Inhalt

SG Landshut, Urteil v. 07.12.2020 – S 5 R 377/18
Titel:

Bescheid, Altersrente, Leistungen, Kindererziehung, Widerspruch, Kindererziehungszeiten, Regelaltersrente, Antragstellung, Kind, Ausland, Anerkennung, Anrechnung, Berechnung, Aufhebung, Bundesrepublik Deutschland, kein Anspruch

Schlagworte:
Bescheid, Altersrente, Leistungen, Kindererziehung, Widerspruch, Kindererziehungszeiten, Regelaltersrente, Antragstellung, Kind, Ausland, Anerkennung, Anrechnung, Berechnung, Aufhebung, Bundesrepublik Deutschland, kein Anspruch
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 09.03.2022 – L 6 R 75/21
BSG Kassel, Beschluss vom 25.08.2022 – B 5 R 83/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60012

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die im Jahr 1951 geborene Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage die Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für ihre Töchter B., geboren 1973, und D., geboren 1976, und die entsprechende Zugrundelegung in der Berechnung ihrer Altersrente ab 01.04.2017.
2
Am 01.03.2017 stellte die Prozessbevollmächtigte einen formlosen Antrag auf Altersrente für die Klägerin und erteilte Herrn Prof. D. Untervollmacht bezüglich der diesem mit Vollmacht der Klägerin vom 03.03.2017 erteilten Handlungen, insbesondere der Übernahme der Rentenangelegenheiten der Klägerin. Zustellungen und Entscheidungen oder Schriftstücke, die eine Frist in Gang setzten, sollten an die Prozessbevollmächtigte erfolgen.
3
Mit Schreiben vom 07.03.2017 forderte Herr D. die Beklagte auf, der Klägerin vorsorglich die in der BRD erworbenen Versicherungszeiten so schnell wie möglich zuzustellen.
4
Mit Schreiben der Beklagten vom 08.03.2017 wurde die Klägerin aufgefordert, ungeklärte Lücken im Versicherungskonto in den Zeiten 27.10.1974 bis 19.01.1975 und vom 19.07.1975 bis 08.10.1975 zu belegen.
5
Am 11.09.2017 teilte die Rentenkasse der Republik S. unter anderem im zwischenstaatlichen Rentenformblatt mit, dass keine Kindererziehungszeiten geltend gemacht wurden.
6
Mit Bescheid der Beklagten vom 15.09.2017 wurde der Klägerin Regelaltersrente ab dem 01.04.2017 in Höhe von 141,44 € monatlich, Zahlbetrag 129,14 €, bewilligt. Auf Bl. 6 des Bescheides erfolgte der Hinweis, dass Kindererziehungszeiten mit dem übersandten Antrag nicht geltend gemacht und deshalb keine weiteren Ermittlungen erfolgt seien. Sollte sich die Klägerin zusammen mit ihren Kindern in den ersten zehn Lebensjahren nach der Geburt in Deutschland aufgehalten haben, würde auf Antrag eine Prüfung vorgenommen. Der Antrag sei schriftlich unter Vorlage der Nachweise zu stellen.
7
Gegen diesen Bescheid legte die Prozessbevollmächtigte am 18.10.2017 Widerspruch ein. Es fehlten rentenrechtliche Zeiten für Kindererziehung bzw. Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung. 1973 sei das erste Kind der Klägerin, Tochter B., in der vormaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien geboren. Dieses Kind habe sich über längere Zeiträume mit der Klägerin in Deutschland aufgehalten. Es könnten zu berücksichtigende Zeiten bis 16.03.1976 in Betracht kommen. Weil der Versicherungsverlauf Lücken enthalte, könnten sich solche Zeiten rentensteigernd auswirken.
8
Am 06.02.2018 ging bei der Beklagten der Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ein. Ausweislich der darin enthaltenen Angaben habe die Klägerin ihre Tochter B. in den ersten zehn Lebensjahren teilweise in Deutschland, teilweise in Jugoslawien erzogen. Ihre am 22.07.1976 geborene Tochter D. sei die ganze Zeit in Jugoslawien wohnhaft gewesen. Meldebescheinigungen lägen der Klägerin nicht mehr vor.
9
Diesbezügliche Ermittlungen bei den Einwohnermeldebehörden in H. durch die Beklagte blieben zunächst erfolgslos.
