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SG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 27.08.2020 – S 3 R 317/20
Titel:

Vaterschaft, Witwenrente, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Ehe, Gerichtsbescheid, Wartezeit, Anerkennung, Witwerrente, Widerspruch, Versicherung, Anspruch, Frist, Leistung, elterliche Sorge, beglaubigte Abschrift, eingetragene Lebenspartnerschaft

Schlagworte:
Vaterschaft, Witwenrente, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Ehe, Gerichtsbescheid, Wartezeit, Anerkennung, Witwerrente, Widerspruch, Versicherung, Anspruch, Frist, Leistung, elterliche Sorge, beglaubigte Abschrift, eingetragene Lebenspartnerschaft
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 26.01.2022 – L 19 R 469/20
BSG Kassel, Beschluss vom 05.08.2022 – B 5 R 46/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60594

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Witwerrente aus der Versicherung der 2019 verstorbenen C.S.
2
Laut Sterbeurkunde des Standesamtes W. vom 08.11.2019 ist Frau C.S. am ... 2019 verstorben. Als Familienstand gibt die Sterbeurkunde an: Ledig.
3
Obwohl der Kläger und die Verstorbene nicht eine bürgerlich-rechtliche Ehe vor dem Standesamt geschlossen haben, haben sie in einer jahrelangen Lebensbeziehung gelebt, die dem Bild einer Ehe entsprochen hat.
4
Insbesondere sind aus der Beziehung drei Kinder hervorgegangen.
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1988 wurde E.S. geboren. Der Kläger hat am 19.02.1988 die Vaterschaft anerkannt. Die Verstorbene hat der Anerkennung der Vaterschaft zugestimmt (vgl. beglaubigte Abschrift der Urkunde des Amtsgerichts N., Blatt 12 Beklagtenakte). Außerdem hat der Kläger sich vor dem Amtsgericht N. am 10.06.1988 zur Leistung des Regelunterhaltes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres verpflichtet. Am 10.07.2002 haben Kläger und Verstorbene vor dem Landratsamt B. erklärt die elterliche Sorge für E.S. gemeinsam ausüben zu wollen.
6
1989 wurde P.S. geboren. Auch für ihn hat der Kläger die Vaterschaft anerkannt und sich zur Leistung des Unterhaltes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres verpflichtet (vgl. Blatt 16 Beklagtenakte, Erklärung vom 22.12.1989). Am 10.07.2002 haben der Kläger und die Verstorbene erklärt, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben zu wollen.
7
1993 wurde M.S. geboren. Auch für sie hat der Kläger die Vaterschaft anerkannt (vgl. beglaubigte Abschrift der Urkunde vom 23.02.1994 des Amtsgerichts B., Blatt 18 Beklagtenakte). Am 10.07.2002 haben der Kläger und die Verstorbene erklärt, die elterliche Sorge für M.S. gemeinsam ausüben zu wollen.
8
Am 13.01.2020 hat der Kläger Antrag auf Witwerrente gestellt. Diesen Antrag hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 27.01.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat die Beklagte im Wesentlichen ausgeführt, dass für die Gewährung einer Witwerrente unter anderem zum Zeitpunkt des Todes eine rechtsgültige Ehe bestanden haben müsse. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt.
9
Den mit Schreiben vom 31.01.2020 eingelegten und mit dem Schreiben vom 02.04.2020 begründeten Widerspruch hat die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 08.05.2020 zurückgewiesen. Auch hier hat die Beklagte ausgeführt, dass die frühere Lebensgefährtin und der Kläger zu keinem Zeitpunkt rechtsgültig verheiratet gewesen seien. Bei eheähnlichen Gemeinschaften bestehe keine gültige Ehe. Der Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft sei daher nach dem Tod der Versicherten kein Witwer und habe keinen Anspruch auf Witwerrente; verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf die Urteile des BSG vom 04.03.1982 und vom 30.03.1994).
10
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage vom 12.06.2020. Mit der umfangreichen Klagebegründung vom 16.07.2020 hat die Bevollmächtigte der Klägerin ausgeführt, dass der Kläger mit seiner verstorbenen Lebensgefährtin zwar nicht offiziell eine Ehe vor dem Standesamt geschlossen habe, dennoch habe er faktisch eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1353 BGB geführt. Diese sei auch auf Lebenszeit geschlossen gewesen. Die Ehegatten trugen auch füreinander entsprechende Verantwortung. So seien insbesondere gemeinsame Kinder aufgezogen worden. Die Lebensgefährtin erfülle auch die allgemeine Wartezeit nach § 50 Abs. 1 und § 51 SGB VI.
11
Der Kläger sei als Witwer einzustufen. Es lägen insbesondere auch die Voraussetzungen der Analogie vor. Es liege eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzgebers vor. Der Gesetzgeber habe bei der Abfassung des § 46 SGB VI nicht berücksichtigt, dass im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung vielfältige Möglichkeiten des Zusammenlebens von Personen sich ergeben könnten. So habe der Gesetzgeber planwidrig nicht berücksichtigt, dass es Formen der faktischen ehelichen Lebensgemeinschaft gebe, die in allen Pflichten unter Rechten mit der sonstigen „klassischen“ ehelichen Lebensgemeinschaft übereinstimmen, bis auf den Punkt, dass die Ehe nicht vor dem Standesamt geschlossen worden sei.
12
Eine Vergleichbarkeit der Interessen und Wertungslage sei gegeben. Für die Gleichstellung würden insbesondere auch verfassungsrechtliche Aspekte sprechen. Der allgemeine Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz sei verletzt, wenn die faktische Ehegemeinschaft nicht der klassischen Ehe, die vor dem Standesamt geschlossen werde, gleichgestellt werde.
13
Einen sachlichen Differenzierungsgrund für die unterschiedliche Behandlung gebe es insoweit nicht. Der Gesetzgeber hätte deshalb auch die faktische Ehegemeinschaft in § 46 SGB VI ausdrücklich erwähnen müssen beziehungsweise eine entsprechende Härtefallregelung treffen müssen. Auch ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit liege vor.
14
Insgesamt lasse sich sagen, dass das System der Witwenrente schon vor dem Ableben aller Beteiligten traditionelle Lebensformen zementiere und zur strukturellen Benachteiligung jahrzehntelanger Beziehungen führe. Als heterosexuelles Paar hätten der Kläger und seine Lebensgefährtin nicht die Möglichkeit gehabt eine eingetragene Lebenspartnerschaft als freie Alternative zu wählen. Auch habe keine Möglichkeit bestanden, sich durch Ersparnisse abzusichern. Die Beteiligten konnten, da sie steuerrechtlich stets als ledig behandelt worden seien, nicht vom Ehegatten profitieren.
15
Auch habe Frau C.S. in allen Belangen als alleinerziehend gegolten. Auch dies habe die Familie wirtschaftlich belastet.
16
Zumindest dann, wenn auch Kinder erzogen und betreut worden seien, seien unverheiratete Familien vollumfänglich gleichzustellen.
17
Die Bevollmächtigte hat folgenden Klageantrag gestellt:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 10.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2020 wird aufgehoben und dem Kläger wird Witwerrente ab 13.01.2020 zugesprochen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
18
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 18.06.2020 beantragt,
die Klage abzuweisen.
19
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 21.07.2020 auf die Absicht hingewiesen durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und Frist für die Abgabe einer Stellungnahme gewährt bis 21.08.2020.
20
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die von den Beteiligten im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

