Titel:
Rente, Erwerbsminderung, Behinderung, Bescheid, Krankheit, Erwerbsminderungsrente, Gutachten, Rentenanspruch, Rentenantrag, Beurteilung, Klage, form, Voraussetzungen, Verdacht, Rente wegen Erwerbsminderung, teilweise Erwerbsminderung, drei Stunden
Schlagworte:
Rente, Erwerbsminderung, Behinderung, Bescheid, Krankheit, Erwerbsminderungsrente, Gutachten, Rentenanspruch, Rentenantrag, Beurteilung, Klage, form, Voraussetzungen, Verdacht, Rente wegen Erwerbsminderung, teilweise Erwerbsminderung, drei Stunden
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Beschluss vom 16.03.2022 – L 19 R 47/21
BSG Kassel, Beschluss vom 10.08.2022 – B 5 R 86/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 59556
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
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Die 1960 geborene Klägerin war zuletzt bis 2014 als Stationshilfe in einem Klinikum tätig. Am 09.03.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
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Die Beklagte ließ die Klägerin von der Dr. K. untersuchen und begutachten. Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 06.07.2017 ab, da die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Rente nicht erfüllt seien. Bei der Klägerin würden folgende Krankheiten bzw. Behinderungen vorliegen: „Chronisches HWS-Syndrom bei vorbeschriebener foraminaler Enge ohne radiologische und klinische Befundänderung in den letzten drei Jahren, chronisches LWS-Syndrom ohne neurologische Defizite, Verdacht auf Angst- und Panikstörung.“ Diese Einschränkungen würden nicht zu einem Rentenanspruch wegen Erwerbsminderung führen. Nach medizinischer Beurteilung könnte die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
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Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten ein. Das Gutachten erstellte der Sozialmediziner und Facharzt für Chirurgie Dr. R.. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2017 zurück.
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Mit ihrer am 11.01.2018 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren nach Erwerbsminderungsrente weiter.
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Das Gericht hat die Akte aus dem Klageverfahren S 13 SB 346/17 beigezogen und Befundberichte von Dr. E., Dr. F., Dr. G., H. und einen Bericht der S. Klinik B-Stadt eingeholt. Zur Bestimmung von Art und Ausmaß der vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Orthopäden Dr. I.. In seinem Gutachten vom 29.10.2018 beschrieb Dr. I. die bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden an der Hals- und Lendenwirbelsäule und kam in der Leistungsbeurteilung zu dem Ergebnis, dass die Klägerin unter Beachtung qualitativer Einsatzbeschränkungen, die Dr. I. in seinem Gutachten näher bezeichnete, noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten könne.
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Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständiger gehörte Orthopäde Dr. K. gelangte in seinem Gutachten vom 01.04.2019 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Er führte hierzu aus, dass die Dekompensation nicht auf orthopädischem Gebiet, sondern auf psychischem und psychosomatischem Gebiet bestehe.
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Zu diesem Gutachten legte die Beklagte eine ärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. A. vom 14.05.2019 vor, in dem ausgeführt wurde, dass aus orthopädischer Sicht die bisher erhobenen Untersuchungsbefunde die Annahme eines quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögens nicht zuließen. Die Einholung eines Gutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet wurde angeraten.
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Hierzu erstellte Dr. K. am 14.11.2019 eine Stellungnahme nach § 109 SGG, in dem er darlegte, dass hinsichtlich des orthopädischen Fachgebietes keine wesentlichen Differenzen mit Dr. A. bestehen würden. Er verwies jedoch auf die psychosomatischen und neurologischen Gegebenheiten bei der Klägerin, welche nach seiner Ansicht keine vollschichtige Leistungsfähigkeit ermöglichen würden.
