Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 14.07.2020 – 4 O 219/20
Titel:

Fahrzeug, Bescheid, Annahmeverzug, Ersatzpflicht, Software, Vertragsschluss, Sittenwidrigkeit, Herausgabe, Zwangsvollstreckung, Kaufpreis, Unterlassung, Haftung, Pflichtverletzung, Kenntnis, Zug um Zug, Anspruch auf Feststellung, Zug um Zug Leistung

Schlagworte:
Fahrzeug, Bescheid, Annahmeverzug, Ersatzpflicht, Software, Vertragsschluss, Sittenwidrigkeit, Herausgabe, Zwangsvollstreckung, Kaufpreis, Unterlassung, Haftung, Pflichtverletzung, Kenntnis, Zug um Zug, Anspruch auf Feststellung, Zug um Zug Leistung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60156

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 76.526,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 31.01.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q7 3,0 I TDI quattro, FIN …
2. im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 9 % und die Beklagte 91 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckber, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 84.157,59 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen dort angeblich verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend.
2
Die Klagepartei erwarb von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Händler am 06.04.2017 (Anlage K1) den streitgegenständlichen Pkw Audi Q 7 3.0 TDI quattro, der mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3.0 Liter V6-Turbodieselmotor ausgestattet ist, als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 84.157,59 €. In der Folgezeit wurde der Kaufpreis vom Kläger überwiesen und das Fahrzeug an ihn übergeben. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 27.204 km. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse Euro 6 plus ausgestellt.
3
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes über einen SCR-Katalysator, der mit AdBlue betrieben wird.
4
Um den Ausstoß von Stickoxid zu optimieren, wird bei dem Fahrzeug zudem im Wege der sog. Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs zurückgefahren (sog. Thermofenster).
5
Das Kraftfahrtbundesamt hat bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs einen Rückruf angeordnet (23 × 6).
6
Mit Schreiben aus September 2019 (Anlage K5) hat die Beklagte die Tochter des Klägers - auf diese ist das Fahrzeug zugelassen - darüber informiert, dass aufgrund eines angeordneten Rückrufs des Kraftfahrtbundesamts (23 × 6) ein Software-Update am Motorsteuergerät des Fahrzeugs vorgenommen werden muss. Die Maßnahme wurde in der Folgezeit durchgeführt.
7
Die Beklagte hat dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zudem mit Schreiben vom 07.12.2019 (Anlage K9) mitgeteilt, dass das Fahrzeug einen angeordneten Rückruf erhält.
8
Die Klagepartei trägt vor, dass in dem Fahrzeug eine Motorsteuergerätesoftware installiert sei, die erkenne, ob das Fahrzeug einen Prüfzyklus durchlaufe oder sich im Realbetrieb befinde (Fahrzykluserkennung). So würde auf dem Prüfstand der Stickoxidausstoß unter das gesetzlich zulässige Maß verringert Die Software enthalte eine Aufheizstralegie (sog. schnelle Motoraufwärmfunktion), die dazu führe, dass Abgase beim Durchfahren des Prüfzyklus zurückgeführt würden, bevor sie überhaupt das Emisslonskontrollsystem erreichten, wodurch deutsch niedrigere Werte auf dem Prüfstand erzielt würden. Die Aufheizstrategie arbeite aufgrund der extrem eng bedateten „Schaltbedingungen“ faktisch nur unter den Bedingungen des NEFZ, während sie im Normalbetrieb abgeschaltet bleibe. Neben der Aufheizstrategie bestehe ein Softwarealgorithmus, der im Fall des Prüfstands einen höheren NH3-Füllstand im SCR-Katalysator herberführe, was ebenfalls zu einer Absenkung der Stickoxidemissionen führe. Zudem würden beim Betrieb des SCR-Katalysators zwei unterschiedliche Betriebsarten zur Eindüsung von Reagens - Speicher- und Onlinebetrieb - verwendet. Im Realbetrieb werde gerade nicht sichergestellt, dass bei einem zu genngen Reagensstand und/oder einer Falschbefüllung zunächst eine Warnung und hiernach die Betriebsabschaltung erfolge. Vielmehr sei der Verbrauch des Harnstoffs im Realbetrieb so geregelt, dass immer weniger Harnstoff zugeführt werde, wenn dieser unter eine kritische Grenze sinke, so dass die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten würden. Im Prüfzyklus erfolge diese Reduktion des Reagens nicht Diesbezüglich seien auch die Vorgaben für das On-Board-Diagnose-System nicht eingehalten worden. Schließlich stelle