Inhalt

LG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 14.05.2020 – 3 S 16/20
Titel:

Schadensersatz, Haftpflichtversicherung, Haftung, Rechtsfehler, Anspruch, Ausgleichsanspruch, Versicherung, Versicherer, Versicherungsbedingungen, Haftpflichtversicherer, Verpflichtung, Rechtsauffassung, Zugmaschine, Anforderungen, Bundesrepublik Deutschland

Schlagworte:
Schadensersatz, Haftpflichtversicherung, Haftung, Rechtsfehler, Anspruch, Ausgleichsanspruch, Versicherung, Versicherer, Versicherungsbedingungen, Haftpflichtversicherer, Verpflichtung, Rechtsauffassung, Zugmaschine, Anforderungen, Bundesrepublik Deutschland
Vorinstanz:
AG Haßfurt, Urteil vom 05.03.2020 – 2 C 21/19
Rechtsmittelinstanz:
LG Bamberg, Beschluss vom 23.06.2020 – 3 S 16/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58833

Tenor

1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Haßfurt vom 05.03.2020, Az. 2 C 21/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Da die Berufung mithin keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
3. Die Kammer beabsichtigt weiterhin, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.523,60 EUR festzusetzen.
4. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagtenseite in der Berufungsbegründung ist eine Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht veranlasst, da ihr ein Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagtenpartei nicht zu entnehmen ist. Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des Amtsgerichts an, wonach in der vorliegenden Konstellation ein hälftiger Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen „Doppelversicherungsregresses“ besteht, da der Anwendungsbereich der §§ 78 Abs. 1, 2 Satz 1 VVG i.V.m. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB eröffnet ist. Die Kammer folgt insoweit der von der Klägerseite zitierten Rechtsansicht der Landgerichte Kassel (Urteil vom 15.03.2019, Az. 4 O 2024/17) und Göttingen (Urteil vom 23.06.2019, Az. 8 O 286/17) sowie der Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Bamberg in seiner Entscheidung vom 22.10.2019, Az. 5 U 40/19- Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Bezahlung der Hälfte der von ihr aufgewendeten Beträge ergibt sich aus § 78 Abs. 2 VVG und begründet sich wie folgt.
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1. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Frage eines Regressanspruchs des deutschen Haftpflichtversicherers einer im Inland zugelassenen Zugmaschine gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer des im Ausland zugelassenen Anhängers sind die Vorschriften der Rom II-Verordnung (Verordnung 864/2007/EG), die ein umfassendes Regelwerk über den Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse darstellen. Für die vorliegende Problematik internationaler Unfallereignisse erklären Art. 20 und 19 der Rom II-VO sowohl hinsichtlich der Frage des Ausgleichsanspruchs unter mehreren für dieselbe Forderung haftenden Schuldnern, als auch für die Frage des gesetzlichen Forderungsübergangs nach Leistung eines Dritten an den Geschädigten, jeweils das Recht für anwendbar, das den Anspruch des Gläubigers gegen den an ihn zunächst leistenden Schuldner beherrscht. Dies wäre vorliegend das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Diese Betrachtung rückt jedoch die rein deliktischen Beziehungen der Beteiligten in den Vordergrund. Nach den Darlegungen in der Entscheidung des EuGH vom 21.01.2016 (C-359/14 und 475/14, NVZ 2016, 217ff.) ist jedoch zu beachten, dass die Verpflichtung eines Versicherers, um die es vorliegend geht, ihre Grundlage in dem mit dem Versicherungsnehmer geschlossenen Versicherungsvertrag findet, weshalb eine differenzierte Betrachtung zwischen den vertraglichen und den außervertraglichen Beziehungen vorzunehmen ist. Der Artikel 14 der EU-KH-Richtlinie enthalte, so der Europäische Gerichtshof, keine Kollisionsregelungen zur Frage des anwendbaren Rechts hinsichtlich des Regresses zwischen den Haftpflichtversicherern des unfallbeteiligten Gespannes, weshalb diese Vorschrift vorliegend außer Betracht zu bleiben habe. Dem schließt sich die Kammer an. Zu der Frage des anwendbaren Rechts gelte nach dem vorgenannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass für die Frage, welche Halter oder Fahrer zum Schadensersatz verpflichtet sind, im Regelfall nach der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 der Rom II-VO das Recht des Orts des Schadenseintritts maßgeblich sei. Nach Art. 15 Buchstabe b) der Rom II-VO gelte dies auch für die Teilung des Schadens unter mehreren Parteien. Gleichzeitig sei aber zu beachten, dass die Verpflichtung eines Haftpflichtversicherers aus einem Vertragsverhältnis mit einem Versicherungsnehmer stamme. Deshalb sei nach den Vorschriften der Rom I-Verordnung (Verordnung 593/2008/EG) nach dem auf den jeweiligen Versicherungsvertrag anwendbaren Recht zu klären, ob eine Leistungspflicht für den jeweiligen Versicherer bestand. Vor diesem Hintergrund sei die Frage, ob der vorleistende Versicherer eine Regressforderung gegen den Versicherer des anderen Gespannteils haben kann, aus Art. 19 der Rom II-VO abzuleiten. Dieser bestimme, dass ein Übergang der ursprünglichen Forderung des Geschädigten an den leistenden Dritten nach dem Recht zu lösen sei, das auch für die ursprüngliche Schadensersatzforderung des Geschädigten maßgeblich gewesen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Verpflichtung des Versicherers eine vertragliche sei und sich der Regressanspruch deshalb nach dem auf den Versicherungsvertrag nach Art. 7 der Rom I-VO anzuwendenden Recht ergebe.
