Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 28.09.2020 – M 7 K 20.1931
Titel:

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (abgelehnt), Verfassungsrechtliche Streitigkeit, Parlamentarisches Kontrollgremium, Vorschlagsrecht der Fraktionen, Nichtwahl vorgeschlagener Kandidaten, Entscheidung durch Gerichtsbescheid

Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
BV Art. 13, Art. 16a
PKGG § 2 Abs. 1 S. 1, 3
Schlagworte:
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (abgelehnt), Verfassungsrechtliche Streitigkeit, Parlamentarisches Kontrollgremium, Vorschlagsrecht der Fraktionen, Nichtwahl vorgeschlagener Kandidaten, Entscheidung durch Gerichtsbescheid
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.06.2022 – 5 ZB 20.2632
Fundstelle:
BeckRS 2020, 59058

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu je 1/3 zu tragen. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren mir ihrer Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit der wiederholten Nichtwahl der von ihrer Fraktion als Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums (im Folgenden: PKG) vorgeschlagenen Kandidaten durch den Bayerischen Landtag.
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Die Klägerin zu 1 ist seit der letzten Landtagswahl als Fraktion mit derzeit 20 Abgeordneten im Bayerischen Landtag vertreten. Die Kläger zu 2 und 3 gehören als Abgeordnete des Bayerischen Landtags der Klägerin zu 1 an.
3
Nach der Konstituierung des Bayerischen Landtags der 18. Wahlperiode am 5. November 2018 wurden in der Sitzung am 11. Dezember 2018 die Mitglieder des PKG sowie deren Stellvertreter in geheimer Abstimmung gewählt. Entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers hatte die CSU-Fraktion das Vorschlagsrecht für drei Mitglieder und hatten die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FREIEN WÄHLER, der AfD und der SPD das Vorschlagsrecht für jeweils ein Mitglied bzw. stellvertretendes Mitglied im PKG. Während die von den anderen Fraktionen vorgeschlagenen Kandidaten sämtlich durch den Bayerischen Landtag gewählt wurden, erreichten die von der Klägerin zu 1 zur Wahl vorgeschlagenen Kandidaten, unter anderem der Kläger zu 2, nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen. Auch die in der Folge von der Klägerin zu 1 für den Wahlgang in der Sitzung vom 5. Juni 2019 vorgeschlagenen Kandidaten, namentlich die Kläger zu 2 und 3, konnten die erforderliche Stimmenmehrheit nicht erzielen. Die Wahl der Kläger zu 2 bzw. 3 scheiterte erneut in den darauffolgenden Wahlgängen am 10. Oktober 2019 bzw. am 10. Dezember 2019.
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Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer durch den gemeinsamen Klägerbevollmächtigten am 5. Mai 2020 erhobenen Klage.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die anderen Abgeordneten und Fraktionen nähmen seit etwa anderthalb Jahren eine konsequente Nichtwahl von Abgeordneten der Klägerin zu 1 vor. Unabhängig von der Person der jeweils aufgestellten Person erfolge per se eine Ablehnung eines jeden vorgeschlagenen Kandidaten oft ohne jede Begründung oder allenfalls mit einer nur pauschalen, nicht einzelfallspezifischen Begründung auf Basis bloßer Behauptungen und Verdächtigungen. Durch die permanente Nichtwahl durch den Bayerischen Landtag seien die Kläger seit ihrem Einzug in den Landtag daran gehindert, im wichtigen PKG Informationen zu erhalten und ihren Standpunkt auch dort zu vertreten. Es erscheine mindestens äußerst zweifelhaft, ob die mehrfache Nichtwahl des jeweiligen Kandidaten sich auf hinreichend sachliche Gründe stützen könne, die den zentralen Verfassungswerten der Chancengleichheit der Parteien und Fraktionen und dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit aller parlamentarischer Gremien die Waage halten könne. Bei keinem der nichtgewählten Kandidaten lägen in dessen Person sachliche Gründe für eine Nichtwahl vor. Die Kläger sind der Auffassung, der Verwaltungsrechtsweg sei für diese Streitigkeit eröffnet, da es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO handele. Eine solche würde von der herrschenden Meinung und der herrschenden Rechtsprechung nur dann bejaht, wenn eine sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit vorliege. Sowohl die Streitsubjekte als auch der jeweilige Streitgegenstand müssten danach dem Verfassungsrecht zuzuordnen sein. Dies sei hier aber nicht der Fall. Beim beklagten Freistaat Bayern handele es sich bereits nicht um ein Landesverfassungsorgan im Sinne der Lehre von der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit. Zudem mangele es auch an der erforderlichen materiellen Verfassungsunmittelbarkeit. Denn vorliegend bildeten die Auslegung und die Anwendung verfassungsrechtlicher Normen jedenfalls nicht den Kern des Rechtsstreits. Die Kläger würden sich letztendlich gegen eine unrichtige Anwendung und den Vollzug einfachrechtlicher