Titel:
Schadensersatz, Verkehrsunfall, Reparaturkosten, Schadensersatzanspruch, Haftungsverteilung, Gutachten, Verbringungskosten, Rechtsanwaltskosten, Feststellung, Eintrittspflicht, Streitwert, Schadensabrechnung, Schaden, Vollstreckbarkeit
Schlagworte:
Schadensersatz, Verkehrsunfall, Reparaturkosten, Schadensersatzanspruch, Haftungsverteilung, Gutachten, Verbringungskosten, Rechtsanwaltskosten, Feststellung, Eintrittspflicht, Streitwert, Schadensabrechnung, Schaden, Vollstreckbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60844
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 904,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.04.2020 sowie weitere 78,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.04.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 16 % und der Beklagte 84 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Seite kann die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 1.082,22 € festgesetzt:
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 14.01.2020 auf … ereignet hat.
2
Beteiligt war der klägerische Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … (im folgenden Klägerfahrzeug) sowie der Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen …, im Unfallzeitpunkt gefahren und gehalten von dem Beklagten (im folgenden Beklagtenfahrzeug).
3
Die Eintrittspflicht der Beklagtenseite dem Grunde nach für die unfallbedingten Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig.
Die Klägerin macht folgende Schäden geltend:
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Reparaturkosten netto laut Gutachten
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Euro 2.486,31
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Wertminderung
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Euro 300,00
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Sachverständigenkosten
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Euro 748,51
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Auslagenpauschale
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Euro 30,00
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Insgesamt
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Euro 3.564,82
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass sämtliche Schäden unfallbedingt in dieser Höhe entstanden und erstattungsfähig seien.
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Nachdem die Beklagtenseite auf die Reparaturkosten EUR 1.605,51, auf die Wertminderung EUR 150,- und auf die Sachverständigenkosten EUR 727,09 regulierte, sind die restlichen EUR 1082,22 Gegenstand des Verfahrens. Daneben begehrt die Klägerin Ersatz restlicher vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten
6
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1082,22 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 138,87 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 zu bezahlen.
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Die Beklagtenseite beantragt:
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Die Beklagtenseite ist der Ansicht, dass sich die zur Beseitigung der unfallbedingten Beschädigung erforderlichen Reparaturkosten auf maximal 1605,51 € beliefen. Es seien zum einen technische Abzüge zu vorzunehmen zum anderen seien UPE-Aufschläge und Verbringungskosten - in der geltend gemachten Höhe - nicht erstattungsfähig. Außerdem seien Abzüge für eine Wertverbesserung vorzunehmen. Schließlich müsse sich die Klägerin auf eine Reparatur zu günstigeren Stundenverrechnungssätze in der … verweisen lassen. Die Wertminderung beliefe sich auf nur 150 €. Die Sachverständigenkosten seien erkennbar überhöht, die Rechnung von der Klägerin nicht beglichen.
9
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen ….
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das Sachverständigengutachten vom 26.08.2020 sowie den gesamten übrigen Akteninhalt.
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Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 904,55 aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PfIVG.
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Dem liegt eine Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagtenseite zugrunde.
Unfallhergang und Haftungsverteilung
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Die Haftung der Beklagtenseite dem Grunde nach zu 100 % für die unfallbedingten Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig.
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Der Klägerin ist ein Schaden in Höhe von insgesamt EUR 3.387,15 entstanden. Diesen kann sie entsprechend der o.g. Quote voll ersetzt verlangen.
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Unstreitig ist die Schadenspositionen Auslagenpauschale (EUR 30,-).
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Im Hinblick auf die Reparaturkosten ist folgendes auszuführen: Der dem Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren für seine große Sachkunde und Zuverlässigkeit bekannte Sachverständige kommt in seinem ausführlich und nachvollziehbar begründeten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die zur Beseitigung der unfallbedingten Beschädigungen am Klägerfahrzeug erforderlichen Reparaturkosten unter Zugrundelegung einer Wertverbesserung von EUR 100,- und der Stundenverrechnungssätze aus dem klägerischen Parteigutachten Euro 2.408,64 netto betragen.