auch das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Ohne die Manipulationssoftware würde das Fahrzeug auf dem Prüfstand die erforderlichen Grenzwerte nicht einhalten und hätte folglich auch keine Typengenehmigung erhalten. Im Straßenbetrieb komme es dagegen zu wesentlich höheren Stickstoffoxidwerten. Die Betriebserlaubnis sowie die EG-Typengenehmigung seien kraft Gesetzes erloschen, so dass eine Nutzungsuntersagung hinsichtlich des Fahrzeugs drohe. Das Kraftfahrtbundesamt habe für das streitgegenstandliche Fahrzeug einen Rückruf gerade im Hinblick auf eine unzulässige Abschalteinrichtung angeordnet. Dies ergebe sich u.a. aus dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamts für Fahrzeuge des Typs Audi Q7, Typ 4L 3.0 I Diesel Euro 6, Anlage K 4 sowie der Pressemitteilung des Kraftfahrbundesamts vom 23.01.2018 (Anlage K6). Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handele es sich um das Modell 4L mit einem Motor des Typs EA897evo. Soweit das Kraftfahrtbundesamt in der Rückrufveröffentlichung für das streitgegenständliche Fahrzeug vom 16.08.2019 (Referenznummer 8168, Anlage K8) die Formulierung „Konformitätsabweichung“ gewählt habe, würde sich dahinter eine unzulässige Abschalteinrichtung verbergen. Zudem gebe es zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine weitere Rückrufveröffentlichung vom 11.12.2019 (Referenznummer 9550, Anlage K10). Hätte die Klagepartei Kenntnis von der Manipulationssoftware gehabt, hätte sie von dem Kauf Abstand genommen. Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten Kenntnis von den Manipulationen gehabt und diese gebilligt.
9
Der Kläger ist der Ansicht, dass in seinem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO-EG 715/2007 verbaut seien. Es liege eine sittenwidrige Schädigung vor, so dass die Beklagte nach § 826 BOB hafte. Darüber hinaus ergebe sich eine Haftung der Beklagten aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB.
10
Die Klagepartei beantragt
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 84.157,59 € nebst Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 06.04.2017 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q7 3,0 I TDI quattro, FIN …
2. Es wird festgestellt dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuge in Annahmeverzug befindet.
11
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
12
Die Beklagte erwidert, dass das Fahrzeug nicht über die bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 enthaltene Umschaltlogik verfüge, die dauerhaft zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem Betrieb auf der Straße unterscheide und die Abgasrückführung unter Prüfstandbedingungen optimiere. Das sog. Thermofenster sei zum Bautenschutz notwendig. Das System der Abgasrückführung könne bei kalten Temperaturen Schäden durch Ablsgerungen (sog. Versottung) erleiden. Daher werde die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren Dieses sog. Ausrampen sei bei Dieselmotoren aller Hersteller notwendig und üblich. Unzutreffend sei, dass es während des Durchfahrens des NEFZ zu einer Erhöhung der AdBlue-Einepritzung gegenüber dem realen Fahrbetrieb komme. Der AdBlue-Verbrauch hänge von der Fahrweise ab. Unzutreffend sei auch die Behauptung, die Stickoxidwerte würden nur für den Rollenprüfstand über eine höhere Abgasrückführungsquote gemindert. Das Kraftfahrtbundesemt habe hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs keinen Bescheid erlassen, welcher eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Gegenstand habe. Der Rückruf betreffe vielmehr ausschließlich die Erkennung der Befüllung des AdBlue-Tanks mit einem falschen Reagens. Im Hinblick darauf werde ein Software-Update der Motorsteuerungssoftware vorgenommen, damit das Fahrzeug besser erkenne, wenn es zu einer Falschbetankung des AdBlue-Tanks komme. Der Rückrufbescheid Anlage K4 betreffe lediglich Fahrzeuge des Typs Audi Q7 3.0 TDI 4L, sog. EU 6 Vorerfüller. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handele es sich aber insbesondere nicht um einen EU6 Vorerfüller. Auch handele es sich um das Modell Audi Q7 3.0 TDI 4M. Das Fahrzeug verfüge über einen Motor des Typs EA897. Unter dem Hersteller-Code 23 × 6 seien verschiedenste Maßnahmen zusammengefasst von denen längst nicht alle eine unzulässige Abschalteinrichtung betreffen worden. Das Fahrzeug sei jederzeit technisch sicher und gebrauchsfähig und verfüge wirksam über alle erforderlichen Genehmigungen, Insbesondere die Typengenehmigung.
