Inhalt

VG München, Urteil v. 09.03.2020 – M 8 K 18.34311
Titel:

Herkunftsland: Nigeria, Nichtsstaatlicher Akteur: Onkel und Tante, Bezugnahme auf Bescheidsbegründung, Unglaubhafter Vortrag, Zwangsprostitution in Italien

Normenketten:
AsylG §§ 3ff
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
Schlagworte:
Herkunftsland: Nigeria, Nichtsstaatlicher Akteur: Onkel und Tante, Bezugnahme auf Bescheidsbegründung, Unglaubhafter Vortrag, Zwangsprostitution in Italien
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58948

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich in der vorliegenden Asylstreitigkeit mit ihrer Klage gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. November 2018 (Gesch.-Z. …*).
2
Die ausweislose Klägerin ist eine nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige, dem Volk der Bini zugehörig und christlichen Glaubens. Die Klägerin ist Mutter eines am … … 2019 geborenen Sohnes namens D* … O* … Für diesen wurde ein Asylantrag gestellt, über den bisher noch nicht entschieden wurde. Der Lebensgefährte (traditionell angetrauter Ehemann) der Klägerin - J* … O* … - ist nach eigenen Angaben ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger. Er hat die Vaterschaft für den Sohn der Klägerin anerkannt (Landratsamt … … …, Urkunden Reg.-Nr. …*). Sein Asylgesuch wurde mit Bescheid vom 18. April 2019 (Gesch.-Z. … abgewiesen, über die hiergegen erhobene Klage (M 32 K 19.31663) wurde bisher noch nicht entschieden.
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Die Klägerin verließ ihr Heimatland nach eigenen Angaben im Juli 2017. Am 20. Oktober 2017 reiste sie nach eigenen Angaben in Italien ein. Am 3. Januar 2018 stellte sie in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, sie habe bei ihrem Onkel gelebt. Eines Tages hätten Onkel und Tante ihr vorgeworfen, dass das Geld, welches sie vom Verkauf auf dem Markt mitgebracht habe, nicht gestimmt habe. Sie hätten sie geschimpft und geschlagen. Sie hätten gesagt, sie solle gehen und das Geld besorgen. Eine Freundin habe ihr von jemand erzählt, der in Italien eine Haushaltshilfe suche. Nach ihrer Ankunft in Italien habe sie sich für eine Frau zwangsprostituieren sollen. Sie habe sich geweigert. Als ihr die Frau Geld gegeben habe und sie zum Einkaufen geschickt habe, sei sie damit zum Bahnhof gegangen.
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Mit Bescheid vom 20. März 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Der hiergegen gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Beschluss vom 12. April 2018 abgelehnt (M 2 S 18.50936). Das Verfahren in der Hauptsache (M 2 K 18.50935) wurde am 5. November 2018 nach Ablauf der Überstellungsfrist eingestellt.
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Das Bundesamt lehnte mit weiterem Bescheid vom 14. November 2018 die Anträge der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Asylanerkennung und subsidiären Schutz ab (Nrn. 1 bis 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin kein Flüchtling sei. Bei den vorgetragenen Problemen mit dem Onkel handele es sich um eine innerfamiliäre Streitigkeit, die kein Anknüpfungsmerkmal erfülle. Eine Prostitution habe nicht stattgefunden. Eine Sekundär- oder Reviktimisierung sei nicht zu befürchten. Es sei kein Risiko dafür zu erkennen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in Nigeria außerstande wäre, sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu sichern.
6
Mit Schriftsatz vom … November 2018, bei Gericht eingegangen am 22. November 2018 erhoben die Bevollmächtigten der Klägerin gegen den streitgegenständlichen Bescheid Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragen,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 14.11.2018, Az. … …, wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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3. Hilfsweise wird beantragt, der Klägerin subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
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4. Hilfsweise wird beantragt festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
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Eine Begründung der Klage erfolgte nicht.
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Die Beklagte legte die Behördenakte vor, äußerte sich jedoch in der Sache nicht.
13
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Das Gericht hat zum Verfahren die Behördenakte des Lebensgefährten der Klägerin beigezogen.