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Das Gericht hat keinen Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen und an der Richtigkeit des Gutachtens. Erhebliche Einwände gegen das Gutachten wurden nicht erhoben. Soweit der Klägervertreter vorträgt, PDC-Sensoren seien aus Sicherheitsgründen zu ersetzen, übersieht er, dass der Sachverständige festgestellt hat, dass einer der PDC-Sensoren, den das Parteigutachten zur Erneuerung vorgegeben hatte, tatsächlich nicht (unfallbedingt) beschädigt war. Dann sind die Kosten für seine Erneuerung auch kein unfallbedingt zu ersetzender Schaden und nicht zu berücksichtigen. Das Gericht folgt insgesamt den sachverständigen Feststellungen.
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Es verbleibt bei den im klägerischen Parteigutachten angesetzten Stundenverrechnungssätzen. Die Klägerin muss sich nicht auf eine Reparatur zu günstigeren Stundenverrechnungssätzen in der … verweisen lassen. Die Entfernung zwischen dem Sitz der Klagepartei und der Referenzwerkstätte beträgt laut Google Maps Routenplaner mindestens 17,3 km. Bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wäre eine Fahrtzeit von über einer Stunde anzusetzen. Vor diesen Hintergrund hält das Gericht - insbesondere angesichts der zahlreichen verfügbaren markengebundenen und freien Reparaturmöglichkeiten im Großraum … die Verweisung insgesamt nicht für zumutbar. Das erkennende Gericht schließt sich im Übrigen insoweit der Rechtsprechung des LG München I gemäß Beschluss vom 03.09.2017, Aktenzeichen: 17 S 6030/17, an, wonach bereits eine Entfernung von ca. 16 km zum Wohnsitz des Geschädigten eine Unzumutbarkeit der Verweisung begründet. Das Gericht sieht im vorliegenden Fall keinen Anlass, diese Frage anders zu beurteilen. Auf die schlechte Zugänglichkeit hat sich die Klagepartei auch ausdrücklich berufen. Auf die Frage, ob das Klägerfahrzeug bislang ausschließlich markengebunden repariert und gewartete wurde oder nicht, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
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Die im klägerischen Parteigutachten angesetzten UPE-Aufschläge und Verbringungskosten sind ebenfalls erstattungsfähig. Sie sind nach der Rechtsprechung des OLG München (OLG München, Schlussurteil vom 28.02.2014, Az 10 U 3878/13), welcher das Gericht folgt, grundsätzlich auch im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung ersatzfähig. Voraussetzung der Ersatzfähigkeit im konkreten Fall ist, dass die entsprechenden Beträge im Falle einer Reparatur in der Region typischerweise erhoben werden (OLG München, Schlussurteil vom 28.02.2014, Az 10 U 3878/13). So verhält es sich hier. Darauf hat das Gericht mit Beschluss vom 09.06.2020 auch ausdrücklich hingewiesen.
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Hinsichtlich der Wertminderung kommt der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem ausführlich und nachvollziehbar begründeten Gutachten zu dem Ergebnis, dass diese sich auf EUR 200,- beläuft. Das Gericht hat auch insofern keinen Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen und an der Richtigkeit des Gutachtens. Einwände gegen das Gutachten wurden insofern nicht erhoben. Das Gericht folgt den sachverständigen Feststellungen.
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Die Sachverstärdigenkosten in Höhe von EUR 748,51 sind vorliegend voll erstattungsfähig. Dazu ist auszuführen, dass bei Standardgutachten zur Feststellung eines Kraftfahrzeugsschaden - wie im hiesigen Fall - nach der aktuellen Rechtsprechung des OLG Münchens (Beschluss vom 14.12.2015, 10 U 579/15) - der das Gericht folgt - gemäß § 287 ZPO die Honorarbefragung des BVSK 2018 - auch bezüglich der Nebenkosten - als üblich Vergütung herangezogen werden kann.
