Titel:
Mietwagenkosten, Unfall, Berufung, Wirtschaftlichkeitsgebot, Fahrzeug, Zahlungsanspruch, Angemessenheit, Auflage, Dauer, Zeuge, Reparatur, Kraftfahrtversicherung, Ersatzwagen, Anmietung, Aussage des Zeugen, unwahre Aussage
Schlagworte:
Mietwagenkosten, Unfall, Berufung, Wirtschaftlichkeitsgebot, Fahrzeug, Zahlungsanspruch, Angemessenheit, Auflage, Dauer, Zeuge, Reparatur, Kraftfahrtversicherung, Ersatzwagen, Anmietung, Aussage des Zeugen, unwahre Aussage
Vorinstanz:
AG Schweinfurt, Endurteil vom 24.03.2020 – 3 C 973/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58998
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Amtsgerichts Schweinfurt vom 24.03.2020 (3 C 973/18) abändernd wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.536,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2018 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelferin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 870,76 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Ein Tatbestand wird nicht dargestellt §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
2
Auf die zulässige Berufung des Klägers hin war die Beklagte zur Zahlung weiterer - erstinstanzlich abgewiesener - Mietwagenkosten in Höhe von 870,76 € zu verurteilen.
3
Zur Klarstellung hat die Kammer diesen Betrag auf den mit der Berufung nicht angegriffenen Zahlungsausspruch in Höhe von 665,61 € addiert, woraus sich der Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 1.536,37 € (= 665,61 € + 870,76 €) ergibt.
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Die Beklagte hat dem Kläger die von der Streithelferin in Rechnung gestellten Mietwagenwagenkosten vollständig zu erstatten. Es findet keine Reduzierung des Anspruchs unter Anwendung der Schwacke-Liste oder unter Abzug der Kosten für eine Haftungsreduzierung statt.
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1. Die Höhe der Mietwagenkosten, welche die Beklagte als einstandspflichtige Haftpflichtversicherin dem Kläger für den Unfall vom 04.01.2018 und die hieran anschließende Anmietung eines Ersatzfahrzeugs vom 08.01.2018 bis 19.01.2018 (= 12 Tage) gemäß §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1,113 Abs. 1 VVG, 1 PflVG, 249 BGB zu ersetzen hat, findet ihre Grenze am so genannten Wirtschaftlichkeitsgebot. So steht es dem Kläger zwar grundsätzlich frei, von wem er zu welchen Konditionen für sein unfallgeschädigtes Fahrzeug während der Dauer einer Reparatur bzw. Ersatzanschaffung einen Ersatzwagen anmietet, jedoch hat er gemäß § 254 Abs. 1 BGB von mehreren gleichwertigen Möglichkeiten die preiswerteste wahrzunehmen (BGH, NJW 2016, 2402 [2403]). Dieses Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet ihn aber nicht zu einer „Marktforschung“. Der Kläger hat sich aber, wie es ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter ebenfalls tun würde, hinsichtlich der Angemessenheit eines ihm angebotenen Mietwagenpreises durch Einholung von ein oder zwei Konkurrenzangeboten zu informieren (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 318 [319]). Sofern ihm nach Einholung solcher Vergleichsangebote für den Anmietzeitraum tatsächlich kein vergleichbares Fahrzeug zur Verfügung hat gestellt werden können, sind die für eine wahrgenommene Anmietung angefallenen Kosten ohne Abzüge zu ersetzen (vgl. Rogler, in: Stiefel/Maier [Hrsg.], Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Auflage 2017, § 249 Rdnr. 75 m.w.N.). Eine ‚Reduktion‘ der ersatzfähigen Mietwagenkosten auf die Beträge einschlägiger Schätzwerke findet in solchen Situationen mithin nicht statt.
