Inhalt

LG Würzburg, Endurteil v. 22.12.2020 – 23 O 1768/20
Titel:

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Software, Zeitpunkt, Klage, Schaden, Leistung, Zusammenhang, Zinsen, Medien, Manipulation, Beweis, entstandener Schaden

Schlagworte:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Software, Zeitpunkt, Klage, Schaden, Leistung, Zusammenhang, Zinsen, Medien, Manipulation, Beweis, entstandener Schaden
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 13.04.2021 – 1 U 14/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 13.07.2022 – VII ZB 29/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 59512

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal.
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Die Klagepartei erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug PKW VW Tiguan Sport & Style 2.0 TDI am 21.01.2015 von der nicht am Rechtsstreit beteiligten zum Preis von 27.420,00 € (Anlage K 1). Es handelte sich um einen Neuwagen. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor vom Typ EA 189 verbaut. Der Kilometerstand zum 22.12.2020 betrug 97.218 km.
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Das Fahrzeug des Klägers ist vom sog. „Abgas-Skandal“, einer Manipulation der Abgaswerte in Fahrzeugen, betroffen. Eine im Fahrzeug im Zeitpunkt des Verkaufs installierte Software führt im Ergebnis zu einer Motorsteuerung, die Prüfsituationen erkennt und dann den Stickoxidausstoß (NOx-Werte) verringert. Die Motorsteuergerätesoftware verfügt also über eine Fahrzykluserkennung, die erkennt, wenn das Gerät den NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) durchfährt. Die installierte Software führt dazu, dass Abgase beim Durchfahren dieses Prüfzyklusses in den Motor zurückgeführt werden, bevor sie überhaupt das Emissionskontrollsystem erreichen.
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Durch Aktivierung dieses Modus (Modus 1) werden durch die Rückführung von Abgasen in den Motorraum deutlich niedrigere Werte auf dem Prüfstand erreicht. Im Straßenbetrieb, also im Normalmodus (Modus 0), dagegen kommt es unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr bestehen, nicht zu einer solchen Abgasrückführung, so dass dort wesentlich höhere Stickoxidwerte erreicht werden.
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Die Beklagte bietet zur Lösung des Problems das Aufspielen eines Software-Updates an. Dies ist im Fall des Klägers auch erfolgt.
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Die Klägerseite ist im Kern ihres Vorbringens der Auffassung, dass ihr gegenüber der Beklagtenseite ein Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des mit einer Dritten geschlossenen Kaufvertrags durch Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Pkws zustehe, weil die Beklagte sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und betrogen habe. Bei seiner Kaufentscheidung sei es dem Kläger auf Umweltfreundlichkeit und Wertstabilität angekommen. Durch die installierte Manipulationssoftware sei er darüber getäuscht worden, dass er ein umweltfreundliches Auto fahre, welches einen stabilen Wiederverkaufswert habe. Der Kläger hätte, wenn er von den Manipulationen gewusst hätte, das Fahrzeug nicht erworben. Er sei daher schon durch den Vertragsschluss geschädigt. Es handle sich um eine rechtswidrige Abschalteinrichtung, da jegliche Motorsoftware auf dem Prüfstand dieselben Funktionen aufzuweisen habe wie beim Betrieb des Fahrzeugs auf der Straße. Durch das update sei der Mangel nicht beseitigt worden. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Motorleistung etc. auf lange Sicht hierdurch beeinträchtigt werde und dass mehr Kraftstoff verbraucht werde. Auch hier sei der Kläger wiederum getäuscht worden. Durch die Manipulation habe das Fahrzeug auch einen Wertverlust erlitten. Es bestünden daher Ansprüche aus §§ 826, 823 BGB, 263 StGB, 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Die Ansprüche seien nicht verjährt, da der Kläger erst im Jahr 2017 durch ein Rückrufschreiben von der Betroffenheit seines Fahrzeugs von den Abgasmanipulationen unterrichtet worden sei. Im übrigen sei durch das Aufspielen des Software-Updates ein Thermofenster eingerichtet worden, das ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Davon habe der Kläger erst im Jahr 2019 erfahren.
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Eine Anmeldung zur Musterfeststellungsklage ist nicht erfolgt.
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Die Klägerseite beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 22.088,56 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2020 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Tiguan Sport & Style 2.0 TDI, ….
Im Übrigen erklärt der Kläger die Klageforderung in Ziff. 1 der Klage für erledigt.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag Ziff. 1 genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozeßbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.899,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.04.2020 freizustellen.
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Die Beklagtenseite stimmt der Erledigterklärung nicht zu und beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die geltend gemachten Ansprüche seien verjährt. Da die Abgasthematik bereits im September 2015 öffentlich bekannt gemacht wurde, seien Ansprüche von Käufern, welche ihr Fahrzeug vor diesem Zeitpunkt erworben haben, regelmäßig mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt. Die Verjährungsfrist beginne nicht durch das Aufspielen des Software-Updates erneut, insbesondere enthalte dieses keine illegale Abschalteinrichtung.