13
Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Ein vorsätzliches, sittenwidriges Handeln ihrerseits liege fern. Weder eine unzulässige Abschalteinrichtung, noch ein Schädigungsvoreatz worden substantliert dargelegt.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das wechselseitige schriftsätzliche Vorbringen der Partelen nebst Anlagen Bezug genommen.
15
Das Gericht hat am 14.07.2020 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen (Bl. 110 f. d.A.).

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage Ist weitgehend begründet.
I.
17
Die Klage ist insgesamt zulässig, das gilt Insbesondere für den Feststellungsantrag Ziffer 2. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus dem Interesse an einer einfacheren Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Regelung der §§ 756, 765 ZPO.
II.
18
Die gegen die Beklagte gerichteten Anträge sind weitgehend begründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Rückzahlungsanspruch Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs abzüglich eines Nutzungsersatzes zu (1.). Ein Anspruch auf dellktische Zinsen nach § 849 BGB scheidet aus (2.). Der Feststellungsantrag Ziff. 2. ist dagegen unbegründet (3.).
19
1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verwendung einer manipulierenden Motorsoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug (ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 30 Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 O 470/18 -, juris Rn. 37 ff.; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 76 ff.).
20
Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich einen Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet So liegt der Fall hier.
21
a) Die schädigende Handlung der Beklagten liegt in dem arglistigen Inverkehrbringen das mangelhaften Fahrzeugs unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Abschalteinnchtung zur Beeinflussung der Emissionswerte auf dem Prüfstand (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 79 ff.).
22
In das Fahrzeug der Klagepartei war zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Auslieferung eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Der Entscheidung Ist zugrunde zu legen, dass bei dem streitgegensändlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung dahingehend verbaut ist, dass die schadstoffmindernde Aufheiztstrategie (sog. schnelle Motoraufwärmfunktion) nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringt, im realen Verkehr diese NOx-Schadstoffminderung aber unterbleibt.
23
aa) Die Klagepartei hat zu der Aufheizstrategie konkret und ausführlich ausgeführt (vgl. Bl. 4 und 6 d.A.). Der Kläger hat im Einzelnen dargelegt, dass die Motorsoftware eine Aufheizstrategie enthält, die dazu führt, dass Abgase beim Durchfahren des Prüfzyklus zurückgeführt werden, bevor sie überhaupt das Emissionskontrollsystem erreichen, wodurch deutlich niedrigere Werte auf dem Prüfstand erzielt werden. Die Aufheizstrategie arbeite aufgrund der extrem eng bedateten „Schaltbedingungen“ faktisch nur unter den Bedingungen des NEFZ, während sie im Normalbetrieb abgeschaltet bleibe. Zudem hat der Kläger die Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 23.01.2018 (Anlage K6) angeführt, in der u.a. für Fahrzeuge Audi 3.0 I Euro 6, Model Q7 angegeben wird, dass unzulässige Abschaltteinrichtungen dahingehend nachgewiesen wurden, dass die schadstoffmindernde, sog. schnelle Motoraufwärmfunktion nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringt, wohingegen diese NOx-Schadstoffminderung im realen Verkehr unterbleibt.
