Titel:
Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB in einem sogenannten Dieselfall bei Klageeinreichung im Jahr 2019 (hier: Audi Q3)
Normenkette:
BGB § 195, § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1a, § 826, § 852
Leitsätze:
1. Zur Frage der Verjährung von erst nach 2018 erhobenen Klagen vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4175; BeckRS 2021, 22216; BeckRS 2020, 37753; BeckRS 2022, 7982; BeckRS 2022, 10193; BeckRS 2022, 21385; BeckRS 2022, 22387; BeckRS 2022, 39810; BeckRS 2022, 39609; OLG München BeckRS 2020, 11023; BeckRS 2019, 31911; BeckRS 2020, 3135; BeckRS 2022, 21386; OLG Köln BeckRS 2020, 4947; BeckRS 2021, 35160; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5743; BeckRS 2020, 7263; LG München II BeckRS 2021, 30618; OLG Bamberg BeckRS 2021, 10356; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 7000; BeckRS 2020, 6999; BeckRS 2020, 29575; OLG Naumburg BeckRS 2020, 28801; BeckRS 2020, 33093. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausmaß und Umfang des Dieselskandals rechtfertigen es, von einer Kenntnis der Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs im Jahr 2015 auszugehen (anders nachfolgend BGH BeckRS 2022, 24054). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es wäre wertungswidersprüchlich, dem Käufer eines makelbehafteten Pkws jedweden Anspruch bereits dem Grunde nach zu verwehren, soweit der Kauf nach der adhoc Mitteilung vom 22.9.2015 erfolgte, andererseits aber anzunehmen, dass die Verjährungsfrist von Ansprüchen bei früheren Käufen ab diesem Zeitpunkt nicht laufen soll. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, Kenntnis, Medienberichterstattung, breite Öffentlichkeit, Ad-hoc-Mitteilung, Thermofenster, Restschadensersatz
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 24.01.2020 – 51 O 1176/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 25.08.2022 – VII ZR 23/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 59774
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 24.01.2020, Az. 51 O 1176/19, wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 24.01.2020, Az. 51 O 1176/19, dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 42.759,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Das Landgericht verurteilte die Beklagte unter anderem zur Zahlung von 20.781,73 Euro Schadensersatz Zugum-Zug gegen Rücknahme des klägerischen und vom „Dieselskandal“ betroffenen Audis Q3, 2,0 TDI, in welchem der vom Skandal betroffene Motor des Typs EA 189 des Volkswagenkonzerns verbaut ist. Das Landgericht entnahm der Wertung des § 31 BGB, dass die Beklagte hierfür hafte. Bei der Schadensberechnung sei ein Nutzungsersatz mindernd zu berücksichtigen. Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt. Auf die Einzelheiten der Entscheidung wird Bezug genommen.
2
Sowohl der Kläger als auch die Beklagte haben gegen die Entscheidung Berufung eingelegt.
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Der Kläger ist der Auffassung, ein Nutzungsersatz dürfe nicht in Abzug gebracht werden. Auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen.
4
Im Berufungsverfahren wird beantragt,
1. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az. 51 O 1176/19 vom 24.01.2020 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere EUR 21.977,27 zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.03.2019 und Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 08.03.2012 bis zum 21.03.2019 auf einen Betrag in Höhe von EUR 42.759,00 zu zahlen.
2. Die Berufung der Beklagten wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
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Die Beklagte beantragt,
1. Das am 24.01.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 51 O 1176/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung; sie ist der Ansicht. § 31 BGB rechtfertige keine Konzernhaftung.
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Auf die weitergehenden Einzelheiten der umfangreichen - im Textbaustein-Stil versehenen - Begründungen, in denen in maßgeblichen Umfang nicht entscheidungserheblicher Sachverhalt wiederholend vorgetragen wird, wird Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist zurückzuweisen.
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Auf die zulässige Berufung der Beklagten das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt dahingehend abzuändern, dass die Klage vollständig abzuweisen ist. Die Ansprüche des Klägers sind verjährt.
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1. Der Kläger hat dem Grund nach gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB.
12
a. Der Senat verweist - mit Ausnahme der Frage, wer Anspruchsgegner ist - auf die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zum Dieselskandal (Urteile des Bundesgerichtshofs vom 25.5.2020, Az. VI ZR 252/19 und 30.7.2020, Az. VI ZR 5/20) und macht sich die überzeugenden Ausführungen zu eigen.
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b. Vorliegend kann offen bleiben, ob die Beklagte als Tochter des Volkswagenkonzerns die richtige Anspruchsgegnerin ist, auch wenn sie nicht unmittelbar den im betroffenen PKW eingebauten Motor entwickelt hat.
14
Im vorliegenden Fall ist die Beantwortung dieser Rechtsfrage im Hinblick auf die Verjährung nicht entscheidungserheblich.
15
c. Die Ansprüche des Klägers sind verjährt.
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Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass für den Beginn der Verjährung die adhoc Mitteilung maßgeblich ist.