Vorschriften des „Gesetzes zur parlamentarischen Kontrolle der Staatsregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz sowie hinsichtlich der Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 3 bis 5 des Grundgesetzes (Parlamentarisches KontrollgremiumGesetz)“ - PKGG - wenden, auch wenn dieses verfassungskonform auszulegen sei. Ausgangspunkt des Rechtsstreits sei die Auslegung des einfachrechtlichen Art. 2 Abs. 1 PKGG. Allein die Tatsache, dass diese einfachgesetzliche Norm verfassungskonform ausgelegt werden müsse, insbesondere im Lichte des Art. 16a Abs. 1 und 2 Bayerische Verfassung - BV -, erhebe Art. 2 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 PKGG noch nicht in den Verfassungsrang und mache aus dem Streit, wie das einfache Recht verfassungskonform auszulegen und anzuwenden sei, noch keine Verfassungsstreitigkeit i.S.d. Art. 64 BV i.V.m. Art. 49 Abs. 1 BayVerfGHG. Bei Art. 16a Abs. 1 und 2 BV handele es sich um ein subjektives Recht auf Teilhabe. Die Art. 2 und 4 BV statuierten das Demokratieprinzip, aus dem ein Recht auf Ausübung der Opposition und das Gebot, parlamentarische Minderheiten zu schützen folge. Die grundlegenden Rechte der Abgeordneten zur Vertretung des Volkes seien in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV verankert. Die Abgeordneten würden grundsätzlich einer umfassenden Information bedürfen, um ihren Aufgaben genügen zu können. Ein Organstreitverfahren sei vorliegend ersichtlich nicht zulässig. Denn bei einem Organstreitverfahren nach Art. 64 BV sei, wie der Wortlaut der Verfassung klar bestimme, erforderlich, dass die Rechte, die umstritten seien, in der Verfassung vorgesehen sein müssten. Vorliegend sei das Recht der Fraktionen, entsprechend ihrer parlamentarischen Stärke im PKG vertreten zu sein und dort ihre politischen und rechtlichen Standpunkte geltend zu machen, aber in Art. 2 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 PKGG geregelt und nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, in der Verfassung selbst.
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Die Kläger beantragen,
Es wird festgestellt, dass die Nichtwahl der Kläger zu 2 - 3 durch den Beklagten am 05.06.2019 und am 10.12.2019 rechtswidrig gewesen ist und die Kläger zu 1 - 3 in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 2 I 3 PKGG i.V. m. Art. 2 I 1 PKGG sowie den Art. 2, 4 und 16a I, II BV verletzt hat.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte meint, die Klage zum Verwaltungsgericht sei bereits unzulässig. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei nicht eröffnet. Es liege eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liege eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, die den Verwaltungsrechtsweg ausschließe, dann vor, wenn das dem Streit zugrundeliegende Rechtsverhältnis in materieller Hinsicht maßgeblich vom Verfassungsrecht geprägt sei. Zu den Gebieten, die maßgeblich durch das Verfassungsrecht geprägt seien, gehöre insbesondere das innere und äußere Parlamentsrecht. Es sei unschädlich, dass die Wahl der Mitglieder des PKG nicht in der Bayerischen Verfassung, sondern in einem formellen Gesetz geregelt sei. So seien auch zahlreiche andere verfassungsrechtliche Fragen in formellen Gesetzen wie dem Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags, dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Bayerischen Landtags oder Ähnlichem geregelt. Jedenfalls Streitigkeiten, die sich auf den parlamentarischen Minderheitenschutz beziehen würden, seien solche verfassungsrechtlicher Art. Auch das Bundesverfassungsgericht und andere Landesverfassungsgerichte hätten entsprechende Streitigkeiten aus dem Organisationsrecht der parlamentarischen Ausschüsse und Gremien in aller Regel ohne Annahme eines anderen Rechtsweges im Organstreitverfahren sowie analogen Verfahrensarten zugelassen und damit als verfassungsrechtliche Streitigkeit behandelt. Umgekehrt habe das Hamburgische Verfassungsgericht einen Antrag einer Fraktion im Organstreit wegen der Nichtwahl des von ihr für die Mitgliedschaft in der Härtefallkommission nach dem Aufenthaltsgesetz vorgeschlagenen Kandidaten nicht als verfassungsrechtliche Streitigkeit zugelassen, da es sich um die Wahl in ein Gremium handele, das einen rein verwaltungsrechtlichen Aufgabenkreis habe. Anders als in dem vom Hamburgischen Verfassungsgericht entschiedenen Fall handele es sich aber bei dem PKG gerade nicht um ein Gremium mit Aufgaben im Verwaltungsvollzug, sondern mit Aufgaben verfassungsrechtlichen Zuschnitts. Zu keinem anderen Ergebnis komme auch die in der Literatur vorherrschende Auffassung, wonach sich der Begriff der nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach dem Kriterium der sog. doppelten Verfassungsunmittelbarkeit bestimme. Denn Fraktionen und Abgeordnete seien, was keines Nachweises bedürfe, unmittelbar am Verfassungsleben des Freistaates Bayern Beteiligte.
