Titel:
Verrichtungsgehilfen, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Prozeßbevollmächtigter, Unterbevollmächtigter, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Annahmeverzug, Streitwert, Sittenwidrige Schädigung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Zug-um-Zug, Sachverständigengutachten, Bestandskräftiger Bescheid, Unerlaubte Handlung, Besondere Verwerflichkeit, Nebenbestimmung
Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Sachliche Zuständigkeit, Örtliche Zuständigkeit, Rückzahlungsanspruch, Verjährung, Sittenwidrige Schädigung, Schadensersatzanspruch
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 02.03.2021 – 3 U 220/20
OLG Bamberg, Beschluss vom 23.04.2021 – 3 U 220/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.09.2022 – VII ZR 471/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60605
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 60.690,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund des Kaufs eines Pkw wegen klägerseitig behaupteter Manipulation des Abgassystems des Pkws.
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Der Kläger bestellte am 11.09.2015 bei der Niederlassung der Beklagten in Mainfranken das Fahrzeug Mercedes – Benz GLE 350 d 4 Matic, FIN: …48 als Vorführ/Geschäftsfahrzeug zu einem Kaufpreis in Höhe von 60.690,00 €. Das Fahrzeug wurde am 13.05.2016 an den Kläger mit einem Kilometerstand in Höhe von 8.327 km übergeben.
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Das Fahrzeug erfüllt laut Papieren die Euro-6 Norm. Es ist mit einem Diesel-Motor OM 642 ausgestattet. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und auch des Motors.
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Das Kraftfahrt – Bundesamt (KBA) erließ mit nicht bestandskräftigem Bescheid gegenüber der Beklagten nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung und ordnete den Rückruf für das vorgenannte Modell an. Die Beklagte hat gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt.
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Im Fahrzeug ist eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung verbaut.
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Die Klägerpartei behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei, die u.a. dazu führe, dass das Abgasrückführungssystem am Beginn der Warmlaufphase und/oder bei tiefen Außentemperaturen abschalte. Ferner führe diese Abschalteinrichtung dazu, dass das Abgasrückführungssystem ab einer bestimmten Drehzahl reduziere oder in Gänze abschalte. Der Kläger hätte bei Kenntnis hiervon das Fahrzeug nicht gekauft, da die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten werden und somit das Risiko des Entzugs der Betriebserlaubnis bestehe. Auch sei eine Software verbaut, die erkenne wann sich das Fahrzeug auf dem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befinde und wann nicht. Die Beklagte habe Kenntnis vom Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabt.
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Der Kläger ist der Ansicht er sei in vorsätzlicher und sittenwidriger Weise von der Beklagten geschädigt worden, auch stünde ihm ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB sowie weitere deliktische Ansprüche aufgrund des Sachverhalts zu.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Mercedes Benz GLE 350 d 4MATIC, Fahrgestellnummer …48, an den Kläger 60.690,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.10.2019 zu bezahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte trägt vor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine wirksame EGTypgenehmigung verfüge und es uneingeschränkt genutzt werden könne. Es bestehe kein Risiko, dass die Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug entzogen werde. Selbst in den Fällen, in denen das KBA Rückrufe gegen die Fahrzeuge der Beklagten angeordnet habe, gehe es ausschließlich um Nebenbestimmungen zu fortbestehenden Verwaltungsakten. Ein Schaden sei schon aus diesem Grund nicht ersichtlich. Der Kläger haben zudem nicht substantiiert dargelegt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen aktiv seien.
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In dem Fahrzeug des Klägers werde zudem keine Programmierung, insbesondere keine „Manipulationssoftware“ verwendet, die – manipulativ – so gestaltet worden wäre, dass auf der Straße unter „normalen Betriebsbedingungen“ im Sinne von Art.5 Abs. 1 bzw. Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) Nr.715/2007 ein anderes Emissionsverhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde, als auf dem Prüfstand.