15
Das Gericht hat am 27. Januar 2020 und am 9. März 2020 zur Sache mündlich verhandelt. Die Klägerin führte dort aus, dass die Frau, die sie nach Italien gebracht habe gesagt habe, wenn sie ihren Fuß nach Nigeria setze, werde sie sie töten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten und beigezogenen Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2020 entschieden werden, obwohl niemand für die Beklagte erschienen ist. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 19. Februar 2020 zur Sitzung geladen und hat mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf förmliche Zustellung der Ladung verzichtet. Die Beteiligten wurden mit der Ladung auf die Möglichkeit hingewiesen, dass gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da sie unbegründet ist. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3ff. AsylG), die Anerkennung als Asylberechtigte (16a GG), auf die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) oder auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, § 113 Abs. 5 VwGO.
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Das Gericht folgt zunächst der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 3 ff. AsylG.
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1.1. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560 -Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U. v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können (vgl. VG München, U. v. 16.3.2017 - M 12 K 16.33084).
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Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
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Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) - sog. Qualifikationsrichtlinie - privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5.09).
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Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen (BVerwG, U. v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, Urt. v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; Hess. VGH, Urt. v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris). Ist die Verfolgungsgeschichte widersprüchlich und unsubstantiiert vorgetragen, fehlt es an den notwendigen, glaubhaft gemachten individuellen Verfolgungshandlungen, um einen asylrechtlichen Schutzstatus zu begründen (VG Ansbach, Urt. v. 03.03.2017 - AN 10 K 16.30430).
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Gemessen an diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht.
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1.2. Das Gericht schenkt dem von unauflöslichen Widersprüchen geprägten Vortrag der Klägerin hinsichtlich der ihr in Nigeria angeblich drohenden Gefahren keinen Glauben.
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So gab sie bei ihrer Befragung beim Bundesamt am 15. Januar 2018 an, ihr Onkel habe sie geschlagen, sodass sie immer noch eine Narbe habe. Dass sie angeschossen worden sei, erwähnte sie mit keinem Wort. In der mündlichen Verhandlung erklärte sie jedoch, als sie ihr Onkel rausgeschmissen habe, sei sie an ihrem Bein angeschossen worden.
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Ferner erklärte sie in der mündlichen Verhandlung, sie sei im Jahr 2014 angeschossen worden. In der Befragung beim Bundesamt gab sie jedoch an, sie habe ihr Heimatland im Juni 2017 verlassen. Zunächst habe ihr Onkel sie aus dem Haus geworfen. Anschließend habe sie eine Woche bei einer Freundin verbracht und dann das Land verlassen.
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Ferner erklärte sie zunächst in der Befragung durch die Regierung von Oberbayern, am 8. Januar 2018, sie habe sich für die Schleusung prostituierten müssen. In der Befragung beim Bundesamt am 15. Januar 2018 erklärte sie jedoch, sie habe nie als Prostituierte gearbeitet.
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1.3. Des Weiteren geht die von der Klägerin geltend gemachte Furcht vor Verfolgung - bei Wahrunterstellung - von nichtstaatlichen Akteuren (Onkel, Tante, Menschenhändler) im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG aus. Voraussetzung, dass dem nigerianischen Staat die Handlungen Dritter zugerechnet werden, ist, dass er (der Staat) erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens ist, der Klägerin Schutz im Sinne des § 3d AsylG zu bieten. Hinsichtlich der innerfamiliären Streitigkeiten hat die Klägerin keinen polizeilichen Schutz ersucht, sodass nicht erwiesen ist, dass der nigerianische Staat nicht in der Lage oder willens ist, ihr Schutz zu gewähren. Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass der nigerianische Staat der Klägerin bei etwaiger Rückkehr nach Nigeria Schutz im Sinne des § 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG bieten kann, da er grundsätzlich willens und bemüht ist, kriminelle Aktivitäten zu unterbinden (vgl. am Beispiel von Geheimbünden: VG Düsseldorf, U.v. 27.11.2017 - 27 K 8651/17.A - juris).
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1.4. Überdies kommt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG hinsichtlich etwaiger Verfolgung - Onkel, Tante, Menschenhändler - schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin sich - auch bei Wahrunterstellung des Vortrags - auf internen Schutz in einer anderen Region Nigerias i. S. d. § 3e AsylG verweisen lassen muss (innerstaatliche Fluchtalternative).
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Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag gemäß § 3e Abs. 2 AsylG zu berücksichtigen.