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Nachdem auf Anforderung des Gerichts noch Dr. I. am 13.01.2020 eine ergänzende Stellungnahme abgab, hat das Gericht die Klägerin noch durch den Psychiater Dr. B. untersuchen und begutachten lassen. Dieser führte in seinem Gutachten vom 03.07.2020 aus, dass bei der Klägerin auf seinem Fachgebiet eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte bis mittelschwere depressive Episode, vorliege. Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin unter Beachtung gewisser Leistungseinschränkungen, welche im Gutachten näher beschrieben wurden, noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.07.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2017 zu verurteilen, ihr auf den Antrag vom 09.03.2017 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte, insbesondere auf die eingeholten Gutachten, ärztlichen Stellungnahmen und eingereichten Schriftsätze, verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
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Sie erweist sich jedoch als unbegründet. Die Beklagte hat die Gewährung von Erwerbsminderungsrente zu Recht abgelehnt.
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Nach § 43 Abs. 2 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
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Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI).
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Bei der Klägerin liegt weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vor. Ihre Erwerbsfähigkeit ist noch nicht in einem solchen Maße eingeschränkt, dass sie seit der Rentenantragstellung im März 2017 bis jetzt nicht mehr fähig wäre, eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.
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Der Sachverhalt ist in medizinischer Hinsicht insbesondere aufgrund der im Klageverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten hinreichend geklärt. Demnach wird die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Wesentlichen eingeschränkt durch eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und durch eine rezidivierende depressive Störung. Schmerzen werden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule beklagt.
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Bei zusammenfassender Würdigung des bei der Klägerin vorliegenden Beschwerdebildes ist das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar nicht unerheblich beeinträchtigt ist, jedoch die vorhandenen Leistungseinbußen noch keine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens bedingen. Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit kann unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses angemessen und ausreichend durch Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen Rechnung getragen werden. Qualitativ ergeben sich die Einschränkungen insofern, als die Klägerin nur mehr leichte körperliche Tätigkeiten im Wechselrhythmus ohne häufige Überkopfarbeiten, ohne Arbeiten mit Hocken oder Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne schweres Heben und Tragen verrichten kann. Tätigkeiten mit vermehrtem Zeitdruck, Akkord oder Nachtschicht sind nicht mehr zuzumuten.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer überzeugt, dass die Klägerin unter Berücksichtigung der oben genannten qualitativen Leistungseinschränkungen noch leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann. Bezüglich dieser Leistungseinschätzung hat das Gericht keine Bedenken, sich den Ausführungen in den Gutachten der Sachverständigen Dr. I. und Dr. B. anzuschließen. Die Gutachter haben es verstanden, die erhobenen Befunde überzeugend auszuwerten und plausibel darzulegen, dass die Klägerin aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen zwar durchaus qualitativ, jedoch zeitlich in ihrem Leistungsvermögen noch nicht eingeschränkt ist.
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Nicht zu folgen vermag die Kammer dagegen dem von Dr. K. in seinem Gutachten vorgetragenen Ergebnis. Dr. K. führte in seinem Gutachten aus, dass die von ihm angenommene zeitliche Leistungseinschränkung nicht auf orthopädischen Diagnosen beruhe, sondern zurückzuführen sei auf Einschränkungen auf psychischem und psychosomatischem Gebiet. Folgerichtig hat das Gericht deshalb ein psychiatrisches Fachgutachten eingeholt, da das Gericht einem Psychiater, hier Herrn Dr. M. in Bezug auf das psychiatrische Fachgebiet eine höhere Kompetenz zubilligt als dem Orthopäden Dr. K.. Das Gutachten von Dr. B. hat diesbezüglich zur Klärung des medizinischen Sachverhaltes geführt.
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Nach alledem ist die Klägerin weder voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 SGB VI.
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Die Klägerin hat ebenso keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI.
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Nach § 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 der oben genannten Vorschrift umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit für Versicherte zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Gem. § 240 Abs. 2 S. 4 ist nicht berufsunfähig, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
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Die Klägerin ist nicht berufsunfähig, da sie bereits aufgrund ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Stationshilfe keinen qualifizierten Berufsschutz genießt. Sie muss sich auf alle gesundheitlich verträglichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen.
27
Da sich somit die angefochtenen Bescheide der Beklagten als rechtmäßig erwiesen, musste die Klage als unbegründet abgewiesen werden.
28
Die sich aus der Klageabweisung ergebende Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.