Titel:
Leistungen, Bescheid, Asylverfahren, Anordnungsgrund, Ausreisepflicht, Verwaltungsakt, Widerspruchsbescheid, Verwaltungsverfahren, Widerspruch, Vollziehung, Anfechtungsklage, Sofortvollzug, Aufnahmeeinrichtung, Regelbedarf, aufschiebende Wirkung, einstweiligen Rechtsschutz, ernstliche Zweifel
Leitsätze:
1. Ein besonderes Verwaltungsverfahren zur Nachholung einer unterlassenen Anhörung (BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 -, Rn.14) ist auch im Asylbewerberleistungsrecht statthaft.
2. Der Wortlaut des § 15 AsylbLG ist eindeutig und gibt vor, dass Leistungsberechtigte, die bis zum 21.08.2019 bereits Analogleistungen erhalten haben, diese in der ursprünglichen Fassung des § 2 AsylbLG weiter beziehen.
3. Selbst wenn man von einem auslegungsfähigen Wortlaut des § 15 AsylbLG ausgehen würde, kann aus den historischen Materialien kein begrenzter Anwendungsbereich abgeleitet werden.
4. In der Massenverwaltung des Asylbewerberleistungsrechts spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber den Leistungsbehörden einen zusätzlichen Bescheiderlass ersparen wollte, da er die Änderung des § 2 AsylbLG ohne nennenswerte Inkrafttretensverzögerung ("3 Tage nach der Verkündung") erlassen hat.
Schlagworte:
Leistungen, Bescheid, Asylverfahren, Anordnungsgrund, Ausreisepflicht, Verwaltungsakt, Widerspruchsbescheid, Verwaltungsverfahren, Widerspruch, Vollziehung, Anfechtungsklage, Sofortvollzug, Aufnahmeeinrichtung, Regelbedarf, aufschiebende Wirkung, einstweiligen Rechtsschutz, ernstliche Zweifel
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60039
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Januar 2020 gegen den Bescheid vom 28. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der C. vom 9. Dezember 2019 in der Fassung des Bescheids vom 20. Januar 2020 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich - im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes - gegen die sofortige Wirksamkeit einer Leistungsabsenkung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
2
Der 1980 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und reiste ohne seine Ehegattin am 08.05.2017 in das Bundesgebiet ein.
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Der Antragsteller wurde zum 12.06.2018 dem Antragsgegner mit Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft (Asyl) W.-Straße, N., zugewiesen.
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Mit Bescheid vom 08.02.2019 („Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG innerhalb von Einrichtungen“) wurden Leistungen ab 01.01.2019 in Höhe von 364,65 € bis auf weiteres bewilligt.
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Das AsylbLG wurde durch Art. 5 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung vom 15.08.2019 (BGBl I S. 1294) mit Wirkung zum 21.08.2019 geändert.
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§ 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG lautet nunmehr:
„§ 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a, 40 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch findet auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass
1. bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird; “
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Zudem wurde dem Gesetz folgende Vorschrift angefügt:
„§ 15 Übergangsregelung zum Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht.
Für Leistungsberechtigte des Asylbewerberleistungsgesetzes, auf die bis zum 21. August 2019 gemäß § 2 Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch entsprechend anzuwenden war, ist § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2541; 2019 I S. 162) geändert worden ist, weiter anzuwenden.“
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Mit Bescheid vom 28.08.2019 wurden dem Antragsteller ab 01.09.2019 bis auf weiteres monatlich 322,65 € bewilligt. Der Bescheid stütze sich auf § 48 Abs. 1 SGB X. Das 3. Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes trete zum 01.09.2019 in Kraft. Damit liege eine wesentliche Änderung unter anderem in Bezug auf die Höhe der Asylbewerberleistungen vor.
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Gegen den Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 29.09.2019 Widerspruch ein.
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Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid der C. vom 09.12.2019 zurückgewiesen. Die Geldbeträge des AsylbLG seien aufgrund einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe mittels wertender Entscheidung des Gesetzgebers festgesetzt worden. Es sei nicht Aufgabe einer einzelnen Leistungsbehörde, die Leistungssätze anzuheben. Beim Antragsteller handele es sich um einen Leistungsberechtigten, der einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen sei. § 15 AsylbLG regele nicht, dass Personen, die bislang Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII zugeordnet waren, nach der Gesetzesänderung dieser Regelbedarfsstufe zugeordnet bliebe.
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Am 13.01.2020 erhob der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Bayreuth (Verfahren S 4 A 3/20), über die noch nicht entschieden wurde.