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Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10. Dezember 2018, S. 16). Insbesondere in den Millionenstädten Lagos, Port Harcourt und Benin City ist nicht zu erwarten, dass die Klägerin etwaigen Nachstellungen ausgesetzt wäre. Es kann von ihr vernünftigerweise erwartet werden, sich in einer anderen Region Nigerias niederzulassen, in der ihr keine - wie auch immer geartete - Verfolgung droht und wo sie mit asylrechtlich hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht ausfindig gemacht werden bzw. sich dem Einflussbereich etwaiger Verfolger entziehen kann. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, wie Einzelnen das Aufspüren der Klägerin in einem Staat mit ca. 200 Millionen Einwohnern ohne funktionierendes Meldewesen gelingen sollte. Dass weder die „Menschenhändlerin“ selbst noch ihre Brüder, welche in einer „schlechten Gruppe“ sein sollen, wissen, wo sich die Klägerin aufhält, lässt sich - bei Wahrunterstellung - bereits aus den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung schließen. Nach ihrer Einlassung denken die Verfolger, die Klägerin befinde sich noch in Nigeria. Sie haben augenscheinlich keinerlei Möglichkeit, den tatsächlichen Aufenthaltsort der Klägerin (Deutschland) herauszufinden.
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Auch die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind erfüllt. Insbesondere ist gemessen an der individuellen Situation der Klägerin davon auszugehen, dass sie auch in einem anderen Landesteil, insbesondere in einer der oben genannten anderen Millionenstädte - die Klägerin stammt nach eigenen Angaben aus Benin City - in der Lage sein wird, für sich eine existenzsichernde Lebensgrundlage aufzubauen. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen individuellen Situation der Klägerin ist davon auszugehen, dass diese mit ihrem Lebensgefährten, mit dem sie traditionell verheiratet ist, und ihrem Sohn gemeinsam nach Nigeria zurückkehren wird.
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Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wäre der Klägerin auch zumutbar. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es der Klägerin nicht gelingen sollte, in ihrem Heimatland wieder Fuß zu fassen und ein Existenzminimum durch eigene Arbeitsleistung zu erwirtschaften. Die Klägerin ist jung, gesund und erwerbsfähig. Sie hat die Schule für acht Jahre besucht, die Secondary School abgeschlossen und Köchin und Bäckerin gelernt (Bl. 49 d. B.A.). Mit ihrer Schulbildung bewegt sie sich über dem nigerianischen Durchschnitt, die Einschulungsquote liegt in Nigeria bei gut 60%, die Sekundarstufe wird dagegen nur etwa von 40% der Kinder besucht; nur ca. 41% der Frauen in Nigeria sind alphabetisiert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 21. Januar 2018, S. 15f). Zudem hat die Klägerin nicht zuletzt durch ihre Reise nach und durch Europa bewiesen, dass sie sich auch in für sie unbekanntem Gebiet zweifelsohne behaupten kann. Ferner kann sie von ihrem Lebensgefährten Unterstützung erwarten. Dieser war selbstständiger Einkäufer und hat im Monat manchmal sogar 1.500,- Dollar verdient (Bl. 6 d. B.A. …*).
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Weiterhin kann die Klägerin in Nigeria auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen, selbst wenn man als wahr unterstellt, dass sie sich mit Onkel und Tante überworfen hat. In Nigeria leben noch andere Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen (Bl. 60 d. B.A.). Ferner lebt dort noch die Familie ihres Lebensgefährten (Bl. 65 d. B.A. …*).
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Insgesamt ist festzustellen, dass die Voraussetzungen der Klägerin auf Zugang zum Arbeitsmarkt sich aufgrund ihrer Bildung und Erfahrung nicht als so außergewöhnlich schlecht darstellen, dass davon ausgegangen werden müsste, dass die Klägerin nicht in der Lage wäre, das erforderliche Existenzminimum zu erwirtschaften. Dies gibt selbst dann, wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - auf die Unterstützung durch ein familiäres Netzwerk verzichten müsste, zumal sie auf Unterstützung durch den Lebensgefährten zählen kann. Kinderreiche Familien sind in Nigeria keine Seltenheit, sondern üblich bzw. die Regel - die Geburtenrate liegt bei 5,7 Geburten je Frau (11/2018: EASO Country of Origin Information Report - Nigeria - Key socio-economic indicators, S. 17). Es kann mithin erwartet werden, dass die Familie mit nur einem Kind in einer anderen Region Nigerias in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften.
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2. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG besteht für die Klägerin ebenfalls nicht. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG scheidet vorliegend in rechtlicher Hinsicht jedenfalls deshalb aus, weil - wie eben dargelegt - eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit § 4 Abs. 3 AsylG) besteht.
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3. Gemäß Art. 16a Abs. 2 GG kann sich auf das Asylrecht nach Art. 16a GG derjenige nicht berufen, der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Klägerin reiste über Italien in das Bundesgebiet ein.