24
Im Gegensatz zu zahteichen anderen Fällen ist dieser Vortrag der Klagepartei im Hinblick auf die Aufheizstrategie auch hinreichend substantiiert und erfolgt nicht „ins Blaue hinein“. Unstreitig wurde für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Rückruf durch das Kraftfahrbundesamt angeordnet. Bestritten wird allerdings von der Beklagtenpartei, dass dieser Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt ist Unstreitig wiederum ist aber, dass für bestimmte Fahrzeuge des Typs Audi Q7 3.0 I Euro 6 - nach Angaben der Beldagtenpartel nur für sog. Vorerfüller des Models 4L - ein Rückruf wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen erfolgt ist (KBA-Referenznummer 9550, Anlage K10). Entsprechendes ergibt sich auch aus der Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 23.01.2018. Diesbezüglich hat die Klagepartei mit der Anlage K4 auch den Bescheid des Kraftfahrtbundesamts zur „Anordnung nachträglicher Nebenbestimmungen zu EG-Typengenehmigungen für Gesamtfahrzeuge Audi 07, Typ 4L jeweils 3.0 I Diesel Euro 6 (sog. Euro 6-Vorerfüller)“ vorgelegt. In diesem Bescheid wird unter anderem die Aufheizstrategie im Einzelnen dargelegt. Zu sehen ist auch, dass in den Zulassungsbescheinigungen Teil I und II des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Anlage K2) unter der Kategorie Typ gerade „4L“ angegeben ist Angesichts dieser Umstände spielt es für die Frage der hinreichenden Substantiierung keine Rolle, ob gerade im Hinblick auf das streitgegenständliche Fahrzeug ein Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Aufheizstrategie erfolgt ist Die Klagepartei hat in vorliegendem Einzelfall jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte dafür benannt, dass eine entsprechende Strategie in Ihrem Fahrzeug verbaut ist.
25
Vor diesem Hintergrund obliegt es der Beklagtanpartei, dass Vorliegen einer entsprechenden Aufheizstrategie hinreichend substantiiert zu bestreiten. Dies ist nicht erfolgt so dass das Vorliegen einer entsprechenden Aufheizstrategi im Ergebnis unbestritten geblieben ist. Hierbei ist zu sehen, dass die Beklagte mit Ausnahme der Aufheizstrategie zu den von der Klagepartei geltend gemachten weiteren Abschalteinrichtungen konkret Stetung genommen und diese im Einzelnen bestritten hat. Dies glt u.a. für den Vortrag der Klagepartei zum Thermofenster (vgl. Bl. 36 ff. d.A.) oder zur AdlBlue-Einspritzung beim SCR-Katalysator (Bl. 44 f. d.A.). Die Beklagte hat sogar zu Funktionen Stelung genommen, die von der Klagepartei gar nicht beanstandet wurden (Getriebemanipulation Bl. 45 d.A.). Zu den umfassenden Ausführungen der Klagepartei im Hinblick auf die Aufheizstrategle wurde seitens der Beklagten dagegen nicht dezidiert Stellung genommen. Soweit die Beklagte allein pauschal ausführt (Bl. 45 d.A.), dass unzutreffend sei, dass die Stickoxidwerte „nur“ für den Rollenprüfstand über eine höhere Abgasrückführungsquote gemindert würden, stellt dies im Hinblick auf die Aufheizstrategie keinen hinreichenden Sachvortrag dar. Zum einen ist bereits nicht ersichtlich, dass sich dieses Bestreiten gerade auf die Aufheizstrategie bezieht Zum anderen geht das pauschale Bestreiten an der vom Kläger beanstandeten Funktion vorbei, da sich der Vorwurf konkret darauf bezieht, dass die Aufheizstrategie aufgrund der extrem eng bedateten „Schaltbedingungen“ faktisch nur unter den Bedingungen des NEFZ arbeitet. während diese NOx-Schadstoffminderung im Normalbetrieb abgeschaltet bleibt Hierzu hätte die Beklagte im Einzeinen vortragen und darlegen müssen, ob eine entsprechende Aufheizstrategie vorhanden und wie sie konkret beschaffen Ist. Dies ist nicht erfolgt, so dass kein hinreichendes Bestreiten vorliegt Insofern genügt es auch nicht, dass sich die Beklagte darauf zurückzieht, dass das Kraftfahrtbundesamt keinen Rückrufbescheid für das streitgegensändliche Fahrzeug im Hinblick auf eine unzulässige Abschalteinrichtung erlassen habe. Die Klagepartei hat für das Vorliegen einer entsprechenden Abschalteinrichtung jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte dargetan (siehe oben), so dass ein Eingehen der Beklagten auf die einzelnen beanstandeten Abschalteinrichtungen erforderlich war. Der Vortrag des Klägers im Hinblick auf die Aufheizstrategie ist daher mangels substanziierten Bestreitens als zugestanden i.S.d. § 138 Abs. 3 ZPO anzusehen.
