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AG Aichach, Endurteil v. 26.05.2020 – 101 C 177/20
Titel:

Verkehrsunfall, Schadensminderungspflicht, Erstattung, Schadensbehebung, Forderung, Aufwendungen, Kostenentscheidung, Behandlung, Anspruch, Notwendigkeit, Vollstreckbarkeit, Aufenthalt, Umfang, Fristsetzung

Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensminderungspflicht, Erstattung, Schadensbehebung, Forderung, Aufwendungen, Kostenentscheidung, Behandlung, Anspruch, Notwendigkeit, Vollstreckbarkeit, Aufenthalt, Umfang, Fristsetzung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60746

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 929,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.02.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 929,94 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Erstattung ihrer Aufwendungen nach Verkehrsunfall in Anspruch.
2
Die bei der Beklagten haftpflichtversicherte … führte am 20.12.2018 in … einen Verkehrsunfall herbei, bei der der bei der Klägerin versicherte … verletzt wurde. Dieser wurde nach dem Unfall mit dem Rettungswagen zunächst in durchgangsärztliche Behandlung in das Krankenhaus … verbracht. Dort wurde Schwindel und Zittrigkeit festgestellt, zudem bestanden Beschwerden und Schmerzen in der Halswirbelsäule. Prellmarken und Abschürfungen konnten nicht festgestellt werden. Röntgenologisch konnten traumatische Verletzungen ausgeschlossen werden. Es zeigte sich eine degenerative Steilstellung der HWS. Unfallunabhängig litt er an Diabetes Mellitus Typ I. Als Erstdiagnose wurde sodann eine HWS-Distorsion und eine posttraumatische Stressreaktion diagnostiziert. Es wurde Verdacht auf Commotio cerebri diagnostiziert. Die Neurologie war ohne Befund. Er war hypoglykämisch. Er wurde zur stationären Überwachung ins Krankenhaus … überwiesen. Dort wurde die Diagnose einer HWS-Distorsion bestätigt und weiterhin die Diagnose einer Schädelprellung gestellt und er bis zum nächsten Tag in stationärer Behandlung behalten.
3
Die Klägerin leistete unter anderem die Kosten der stationären Behandlung in Höhe von 929,94 €. Mit Schreiben vom 14.01.2020 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung zum 28.02.2020 auf, die Forderung zu erstatten. Mit Schreiben der Beklagten vom 31.01.2020, bei der Klägerin eingegangen am 03.02.2020, wies die Beklagte die Forderung endgültig zurück.
4
Die Klägerin behauptet, sämtliche Aufwendungen seien durch den Unfall bedingt, erforderlich, notwendig und angemessen. Es habe der Verdacht einer Gehirnerschütterung bestanden.
5
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 929,94 nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.02.2020 zu zahlen.
6
Die Beklagte beantrag,
die Klage abzuweisen.
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Die für … erfolgten Diagnosen seien allein aufgrund der subjektiven Schmerzangaben gestellt worden. Eine stationäre Aufnahme sei nicht indiziert gewesen. Die Aufwendungen der Klägerin für den stationären Aufenthalt seien deswegen nicht unfallbedingt medizinisch indiziert und erforderlich.
8
Das Krankenhaus sei bei seiner Abrechnung an das SGB V gebunden. Die Behandlung habe deswegen medizinisch ausreichend und wirtschaftlich vorgenommen werden müssen. Bei einer Verstauchung und Zerrung der HWS sei eine ambulante Behandlung regelhaft und medizinisch ausreichend.
9
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
10
Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
12
Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen auf die Heilbehandlung des Geschädigten gemäß § 7, 18 StVG, § 823 BGB, § 115 VVG.
Subjektbezogene Schadensbetrachtung
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Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, ob der stationäre Aufenthalt tatsächlich medizinisch indiziert gewesen ist. Denn der Geschädigte hat sich unfallbedingt in die Hände von Fachleuten begeben und ist in dieser besonderen Situation dem Rat dieser Fachleute gefolgt. Unstreitig hat der behandelnde Arzt die stationäre Aufnahme zur Beobachtung wegen des Verdachts einer Gehirnerschütterung empfohlen. Der Geschädigte ist wohl kaum in der Lage zu beurteilen, ob die Bewertung des Arztes zutreffend ist oder nicht. Es liegt ein der subjektbezogenen Schadensbetrachtung vergleichbarer Fall vor.
14
Auszugehen ist dabei von folgenden Grundsätzen: Wenn der Geschädigte die Schadensbehebung selbst in die Hand nimmt, was im Fall einer Gesundheitsverletzung ohne Alternative ist, ist der erforderliche Aufwand im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nach der besonderen Situation zu bemessen, in welcher sich der Geschädigte befindet. Der erforderliche Aufwand wird daher nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Behandlung heranziehen muss (vgl. BGH, VersR 1975, 184, 185 für KFZ-Reparatur).