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4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ihr droht in Nigeria im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG und Art. 3 EMRK keine auf Grund eines ganz außergewöhnlichen Falles ungewöhnlich schlechte humanitäre Situation. Ferner führt im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eine Rückkehr der Klägerin nach Nigeria für sie zu keiner extremen Gefahrenlage in Form des sicheren Todes oder schwerster Verletzungen (vgl. BayVGH, B. v. 18.7.2017 - 20 ZB 17.30750).
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4.1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. hierzu ausführlich: BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris, m.w.N.). Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (§ 3 c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen, es kann erreicht sein, wenn er seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der EuGH darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris, m.w.N.) .
43
Auch im Rahmen des § 60 Absatz 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich, aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09, BVerwGE 136, S. 377 = NVwZ 2011, NVWZ Jahr 2011 S. 51 - juris Rn. 22). Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Ein nationales Abschiebungsverbot muss dabei stets in der Person des jeweiligen Betroffenen selbst begründet sein (BVerwG, U.v. 16.6.2004 - Az. 1 C 27.03 - juris). Auch bei familiärer Lebensgemeinschaft ist für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris).
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Im Falle der Klägerin bedeutet dies, dass zur Ermittlung der realitätsnahen, wenngleich notwendig hypothetischen Rückkehrsituation davon auszugehen ist, dass sie mit ihrem Lebensgefährten, mit dem sie traditionell verheiratet ist, und ihrem Sohn, mit denen sie nach eigenen Angaben in familiärer Gemeinschaft lebt, nach Nigeria zurückkehren wird.
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Es bestehen kein Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für eine ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK bei Rückkehr der Klägerin nach Nigeria - auch unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation - nicht vorliegen. Es nicht davon auszugehen, dass es der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen kann, für sich und ihren Sohn in Nigeria den existentiellen Lebensunterhalt zu sichern, zumal sie von ihrem Lebensgefährten unterstützt werden wird.
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Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln und ständiger Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria grundsätzlich die Möglichkeit besteht, z.B. in einer der zahlreichen Millionen- und Großstädte Nigerias mit einer unüberschaubaren Vielzahl an (wenn auch schlecht bezahlten) Erwerbsmöglichkeiten und einem Netz an karitativen Hilfsangeboten ökonomisch eigenständig zu leben und auch ohne Hilfe Dritter zu überleben (ebenso in vergleichbaren Fällen: VG Augsburg, B.v. 13.6.2017 - Au 7 S 17.33192 - juris Rn. 30; B.v. 8.6.2017 - Au 7 S 17.32413 - juris Rn. 28; VG Bayreuth, B.v. 4.4.2017 - B 4 S 17.30876 - juris Rn. 34; VG Aachen, B.v. 20.3.2017 - 2 L 103/17.A - juris Rn. 32 ff.; VG Minden, U.v. 14.3.2017 - 10 K 2413/16.A - juris Rn. 34 ff.; hinsichtlich Familien vgl.: VG Augsburg, U.v. 23.3.2017 - Au 7 K 16.30983 - juris Rn. 48; VG München, U.v. 11.3.2015 - M 21 K 13.30899 - UA S. 38 ff.). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Gesamtaktualisierung am 12.4.2019, S. 50).
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Vorliegend ist - weder in der Person der Klägerin noch bei Betrachtung ihrer individuellen Lebensumstände, insbesondere ihrer Unterhaltspflichten - nichts dafür erkennbar, dass es der Klägerin im Falle der Rückkehr nach Nigeria nicht gelingen würde, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ein das Existenzminimum sicherndes Einkommen zu erzielen, zumal sie im Familienverbund mit ihrem Lebensgefährten zurückkehren wird und zur Überzeugung des Gerichts auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann. Die Situation der Klägerin stellt sich im Vergleich zur Lage der Bevölkerung in Nigeria im allgemeinen nicht als so außergewöhnlich schlecht und aussichtslos dar, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK bei Rückkehr in ihr Heimatland zu befürchten wäre. Zur Vermeidung von Wiederholungen darf nach oben verwiesen werden.
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4.2. Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen insbesondere in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine ferner lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - NVwZ 2002, 101), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U. v. 12.7.2001, a.a.O.). Dies ist bei der Klägerin ersichtlich nicht der Fall (s.o.).
49
4.3. Das Bestehen eines nationalen Abschiebungsverbots auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.
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5. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind angesichts des oben Gesagten nicht zu beanstanden, § 34 Abs. 1 AsylG, § 38 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG. Ebensowenig begegnet die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG rechtlichen Bedenken.
51
6. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
52
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).