26
bb) Legt man vor diesem Hintergrund die klägerischen Ausführungen zur Aufheizstrategie zugrunde, ist von einer unzulässigen Abschalteinrichtung des Emissionskontrollsystems gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG auszugehen. Nach dem im Ergebnis zugestandenen Klägervortrag schaltet die Software durch eine nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand einsetzende Programmierung der Motorsteuerung in eine sog. schnelle Motoraufwärmfunktion mit der Folge, dass im realen Straßenverkehr diese NOx-Schadstoffminderung unterbleibt, so dass der Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb höher ist als auf dem Prüfstand. Insofern ist zu berücksichtigen, dass eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist. Der Prüfstandmodus muss zwar nicht exakt den realen Fahrbetrieb abbilden, die Motorsteuerung muss aber jedenfalls im Wesentlichen identisch wie dort funktionieren (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 - 11 O 197/18 -, juris Rn. 38; LG Krefeld, Urtel vom 15. Januar 2020 - 2 O 470/18 -, juris Rn. 70). Dies ist hier gerade nicht der Fall, so dass von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist.
27
cc) Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung weist das Fahrzeug einen erheblichen Mangel auf. Unerheblich ist hierbei, dass die Beklagte angibt dass das Fahrzeug die Vorgaben der Euro-6plus-Norm erfüllen würde. Bei einer Funktion, die nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand greift mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Slraßenbetrieb höher ist als auf dem Prüfstand, kann ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass das Fahrzeug ohne Nachbesserung nicht zulassungsfähig ist, weil es den einschlägigen Abgasnormen nicht entspricht Untermauert wird dies durch den Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt unstreitig im Hinblick auf die beanstandete Aufheizstrategie bereits Rückrufe wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung angeordnet hat. Da bei Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sieht sich der Halter eines solchen Fahrzeugs, solange eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt Aufgrund der gesetzeswidrigen Manipulation besteht daher zumindest die latente Gefahr, dass die EG-Typengenehmigung und die daraus folgende Betriebszulassung widerrufen werden. Diese Gefahr hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt und damit ein Sachmangel vorlegt Denn der Käufer eines solchen Fahrzeugs muss damit rechnen, es aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu dürfen. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Fahrzeug derzeit eine entsprechende Zulassung entzogen wurde oder ob eine solche zunächst unterblieben Ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 - VII ZR 225/17 -, juris Rn. 17 ff.; OLG Nürnberg, Urteil vom 24. April 2018 - 6 U 409/17 -, juris Rn. 38).
28
dd) Da die Aufheizstrategie eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt und eine schädigende Handlung der Beklagten begründet, kann im Ergebnis offenbleiben, ob die von der Klagepartei geltend gemachten weiteren Abschalteinrichtungen vorlegen.
29
b) Die schädigende Handlung der Beklagten erfolgte sittenwidrig und die Klagepartei ist auch vom Schutzbereich des § 826 BGB umfasst.
30
aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handelns zu beurteilen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht bei jedem Pffichtverstoß zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Falle einer Pflichtverletzung durch Unterlassung erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss. Hierbei ist die Ersatzpflicht eines Schädigers - wie bei allen deliktsrechtlichen Ansprüchen - auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kam daher hinsichtlich bestimmter Personen und Schadensfolgen als sittlich anstößig zu quallfizieren sein, während diese Bewertung für andere ebenfalls adäquat verursachte Schadensfolgen ausscheidet. Die Ersatzpflicht beschränkt sich auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. Geht man von diesen Grundsätzen aus, haftet die Beklagte gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB.
