NEFZ auf dem Rollenprüfstand erreichen müsse, ein. Es gebe keinerlei softwarebedingten Einschränkungen.
14
Das Fahrzeug verfüge über einen Motor des Typs EA896Gen2BiT.
15
Die Beklagte ist der Meinung, eine Täuschung und sittenwidrige Schädigung sei schon aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte am Verkauf nicht beteiligt war, fernliegend.
16
Eine Haftung sei jedenfalls nicht gegeben, da bereits öffentlich bekannt gewesen sei, dass das Fahrzeug eine technische Überarbeitung erhalten würden. Das Fahrzeug sei in Kenntnis dieser Umstände vom Kläger erworben worden.
17
Auch aufgrund der Verhaltensänderung der Beklagten im Hinblick auf die Mitteilungen über das Audi Partner Portal (APP) vom 22.12.2017 und 25.01.2018 (s.o.) scheide eine Haftung aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung jedenfalls aus.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2020 (Bl. 264ff. d.A.) und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das erworbene Fahrzeug zu.
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I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB.
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1. Hierbei kann zunächst dahinstehen, ob überhaupt ein verwerfliches Verhalten der Beklagten auf Grund der durch das KBA festgestellten „unzulässigen Abschalteinrichtung“, wie in der Pressemitteilung vom 23.01.2018 publik gemacht, im Sinne des § 826 BGB zunächst vorlag.
22
Denn alleine die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung lässt nicht den Schluss auf eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB. Der BGH hat in seiner Entscheidung zum EA189-Motor ausgeführt, dass sich die Sittenwidrigkeit „aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens der Beklagten unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen“ ergebe (BGH, Urteil vom 25.05.2020, AZ. VI ZR 252/19).
23
Aus der Pressemitteilung des KBA ergibt sich etwa nicht, dass eine Prüfstandserkennungssoftware verbaut ist, sondern nur, dass die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion, nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringe. Die Strategien würden sich von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp leicht unterscheiden.
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Weiter mangelt es auch deswegen an einer Verwerflichkeit zum Zeitpunkt des Erwerbs, da insoweit auch Verhaltensänderungen des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten zu berücksichtigen sind und das Verhalten diesem gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein kann (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20).
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Wird in Zusammenarbeit mit den Behörden (genauer dem KBA) ein Update bereitgestellt, um einen ordnungsgemäßen Zustand herzustellen, was wiederum auch Gegenstand medialer Berichterstattung war, kann vorliegend von einer Sittenwidrigkeit nicht mehr ausgegangen werden:
„Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (BGH aaO)“.
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Insoweit kann die hier vorliegende Konstellation zum 3.0l TDI-Motor nicht anders zu bewerten sein als der vom BGH entschiedene „Spätfall“, mithin Erwerb eines VW-Fahrzeugs mit EA189- Motor im Jahr 2016.
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Hier ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Beklagte (nach unbestrittenem Vortrag) über das Audi Partner Portal (APP) mit Mitteilung vom 22.12.2017 (Anlage B5) und vom 25.01.2018 (Anlage B6) ihren Vertriebspartnern unter anderem mitteilte, dass die Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs nur nach entsprechendem Hinweis an Kaufinteressenten über die Beanstandungen und die Softwareaktualisierung verkauft werden dürften. Zu diesem Zweck wurde den Vertragshändlern und Servicepartnern auch ein Musterschreiben zur Verfügung gestellt, welches diese Kaufinteressenten vor Abschluss des Kaufvertrags über ein Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs aushändigen mussten. Diese Verhaltensänderung erfolgte somit vor dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs im März 2019.
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2. Ob eine Haftung nach § 826 BGB darüber hinaus auch deswegen ausgeschlossen ist, weil der Kläger von der unzulässigen Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug wusste oder auf Grund der Presseberichterstattung und mangels konkreter weitergehenden Prüfung seitens des Klägers davon auszugehen ist, dass diese Umstände für ihn keine Rolle spielten, und es daher an der Kausalität mangelt, kann dahinstehen.
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3. Weiter steht einer Haftung nach § 826 BGB entgegen dass auf Grund des verpflichtenden Rückrufs seitens des KBA eine neue Software auf das Fahrzeug aufgespielt worden ist. Zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs war die vom KBA gerügte Software daher gar nicht mehr vorhanden.
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Soweit die Klagepartei meint, dass Update sei nicht geeignet, die Zulassungsfähigkeit sicherzustellen, ist dies ein Vortrag ins Blaue hinein und nicht berücksichtigungsfähig. Unbestritten wurde das Update seitens des KBA freigegeben. Soweit klägerseits weiter behauptet wird, das Fahrzeug halte auch nach dem Update die Abgasnormen nicht ein, ist dieser Vortrag im Hinblick auf die Freigabe durch das KBA nicht berücksichtigungsfähig; ohnehin reicht ein Verweis auf erhöhte Emissionen im Realbetrieb alleine nicht aus, um auf eine fehlende Zulassungsfähigkeit oder unzulässige Abschalteinrichtungen schließen zu können.
31
Insbesondere ist der Vortrag zu einem sog. Thermofenster unsubstantiiert; soweit die Beklagte die Verwendung einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung einräumt, lässt sich hieraus jedenfalls keine sittenwidrige Schädigungsabsicht ableiten (so die obergerichtliche Rechtsprechung, etwa OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019 - 12 U 123/18).
32
II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus einer anderen Rechtsgrundlage.
33
Eine Haftung des Herstellers, hier der Beklagten, nach §§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB ist vorliegend beim Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs von einem Dritten fernliegend, wie bereits vom BGH entschieden (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20). Das gleiche gilt für die geltend gemachten Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH aaO) sowie die weiteren geltend gemachten Anspruchsgrundlagen, da eine entsprechende Schutzwirkung nicht gegeben ist.
34
III. Mangels Schadensersatzanspruch steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Freistellung von den Darlehensraten zu. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
35
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
36
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
37
Der Streitwert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 63 GKG festgesetzt und orientiert sich an dem ursprünglichen Klageantrag.