10
Mit Bescheid vom 26.02.2018 wurde die Regelaltersrente der Klägerin neu berechnet und ab dem 01.03.2018 in Höhe eines Betrages von 134,61 € ausgezahlt. Der Bescheid wurde Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.
11
Am 21.03.2018 teilte das Bezirksamt H. mit, dass die Klägerin in den Zeiten 15.08.1970 bis 02.04.1973 und 10.08.1973 bis 20.07.1977 in H. gewohnt habe. In der Zeit vom 10.08.1973 bis 21.12.1973 sei auch die Tochter B. unter der Anschrift der Klägerin in H. gemeldet gewesen.
12
Mit Bescheid der Beklagten vom 13.04.2018 wurde unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der Zeit vom 10.08.1973 bis 21.12.1973 und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 10.08.1973 bis 21.12.1973 eine um monatlich 8,36 € höhere Rente ab dem 01.04.2017 bewilligt. Auch dieser Bescheid wurde Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens.
13
Mit Bescheid vom 11.05.2018 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Widerspruch sei wegen fehlender Beschwer unzulässig. Es läge keine Rechtsbeeinträchtigung vor. Im Formblattantrag seien ausdrücklich zunächst keine Kindererziehungszeiten geltend gemacht worden, zum anderen sei im Bescheid der Hinweis erfolgt, dass etwaige Erziehungszeiten zunächst ausgeklammert seien und eine Berücksichtigung nachgeholt werden könne.
14
Am 15.06.2018 erhob die Prozessbevollmächtigte dagegen die vorliegende Klage zum Sozialgericht Landshut. Mit der Klage werde die Berücksichtigung weiterer Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten, sowie die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens begehrt. Trotz des teilweise erfolgreichen Widerspruches verweigere die Beklagte die Kostenerstattung. Außerdem seien weitere Zeiten wegen Kindererziehung für beide Töchter zu berücksichtigen. Eine Erziehung im Ausland könne, weil es bei den Kindererziehungszeiten um Versicherungspflicht gehe und damit § 6 SGB VI gelte, nach EG-Recht oder Sozialversicherungsabkommen einer Inlandserziehung gleichgestellt werden. Die Klägerin und ihre Kinder könnten sich für den Aufenthalt auf eine Gebietsgleichstellung gemäß Art. 4 i.V.m. Art. 3 Abs. 1c des anzuwendenden Sozialversicherungsabkommens (SVA) stützen. Zugleich würde eine Vorenthaltung der Erziehungszeiten auch einen Wertungswiderspruch zu Art. 28 SVA darstellen, der den Anspruch auf Kindergeld regele. Auch Art. 6 des SVA spreche dafür, dass Kindererziehungszeiten nach § 56 SGB VI und Berücksichtigungszeiten nach § 57 anzuerkennen seien, wenn und solange der Angehörige des Vertragsstaates als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der BRD beschäftigt sei, weil es sich um eine Pflichtversicherung handele und kein Tatbestand vorliege, der eine Versicherungspflicht im anderen Vertragsstaat begründe oder die Anerkennung von Kindererziehungszeiten ausschließe. Solange die Klägerin sich in der BRD aufhielt und einer versicherten Beschäftigung nachgegangen sei, habe sie einen Anspruch auf Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten für ihre beiden Töchter. Auch während ihres Aufenthaltes im Vertragsstaat habe sie entsprechenden Anspruch, solange dort keine Versicherungspflicht begründet worden sei oder der Anspruch von Kindererziehungszeiten wegen Ausübung einer nicht nur geringfügigen Beschäftigung entfallen sei. Eine überwiegende Erziehung durch die Klägerin habe während ihrer Obhut stattgefunden.
15
In der mündlichen Verhandlung am 07.12.2020 erklärte die Vorsitzende, dass die Beklagte zu Recht im Widerspruchsverfahren der Klägerin keine Kosten erstattet habe. Im Rentenbescheid sei ausdrücklich der Hinweis auf eine mögliche Antragstellung bzgl. der Berücksichtigungszeiten erfolgt. Ein solcher Antrag wäre der einfachste Weg gewesen, um die geltend gemachten Zeiten anerkannt zu bekommen. Der Klägerin sei durch die unterlassene Zustellung des Versicherungsverlaufs und die zunächst zurückgestellte Entscheidung zu den Kindererziehungszeiten keinerlei rechtlicher Nachteil entstanden. Eines Widerspruches habe es zur Durchsetzung des Anspruches nicht bedurft. Tatsächlich seien der Klägerin auf ihren Antrag vom 06.02.2018, unabhängig vom anhängigen Widerspruch, Rentenleistungen unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Erziehungszeiten in der BRD bewilligt worden.