31
bb) Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt hier seitens der Beklagten dahingehend vor, als Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt werden (allgemein LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 86 f.). Wer bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bewegen, handelt in der Regel sittenwidrig (Sprau, in: Palandt, 79. Auflage 2020, § 826 BGB Rn. 20). Der Fahrzeughersteller täuscht die Enwerber der manipulierten Fahrzeuge vorsätzlich, wenn er die bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt.
32
Die unzulässige Abschalteinrichtung in Form der Aufheizstrategie wurde von der Beklagten bewusst eingesetzt, eine fahrlässige Programmierung der Software scheidet aus. Dies ergibt sich im Hinblick auf die Aufheizstrategie bereits daraus, dass diese Funktion im Ergebnis einer Umschaltlogik entspricht, da sie nahezu ausschließlich im NEFZ wirkt, wohingegen es im normalen Straßenbetrieb zu einem höheren Stickoxidausstoß kommt.
33
Dem Fahrzeughersteller Ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung Ist ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das vorsätzliche Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung hat der Fahrzeughersteller über diesen zentralen Umstand getäuscht. Das betrügerische Verhalten erweist sich auch als sittenwidrig. Denn Zweck der Konstruktion war es. die Fahrzeuge für umweltbewusste Käufer interessant zu machen, dadurch eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu verkaufen und höhere Gewinne zu generieren. Ein anderes Motiv für den bewussten Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung, die ansonsten keinen legitimen Zweck hatte, ist nicht ersichtlich und wurde von der Insoweit sekundär darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten auch nicht hinreichend aufgezeigt. Die Sittenwidrigkeit ist dahingehend begründet dass die Beklagte einen unmittelbaren Vorteil aus der Täuschung zieht, da sie Fahrzeuge kostengünstiger als ihr sonst möglich produzieren und damit ihren Gewinn erhöhen kann. Die Täuschung bezieht sich aus Sicht des Fahrzeugherstellers vor diesem Hintergrund gerade darauf, Kunden zum Kauf der Fahrzeuge zu bewegen. Zugleich musste den handelnden Personen auch bewusst sein, dass durch diese Vorgehenswelse zumindest die Möglichkeit eines beträchtlichen Schadens für die Erwerber bestand. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass die Betriebszulassung aufgrund der Abschalteinrichtung entzogen wird. Diese mögliche Folge wurde offensichtlich von den handelnden Personen billigend in Kauf genommen, um weitere Gewinne erzielen zu können. Die Beklagte hat daher nicht nur gegen Vorschriften zum Umweltschutz verstoßen, sondern auch gegenüber Verbrauchern planmäßig das Vorlegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verschleiert, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, und so aus Gewinnstreben gegenüber den Erwerbern des Fahrzeugs sittenwidrig gehandelt. Ein solches Handeln verstößt ersichtlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und erfüllt damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 828 BGB. Der Kläger ist als Neuwagenkäufer auch ohne weiteres in den Schutzbereich der Ersatzpflicht einbezogen.
34
c) Die Beklagte hat durch Personen gehandelt, für deren sittenwidrige Schädigung sie gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten hat den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht.
35
Zwar trifft hierfür grundsätzlich die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings ist es vorliegend der Beklagten ausnahmsweise zuzumuten, nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Kläger die wesentlichen Tatsachen kennt (LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 89).
36
Der Vorstand der Beklagten kann sich das Wissen verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entwickeln und einzusetzen. Die Klagepartei behauptet. Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt. Dies ist nachvollziehbar und lebensnah. Bei dem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem ganzen Fahrzeugtyp handelt sich um eine weitreichende unternehmerische Entscheidung, die von untergeordneten Mitarbeitern grundsätzlich nicht ohne Einbeziehung von Entscheidungsträgern getroffen wird. Auch Ist im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben davon auszugehen, dass bei der Beklagten Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingenchtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet waren. Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Vorstand eines Fahrzeugherstellers sich hinreichende Kenntnis davon verschafft, ob der eingesetzte Motor den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Der Vortrag der Klagepartei ist somit als hinreichend substantiiert anzusehen. Vor diesem Hintergrund oblag es der Beklagten im Einzelnen darzulegen, welche Entscheidungsträger wann und in weichem Umfang von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis erlangten und aufgrund welcher Umstände sie gegebenenfalls davon hätten ausgehen können, dass es sich nicht um eine solche handelt Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass die betreffende Behauptung der Klagepartei, dass Vorstandsmitglieder Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinnchtung und diesen gebilligt hätten, als zugestanden im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO gilt.
