Titel:
Beginn der Wiedereinsetzungsfrist
Normenkette:
ZPO § 234 Abs. 2, § 236 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Teilt ein Rechtsanwalt unter Vorlage einer Prozessvollmacht mit, dass er Kenntnis von einem Versäumnisurteil habe und beantragt zugleich Akteneinsicht, beginnt die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO mit Kenntnisnahme des Urteils. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versäumnisurteil, Kenntnis, Akteneinsichtsantrag, öffentliche Zustellung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 06.07.2022 – 7 U 3126/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 59561
Tenor
1. Der Antrag der Beklagten vom 22.07.2019 auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gem. § 339 Abs. 1 ZPO wird zurückgewiesen.
2. Der Einspruch der Beklagten vom 13.09.2019 gegen das Versäumnisurteil des LG München I vom 30.08.2018 wird als unzulässig verworfen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Einspruchs zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt mit ihrer Klage die Beklagte auf Zahlung von 159.416,71 € in Anspruch.
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Nachdem mehrere Versuche, die Klageschrift vom 20.12.2016 sowie die Verfügung des Vorsitzenden zur Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens vom 19.12.2017 (Bl. 42, 44 d.A.) an die Beklagte unter Anschriften in der Republik Irland im Wege der Rechtshilfe zuzustellen, gescheitert waren, ordnete die Kammer mit Beschluss vom 23.07.2018 (Bl. 56/57 d.A.), der den Klägervertretern am 24.07.2018 formlos übermittelt wurde, die öffentliche Zustellung der Klageschrift und der Verfügung vom 19.12.2017 gemäß § 185 ZPO an. Der Aushang an der Gerichtstafel erfolgte im Zeitraum vom 24.07.2018 bis 27.08.2018.
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Mit Versäumnisurteil vom 30.08.2018, Az. 12 HK O 21624/16, verurteilte die Kammer die Beklagte zur Zahlung von 159.416,71 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.07.2017. In dem Versäumnisurteil wurde die Einspruchsfrist auf einen Monat festgesetzt.
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Mit Beschluss vom 30.08.2018 (Bl. 59/60 d.A.) wurde die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils vom gleichen Tag angeordnet. Der Aushang an der Gerichtstafel erfolgte vom 31.08.2018 bis 04.10.2018. Mit Schriftsatz vom 07.06.2019 (Bl. 77 d.A.) bestellte sich der Beklagtenvertreter für die Beklagte und bat um Mitteilung „ob ein (bei der Beklagten) soeben bekannt gewordenes Urteil des Landgerichts München : Versäumnisurteil vom 30. August 2018, der Beklagten zugestellt wurde“.
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Nach Gewährung von Akteneinsicht beantragte der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 22.07.2019 (dort S. 6, Bl. 84 d.A.) unter anderem:
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Höchstvorsorglich und für den Fall, dass das Gericht der Auffassung der Beklagtenseite, dass das Verfahren überhaupt erst noch durchzuführen ist, nicht folgen sollte:
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung.
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Mit Schriftsatz vom 09.09.2019 (dort S. 8, Bl. 99 d.A.) rügte der Beklagtenvertreter die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I und mutmaßte eine solche des Landgerichts Mönchengladbach. Er ergänzte daher seinen Wiedereinsetzungsantrag um den Antrag auf Verweisung an das zuständige Gericht (Bl. 100 d.A.) und beantragte zugleich:
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Die Wiedereinräumung der 14-tägigen Frist zur Verteidigungsanzeige mit dem dann folgenden Antrag auf Abweisung der Klage.
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Mit Schriftsatz vom 13.09.2019 legte der Beklagtenvertreter für den Fall der Gewährung der vorsorglich beantragten Wiedereinsetzung Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein und stellte Antrag auf Abweisung der Klage (Bl. 102 d.A.).
Entscheidungsgründe
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1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil gem. § 339 Abs. 1 ZPO war als unbegründet zurückzuweisen.
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Der Wiedereinsetzungsantrag ist verfristet nach § 234 ZPO. Die Zustellung des Versäumnisurteils vom 30.08.2018 erfolgte durch Aushang an der Gerichtstafel am 04.10.2018. Kenntnis vom Versäumnisurteil erlangte der Beklagtenvertreter ausweislich seines Schriftsatzes vom 07.06.2018 jedenfalls am an diesem Tag. Da seine Prozessvollmacht ausweislich der seinem Schriftsatz beigelegten Urkunde insofern unbeschränkt ist (s. auch § 83 I ZPO), ist diese Kenntnis der Beklagten zuzurechnen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ging bei Gericht jedoch erst am 26.07.2019, also außerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 I S. 1, II ZPO, ein.
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Zudem enthielt der Wiedereinsetzungsantrag nicht die versäumte Prozesshandlung, nämlich den Einspruch gegen das Versäumnisurteil, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Beklagte legte erst mit Schriftsatz vom 13.09.2010 einen Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein.
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2. Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil war als unzulässig zu verwerfen.
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Die Einspruchsfrist war auf einen Monat festgesetzt worden und lief somit am 04.11.2018 ab. Der am 13.09.2019 eingelegte Einspruch war daher verspätet; eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist war nicht zu gewähren (s.o. Ziff. 1).
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Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO entsprechend
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Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Ziff. 3 ZPO