16
Daraufhin erklärte die Prozessbevollmächtigte, dass sie den mit Schriftsatz vom 03.07.2018 gestellten Klageantrag zu 2. bezüglich der Geltendmachung zu erstattender Kosten des Widerspruchsverfahrens zurücknehme und nunmehr beantrage,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15.09.2017, 26.02.2018 und 13.04.2018 sowie unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2018 zu verurteilen, bei der Klägerin weitere, als in den Bescheiden festgestellte, Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die Kinder B. und D. anzuerkennen und der Berechnung der Regelaltersrente ab 01.04.2017 zugrunde zu legen.
17
Der Beklagtenvertreter beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie auf die gerichtliche Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Die zulässige Klage ist unbegründet.
20
Die Bescheide der Beklagten vom 15.09.2017, 26.02.2018 und 13.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat neben den bereits anerkannten Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung im Rahmen der Gewährung ihrer Regelaltersrente.
21
1. Voraussetzungen für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten sind gemäß § 56 Abs. 1 SGB VI, dass die Erziehung dem Elternteil zuzuordnen ist, die Erziehung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht.
22
Gemäß § 57 SGB VI ist ferner die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit gemäß § 56 SGB VI auch in dieser Zeit vorliegen.
23
a) Vorliegend ist für die Zeiten, in denen sich die Klägerin in der Bundesrepublik aufgehalten hat, die Töchter jedoch in der früheren Sozialistischen Föderativen Republik J. lebten, bereits problematisch, ob der Klägerin überhaupt die Erziehung der Töchter zuzuordnen ist. Allein für die Tochter B. erfolgte der Nachweis, dass sie in der, von der Beklagten bereits anerkannten Zeit vom 10.08.1973 bis 21.12.1973 gemeinsam mit der Klägerin in H. lebte. In der überwiegenden Zeit bis zum 20.07.1977 hielt sich die Klägerin sodann offensichtlich ohne ihre Tochter B. in der Bundesrepublik auf. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Tochter B. und auch die Tochter D. seit ihrer Geburt im Juli 1976 während des Aufenthaltes der Klägerin in der Bundesrepublik in die Obhut und Pflegschaft von Familienmitgliedern gegeben wurden und sie somit aus der Fürsorge der Klägerin ausgeschieden und als Pflegekinder eines anderen Familienmitgliedes anzusehen sind.
24
Pflegekinder sind nach § 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind. Das Pflegeverhältnis stellt ein tatsächliches familienähnliches Verhältnis von einer solchen Intensität dar, wie es zwischen Kindern und Eltern üblich ist; der Pflegeperson obliegen Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsaufgaben. Das Verhältnis ist auf längere Dauer angelegt, wenn es für einen mehrjährigen Zeitraum gedacht und in der Regel unbefristet ist. Für die Annahme einer längeren Dauer des Pflegeverhältnisses ist es nicht erforderlich, dass es auf unabsehbare Zeit oder gar bis zur Volljährigkeit begründet sein muss. Ausreichend ist es insoweit, wenn es für einen Zeitraum begründet wird, der einen für die körperliche und geistige Entwicklung des Pflegekindes erheblichen Zeitraum umfasst. Bei der Begründung eines Pflegeverhältnisses im Säuglingsalter ist dafür ein Zeitraum von etwa drei Jahren ausreichend. Denn innerhalb der ersten drei Lebensjahre entwickelt sich ein Kind typischerweise so weit, dass es aus der ständigen häuslichen Betreuung entlassen werden und z.B. in den Kindergarten gehen kann (so BSG vom 23.04.1992 -5 RJ 70/90- in juris).
25
Die Klägerin hat sich jedenfalls bis etwa zum ersten Geburtstag der Tochter D. und während der ersten vier Lebensjahre der Tochter B. überwiegend ohne ihre Kinder in der Bundesrepublik aufgehalten.