37
Der Annahme einer sekundären Darlegungslast steht hierbei nicht entgegen, dass möglicherweise einzeinen Vertreter der Beklagten ein Schweigerecht im Hinblick auf die Gefahr einer Strafverfolgung zustehen könnte. Der Beklagten als eigenständige juristische Person steht ein solches Schweigerecht jedenfalls nicht zu (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris, Rn. 45).
38
d) Der Klagepartei ist ferner durch das Handeln der betreffenden Personen der Beklagten ein kausaler Schaden entstanden.
39
Im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB liegt ein Schaden auch dam vor, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende „ungewollte“ Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. nur BGH NJW-RR 2015, 275, 276). Entscheidend und ausreichend ist, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.
40
Diese Voraussetzungen liegen vor (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris Rn. 26 ff.).
41
aa) Es steht außer Zweifel, dass unter normalen Umständen kein verständiger Autokäufer ein Kraftfahrzeug kauft, welches zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller de behördlicherseits gleichwohl erteilte Typengenehmigung durch Manipulationen erschlichen hat. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Betriebsuntersagung ausspricht, wodurch das Fahrzeug zur gewöhnlichen Verwendung überhaupt nicht mehr geeignet wäre. Dass der Käufer das Risiko bewusst eingegangen wäre, ist vorliegend nicht ersichtlich. Soweit das hypothetische Verhalten der Klagepartei bei Vertragsschluss nicht bereits als offenkundig angesehen werden kann, streitet nach der allgemeinen Lebenserfahrung zumindest eine tatsächliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises dafür, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15 Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 38). Die so begründete Vermutung wurde seitens der Beklagten noch nicht einmal im Ansatz erschüttert.
42
bb) Zudem besteht kein Zweifel daran, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung für Zwecke der Klagepartei nicht voll brauchbar war. Dies ist bei einer ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit als einschränkendes Korrektiv für die weite Fassung des Vermögensschadensbegriffs zu sehen. Die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung darf nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen werden, sondern auch die Verkehrsanschauung muss bei Berücksichtigung der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansehen (BGH DNotZ 1998, 349, 354). Zumindest ex ante bestand die nicht nur theoretische Gefahr einer Betriebsuntersagung und Außerbetriebsatzung. Da hiermit der hauptsächliche Verwendungszweck (allgemeine Nutzung im Straßenverkehr) gefährdet ist, begründet bereits dies nach der Verkehrsanschauung eine Nachteillgkeit des Vertrags (vgl. OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 32 f.)
43
cc) Dem Schaden der Klagepartei steht auch nicht entgegen, dass ggf. an ihrem Fahrzeug auf Kosten der Beklagten ein Softwareupdate durchgeführt werden könnte. Das Update kann nicht im Nachhinein den bereits entstandenen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB beseitigen, selbst wenn hierdurch die Mängel beseitigt sein sollten Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ebenso OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 34).
44
e) Die verantwortlichen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten handelten auch vorsätzlich. Für § 828 BGB ist zu fordern, dass der Täter Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, des Schadenseintritts und der Kausalität hat. Hierbei reicht das Bewusstsein aus, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und das Schädigungsrisiko billigend in Kauf genommen wird (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB Rn. 25 ff.). Für die verantwortlichen Personen der Beklagten war ohne weiteres ersichtlich, dass aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung zumindest die latente Gefahr eines Widerrufs der Betriebszulassung bestand und die Kunden ihrer Kaufentscheidung zugrunde legen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Zulassungsvorgaben entspricht. Auch war ihnen der Zweck des Einbaus der Abschalteinrichtung bewusst. Die betreffenden verfassungsmäßig berufenen Vertreter hatten daher Kenntnis von allen maßgeblichen haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen und handelten vorsätzlich. Auch insoweit kommt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zum Tragen, der diese nicht nachgekommen ist (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 46 ff.).