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Gemessen an diesen Anforderungen ist die Kammer nach Anhörung des Zeugen H. H. davon überzeugt, dass der Kläger mit der Anmietung des Fahrzeugs, wie es ihm von der Streithelferin unter dem 30.01.2018 in Rechnung gestellt worden ist (Anlage K5), nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat Denn es sind zwei Konkurrenzangebote eingeholt worden. Nach diesen Angeboten stand dem Kläger für den Anmietzeitraum kein anderes Fahrzeug zur Verfügung. So hat der Zeuge H. H. der als Stationsleiter der Streithelferin tätig ist, in der Sitzung der Kammer vom 30.10.2020 ausgeführt, dass Kunden in Unfallsituationen vor einer Anmietung bei der Streithelferin regelmäßig angeboten werde, einen Preisvergleich zu machen. Wünsche der Kunde solch einen Vergleich und wolle diesen aber nicht eigenständig durchführen, biete die Streithelferin einen entsprechenden Service an. Dieses Vorgehen entspreche der Anweisung der Firmenleitung. Derartige Preisvergleiche würden - wie auch im vorliegenden Fall - dokumentiert und für die Unterlagen festgehalten. Mit Blick in seine Unterlagen konnte der Zeuge H. H. aussagen, dass sowohl bei der Firma E… als auch bei der Firma A… Vergleichsangebote für den Kläger angefragt worden seien. Bei beiden Firmen sei indes weder eine unmittelbare Anmietung noch eine solche ohne Vorlage einer Kreditkart zur Vorleistung möglich gewesen. Bei der Streithelferin hingegen sei eine Anmietung ohne Vorkasse möglich gewesen.
7
Der Zeuge H. H. hat ergiebig und zuverlässig zur Sache ausgesagt. Er hat den Vorgang detailliert berichtet und konnte nachvollziehbar unter Rückgriff auf ein entsprechendes Schriftstück dartun, weshalb er die von ihm berichteten Angaben treffen konnte. Er hat erkennbar aus eigenen Erleben berichtet, ohne dass Anhaltspunkte für eine (ggf. unbewusst) unwahre Aussage erkennbar waren (sog. Fantasiesignale). Nach seinem persönlichen Eindruck, den die Kammer gewonnen hat, war der Zeuge deutlich bestrebt, wahrheitsgemäß nur solche Umstände zu berichten, die er selbst tatsächlich erlebt hat. Die Kammer legt die Aussage des Zeugen daher der hiesigen Entscheidung zu Grunde.
8
Der Kläger muss sich kein irgendwie geartetes Verschulden der Gestalt anrechnen lassen, dass die Streithelferin bei der Durchführung des Preisvergleichs womöglich zielgerichtet gerade bei solchen Konkurrenzanbietern angefragt hätte, bei denen von vornherein eine unmittelbare Anmietung ohne Kreditkarte unmöglich gewesen wäre. Für solch eine Vermutung fehlt jede Substanz. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass entgegen der beiden erfolglosen Anfragen bei anderen Konkurrenzanbietem (welchen?) noch für den Tag der Anfrage ohne Vorleistung ein Ersatzfahrzeug - abweichend von den Auskünften der Firmen E… und A… - günstiger als zu den Konditionen der Streithelferin hätte angemietet werden können.
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2. Zu den somit ersatzfähigen Mietwagenkosten zählt auch der vom Erstgericht nicht zugesprochene Anteil für eine Haftungsbefreiung (sog. Vollkasko).
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Soweit in Fällen der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs diskutiert wird, ob solch eine Haftungsreduzierung dann unwirtschaftlich sein könnte, wenn die hierfür aufgewendeten Kosten zum aus der Reduzierung erlangten Vorteil außer Verhältnis stehen, greift dies hier nicht durch. Mit der Haftungsbefreiung hat der Kläger nicht bloß einen ohnedies bereits reduzierten Haftungsanteil weiter gesenkt, sondern eine andernfalls gerade (noch) nicht gegebene Haftungsreduzierung überhaupt erst erlangt. Denn abweichend von einer Schätzung der Mietwagenkosten etwa an Hand der Schwacke-Liste, deren Grundtarife bereits eine Haftungsreduzierung inkludieren, hätte der Kläger ohne den Abschluss der Haftungsfreistellung im vorliegenden Fall für jeden Unfallschaden am Mietwagen der Streithelferin selbst- und vollständig einzustehen gehabt. Da das verunfallte Fahrzeug ebenfalls vollkaskoversichert war, bestehen an der Wirtschaftlichkeit der vom Kläger auch für den Mietwagen gewählten Haftungsbefreiung daher keine Zweifel.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 1 ZPO und auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Der Streitwert ist gemäß §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1, 3 ZPO festgesetzt worden.