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Allerdings ist zu beachten, dass der Beschluss des OLG München vom 14.12.2015 lediglich eine Fortschreibung des OLG-Beschluss vom 12.3.2015, 10 U 579/15 darstellt, so dass die Sachverständigenkosten hier jedenfalls nach der subjektbezogenen Schadensbetrachtung voll, d.h. in Höhe der geltend gemachten EUR 748,51 erstattungsfähig sind - unabhängig davon, ob sie nach BVSK objektiv überhöht sind oder nicht. Denn die Rechnung ist nicht in einer Weise überhöht, dass selbst ein Laie die Überhöhung erkennen hätte müssen und als wirtschaftlich denkender Mensch die Sachverständigenrechnung nicht bezahlt hätte. Hierbei ist nach Ansicht des OLG München eine Gesamtbetrachtung der Rechnung vorzunehmen. Es können nicht etwa die Nebenkosten gesondert auf ihre (vermeintliche) Überhöhung überprüft werden. Eine eklatante und auch für den Laien erkennbare Überhöhung scheint auf den ersten Blick bei Reparaturkosten von EUR 2.486,31 (netto) und Sachverständigenkosten von insgesamt EUR 748,51 nicht gegeben zu sein (vgl. auch BGH vom 11.2.2014, VI ZR 225/13, hier betrugen die Sachverständigenkosten sogar deutlich über 50 % der Reparaturkosten). Laut OLG München ist die gegnerische Versicherung letztlich darauf beschränkt, dem Unfallgeschädigten nachzuweisen, dass die Rechnung an sich nicht nachvollziehbar ist und deswegen von einem wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen nicht hätte bezahlt werden dürfen. Vorliegend ergeben sich für das Gericht auch keine Anhaltspunkte, dass der Sachverständige nicht durch den Geschädigten alleine, sondern nach Vermittlung einer Werkstätte („Schadensservice aus einer Hand“) ausgewählt wurde. Dies wurde von der Beklagtenseite schon nicht vorgetragen.
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Die Sachverständigenrechnung wurde ausweislich der Anlage K 8 zur Überzeugung des Gerichts (vor Klageerhebung) auf Veranlassung der Klägerin auch vollständig beglichen.
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Es bleibt daher vorliegend bei der subjektbezogenen Schadensbetrachtung, so dass die Beklagtenpartei beweisen muss, dass ein wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen die Überhöhung der Sachverständigenkosten hätte erkennen können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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Insgesamt ergibt sich damit ein grundsätzlich erstattungsfähiger Schaden in Höhe von EUR 3.387,15. Dieser ist entsprechend der o.g. Quote voll zu ersetzen. Vorgerichtlich bezahlt wurde ein Betrag von EUR 2.482,60. Damit verbleibt eine berechtigte Klageforderung von EUR 904,55.
27
Verzug bestand, von Beklagtenseite nicht bestritten, seit 01.04.2020. Von diesem Zeitpunkt an besteht ein Anspruch auf Verzugszinsen, § 286 BGB. Die Höhe des Zinsanspruchs ergibt sich aus § 288 BGB.
Vorgerichtliche Rechtsarwaltskosten
28
Der Gesetzgeber hat für den „Durchschnittsfall“ in Nr. 2300 VV RVG als Regelsatz für die Geschäftsgebühr die 1,3-fache Gebühr vorgesehen. Für eine darüber hinaus gehende Gebühr hat er ausdrückliche Kriterien dahingehend festgelegt, dass eine solche nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Voraussetzungen unterliegen der gerichtlichen Überprüfung (OLG Celle, Urteil vom 28.12.2011, 14 U 107/11). Die anwaltliche Bearbeitung eines üblichen Verkehrsunfalls - mit regelmäßig verschiedenen Schadenspositionen - stellt grundsätzlich eine durchschnittliche Angelegenheit dar, so dass sie mit einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr angemessen abgegolten ist. Das trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Weder die Geltendmachung verschiedener - insbesondere materieller - Schadenspositionen, noch das Verfassen mehrerer Schreiben oder eine Regulierungsdauer von mehren Monaten machen die Tätigkeit umfangreich oder schwierig.
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An vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klagepartei mithin geltend machen eine 1,3 Gebühr aus einem Geschäftswert in Höhe der berechtigten Schadensersatzforderung von EUR 3.387,15 zuzüglich einer Auslagenpauschale von EUR 20,00 und der Mehrwertsteuer. Dies sind hier EUR 413,64. Hierauf hat die Beklagte bereits EUR 334,75 vorgerichtlich bezahlt. Die restlichen EUR 78,89 können geltend gemacht werden. Insofern besteht ebenfalls ein Zinsanspruch aus §§ 280, 286, 288 BGB.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.