Titel:
Unwirksame Gerichtsstandsvereinbarung in AGB einer Fluggesellschaft
Normenketten:
BGB § 309, § 398, § 631, § 648, § 812
Rom I-VO Art. 3, Art. 6, Art. 10
Leitsätze:
1. Die Gerichtsstandsvereinbarung und Rechtswahlklausel in den AGB einer Fluggesellschaft mit Sitz in Österreich zu einem Luftbeförderungsvertrag, nach der ausschließlich irische Gerichte zuständig und irisches Recht anwendbar sein soll, ist unwirksam. (Rn. 17 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein Luftbeförderungsvertrag gekündigt, sodass die Fluggesellschaft die entsprechenden Steuern und Gebühren nicht an die zuständigen Stellen (Finanzamt bzw. Flughafen) abführen muss, sind die entsprechenden Beträge dem Kunden zurückzuerstatten. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Flug, storniert, Steuern, Gebühren, Rechtswahl, VO (EG) 593/2008
Rechtsmittelinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 28.04.2022 – 5 S 7978/20
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 19.08.2022 – 5 S 7978/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 59672
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.020,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.07.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klagepartei 57 % und die Beklagtenpartei 43 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.Beide Parteien können Vollstreckung der jeweils anderen Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 1.020,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht von der Beklagten als ausführender Fluggesellschaft Erstattung aller Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben auf den von den Zedenten gebuchten Flügen mit Abflugs- bzw. Zielort im hiesigen Gerichtsbereich, die von den Zedenten frühzeitig storniert und jedenfalls nicht angetreten wurden.
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Die Beklagte musste die Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben nicht abführen für die von den Zedenten stornierten bzw. nicht angetretenen Flügen.
3
Die Klägerin forderte die Beklagte außergerichtlich zur Rückerstattung der nicht angefallenen Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben aus abgetretenem Recht unter Fristsetzung auf. Nachdem die Beklagte dieser Aufforderung nicht nachkam wandten sich die klägerischen Anwälte an die Beklagte und forderten sie erneut zur Zahlung auf.
4
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.020,00 e nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinsatz auf den jeweils zuerkannten Betrag seit dem im folgenden näher bezeichneten Verzugseintritt zu zahlen:
Nr. Namen Buchenden Buchungsnummer Betrag Datum Verzugseintritt
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40,00 €
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11.12.2019
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40,00 €
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10.12.2019
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160,00 €
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14.10.2019
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40,00 €
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02.10.2019
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40,00 €
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12.10.2018
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40,00 €
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28.08.2018.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten i.H.v. 1.336,64 € zuzahlen.
3. Hilfsweise die Klägerin von diesen Rechtsanwaltskosten freizustellen.
6
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin erhebe eine Stufenklage und die deutschen Gerichte seien aufgrund Artikel 2.4.3 der ABB der Beklagten unzuständig, da es sich bei der Klägerin um eine Unternehmerin handeln würde und zwischen den Parteien sei eine Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf irische Gerichte getroffen worden.
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Die Beklagte ist der Ansicht, es sei irisches Recht anwendbar.
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Im Übrigen erklärt die Beklagte die Aufrechnung mit dem geltend gemachten
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Rückerstattungsanspruch. Sie beruft sich auf Art. 4.2.1 ABB bzgl einer Bearbeitungsgebühr von 20,00 €.
10
Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen war sie abzuweisen.
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Das Amtsgericht Nürnberg ist zuständig:
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Die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ist als missbräuchliche Klausel unwirksam.
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Im Hinblick auf die unzulässige Gerichtsstandsklausel bezieht sich das - entgegen der Ansicht der Beklagten zuständigeAmtsgericht auf die überzeugende Begründung von Staudinger in RdTW 2018, 59 - mit der Anmerkung, dass selbst im Aufsatz von Staudinger (in juris 2019,134 Anmerkung 4 der genannte Aufsatz mit der falschen Jahreszahl (nämlich 2017) zitiert und von sämtlichen Zitierenden falsch übernommen wurde.
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Es liegt weder eine wirksame Rechtswahl vor, noch wurde eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung bezüglich irischer!!! Gerichte getroffen .
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Mit der Klägerin selbst hat die Beklagte keinen Beförderungsvertrag abgeschlossen, sondern nur mit den Zedenten. Die Zedenten waren offensichtlich und anders lautend hat die Beklagte auch nicht vorgetragen keine Unternehmer, sondern Verbraucher, so dass selbst gemäß Artikel 2.4.3 der ABB der Beklagten eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht getroffen wurde.
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Darüber hinaus ist die Klausel auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte ihren Sitz in Österreich hat und nicht wahllos gemäß Artikel 2.4.3 ihrer ABB vereinbaren kann, dass ausschließlich irische Gerichte zuständig sind.