26
Wie intensiv ggf. dennoch erzieherisch Einfluss, trotz der Unterbringung der Töchter in einem anderen Haushalt und nur selten möglicher Besuche, ausgeübt werden konnte, war vorliegend nicht weiter zu ermitteln und zu entscheiden, weil bereits die weiteren Voraussetzungen für eine Anerkennung der Kindererziehungszeiten nicht vorliegen.
27
b) Denn die Erziehung ist, bis auf den Zeitraum 10.08.1973 bis 21.12.1973 nicht nachweislich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt. Dies wäre gemäß § 56 Abs. 3 S. 1 SGB VI dann zu bejahen, wenn sich der Erziehende zusammen mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat.
28
Die Klägerin hat sich in den verbleibenden streitgegenständlichen Zeiträumen wohl unstreitig nicht mit ihren Töchtern in der Bundesrepublik aufgehalten.
29
c) Es ist auch keine Erziehung erfolgt, die einer Erziehung auf dem Gebiet der Bundesrepublik gleichzustellen ist.
30
aa) § 56 Abs. 3 S. 2 und S. 3 SGB VI bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Erziehungszeiten, die im Ausland zurückgelegt worden sind, einer Erziehung im Inland gleichstehen. Danach können Erziehungszeiten auch dann angerechnet werden, wenn sich der Erziehende mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat.
31
Die Klägerin hat sich während der Zeit der Kindererziehung in den ersten drei Lebensjahren der Tochter B. gerade nicht gemeinsam mit dieser im Ausland aufgehalten. Weitere Ermittlungen zu den konkreten Zeiten, in denen sich die Klägerin in den maßgeblichen Zeiträumen mit ihren Töchtern in J. aufgehalten hat, konnten unterbleiben, weil ein solcher Aufenthalt und Erziehung im Ausland auch nicht darauf beruht hat, dass die Klägerin dort zuvor eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausübte.
32
Die Klägerin ist während des Aufenthaltes ihrer Töchter in der Heimat bis zum Sommer 1977 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik nachgegangen.
33
Sinn und Zweck der Gleichstellung gemäß § 56 Abs. 3 S. 2 und 3 SGB VI ist, dass diejenigen ins System einbezogen werden sollen, die wegen Kindererziehung keine oder nur geringe Anwartschaftszeiten erwerben können. Außerdem soll der Wert der Kindererziehung als Systembeitrag honoriert werden. Insofern stellt die grundsätzliche Nichtberücksichtigung der im Ausland stattfindenden Erziehung keine planwidrige Regelungslücke dar. Es sollen die durch die Kindererziehung entstandenen Nachteile in der Altersversorgung ausgeglichen werden (so etwa BSG EuGH-Vorlage vom 24.02.1999, Az: B 5/4 RA 82/97 in juris).
34
Die Klägerin hat ihr Kind gerade in die Obhut von Familienmitgliedern gegeben, um weiter ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen zu können. Außerdem hat die Erziehung der in J. lebenden Töchter keine bestandssichernde Bedeutung für das System der Deutschen Rentenversicherung, so dass auch der Honorierungszweck nicht erfüllt wird.
35
In der Zeit ab 1977, in der sich die Klägerin in ihrer Heimat aufhielt, bestand kein ausreichend intensiver Bezug zum Inland, der Bundesrepublik Deutschland, fort.
36
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die so verstandene Anwendung des § 56 SGB VI nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt. Es sei keine Verpflichtung des Gesetzgebers erkennbar, Zeiten der Kindererziehung im Ausland dem Versicherten in der Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland anzurechnen. Systemgerechter Anknüpfungspunkt für die mitgliedschaftliche Einbeziehung in nationale Sicherungssysteme seien ein inländisches Beschäftigungsverhältnis und der gewöhnliche Aufenthalt einer Person im jeweiligen Staatsgebiet. An diesem historisch gewachsenen Schutzbereich der Sozialversicherung und insbesondere der gesetzlichen Rentenversicherung habe sich der Gesetzgeber bei der territorialen Begrenzung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in sachgerechter Weise orientiert (BVerfG Beschluss vom 02.07.1998 - 1 BvR 810/90 - in juris).
37
bb) Eine Erziehung im früheren J., der heutigen Republik S., steht weiter einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auch nicht über die Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen gleich.