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Die Parteien wurden mit Schreiben vom 4. August 2020 zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört. Daraufhin hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 31. August 2020 mitgeteilt, dass klägerseits kein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid bestehe.
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Zur Begründung verwiesen die Kläger nochmals darauf, dass sie den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht im Hinblick auf die im hiesigen Verfahren gestellten Anträge für eröffnet hielten. Sollte die hiesige Kammer entgegen dieser Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshof und entgegen der insoweit einmütigen Literaturauffassung entscheiden und den Rechtsweg zum Verfassungsgerichtshof bejahen, würde die Kammer von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweichen. Letzteres nur in einem schriftlichen Verfahren umzusetzen, halte die Klägerseite für nicht angemessen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie die beigezogene Behördenakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Parteien wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört.
13
Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid konnte zudem trotz der Versagung des Einverständnisses seitens der Kläger ergehen, da die Zulässigkeit einer solchen Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht von der Einwilligung der Beteiligten abhängt (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2016 - 7 ZB 16.438 - juris Rn. 2). Das Gericht entscheidet vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es von der Möglichkeit der Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch macht. Ob die Voraussetzungen im Einzelfall gegeben sind, entscheidet der Spruchkörper in einem Akt wertender Erkenntnis; insoweit steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 84 Rn. 11; Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, § 84 Rn. 20). Das Gericht verkennt nicht, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht angebracht ist, wenn von einer ständigen höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abgewichen werden soll (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 84 Rn. 7). Eine solche Abweichung ist mit der vorliegenden Entscheidung jedoch nicht verbunden.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist mangels Rechtswegeröffnung unzulässig.
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Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist für die vorliegende Streitigkeit nicht eröffnet. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg nur für öffentlichrechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Bei der vorliegenden Streitigkeit handelt es sich jedoch um eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art.
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vorliegt, ist, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt ist bzw. ob die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Normen den eigentlichen Kern des Rechtsstreits bilden (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1988 - 7 C 115.86 - juris Rn. 12; U.v. 6.7.1966 - V C 79.65 - juris Rn. 52; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 20). Zwar liegt eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nicht bereits deshalb vor, weil die maßgeblichen einfachgesetzlichen Regelungen der Erfüllung von Verfassungsgeboten dienen oder die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abhängt, ein Rechtsverhältnis also von den Grundrechten und sonstigen Verfassungsrechtssätzen unmittelbar beeinflusst und von ihnen letztlich getragen wird (vgl. BayVGH, U.v. 17.12.2012 - 10 BV 09.2641 - juris Rn. 56; BVerwG, U.v. 11.7.1985 - 7 C 64.83 - juris Rn. 8). Demgegenüber ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit aber auch nicht allein deswegen abzulehnen, weil streitgegenständlich verfassungskonkretisierende einfachgesetzliche Normen sind. Denn Verfassungsrecht im vorstehenden Sinne ist nicht nur das formelle, sondern auch das materielle Verfassungsrecht, grundsätzlich also auch das interne Organrecht, das Parlaments-Wahlrecht, das Parteienrecht oder das Abgeordneten- und Ministerrecht. (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 19). Als entscheidend wird daher angesehen, welche Ebene des Rechtssystems - die verfassungsrechtliche oder die einfachrechtliche - das dem Streit zugrundeliegende Rechtsverhältnis prägt (vgl. BVerwG, B.v. 13.8.1999 - 2 VR 1/99 - juris Rn. 20; U. v. 18.5.1994 - 11 A 1/92 - juris Rn. 27). Maßgebend ist, ob der Klageanspruch in dem verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen den Parteien oder aber in einem engeren Rechtsverhältnis wurzelt, das durch Normen des einfachen Rechts geprägt wird (vgl. BVerwG, U.v. 24.1.2007 - 3 A 2/05 - juris Rn. 15; BVerfG, B.v. 7.10.2003 - 2 BvG 1/02 - juris Rn. 15).