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2. Vorliegend bedeutet dies, dass die Frage, ob der Klägerin Regressansprüche gegen die Beklagte zustehen, nach den in Art. 19 der Rom II-VO statuierten Anforderungen und dem sich aus dieser Vorschrift zu bestimmenden Recht zu beantworten ist. Vorliegend führt diese Prüfung zur Anwendung des Rechts der Bundesrepublik Deutschland und zur Bejahung eines Ausgleichsanspruchs in ausgeurteilter Höhe.
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a) Die Eingangsvoraussetzung des Art. 19 Halbsatz 1 der Rom II-VO ist gegeben.
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Der Geschädigte hatte infolge des Verkehrsunfallergeignisses vom xxx gegen die Halterin des Zugfahrzeugs des unfallbeteiligten Gespanns Schadensersatzansprüche aus § 7 Abs. 1 StVG, was zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits unstreitig ist. Hierbei handelt es sich unzweifelhaft um eine Verpflichtung aufgrund eines außervertraglichen Schuldverhältnisses, welche sich aus dem gemäß Art. 4 der Rom II-VO anwendbaren § 7 Abs. 1 StVG ergab.
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b) Die Verpflichtung eines Dritten, den Gläubiger zu befriedigen, oder die Befriedigung durch den Dritten aufgrund dieser Verpflichtung (Art. 19 Halbsatz 1 der Rom II-VO) sind vorliegend gegeben.
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Die xxx war als Haftpflichtversicherung der Zugmaschine des unfallbeteiligten Gespanns zum einen zum Schadensersatz verpflichtet, was zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits unstreitig ist. Diese Haftung ergab sich aus den nach Art. 4 der Rom II-VO anwendbaren §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG. Unstreitig ist darüber hinaus, dass die Klägerin aufgrund dieser Verpflichtung den Unfallgeschädigten in Höhe von 7.047,20 EUR entschädigt hat.
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Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Eingangsvoraussetzungen des Art. 19 der Rom II-VO gegeben sind.
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c) Nach Art. 19 Halbsatz 2 der Rom II-VO und der vorzitierten hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist unter der Voraussetzung, dass auch die Beklagte als dänische Versicherung des in Dänemark zugelassenen Anhängers dem unfallgeschädigten xxx zum Schadensersatz verpflichtet war (unten aa), dem für den Dritten (hier die xxx) gegenüber dem Gläubiger (hier Jürgen Gerling) maßgebenden Recht zu entnehmen, ob und in welchem Umfang Regressansprüche zwischen den Versicherern des Gespanns bestehen (unten bb).
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aa) Die erstgenannte Voraussetzung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gegenüber dem Unfallgeschädigten (xxx) ist gegeben. Dem Deliktsstatut des Art. 4 Abs. 1 der Rom II-VO nach ist für eine deliktische Haftung grundsätzlich das Recht der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich. Da sich, so die zustimmungswürdige vorgenannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die Verpflichtung eines Versicherers jedoch in erster Linie aus seinem Vertragsverhältnis mit dem Versicherten ergibt, ist das auf ein solches Schuldverhältnis anzuwendende Recht nicht nach dem Deliktsstatut der Rom II-VO, sondern nach den Vorschriften der Rom I-VO zu bestimmen. Zu beachten ist hier, dass im etwaigen Kollisionsfall nach Art. 7 Abs. 4 der Rom I-VO Sonderregeln für die Bestimmung des anzuwendenden Statuts bestehen, wenn es sich wie vorliegend um einen Versicherungsvertrag handelt, für welchen ein Mitgliedsstaat eine Pflichtversicherung vorsieht. Vorliegend ist dies nach § 1 Abs. 1 des AusPflVG, der eine Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuganhänger in der Bundesrepublik Deutschland vorsieht, der Fall. Die Anknüpfung der Sonderregel des Art. 7 Abs. 4a) der Rom I-VO ist damit gegeben. Aus dem Regelungskontext des Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a) der Rom I-VO ergibt sich, dass mit diesem Begriff nicht nur die vertragliche Gestaltung an sich, sondern die gesamte Haftungssituation wie sie sich auf vertraglicher und gesetzlicher Grundlage ergibt, gemeint sein muss. Durch die im Satz 2 des Buchstaben a) angeordnet Geltung des Rechts des anderen Mitgliedsstaats kann ein bloß vertragliches Defizit denknotwendig nicht aufgefangen werden, was für die dargelegte Sichtweise spricht. Der Sinn und Zweck sowie das Prinzip