38
Das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahr 1968 galt bis 1991 für das gesamte Gebiet der Sozialistischen Republik Jugoslawien. Nach Auflösung des jugoslawischen Staates wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bosnien und Herzegowina völkerrechtlich vereinbart, dass das bisher gültige Sozialversicherungsabkommen solange fortgelten solle, bis Abweichendes vereinbart werde (Bekanntmachung vom 16.11.1992, BGBl. II 1992, S. 1196). Bisher wurde kein Sozialversicherungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina geschlossen, so dass weiterhin das deutsch-jugoslawische Abkommen fort gilt.
39
(1) Gemäß Art. 3 Abs. 1 SVA-Jugoslawien stehen Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates bei Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates dessen Staatsangehörigen gleich, wenn sie sich im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten. Die Voraussetzungen des § 56 SGB VI werden auf Ausländer und Deutsche gleichermaßen angewendet. Auch Deutsche, die ihr Kind ohne Inlandsbezug im Ausland erziehen, können nicht die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten geltend machen. Es findet folglich keine Ungleichbehandlung zwischen der Klägerin und Deutschen statt.
40
(2) Gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 SVA-Jugoslawien gelten die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Leistungsansprüchen, die Leistungsgewährung oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist bei gewöhnlichem Aufenthalt im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates.
41
Diese Gebietsgleichstellungsklausel bewirkt, dass der gewöhnliche Aufenthalt im ausländischen Vertragsstaat dem Inlandsaufenthalt gleichsteht. Die sich im ausländischen Vertragsstaat Aufhaltenden sollen Leistungen wie Inländer erhalten und so behandelt werden, als hielten sie sich nicht im Ausland auf.
42
Die Klausel geht dabei aber nicht so weit, auch die Erziehung im Ausland der Erziehung im Inland gleichzustellen (Fichte in Hauck/Nofzt, Kommentar SGB VI, Stand 5/19, § 56 Rn. 50 unter Nennung diverser Entscheidungen des BSG).
43
Die Gleichstellungsklausel hat keine Tatbestandswirkung dahingehend, dass eine Erziehung im Ausland der Erziehung im Inland gleichzustellen ist. Die Bestimmung regelt ausschließlich und auch ausdrücklich nur das Leistungsrecht. Nur Leistungseinschränkungen, die die jeweilige innerstaatliche Vorschrift aufgrund eines Auslandsaufenthaltes vorsieht, sollen bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat beseitigt werden. Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates sollen grundsätzlich die gleichen Leistungsansprüche haben wie bei gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland. Nicht hingegen soll die Klausel eine erweiternde Rechtsgrundlage für die Anrechnung von Sachverhalten im Gebiet der Republik Srpska bilden, die nach innerdeutschem Recht zur Anrechnung rentenrechtlicher Zeiten führen.
44
Dabei sei noch einmal betont, dass auch Deutsche, die nicht die Voraussetzungen des § 56 SGB VI erfüllen, insbesondere auch keine Ausnahme bei Auslandserziehung etwa durch Bestehen eines Rumpfarbeitsverhältnisses oder sonstigen Inlandsbezugs begründen, ebenso keine Anerkennung ihrer Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten beanspruchen können.
45
Über die Gleichstellung der Tatbestände der Erziehung im Inland und Ausland über Art. 3 und 4 des Sozialversicherungsabkommens würde es damit zu einer Bevorzugung der Klägerin gegenüber Deutschen kommen, die ihr Kind im Ausland erziehen und deshalb gerade nicht die Voraussetzungen des § 56 SGB VI erfüllen.
46
d) Weil bereits die Voraussetzungen des § 56 SGB VI nicht erfüllt sind, können auch keine weiteren Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gemäß § 57 SGB VI anerkannt werden.
47
Nach alledem war die Klage abzuweisen. Über die bereits berücksichtigten Zeiten vom 10.08.1973 bis 21.12.1973 hinaus besteht kein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Die Erziehung der Töchter in weiter geltend gemachten Zeiträumen erfolgte nicht auf dem Gebiet der Bundesrepublik und ist einer solchen auch nicht gleichzustellen. Die völkerrechtlichen Bestimmungen zielen nicht auf eine Gleichstellung von Tatbeständen ab.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgesetzbuch (SGG).