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Die Ausführungen des Klägers zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug vermögen eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht zu begründen. Der Gesetzgeber sei ersichtlich davon ausgegangen, dass Emissionskontrollsysteme generell nicht mit gleicher Wirksamkeit bei allen Temperaturen funktionieren können. In Fachkreisen und demgemäß auch bei den Genehmigungsbehörden sei es anerkannt, dass es notwendig sei, die Abgasrückführung unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen zu steuern, um eine hinreichende Reduzierung sämtlicher relevanter Emissionen zu erzielen, Schäden am Motor und Abgassystem zu vermeiden und den sicheren Betrieb des Systems zu gewährleisten. Insoweit seien Prognosen und Einschätzungen erforderlich, die ex post nur einer eingeschränkten tatsächlichen Überprüfung zugänglich seien. Zu diesem Zweck seien selbst Abschalteinrichtungen ausdrücklich zulässig (siehe Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit.a) VO (EG) Nr. 715/2007). Das AGR-System im streitgegenständlichen Fahrzeug sei selbst bei zweistelligen Minusgraden noch aktiv. Das Verständnis, dass es sich bei einem „Thermofenster“ um eine zulässige Funktion handele sei auf Grundlage von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 zumindest vertretbar und nach Ansicht der Beklagten ohnehin zutreffend.
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Hinsichtlich sämtlicher Ansprüche des Klägers erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.
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Ergänzend wird zu den Einzelheiten des weiteren Sachvortrags sowie insbesondere den vertretenen Rechtsauffassungen der Parteien und den diesbezüglich ausgetauschten Argumenten auf die zur Akte genommenen Schriftsätze nebst den zugehörigen Anlagen Bezug genommen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 08.06.2020 ist mit der für die Prozessbevollmächtigten der Klägerseite erschienenen Unterbevollmächtigten und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagtenseite die Sach- und Rechtslage erörtert worden; zum Verlauf und Inhalt der mündlichen Verhandlung wird auf die entsprechende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Klage ist zulässig.
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Sie wurde insbesondere vor dem sachlich wie auch örtlich zuständigen Gericht erhoben. Die sachliche Zuständigkeit folgt § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 32 ZPO.
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Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Der Klägerpartei steht gegenüber der Beklagten aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu.
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1. Ein kaufrechtlicher Rückzahlungsanspruch aus §§ 346 Abs. 1, 323, 437 Nr. 2, 434, 433 BGB besteht nicht.
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Unabhängig davon, dass der Kläger seine Ansprüche nicht auf diese Rechtsgrundlage stützt und ausdrücklich einen Rücktritt vom Vertrag nicht erklärt hat, wäre ein solcher Rücktritt aufgrund eingetretener Verjährung der Gewährleistungsansprüche unwirksam, §§ 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB
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2. Auch ein Anspruch aufgrund vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB ist nicht gegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz in beantragter Höhe aus § 826 BGB.
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Die Klägerseite ist insoweit für sämtliche Tatbestandsmerkmale darlegungs- und beweisbelastet (Palandt/Sprau § 826 Rn. 18).
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a) Hinsichtlich der „Umschaltlogik“ in der Prüfstandsituation als etwaigen Anknüpfungspunkt für eine Täuschungshandlung hat die Klägerseite lediglich -angelehnt an andere AutomobilHerstellerVermutungen „ins Blaue hinein“ aufgestellt, dass eine solche vorliegt. Die Beklagte hat dies bestritten. Die Klägerseite hat in keinster Weise darlegt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Vorhandensein einer solchen „Umschaltlogik“ besteht, diese war bislang insbesondere -anders als bei anderen Herstellern auch nicht Thema in der medialen Berichterstattung. Ein Sachverständigengutachten war deshalb, da es bereits an berücksichtigungsfähigem substantiiertem Vortrag fehlt, nicht einzuholen. Eine Täuschung ist deshalb diesbezüglich nicht nachgewiesen.