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Mit Schreiben vom 16.01.2020, per Telefax übermittelt am gleichen Tag, erhebt der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zum Sozialgericht Bayreuth. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nummer 1 AsylbLG sei evident verfassungswidrig. Der Bedarf dieser Leistungsberechtigten weiche nicht signifikant vom Bedarf alleinstehender erwachsener Leistungsberechtigter ab, die in einer Wohnung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 des Regelbedarf-Ermittlungsgesetzes lebten. Durch die neue Regelbedarfsstufe solle offenbar die 3 Jahre lang unterlassene Anpassung der Grundleistungen finanziert werden. Jedenfalls sei § 2 Abs. 1 Satz 4 Nummer 1 AsylbLG auf den Antragsteller nicht anwendbar, da dieser bereits vor dem 21.08.2019 Anspruch auf Leistungen gemäß § 2 AsylbLG gehabt habe. Nach § 15 AsylbLG seien die bisherigen Vorschriften weiter anzuwenden. Mit dem Wortlaut der Vorschrift, denn bei der Auslegung von Rechtsnormen besonderer Bedeutung zukomme, lasse sich der vom Gesetzgeber beabsichtigte Anwendungsbereich kaum vereinbaren. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der Grundrechtsrelevanz der Kürzung der Leistungen zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums.
13
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der C. vom 09.12.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.01.2020 anzuordnen und hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 16.01.2020 vorläufig Geldleistungen gemäß § 2 AsylbLG in Höhe von insgesamt monatlich 372,65 € zu gewähren.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schreiben vom 22.01.2020, den Antrag abzulehnen.
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Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Dazu werde im Übrigen auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2019 verwiesen. Ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben. Der Antragsteller mache keine konkreten Angaben, inwieweit das menschenwürdige Existenzminimum in seinem Fall beeinträchtigt sei.
16
Am 20.01.2020 wurde mit einem weiteren Bescheid die Verfügung vom 28.08.2019 für die Zeit ab 01.01.2020 bis auf weiteres aufgehoben. Dem Antragsteller wurden nunmehr Leistungen in Höhe von 329,65 € bis auf weiteres bewilligt. Die Regelsätze seien fortgeschrieben worden.
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Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Gegenstand des Verfahrens ist die Vollziehbarkeit des Bescheids vom 28.08.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.01.2020.
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Der am 16.01.2020 eingegangene Antrag ist zulässig und teilweise begründet.
20
Der Antrag ist zulässig, da der Antragsteller vor dem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz Widerspruch und Klage erhoben hat.
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Antragsteller müssen sich andererseits vor dem Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG nicht zunächst mit dem Begehren einer Entscheidung nach § 86a Abs. 3 SGG (Antrag auf Aussetzung der Vollziehung) an die Verwaltung gewandt haben (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl. 2017 § 86b Rn. 7a).
22
Der Antrag ist begründet.
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Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
24
Der Antrag ist statthaft, da Widerspruch und Klage nach § 11 Abs. 4 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung haben.
25
Zum Prüfungsmaßstab führt das Bayerische Landessozialgericht (Beschluss vom 01.08.2016 - L 7 AS 415/16 B ER -, Rn. 25 ff.) aus:
„Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind private Interessen des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung.
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Dabei ist die Bewertung des § 39 Abs. 2 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt … Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen … Bei der Interessenabwägung ist neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache von besonderer Bedeutung, ob eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren vorliegt“.
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Gemessen an diesen Grundsätzen besteht ein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
28
Der Bescheid vom 27.07.2018 ist formell und - voraussichtlich - materiell rechtswidrig; insofern bestehen ernsthafte Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit.
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Bei Erlass des belastenden Verwaltungsaktes wurde die notwendige Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG nicht durchgeführt.
„Bei belastenden Verwaltungsakten, also solchen, die gegenüber dem vorherigen Zustand eine ungünstigere Regelung enthalten, ist grundsätzlich anzuhören, denn die Anhörungsvorschriften sollen nach ihrem Sinn und Zweck vor Überraschungsentscheidungen schützen und das Vertrauen in die Verwaltung stärken … Als eingreifender Verwaltungsakt in dem genannten Sinne sind auch Bescheide zu verstehen, die neben einer Begünstigung im Vergleich zum vorherigen Rechtszustand weniger günstigere Regelungen enthalten“ (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 2/13 R -, Rn. 13 mit Nachweisen).
30
Die Anhörung war auch nicht entbehrlich. Zu denken wäre allenfalls an Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG. Von der Anhörung kann danach abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint.
„Von ‚Gefahr im Verzug‘ (Abs. 2 Nr 1 1. Alt) kann nur dann ausgegangen werden, wenn durch die Einräumung einer noch so kurzen Anhörungsfrist eine unvertretbare Verzögerung bei Erlass des VA eintreten wird (zum Beispiel der Zweck der Regelung kann nicht mehr erreicht werden) und dadurch der Allgemeinheit erhebliche Nachteile oder Gefahren drohen würden (Eilfall)“ (Siefert in: v. Wulffen/Schütze SGB X 8. Aufl. 2014, § 24 Rn. 20 zur gleichlautenden Vorschrift im Sozialgesetzbuch).
31
Der Antragsgegner hat erst nach Bescheiderlass, am 09.01.2020 ein nachgeschaltetes Anhörungsverfahren eingeleitet.