18
Die Zedenten haben den Luftbeförderungsvertrag gemäß § 648 BGB gekündigt, sodass die Beklagte die Steuern und Gebühren deren Höhe die Beklagte nicht beanstandet hat, nicht an die zuständigen Stellen, d.h. das Finanzamt bzw. den Flughafen abzuführen hatte. Die Beklagte hatte diesen Betrag verlangt, er wurde bezahlt von den Zedenten und die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin aus abgetretenem Recht den Betrag zurückzuerstatten.
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Wie das Amtsgericht im Verfahren 21 c 8856/19 bereits im Hinblick auf die Wahl irischen Recht ausführlich begründet hat, gilt Folgendes:
„Grundsätzlich ist der Beklagten zuzugeben, dass die Rechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Rom I-V grundsätzlich möglich ist. Als Kontrollmaßstab sind allerdings auch die der Umsetzung der Klauselrichtlinie dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen sind, anzuwenden.
Allerdings sind die getroffene Rechtswahlklausel in den ABB der Beklagten irreführend und intransparent und daher rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Klausel-Richtlinie und infolgedessen unwirksam. Die Klausel ist irreführend, insofern als der Anschein erweckt wird, dass neben den einschlägigen Gesetzen lediglich das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 der Wahl irischen Rechts entgegenstehen könnte, nicht aber die Verordnung ((EG) 261/2004. Die Beklagte definiert in ihren ABB unter Art. 1 Begriffsbestimmungen den Begriff Übereinkommen dahingehend, dass damit das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 gemeint ist. Weitere Bestimmungen des Begriffs „Übereinkommen“ finden sich in den ABB der Beklagten nicht. Auch ein Verbraucher kann anhand des Wortes Übereinkommen nicht darauf kommen dass die Verordnung (EG) 261/2004 damit gemeint ist, da es sich um einen unmittelbar geltenden europäischen Rechtsakt und nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Den Begriff der „einschlägigen Gesetze“ definiert die Beklagte in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht. Aus Sicht eines Verbrauchers ist es fern liegend unter einschlägigen Gesetzen“ auch die Verordnung (EG) 241261/2004 zu verstehen. Allerdings handelt es sich bei dieser Verordnung um einen zentralen Baustein des europäischen Gesetzgebers im Bereich des Kundenschutzes welche das Montrealer Übereinkommen ergänzt. Das Verschweigen der Beklagten in der entsprechenden Klausel, dass der Inhalt dieser Verordnung dem gewählten irischen Rechts entgegenstehen könnte, führt zu einer Irreführung der Verbraucher macht die Klausel daher unwirksam.
Ein Verweis auf Art. 5 II RomI VO findet sich in den ABB der Beklagten nicht. Damit weist die Beklagte nicht auf die Einschränkung der Rechtswahlklausel nach Art. 5 II RomIVO hin, was zur Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel führt.
Dies hat der EUGH bereits in seiner „Amazonentscheidung“ für den fehlenden Hinweis auf Art. 6 RomVOI entschieden. Nichts anderes kann in dem unterlassenen Hinweis auf Art. 5 II Rom VO I gelten.
Dies sieht die auch für Luftbeförderungsverträge anzuwendende RL 93/13/EWG zum Schutz der Verbraucher vor. Sie enthält eine Beschränkung der Gestaltung der Verträge der Unternehmer vor. Die streitgegenständliche Klausel also die ABB der Beklagten hätte auf das bindende Recht, dass ihre Wirksamkeit beeinflusst, hinweisen müssen. (Rechtsprechung des EuGH C-191/15) nach dieser Rechtsprechung müssen Rechtswahlklauseln, die im Kern auch Elemente betreffen, die nicht von der Rechtswahlklausel erfasst sind, auch solche Ausnahmen also das sogenannte bindende Recht aufmerksam machen. Diese bindende Rechtsvorschrift, die die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Rechtswahlklausel vorliegend beeinflusst, wäre nach Art. 5 Abs. 2 Rom 1-VO die Fluggastrechte für 261/2004/EG.
Dies hat der EuGH in seiner Rechtsprechung zu dem Streitfall (Amazon) betont, dass nach Art. 3 Abs. 1der RL 93/13 eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen ist, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. Absatz so liegt der Fall auch in dem vom EuGH entschiedenen gleich gelagert. Die Beklagte die Verträge sind auf elektronischem Weg geschlossen wurden und vermitteln den Eindruck dass nur das Recht des Mitgliedsstaates anzuwenden sei, in dem der Gewerbetreibende seinen Sitz hat, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach der Verordnung Art. 6 Absatz Art. 6 der RL 93/13 auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, dass ohne diese Klausel anzuwenden wäre. Darüber hat die Beklagte unstreitig die Zedenten nicht aufgeklärt.