45
f) Nach §§ 249 ff. BGB kann die Klagepartei eine Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags und damit eine Rückzahlung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs verlangen. Hierbei muss sich die Klagepartei nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 - juris Rn. 112 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. März 2020 - 4 U 65/19 -, juris Rn. 50 ff.; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 63 ff.).
46
Dem steht nicht entgegen, dass das Fahrzeug von der Beklagten gesetzeswidrig manipuliert wurde und sie wegen sittenwidriger Schädigung haftet Bei dem Schadensausgleich im Rahmen des § 826 BGB kommt es darauf an, den Schaden auszugleichen, welcher durch den Vertrag entstanden ist. Der Schaden ist bei der Klagepartei aber nicht in der vollen Höhe des Kaufpreises eingetreten, da dieser dafür die Nutzungsmöglichkeit eines Fahrzeugs erlangte. Tatsächlich konnte die Klagepartei das Fahrzeug ohne Einschränkungen nutzen, so dass sie sich jedenfalls Aufwendungen für eine anderweitige Fortbewegungsmöglichkeit ersparte. Wäre eine Nutzungsentschädigung vorliegend nicht zu berücksichtigen, würde dies zu einer Besserstellung des Käufers führen und gegen das Bereicherungsverbot verstoßen. Im deutschen Recht ist lediglich ein Schadensausgleich, nicht jedoch ein Strafschadensersatz vorgesehen (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 64 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 - juris Rn. 112 ff.).
47
Auf den zurückzuerstattenden Kaufpreis in Höhe von 84.157,59 Euro hat sich die Klagepartei daher eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen. Da der Wertersatz für die gezogenen Nutzungen auf den Zeitpunkt des Leistungsaustausches zu bemessen ist, ist er über die Laufleistung abstrakt zu bestimmen. Bei Übergabe hatte das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 0 km. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 27.204 km. Das Gericht schätzt die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris Rn. 50).
48
Der Nutzungsersatz bestimmt sich nach der Formel: Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer: Restnutzungsdauer. Hiernach ergibt sich ein Betrag von 7.631,41 Euro (84.157,59 Euro × 27.204 km: 300.000 km), so dass der Zahlungsanspruch in Höhe von 76.526,18 Euro besteht.
49
2. Der tenorierte Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Der Klagepartei stehen Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit zu.
50
Ein darüber hinausgehender Zinsanspruch gemäß § 849 BGB besteht dagegen nicht Der Normzweck des § 849 BGB besteht darin, dass der Zinsanspruch den endgültig verbleibenden Verlust an Nutzbarkeit der Sache ausgleichen soll, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dieser Schutzzweck ist hier nicht betroffen, die die Klagepartei im Austausch für den gezahlten Kaufpreis das Fahrzeug nutzen konnte (OLG Hamm, Urteil vom 11. Februar 2020 - 13 U 20/19 -, juris Rn. 88; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 72 ff.).
51
Ein weitergehender Zinsanspruch der Klagepartei folgt auch nicht aus § 286 BGB. Eine Verzugsbegründende Mahnung wurde seitens des Klägers nicht dargelegt.
52
3. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Zwar könnte man in der Klageerhebung, mit welcher eine Zug um Zug Leistung geltend gemacht wird, ein wörtliches Angebot der Klagepartei gemäß § 295 BGB schon. Allerdings verlangt der Kläger als Gegenleistung den gesamten Kaufpreis ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung zurück. Sein Verlangen richtet sich daher auf eine weitergehende Leistung, als die Beklagte tatsächlich schuldet, so dass hierdurch ein Annahmeverzug nicht begründet werden kann.
53
4. Ob weitere Anspruchsgrundlagen durchgreifen, kann offen bleiben, weil sich aus ihnen jedenfalls kein weitergehender Anspruch ergibt.
54
5. Ein Hinweis des Gerichts Im Hinblick auf das unsubstantiierte Bestreiten der Beklagten war nicht erforderlich. Insoweit hat die Klagepartei in ihrer Replik hinreichend deutlich darauf hingewiesen, dass die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist.
III.
55
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO (Streitwert: 84.157,59 €; Obsiegen Klagepartei: 76.526,18 €). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 709 i.V.m. 708, 711 ZPO.