21
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet. Der Kläger ist nicht Witwer im Sinne von § 46 Abs. 2 SGB VI.
22
Gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie
1. ein eigenes Kind oder ein Kind des verstorbenen versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2. das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3. erwerbsgemindert sind.
23
Nach Abs. 4 des § 46 gelten für einen Anspruch auf Witwenrente als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe auch eine überlebende Lebenspartnerin und als Ehegatte auch ein Lebenspartner.
24
Der Begriff des Witwers setzt voraus, dass mit der versicherten Person bis zu deren Tod eine rechtsgültige Ehe bzw. Lebenspartnerschaft bestanden hat. Ob im Zeitpunkt des Todes der versicherten Person eine rechtswirksame Ehe oder Lebenspartnerschaft bestanden hat, ist nach deutschem Familien- und Personenstandsrecht zu beurteilen. Das Sozialversicherungsrecht bietet insoweit keinen Ansatzpunkt für eine eigenständige Ausgestaltung. Soweit es familienrechtliche Begriffe ohne nähere Umschreibung verwendet oder an Tatbestände dieses Rechtsgebietes anknüpft, folgt es dem bürgerlichen Recht (vgl. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 07.09.2016 Az. L 6 R 695/14). Eine Ehe nach bürgerlichem Recht ist nicht geschlossen worden.
25
Eine von zwei Personen gleichen Geschlechts wirksam begründete Lebenspartnerschaft im Sinne des am 01.08.2001 in Kraft getretenen Gesetzes über die eingetragene Lebenspartnerschaft stand hinterbliebenenrentenrechtlich nach der zum 31.12.2004 geltenden Rechtslage einer Ehe nicht gleich. Der persönliche Geltungs- und Anwendungsbereich des Rechts der Renten wegen Todes beschränkte sich auf Witwer, Witwen, Waisen, Halbwaisen und sog. geschiedene Ehegatten. Die Anwendung des Hinterbliebenenrechts auf eingetragene Lebenspartner war ausgeschlossen (BSG-Urteil vom 29.01.2004 - B 4 RA 29/03 R). Für eine erweiternde Auslegung der Begriff Witwe, Witwer und Ehegatte zur Erfassung des eingetragenen Lebenspartners war kein Raum, weil die Rechtsbegriffe „Ehegatte“ und „Lebenspartner“ sich ausschlossen (so BVerfGE 105, 313, 347).
26
Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15.12.2004 (BGBl. 2004 I S. 3396) mit Wirkung zum 01.01.2005 geändert. Nach § 46 Abs. 4 SGB VI gelten nunmehr als Witwe oder Witwer auch ein überlebender Lebenspartner (vgl. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 07.09.2016 Az. L 6 R 695/14).
27
Wenn § 46 SGB VI den überlebenden Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht einem Witwer gleichstellt, so ist darin keine planwidrige Regelungslücke zu sehen. Dies ergibt sich aus dem soeben dargestellten Zusammenhang. Sowohl im Jahre 2001 (Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft) als auch im Jahre 2004 (Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts) war dem Gesetzgeber das gesellschaftliche Phänomen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bekannt. Im Jahre 2004 wäre die Gelegenheit gewesen im Rahmen des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts auch die nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einzubeziehen. Der Gesetzgeber hat dies nicht getan. Es liegt keine planwidrige Regelungslücke vor.
28
Auch die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts stellt den Überlebenden einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht einem Witwer gleich (vgl. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10.02.2016 Az. L 6 R 74/14, nachgehend BSG Beschluss vom 13.06.2016 Az. B 13 R 87/16 B, unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.11.2010 Az. 1 BvR 1883/10 (Billigung des vollständigen Ausschlusses nichtehelicher Partner von der Hinterbliebenenrente); Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 07.09.2016 Az. L 6 R 695/14 nachgehend Beschluss des Bundessozialgerichts vom 01.02.2017 Az. B 5 R 312/16 B, nicht Annahmebeschluss hinsichtlich der Revision).
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.