Wenn man die Rechtswahlklausel der Beklagten im Sinne der RL 93/13 EWG und der V. 261/2004/EG auslegt ist diese rechtsmissbräuchlich und unwirksam."
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Der Anspruch der Klägerin beruht auf §§ 812, 398 BGB, 648, 631 BGB.
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Aufrechnungsansprüche stehen der Beklagten nicht zu. Zum einen ist der Aufrechnungsanspruch seitens der Beklagten nicht einmal genau beziffert, zum anderen ist, soweit die Beklagte nach Art. 4.2.1 ABB eine Verwaltungsgebühr bzw. Bearbeitungsgebühr von 20 € erheben will, diese Klausel nach § 307 ff BGB unwirksam und diesbezüglich gilt nicht irisches, sondern deutsches Recht.
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Aus den Grundsätzen des Werkvertrages ergibt sich, dass der Reisende kündigen kann und das Flugunternehmen berechtigt ist, die vereinbarte Vergütung zu verlangen, sich jedoch dasjenige anrechnen lassen muss, was sie sich infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt. Wenn der Reisende seinen gebuchten Flug storniert, erhält die Beklagte ihren gesamten Umsatz, also Kosten einschließlich des Gewinnes. Sie muss die Steuern und Gebühren, die der Flugreisende ihr darüber hinaus bezahlt hat,aber nur im Fall einer tatsächlichen Beförderung als Ticketnebenkosten an beteiligte Staaten und Flughafenbetreiber abführen, sodass die Beklagte, wenn sie eine „Bearbeitungsgebühr“ auf die ihr nicht zustehenden staatlichen Steuern verlangt, die Beklagte einen Geldbetrag dafür verlangt, dass sie ihren ureigensten Pflichten nachkommt, nämlich nach § 648 BGB abzurechnen, um dafür ihre Vergütung für die nicht angetretene Reise zu erhalten. Es ist eine für den Reisenden überraschende Klausel, wenn die Beklagte dafür Bearbeitungsgebühren verlangt, dass sie an ihn den im Ticket festgelegten Betrag zurücküberweist und dafür Bearbeitungsgebühren verlangen will, dass sie diesen Betrag nicht - wie bei Antritt des Fluges durch den Reisenden - an den berechtigten Flughafenbetreiber weiterleitet. Nicht nur einem vernünftigen Reisenden ist unverständlich und unklar, wofür Bearbeitungsgebühren entstehen könnten, die von ihm verlangt werden würden.
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Die Beklagte ist verpflichtet, die Steuern weiterzuleiten und es ist überraschend und benachteiligt entgegen den Geboten von Treu und Glauben den Reisenden unangemessen, wenn für die Nichtweiterleitung seitens der Beklagten Bearbeitungsgebühren verlangt werden. Es ist im eigenen Interesse der Beklagten ihre Abrechnung gemäß § 648 BGB zu erstellen. Nicht zuletzt verstößt Art. 4.2.1.ABB auch gegen § 309 Ziff 6 BGB, denn durch die AGB- Bestimmung wird der Reisende für den Fall der Stornierung zu einer „Geldstrafe“ als Vertragsstrafe verpflichtet, obwohl er bereits alle Kosten einschließlich Gewinn bei der Beklagten belassen muss.
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Die Klägerin hat nur einen Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit, da die bloße einseitige Fristsetzung in der Rechnung keinen Verzug begründet und im Hinblick auf verzugsbegründende Mahnschreiben durch die klägerischen Anwälte hat die Klägerin nicht nachvollziehbar und substantiiert vorgetragen, wann mit welchem zugegangenem Schreiben bezüglich des jeweiligen Zedenten die Beklagte gemahnt worden sei.
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Die Klagepartei kann keine vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten verlangen, da sie nur vorgetrgen hat, dass sie die Beklagte aufgefordert hat, die angefallenen Steuern etc zu zahlen und dabei einseitig eine Frist gesetzt hat. Die Frist ist nach ihrem Vortrag verstrichen. Eine endgültige Weigerung zur Zahlung seitens der Beklagten erfolgte nicht, sie reagierte nur nicht. Zum Zeitpunkt der Beauftragung der Rechtsanwälte lag damit kein Verzug vor mangels erforderlicher Mahnung. Eine einseitige Fristsetzung in einer Rechnung begründet keinen Verzug. (vgl Palandt mwN BGB § 286 RN 22).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91,92 II ZPO. Nachdem die Klägerin mit einem überwiegenden Teil der Nebenkosten, der die Klageforderung übersteigt, unterlegen ist, war ein fiktiver Streitwert zu bilden, aus dem die Kosten zu ermitteln waren (vgl Zöller ZPO, § 92 RN 3, 11)
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11 ff ZPO.