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Vorliegend ist von einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit auszugehen, da das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt ist.
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Die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Normen bilden den eigentlichen Kern des Rechtsstreits. Die Parteien streiten bezüglich der Nichtwahl der von einer Fraktion für das PKG vorgeschlagenen Kandidaten durch den Bayerischen Landtag um das Recht zur Ausübung des freien Mandats einerseits und das Recht parlamentarischer Minderheiten auf ihrer Stellung entsprechende Wirkungsmöglichkeiten in Parlament und Öffentlichkeit andererseits. Die Streitigkeit betrifft demnach im Kern die Reichweite der sog. freien Mandatsausübung durch die einzelnen zur Wahl der Mitglieder des PKG berufenen Abgeordneten. Die Ausübung des freien Mandats folgt aus Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV und damit unmittelbar aus der Verfassung. Demgegenüber steht das Recht der Parlamentarischen Opposition aus Art. 16a Abs. 2 Satz 1 BV. Die Streitigkeit zwischen den Beteiligten wurzelt demnach unmittelbar in einem verfassungsrechtlich bestimmten Rechtsverhältnis.
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Die Streitigkeit betrifft entgegen dem Klagevortrag nicht vordergründig den korrekten Vollzug des einfachgesetzlichen Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes betreffend die Abstimmung über Wahlvorschläge einer Fraktion. Die Kernfrage ist vielmehr, ob eine Beschränkung in der Ausübung des freien Mandats bei der Abstimmung über den von einer Fraktion eingebrachten Wahlvorschlag dahingehend zu fordern ist, dass dem Vorschlagsrecht einer Fraktion in einer Weise entsprochen werden muss, dass der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und das Recht auf Teilhabe parlamentarischer Minderheiten gewährleistet bleiben. So berufen sich nicht zuletzt die Kläger selbst schwerpunktmäßig auf eine Verletzung des Demokratieprinzips, namentlich ihres Rechts auf Chancengleichheit, auf Ausübung der Opposition sowie auf Schutz parlamentarischer Minderheiten (Art. 2, 4, 16a Abs. 1, 2 BV), mithin auf allesamt unmittelbar aus der Verfassung abgeleitete Rechte. Es handelt sich daher nicht, wie von den Klägern vorgetragen, um einen „Streit, wie das einfache Recht verfassungskonform auszulegen und anzuwenden ist“, sondern um einen Streit um unmittelbar aus der Verfassung resultierende Rechte der Beteiligten. Der Klageanspruch wurzelt gerade in dem verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Parlament und (einem Zusammenschluss von) Parlamentsangehörigen untereinander und nicht nur in einem engeren, durch Normen des einfachgesetzlichen Parlamentarischen Kontrollgremium-Gesetzes geprägten Rechtsverhältnis. Durch die Streitigkeit ist im Kern allein die verfassungsrechtliche Ebene des Rechtssystems betroffen. Allein die Tatsache, dass die Wahl der Mitglieder des PKG nicht in der Verfassung, sondern in einem formellen Gesetz geregelt ist, vermag der Streitigkeit ihre verfassungsrechtliche Prägung nicht zu nehmen (vgl. mit dem selben Ergebnis VerfG BB, U.v. 19.2.2016 - VfGBbg 57/15 - juris Rn. 16; VerfGH SN, B.v. 24.2.2005 - Vf. 121-I-04 - juris Rn. 11).
