Titel:
Abschiebungshaft: Antrag auf Haftverlängerung
Normenketten:
FamFG § 417 Abs. 2, § 420, § 425 Abs. 3
AufenthG § 60, § 62 Abs. 3
Leitsatz:
Der Antrag auf Verlängerung von Abschiebungshaft bedarf der Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer; diese Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen (so auch BGH BeckRS 2012, 14814). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebungshaft, Pakistan, Sammel-Charter, Hepatitis-B-Erkrankung, medizinische Begleitung, Haftverlängerung, Haftantrag
Rechtsmittelinstanzen:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 11.09.2020 – 33 T 1532/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.08.2022 – XIII ZB 79/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 04.04.2023 – XIII ZB 79/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60626
Tenor
1. Gegen den Betroffenen wird die mit Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 30.01.2020 angeordnete Sicherungshaft verlängert.
2. Die Haft endet nunmehr spätestens mit Ablauf des 19.04.2020.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
Gründe
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Gegen den Betroffenen wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 30.01.2020, Az. 9 XIV 26/20 Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet bis längstens 27.03.2020. Bezüglich des Sachverhalts, der zunächst notwendig erscheinenden Haftdauer, der Haftgründe, der Verhältnismäßigkeit der Haft etc. wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf diesen Beschluss (Bl. 15/20 d.A.) sowie den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ergangenen Beschluss des Landgerichts Landshut vom 04.02.2020 (Bl. 22/30 d.A.) Bezug genommen Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte am 12.03.2020 gegen d. Betroff. gemäß §§ 62 III, 60 AufenthG, 420, 425 III FamFG, die Verlängerung der Abschiebehaft bis zur vollzogenen Abschiebung, längstens jedoch bis zum 19.04.2020 anzuordnen. Hinsichtlich der weiteren Haftdauer wird auf den Verlängerungsantrag verwiesen.
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Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde dem Betroffenen gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.
3
Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist dem Betroffenen vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist dem Betroffenen überlassen worden. Der Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den der Betroffene vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte er bereits aufgrund des Erstbeschlusses des AG Erding Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.
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Bei der mündlichen Anhörung am heutigen Tag erklärte der Betroffene, dass er Einwände habe.
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Im übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.
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1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.
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Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH v. 15.9.2011, Az V ZB 123/11; v. 10.5.2012, Az V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt - wie hier erfolgt - Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, §§ 425 III, 417 II 2 Nr. 3-5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche Erwägungen die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 II FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).
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Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.
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Insbesondere hat die Ausländerbehörde auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Verlängerung der Sicherungshaft erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az V ZB 171/12).
Sie trägt hierzu plausibel vor:
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Die Rücküberstellung aus Frankreich erfolgte am 30.01.2020 und die Anordnung der Abschiebehaft wurde vom AG Erding angeordnet. Der Schubauftrag wurde am selben Tag vom Landratsamt M. - Ausländerbehörde beim LfAR gestellt und dort der Task Force zugeleitet, die für die Bearbeitung von Abschiebungen, bei denen die größtmögliche Beschleunigung geboten ist, zuständig ist. Am 05.02.2020 teilte die Task Force des LfAR dem Landratsamt M. mit, dass nach Rücksprache mit den Sachgebieten „Passbeschaffung“ und „Abschiebungen“ eine Berücksichtigung für die Rückführungsmaßnahme im März 2020 nicht mehr möglich ist, aber dass Herr M. für die 16 KW 2020 eingeplant wird. Die Anmeldung für die Rückführungsmaßnahmen erfolgen über die Bundespolizei, die dann dem LfAR die genauen Flugdaten mit Datum, Uhrzeit, Flugnummer und Zielflughafen dem LfAR bekannt gibt. Erst wenn diese Daten dem LfAR vorliegen, kann seitens des Sachgebietes „Passbeschaffung“ an die pakistanischen Behörden zur Beschaffung eines Passersatzpapieres herangetreten werden. Die pakistanischen Behörden geben für die Ausstellung eines Passersatzpapieres eine Vorlaufzeit von mindestens fünf Wochen an. Voraussetzung ist hierfür, dass die entsprechende Person als pakistanischer Staatsbürger identifiziert wurde. lm Fall von Herrn M. wurde die Identifizierung von den pakistanischen Behörden bestätigt, die Ausstellung des Heimreisescheines kann erfolgen und eine Abschiebung ist möglich.
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Die Abschiebung von pakistanischen Staatsangehörigen erfolgt nicht mit Einzelabschiebungen, sondern mittels Sammelcharter. Für die Anmeldung sind seitens des LfAR Anmeldefristen gegenüber der Bundespolizei einzuhalten. Hierbei wird bei der Bearbeitung das rechtsstaatlich garantierte Beschleunigungsgebot für Haft- und Gewahrsamsfälle in Abwägung mit den Vorteilen einer Sammelabschiebung berücksichtigt. So ist bei Sammelabschiebungen u.a. eine standardmäßige Sicherheitsbegleitung, sowie eine medizinische Beteiligung der Abschiebung sichergestellt. Bei Herrn M. liegt eine Erkrankung mit Hepatitis B vor, daher ist die medizinische Begleitung eines Sammelcharters einer Einzelabschiebung in diesem Fall vorzuziehen. Eine Bestätigung über die Reise- und Flugfähigkeit von der Amtsärztin Frau Dr. G. vom 09.04.2019 liegt vor. Durch die Rücküberstellung aus Frankreich mit dem Flugzeug am 30.01.2020 ist davon auszugehen, dass die amtsärztlich bescheinigte Reise- und Flugfähigkeit weiterhin gegeben ist. Eine Überprüfung der Reise- und Flugfähigkeit wird von uns kurz vor der Maßnahme erneut angeordnet werden.
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Die Dauer der angeordneten Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Abschiebung nach Pakistan notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Abschiebung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.
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Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, den Betroffenen unverzüglich abzuschieben, vgl. auch § 62 I 2 AufenthG.
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Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt vor / war wegen des geringen Strafverfolgungsinteresses nicht erforderlich, § 72 IV AufenthG.
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2. Der Betroffene ist vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im übrigen, insbesondere bezüglich der Haftgründe und der Frage der Verhältnismäßigkeit vollumfänglich auf den Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 30.01.2020, Az. 9 XIV 26/20 (Bl. 15/20 d.A.) und den Beschluss des Landgerichts Landshut vom 04.02.2020 (Bl. 22/30 d.A.) im Beschwerdeverfahren Bezug genommen.
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Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.
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3. Im Übrigen liegen Abschiebungshindernisse nicht vor. Ob die Abschiebung nach Pakistan zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az V ZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen - mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH aaO) - zu entscheiden.
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Umstände, die einer Durchführung der Abschiebung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen, die d. Betroff. nicht zu vertreten hat, entgegenstehen, sind nicht erkennbar (§ 62 Abs. 3 S. 4 AufenthG).
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4. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist - angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten - die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.
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Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421, 425 III FamFG.
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Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.