17
(1) Der Senat hat in seinen Entscheidungen (u. a. Beschluss vom 14.9.2020, Az. 28 U 1310/20) deutlich gemacht, dass Ausmaß und Umfang des Dieselskandals es rechtfertigen, von einer Kenntnis des Klägers im Jahr 2015 auszugehen; auch der Bundesgerichtshof kommt wertend in seiner Grundsatzentscheidung vom 30.7.2020 (Az. VI ZR 5/20) zu dem Ergebnis, dass die breite Öffentlichkeit ausreichend mit der adhoc Mitteilung des VW-Konzerns informiert wurde.
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Soweit der Kläger darauf abstellt, dass es nicht ohne weiteres erkennbar gewesen sei, dass auch Fahrzeuge der Beklagten hiervon betroffen waren, steht das im klaren Widerspruch zum Wortlaut der adhoc Mitteilung, die so von den Medien übernommen wurde, und der sich hieran anschließenden Berichterstattung zur gesamten Fahrzeugflotte des Konzerns. Soweit auf die Unsicherheit der Rechtslage abstellt wird, wurde diese Rechtsfrage bereits entschieden. Der Senat macht sich die Entscheidung des Oberlandesgerichts München im Verfahren 3 U 7392/19 vom 10.03.2020 zu eigen.
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(2) Ergänzend ist auszuführen, dass es - der Senat schließt sich der o.g. Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs an - wertungswidersprüchlich wäre, einem Käufer eines makelbehafteten Pkws jedweden Anspruch bereits dem Grunde nach zu verwehren, soweit der Kauf nach der adhoc Mitteilung vom 22.9.2020 erfolgte, andererseits aber anzunehmen, dass die Verjährungsfrist von Ansprüchen bei früheren Käufen ab diesem Zeitpunkt nicht laufen soll.
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(3) Gleiches ergibt sich aus der gesetzlichen Wertung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, in dem der Gesetzgeber Ende 2018 von dem Erfordernis einer Verjährungsrückwirkung ausgegangen ist, wenn ein Gläubiger Ansprüche im Rahmen einer Musterfeststellungsklage anmeldet.
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(4) Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann mithin mit Ablauf 2015 (§ 199 Abs. 1 BGB) und endete (§ 188 Abs. 2 BGB) demnach mit Ablauf 2018. Die im Jahr 2019 erhobene Klage erfolgte daher in verjährter Zeit.
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(5) Auch die Ausführungen zur Haftung wegen des Thermofensters verhelfen der Berufung nicht zum Erfolg.
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(a) Der BGH hat - insoweit stimmt der Senat dem Kläger nicht zu - bereits entschieden, dass die Existenz des sog. Thermofensters keine Haftung aus § 826 BGB begründet.
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Der Hintergrund hierfür ist ohne weiteres nachvollziehbar und der Senat verweist auf seine Entscheidung im Verfahren 28 U 1101/20:
„Das Wesen öffentlichrechtlicher Vorgaben in Form von Beschränkungen ist es, Individualrechtsgüter zu schützen oder politische Wertungsentscheidungen umzusetzen. Folgte man dem Vortrag des Klägers, würde nahezu jeder Verstoß den objektiven Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung verwirklichen. Überwiegend schützen Herstellervorgaben, DIN Vorschriften oder technische Regelwerke wie der Brandschutz, Wasserschutz, Deklarationspflichten bei Lebensmitteln das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Gesundheit. Die Rechtsprechung nimmt aber, anders als der Kläger, nur ausnahmsweise bei Verletzungen dieser Vorgaben - die fast immer wirtschaftliche Hintergründe haben - eine sittenwidrige Schädigung an. Nach der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Verwerflichkeitsformel ist ein Normverstoß nicht ausreichend, sondern es müssen weitere erhebliche Umstände hinzutreten. Das ist stimmig, da - je konkreter Schutzvorschriften zum Individualgüterschutz ausgestaltet sind - die Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB einschlägig sein kann.
Die Gesamtumstände … zum Thermofenster rechtfertigen eine Annahme der Sittenwidrigkeit nicht. Maßgeblich ist hierbei bereits u. a., dass die Notwendigkeit eines Thermofensters dem Grunde nach in der Verordnung anerkannt ist, die Hersteller entsprechend eine solche Einrichtung verwendet haben und die Grenzvorgaben der Verordnung aufgrund der dort genannten unbestimmten Rechtsbegriffe unscharf sind. Weiter dient die europarechtliche Vorgabe nur mittelbar dem Ziel des Gesundheitsschutzes, da vordergründig das politische Lenkungsziel „Umweltschutz“ ist. Vor diesem Hintergrund wurde bereits der objektive Tatbestand nicht verwirklicht.“
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(b) Das Vorhandensein des Thermofensters ist aber - unabhängig davon, ob es haftungsbegründend ist - nicht geeignet, einen isolierten Anspruch zu begründen oder den Lauf der Verjährung neu beginnen zu lassen.