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Ein Schadensersatzanspruch scheide im vorliegenden Fall auch deshalb aus, das der Klagepartei kein durch ein Verhalten der Beklagtenpartei kausal entstandener Schaden entstanden sei. Die Klagepartei habe nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt, dass sie vom Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs Abstand genommen hätte, wenn sie im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses von der streitgegenständlichen Umschaltlogik gewusst hätte.
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Im übrigen sei das Fahrzeug stets verkehrssicher und fahrbereit gewesen und habe über alle erforderlichen Genehmigungen verfügt. Es sei weder vor noch nach Aufspielen des Softwareupdates ein Schaden des Klägers ersichtlich.
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Ergänzend wird zu den Einzelheiten des weiteren Sachvortrags sowie insbesondere den vertretenen Rechtsauffassungen der Parteien und den diesbezüglich ausgetauschten Argumenten auf die zur Akte genommenen Schriftsätze nebst den zugehörigen Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die Klage ist zulässig.
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1. Das Landgericht Würzburg ist sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG zuständig.
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2. Das Landgericht Würzburg ist auch örtlich zuständig.
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Gern. § 32 ZPO kann auch am Ort einer strafbaren Handlung geklagt werden. Nach dem insoweit zugrunde liegenden Vortrag des Klägers stützt er seine Klage auf deliktische Ansprüche. Ausgehend von der Auffassung, dass auch der Erfolgsort als Begehungsort in diesem Sinne angesehen wird, bejaht das Gericht seine an den Wohnort des Klägers angelehnte gerichtliche Zuständigkeit.
II.
19
Die Klage ist jedoch unbegründet.
20
Zwar steht der Klagepartei aufgrund der neuesten Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 25.05.2020 ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegenüber der Beklagten zu. Hierzu ist es nicht erforderlich, dass der Kläger vorträgt und beweist, dass er vom Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs Abstand genommen hätte, wenn er von der Abgasproblematik gewusst hätte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung und den sich für die Art des konkreten Geschäfts ergebenden Erfahrungssätzen ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder Betriebsstillegung droht (BGH a.a.O.).
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Dieser Schadensersatzanspruch ist allerdings verjährt, weshalb die Beklagte berechtigt ist, die Leistung zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB).
22
Für sämtliche, vom Kläger geltend gemachten Ansprüche gilt die 3-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Diese beginnt gern. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände sowie der Person des Schuldners hat oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat. Für die danach zu fordernde Kenntnis genügt es, wenn tatsächliche Umstände vorhanden sind, welche die Erhebung einer Feststellungsklage erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos machen. Eine zutreffende, rechtliche Würdigung ist keine Voraussetzung der Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 BGB (vgl. LG Freiburg, Urteil vom 27.03.2020, Az.: 8 O 152/19 m.w.Nachw.).
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In Fällen wie dem vorliegenden stimmt der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Zeitpunkt regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt des allgemeinen Bekanntwerdens des sog. „Dieselskandals“ überein. Am 22.09.2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit durch eine Pressemitteilung und eine Ad-hoc-Mitteilung als börsennotiertes Unternehmen. Im Anschluss daran wurde über die von der Beklagten vorgenommenen Manipulationen noch im September 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet. Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, ihm jedenfalls nicht grob fahrlässige Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 2.Alt BGB vorzuwerfen wäre, ist nicht vorstellbar (OLG München, Beschluss gern. § 522 ZPO vom 03.12.2019, Az.: 20 U 5741/19). Auf den Zeitpunkt der individuellen Benachrichtigung aufgrund der Rückrufaktion kommt es nicht an (vgl. LG Wiesbaden, Urteil vom 05.09.2019, Az. 2 O 84/19).
24
Der Verjährungsbeginn ist auch nicht wegen Unzumutbarkeit aufgrund einer unsicheren Rechtslage hinauszuschieben. Eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage besteht nicht schon dann, wenn noch keine höchstrichterliche Entscheidung einer bestimmten Frage vorliegt (BGH, Urteil vom 07.12.2010, XI ZR 348/09). Sie ergibt sich auch nicht daraus, dass bei Massenverfahren, mit der eine Vielzahl von Gerichten beschäftigt wird, unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Die Grundsätze, auf die der BGH nun einen Schadensersatzanspruch gern. §§ 826, 31 BGB für begründet erachtet hat, waren jedenfalls schon aus dem Kapitalanlagerecht bekannt und ihre Übertragung auf Fälle massenhafter Produktmanipulationen nicht unvorhersehbar, schwierig oder sonst nicht zuverlässig einschätzbar (LG Freiburg, a.a.O., Rdziff. 42).
25
Diese Auffassung wird nun im Wesentlichen auch bestätigt durch das Urteil des BGH vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20.
26
Verjährungsunterbrechende Maßnahmen liegen nicht vor. Eine Anmeldung zur Musterfeststellungsklage ist nicht erfolgt.
27
Das Aufspielen des Software-Updates hat die Verjährung nicht unterbrochen oder neu anlaufen lassen. Das Software-Update war vom Kraftfahrtbundesamt geprüft und freigegeben. Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dieses erneut Manipulationen im Sinne einer unzulässigen Abschalteinrichtung enthielt.
28
Nach alldem ist die Klage unbegründet.
III.
29
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
IV.
30
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.