der praktischen Wirksamkeit sprechen ebenfalls klar für dieses Verständnis. Damit sind vorliegend die von dem die Versicherungspflicht auferlegenden Staat vorgeschriebenen besonderen Bestimmungen aufgrund der aufgezeigten Diskrepanzen nicht gewahrt. Diese Situation wird von Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a Satz 2 der Rom I-VO dadurch aufgelöst, dass vorrangig das Recht des Mitgliedsstaates anzuwenden ist, der die Versicherungspflicht vorschreibt. Die Sicherstellung eines (vertraglichen) Direktanspruchs eines Geschädigten gegen einen Versicherer, der die unmittelbare Folge der Regelung des Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a Satz 2 der Rom I-VO ist, liefe nämlich vollständig ins Leere, wenn nicht denknotwendig ein Anspruch gegen den Halter bestünde, hinsichtlich dessen die direkte Mithaftung der Versicherung durch die Sonderregelung begründet würde. Auch der Umstand, dass Art. 3 der RL 2009/103/EG vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung den Mitgliedsstaaten die Pflicht auferlegt, für eine Versicherung (auch) von Anhängern für Unfälle im europäischen Ausland sorge zu tragen, wäre überflüssig und unverständlich, wenn es eine hierdurch abzusichernde Haftung des Anhängerhalters nicht gäbe oder sie durch die Mitgliedsstaaten, wenn auch von ihnen selbst in der eigenen Rechtsordnung nicht vorgesehen, nicht wenigstens dem Grunde nach bei Auslandsunfällen akzeptiert würde. In der Literatur (vgl. Luckhaupt, Anhängerregress und kein E…, NVZ 2016, 497 ff.) und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die im Berufungsverfahren durch die Klägerseite vorgelegten landgerichtlichen Urteile) wird diese Wertung mit unterschiedlichen und zustimmungswürdigen Begründungsansätzen im Ergebnis breit geteilt.
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Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass in der vorliegenden Konstellation ein Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Anhängers als Direktanspruch zu bejahen ist, was sich aus der vorstehend dargelegten Anwendbarkeit von §§ 7 Abs. 1 StVG, 6 Abs. 3 AuslPflVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG ergibt.
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bb) In der Folge richtet sich der Ausgleichsanspruch des leistenden Versicherers gemäß Art. 19 der Rom II-VO nach dem Recht, das für den Anspruch zwischen dem Geschädigten und dem leistendem Versicherer anwendbar ist. Das vorliegend anzuwendende Recht ist nach Art. 4 ff. der Rom II-VO und Art. 7 ff. der Rom I-VO unzweifelhaft das Recht der Bundesrepublik Deutschland, denn sowohl der Schadensort wie auch der Sitz der Klägerin sind in der Bundesrepublik Deutschland belegen. Demzufolge ergibt sich aus der in Art. 19 der Rom II-VO getroffenen Regelung, dass auch nach dem wie vorstehend bestimmten deutschen Recht zu beurteilen ist, ob und in welchem Umfang die Klägerin bei der Beklagten Regress nehmen kann. Dass der leistende Versicherer eines Gespannteils bei dem Versicherer des anderen Gespannteils auf Grundlage von § 78 Abs. 2 VVG (i.d.R. hälftigen) Regress nehmen kann, ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend (BGH, Urteil vom 27.10.2010 - IV ZR 279/08 - Rn. 9 ff., juris) zu bejahen. Die Voraussetzungen einer Doppelversicherung im Sinne des § 78 VVG sind vorliegend auch gegeben, zumal der Geschädigte sowohl die Klägerin (oben b) als auch die Beklagte (oben c) aa) in Regress nehmen hätte können.
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cc) Schließlich kommt es auf die von der Beklagten ausweislich ihrer Versicherungsbedingungen (möglicherweise) mit ihrer Versicherungsnehmerin vereinbarte subsidiäre Haftung nicht. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist für eine weitere im Ausland geltende Versicherung ihrer Versicherungsnehmerin (xxx) betreffend den gegenständlich versicherten Auflieger nichts ersichtlich und erstreckt sich die deutsche Haftpflichtversicherung allein auf die Zugmaschine. Weiterhin kann der Innenausgleich zwischen dem Haftpflichtversicherer eines Zugfahrzeuges und dem Haftpflichtversicherer des mit diesem verbundenen Anhängers nach Regulierung eines durch das Gespann verursachten Schadens durch einen der beiden Versicherer nicht durch eine Subsidiaritätsvereinbarung des anderen Haftpflichtversicherers mit seinem Versicherungsnehmer ausgeschlossen werden (vgl. dazu ausführlich BGH, Urteil vom 04. Juli 2018 - IV ZR 121/17 - Rn. 13 ff., juris).
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3. Nach alledem ist hier die Beklagte als dänischer Haftpflichtversicherer des dänischen Anhängers der Klägerin als leistendem deutschen Versicherer des deutschen Zugfahrzeugs zum hälftigen Ausgleich aufgrund des anwendbaren § 78 Abs. 2 VVG verpflichtet.
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4. Die Berufung der Beklagten erweist sich nach alledem als aussichtslos. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar, zumal abweichende obergerichtliche Rechtsprechung nicht ersichtlich ist.