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Die Sittenwidrigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung durch eine umfassende Betrachtung festzustellen. So hat der BGH u. a. in der vorgenannten Grundsatzentscheidung deutlich hervorgehoben, dass ein Verhalten sittenwidrig ist, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
27
Die Motormanipulation in ihrer konkreten Ausgestaltung ist folglich tragend für die Haftung aus § 826 BGB. Insoweit bestand der Anspruch dem Grunde nach bereits mit der ad hoc-Mitteilung und der Kläger hätte hiervon Kenntnis haben müssen.
28
Soweit der Kläger die Sittenwidrigkeit nunmehr quasi „steigern“ will, widerspricht dies der erforderlichen Gesamtbetrachtung; entsprechend verbietet es sich, für den Verjährungsbeginn, jeweils erneut auf in Betracht kommende weitere Argumente der Sittenwidrigkeit abzustellen. Das Vorbringen des Klägers ist an dieser Stelle verfehlt, denn es wird wertend behauptet, es sei zwar gleichgültig, dass er ein manipuliertes Fahrzeug erworben hat, das in der konkreten Ausgestaltung nicht zulassungsfähig gewesen sei, dass aber noch ein - vermeintliches - Thermofenster hinzu gekommen sei, habe das „Fass zum Überlaufen“ gebracht. Das muss seitens des Senats nicht weiter kommentiert werden.
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2. Der Kläger hat keine Ansprüche aus § 852 BGB, da die Beklagte im Verhältnis zum Kläger nicht „etwas erlangt“ hat.
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a. Mit dem sogenannten Restschadensersatzanspruch des § 852 BGB soll der Schädiger nach Ablauf der Regelverjährungsfrist (§§ 195, 199 BGB) sein eigenes Vermögen für den Ausgleich des Schadens nicht mehr einsetzen müssen.
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Er muss aber wenigstens die durch die unerlaubte Handlung erlangten Vorteile herausgeben, da der Schädiger nach § 852 BGB nicht von seiner unerlaubten Handlung profitieren soll (Eichelberger in beck online Großkommentar, Gesamtherausgeber Gsell / Krüger / Lorenz / Reymann, Stand 1.8.2020, § 852 Rnr. 2 ff.).
32
Nach der als Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 818 ff. BGB konzipierten Vorschrift (sogenannte Fahrradgepäckträgerentscheidung des BGH, NJW 1978, 1377) muss die Beklagte als Schädigerin das herauszugeben, was sie durch die Manipulation des verkauften Fahrzeugs auf Kosten der Klägerseite erlangt hat.
33
b. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption soll die Bereicherung des Schädigers im Verhältnis zum Geschädigten abgegriffen werden.
34
Im klassischen Deliktsrecht führt eine unerlaubte Handlung zu einer Vermögensmehrung beim Schädiger zum Nachteil des Geschädigten; hierauf soll Zugriff genommen werden, was durch die Tatbestandsmerkmale „etwas erlangt“ und „auf Kosten des Verletzten“ deutlich gemacht wird. Die Unmittelbarkeit der Vermögensmehrung ist insoweit nicht Voraussetzung und diese kann folglich auch „übers Eck“ erfolgen. Voraussetzung ist aber immer, dass durch die unerlaubte Handlung entsprechende Vermögensverschiebungen ausgelöst werden.
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Der Beklagten sind durch die Motormanipulationen nun vollendet Vorteile allein im Hinblick auf Rechtsgeschäfte im Verhältnis zu den unmittelbaren Abnehmern zugeflossen. Diese Vorteile stehen in keinem Zusammenhang mit der Erwerbshandlung des Klägers.
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Dass die Beklagte dennoch nach § 826 BGB haftet, liegt an der besonderen Rechtsnatur der Norm als Billigkeitshaftung. Die Beklagte als Anspruchsgegnerin haftet unabhängig davon, ob sie vom Geschädigten V. erlangt hat. Im Rahmen des § 852 BGB ist aber allein auf diese „erlangten Vorteile“ abzustellen. Der Kläger hat das Fahrzeug von einem Autohändler in K. erworben. Der Erwerbsvorgang steht somit in keinem Zusammenhang mit den vollendeten Vermögensverschiebungen und den - von Dritter Seite - zugeflossenen Vorteilen bei der Beklagten. Die Beklagte hat für den hier streitgegenständlichen Verkauf des Fahrzeugs nichts erlangt (so auch LG Osnabrück Urt. v. 3.7.2020 - 6 O 842/20, BeckRS 2020, 17605 Rn. 41-44, beckonline).
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Die Berufung des Klägers ist daher zurückzuweisen.
38
Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage insoweit in Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung abzuweisen.
39
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits und damit auch seiner erfolglosen Berufung (§§ 91, 97 ZPO).
40
Die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts erfolgt gemäß §§ 43, 48 GKG i.V.m. § 3 ff. ZPO.