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b) Der Kläger hat zudem bereits nicht substantiiert vorgetragen, dass die Repräsentanten der Daimler AG von der behaupteten Abschalteinrichtung Kenntnis hatten. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass sich die Ermittlungen des Kraftfahrzeugbundesamtes nur auf wenige Fahrzeugtypen beziehen und eben gerade nicht wie bei anderen Herstellern eine Vielzahl von Fahrzeugtypen betroffen ist, so dass hieraus nicht auf ein etabliertes System im Unternehmen geschlossen werden kann.
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c) Auch ist nicht feststellbar, dass die Beklagte sittenwidrig gehandelt hat.
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Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung ein Verhalten, dass nach Inhalt oder Gesamtcharakter durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden verstößt. Das Verhalten darf also mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar sein (BGH NJW 2017, 250). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflicht oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als anständig geltenden eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln der zutage tretende Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH NJW 2014, 1098, 1380; BGH NJW-RR 2013, 550). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes kann im vorliegenden Fall ein sittenwidriges Handeln nicht erkannt werden.
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Die Beklagtenseite beruft sich auf eine Zulässigkeit des streitgegenständlichen Systems der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Es ist nicht nachgewiesen, dass die Beklagte davon ausging, dass es sich bei dem System der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt oder sie vor dieser Erkenntnis „blind“ die Augen verschlossen hat und deshalb es unterlassen hat über das System aufzuklären. Vielmehr ist es so, dass die Beklagte davon ausging, dass ein solches System nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 erlaubt ist. Diese Annahme und Auslegung des EU-Rechts ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht unvertretbar. Eine zumindest vertretbare Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten gewertet werden. Erforderlich wäre hier zumindest, dass das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung derart offenkundig ist, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erscheint und deshalb Beweggrund und Zweck des Einbaus einer solchen Funktion eine besonders verwerfliche Gesinnung offenbaren. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn zumindest vertretbar ist, dass es sich bei dem vorliegenden System um eine zulässige Abschalteinrichtung handelt (LG Stuttgart, Urteil vom 23. Mai 2019 – 9 O 341/18 –, juris).
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Hinzu kommt zudem, dass vorliegend keine zielgerichtete Verschleierung der Abgaswerte im Prüfstandslauf zur Erlangung einer EG-Typengenehmigung durch Einsatz einer „Umschaltlogik“ erfolgte, sondern lediglich die Abgasrückführung bei niedrigeren Außentemperaturen reduziert wurde (vgl. auch LG Heidelberg, Urteil vom 17. Mai 2019 – 4 O 60/19 –, juris).
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3. Auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV kommt nicht in Betracht.
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Bei den vorstehend genannten Normen handelt es sich um keine Schutzgesetze, in dessen per sönlichen Anwendungsbereich die Klägerpartei als Käufer zur Abwehr von Vermögenseinbußen fallen würde. Vielmehr handelt es sich um Normen mit gesamtgesellschaftlichen Zielen, nämlich der Weiterentwicklung des Binnenmarktes durch Harmonisierung der technischen Vorschriften sowie der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus.
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4. Auch steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu.
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a) Eine Täuschung hinsichtlich eines Umschaltsystems ist nicht nachgewiesen (vgl. Oben).
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b) Hinsichtlich des „Thermofensters“ fehlt es -unabhängig davon, ob das „Thermofenster“ zulässig ist oder nichtjedenfalls an einem Täuschungsvorsatz der Beklagten. Die Beklagte ging von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ aus (vgl. oben).
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5. Auch besteht kein Anspruch der Klagepartei aus § 831 BGB.
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Unerlaubte Handlungen eines /mehrerer Verrichtungsgehilfen gegenüber der Klägerpartei sind nicht ausreichend dargelegt. Eine konkrete Täuschungshandlung eines Verrichtungsgehilfen gegenüber der Klägerpartei ist bereits nicht konkret vorgetragen. Auch ist eine sittenwidrige Schädigung durch einen Verrichtungsgehilfen nicht ausreichend dargelegt.
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Nachdem die Klägerpartei mit ihrem Antrag zu 1 keinen Erfolg hatte, lag auch kein Annahmeverzug der Beklagten vor, so dass auch der Antrag zu 2 abzuweisen war. B.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 S.1, S. 2 ZPO.