32
Ein solches besonderes Verwaltungsverfahren ist statthaft (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 -, Rn. 14 f.). Die Behörde hat sich auch zutreffend an die im Widerspruchsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwälte (BSG, Urteil vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 -, Rn. 21 ff.) gewandt.
33
Auch wenn der Anspruchsteller keinen fristgemäßen weiteren Vortrag vorgenommen hat, bedürfte es noch der Bestätigung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Eine solche ist im Bescheid vom 20.01.2020 nicht zu sehen, da dieser vor dem Ende der Anhörungsfrist erlassen wurde. Damit ist der Verwaltungsakt vom 28.08.2019 formell bis zur Nachholung der Anhörung rechtswidrig und die aufschiebende Wirkung anzuordnen (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.05.2019 - L 18 AY 14/19 B ER -, Rn. 35 ff.).
34
Die am 13.01.2020 erhobene Anfechtungsklage dürfte auch materiellrechtlich begründet sein.
35
Der Anspruchsteller kann sich auf § 15 AsylbLG stützen (so auch SG Freiburg, Beschluss vom 03.12.2019 - S 9 AY 4605/19 ER -, https://tachelessozialhilfe.de/fa/redakteur/Harald_2019/S_9_AY_4605-19_ER.pdf, abgerufen am 27.01.2020).
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Der Wortlaut der Norm ist eindeutig und gibt vor, dass Leistungsberechtigte des Asylbewerberleistungsgesetzes, die bis zum 21.08.2019 bereits Analogleistungen erhalten haben, diese in der ursprünglichen Fassung des § 2 AsylbLG weiter erhalten.
37
Es erscheint unzutreffend, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht präzise formuliert ist (so aber Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 15 AsylbLG (Stand: 09.10.2019), Rn. 14).
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Oppermann (aaO. Rn. 4) meint weiter, dass die Verlängerung der Wartefrist in § 2 Abs. 1 AsylbLG von 15 auf 18 Monate die Spanne des Kurzaufenthalts nicht überschreite und dass eine Übergangsregelung für erforderlich gehalten werde für jene Personen, die nach bisheriger Rechtslage bereits nach 15 Monaten Analogleistungen entsprechend des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten.
39
In diesem Fall hätte aber der Gesetzgeber formuliert:
„Für Leistungsberechtigte des Asylbewerberleistungsgesetzes, auf die bis zum 21. August 2019 gemäß § 2 Absatz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch entsprechend anzuwenden war, ist die Wartefrist des § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2541; 2019 I S. 162) geändert worden ist, weiter anzuwenden.“
40
Selbst wenn man von einem auslegungsfähigen Wortlaut ausgehen würde, kann aus den historischen Materialien kein begrenzter Anwendungsbereich ableitet werden. Oppermann (aaO. Rn. 4 mit Fußnote 4) bezieht sich dazu auf BT-Drs. 19/10706, S. 18. Dabei handelt es sich um die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat vom 05.06.2019. In der Tat beruht die Anfügung von § 15 AsylbLG auf dieser Ausschussempfehlung (vergleiche S. 11 der Drucksache). Eine Begründung zu § 15 AsylbLG findet sich explizit nicht, auch nicht auf Seite 18.
41
Die teleologische Interpretation (= Reduktion) könnte dafürsprechen, dass mit der Verlängerung der Wartefrist von 15 auf 18 Monate in § 2 AsylbLG und der Schaffung von § 15 AsylbLG ein Eingriff in das bereits erreichte Leistungsniveau vermieden werden sollte. Gleiches wird aber mit der wortlautgetreuen Anwendung erreicht. In der Massenverwaltung des Asylbewerberleistungsrechts spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber den Leistungsbehörden einen zusätzlichen Bescheiderlass ersparen wollte, da er die Änderung des § 2 AsylbLG ohne nennenswerte Inkrafttretensverzögerung („3 Tage nach der Verkündung“) erlassen hat.
„eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung . . . dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird . . . Auch darf sich der Rechtsanwender im gewaltenteilenden Rechtsstaat nicht über den klaren Wortlaut eines Gesetzes hinwegsetzen, um einem vermuteten Ziel des Gesetzgebers Wirkung zu verschaffen (vgl. BVerfGE 118, 212 <244>)“ (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 2016 - 1 BvR 871/13 -, Rn. 23.
43
Wie bereits ausgeführt, liegt eine gesetzgeberische Lücke nicht vor. Damit würde die von Oppermann vorgeschlagene Interpretation zu einem unzulässigen Ergebnis führen.
44
Bei einem nicht abgeschlossenen Asylverfahren besteht auch kein überwiegendes Vollzugsinteresse des Antragsgegners; der Antragsteller könnte im Asylverfahren (teilweise) obsiegen und eine Arbeitserlaubnis erhalten. In diesem Fall könnte er das Überzahlte zurückgewähren. Dagegen erscheint bei rechtswidrigem Verwaltungsakt das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegend, da er einen Eingriff in das durch das Existenzminimum definierte Leistungsniveau hinzunehmen hätte.
45
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.