15
Für die Instandsetzung seines PKWs gebietet dieses Wirtschaftlichkeitsgebot dem Geschädigten mithin nur, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner individuellen Lage, d. h. angesichts seiner Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie unter Berücksichtigung etwaiger gerade für ihn bestehender Schwierigkeiten, als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung; BGH, Urteil vom 15.10.2013, VI ZR 471/12, Rdnr. 20 - nach juris zitiert). Die Restitution ist dabei nicht auf die kostengünstigste Wiederherstellung der beschädigten Sache beschränkt; der Geschädigte muss nicht zugunsten des Schädigers sparen (BGH, Urteil vom 15.10.2013, VI ZR 528/12, Rdnr. 18 - nach juris zitiert). Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und - wie geschehen - das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers.
16
Die Situation bei einer Körperverletzung des Geschädigten ist für diesen noch brisanter. Er wird regelmäßig die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen noch weniger beurteilen können, als bei Reparaturen. Gleichzeitig darf er im Hinblick auf die Schadensminderungspflicht und damit die Frage der Wirtschaftlichkeit noch stärker auf die Empfehlungen der öffentlich rechtlich organisierten Gesundheitsfürsorge vertrauen, als er das bei der privatwirtschaftlich veranlassten KFZ-Reparatur tun darf.
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Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für rechts- und sachwidriges Verhalten des Krankenhauses abzunehmen. Dem Schädiger entsteht dadurch auch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen das Krankenhaus verlangen kann. Insofern hat er die gleiche Rechtsstellung, als wenn er die Behandlung gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst in Auftrag gegeben hätte.
18
Es sei angemerkt, dass umgekehrt ein Verstoß des Geschädigten gegen die Schadensminderungspflicht vorgelegen hätte, wenn er entgegen ärztlichem Rat sich nicht hätte stationär beobachten lassen. Wäre er nach Hause gefahren und in Folge der fehlenden Überwachung und fehlenden schnellen Reaktionsmöglichkeit eine Schadenserweiterung eingetreten, so hätte die Beklagte die Erstattung der damit verbundenen Mehrkosten zu Recht als selbstverschuldet zurückgewiesen.
Veranlassung wegen Hypoglykämie
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Auch wenn die Vermutung der Beklagten zutreffend sein sollte, dass Anlass für die stationäre Überwachung gewesen sei, dass der Geschädigte hypoglykämisch war, änderte dies nichts daran, dass dies auf dem Unfallereignis beruhte. Wer einen gesundheitlich vorgeschädigten Menschen verletzt, kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als ob er einen Gesunden verletzt hätte.
Verdacht auf Gehirnerschütterung
20
Das Gericht ist darüber hinaus auch davon überzeugt, dass die stationäre Überwachung wegen des Verdachts einer Gehirnerschütterung medizinisch indiziert war.
21
Es ist dem Gericht aus zahlreichen Verfahren bekannt, welche Diagnosen und Verdachtsdiagnosen nach Verkehrsunfällen in Zusammenhang mit welchen Umständen gestellt werden, Sowohl der Diagnose HWS-Distorsion als auch der Diagnose Verdacht auf Commotio cerebri liegen dabei ausschließlich die Schilderungen von Schmerzen und Beeinträchtigungen des Geschädigten zugrunde und nicht objektive Feststellungen. Wären die neurologischen Befunde nicht regelhaft gewesen, wäre eine Commotio cerebri und nicht der Verdacht derselben diagnostiziert worden. Die vom Geschädigten geschilderten Beschwerden gingen in dem konkreten Fall über die üblichen mit einer HWS-Distorsion verbundenen Beschwerden hinaus, denn es wurde Zittrigkeit und Schwindel geschildert, die bei vielen HWS-Distorsionen gerade nicht auftreten. Außerdem blieb zunächst eine Bewusstlosigkeit fraglich, konnte also nicht ausgeschlossen werden. (Anlage K3) Auch im Rahmen der weiteren Behandlung blieb insoweit ein „kurzes Schwarzwerden vor den Augen“ (Anlage K4). Die Aufstellung der Verdachtsdiagnose einer Gehirnerschütterung ist deswegen nicht zu beanstanden. Dafür bedurfte es wegen der sachkundigen Erfahrung des Gerichts auch nicht einer sachverständigen Beratung, zumal es im Hinblick auf die vorrangig zu berücksichtigende subjektbezogene Schadensbetrachtung im Ergebnis auch nicht darauf ankam.
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Die Beklagte war also antragsgemäß zu verurteilen.
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Die Verurteilung wegen der Zinsen beruht auf § 280, 286, 288 BGB.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708, 711 ZPO.