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Die Annahme einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit im vorliegenden Fall steht auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts betreffend die Nichtwahl der von einer Fraktion als Mitglieder der Härtefallkommission vorgeschlagenen Kandidaten durch die Hamburger Bürgerschaft (vgl. HVerfG, U.v. 19.7.2016 - 9/15 - juris). Dort lehnte das Hamburgische Verfassungsgericht das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ab, da die der Bürgerschaft durch einfaches Landesrecht zugewiesene Aufgabe, die Wahl der Mitglieder der Härtefallkommission, keine Aufgabe ist, die der Bürgerschaft kraft Verfassungsrecht zukommt. Anders als eine Kommission, die der Bürgerschaft verfassungsrechtlich zugewiesene Informations-, Kontroll- oder Untersuchungsaufgaben wahrnimmt und insbesondere eine parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive einnimmt, ist die Härtefallkommission mit schlichten Verwaltungsaufgaben betraut und als solche keine „Parlamentskommission“ (vgl. HVerfG, U.v. 19.7.2016 - 9/15 - juris Rn. 59, 63 f.). Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall ganz grundlegend von dem durch das Hamburgische Verfassungsgericht entschiedenen Fall. Beim PKG handelt es sich um ein Gremium, das Aufgaben zur parlamentarischen Kontrolle der Exekutive wahrnimmt und damit parlamentarische Aufgaben verfassungsrechtlicher Prägung zum Gegenstand hat. Dies kommt bereits in der Bezeichnung „parlamentarisches Kontrollgremium“ ganz konkret zum Ausdruck. Der verfassungsrechtliche Zuschnitt folgt aus der Kontrollfunktion des Parlaments als grundlegendem Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems und der Gewaltenteilung (vgl. BayVerfGH, E.v. 26. 7. 2006 - Vf. 11-IVa/05 - juris Rn. 416).
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Selbst wenn man darüber hinaus für die Beurteilung der Art der Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Teilen der Literatur und Rechtsprechung das Kriterium einer doppelten Verfassungsunmittelbarkeit heranzieht, folgt daraus keine andere Beurteilung. Nach dem Kriterium der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit muss nicht nur materielles Verfassungsrecht inmitten des Rechtsstreits stehen, sondern an diesem müssen auch Verfassungsorgane oder ähnliche Streitsubjekte beteiligt sein. Dabei ist, entsprechend dem von § 40 VwGO vorgegebenen Rahmen, im Ansatz am Streitgegenstand festzuhalten, da das Kriterium der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit einer normativen Verankerung entbehrt. Demnach ist jedenfalls auf Seiten des Beklagten das Vorhandensein eines Verfassungsrechtssubjekts zu fordern: Ein verfassungsrechtlicher Anspruch steht im Streit, wenn ein Verfassungsrechtssubjekt gerade als solches in Anspruch genommen wird (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 21). Dies ist vorliegend der Fall. Der Bayerische Landtag ist als Landesverfassungsorgan ein Verfassungsrechtssubjekt und wird auch gerade in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen. Dass die Klage sich formal analog § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen den Freistaat Bayern richtet, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Dies folgt allein schon aus der gebotenen streitgegenstandsbezogenen Betrachtungsweise. Die Inanspruchnahme als Verfassungsrechtssubjekt ergibt sich aus der Stellung der Beteiligten im verfassungsrechtlichen Kontext zueinander: die Kläger, als Fraktion bzw. Abgeordnete des Bayerischen Landtags einerseits und der Bayerische Landtag als in Anspruch genommener Garant für die eingeklagten Rechte andererseits. Demnach ist auch formell ein Streit zwischen Verfassungsrechtssubjekten gegeben.
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Eine Verweisung der verfassungsrechtlichen Streitigkeit an den an sich zuständigen Bayerischen Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 64 BV kommt nicht in Betracht. Die §§ 17 ff. GVG finden auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten keine Anwendung (allg. Meinung und stRspr; BayVGH, B.v. 13.2.1991 - 4 CE 91.404 - NVwZ 1991, 699/700; VG München, B.v. 7.7.2020 - M 30 S 20.2940 - BeckRS 2020, 18807 Rn. 16; Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 38. EL Januar 2020, Vorbemerkung § 17 GVG Rn. 25).
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Kostenpflicht ist gemäß § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO - nach Kopfteilen auf die drei Kläger zu verteilen, so dass jeder Kläger ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.