Titel:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Annahmeverzug, Software, Sittenwidrigkeit, Kenntnis, Laufleistung, Haftung, betrug, Mangelhaftigkeit, Zeitpunkt, Klage, Herausgabe, Zug um Zug, wirtschaftlicher Vorteil, Sinn und Zweck
Schlagworte:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Annahmeverzug, Software, Sittenwidrigkeit, Kenntnis, Laufleistung, Haftung, betrug, Mangelhaftigkeit, Zeitpunkt, Klage, Herausgabe, Zug um Zug, wirtschaftlicher Vorteil, Sinn und Zweck
Rechtsmittelinstanz:
LG Ansbach, Berichtigungsbeschluss vom 15.10.2020 – 2 O 516/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58830
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.361,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.06.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges …, Fahrzeug-Identifizierungsnummer: … zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten, … in Höhe von 1.100,51 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 32 % und die Beklagte 68 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 25.559,53 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz aus dem Kauf eines vom sogenannten Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeuges.
2
Der Kläger erwarb am 21.07.2010 in … den gebrauchten … mit der FIN …, mit Erstzulassung am 27.11.2009. Es handelt sich um einen Privatkauf. Der Kaufpreis betrug 34.000,00 €.
3
Der in dem Fahrzeug des Klägers eingebaute Dieselmotor, hergestellt von der Beklagten, vom Typ … ist von einer Software betroffen, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert. Nach Bekanntwerden der vorgenannten Abgasproblematik ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Rückruf aller betroffenen Fahrzeuge an und gab der Beklagten auf, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsgemäßheit, insbesondere der Emissionen des genehmigten Systems zu ergreifen. Im Hinblick darauf wurde ein Software-Update als technische Maßnahme für die betroffenen Motoren entwickelt. Das Software-Update wurde am 16.02.2017 auf das streitgegenständliche Fahrzeug aufgespielt. Die Laufleistung betrug zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 29.06.2020 101.409 Kilometer.
4
Mit Anwaltsschreiben vom 12.05.2020 forderte der Kläger die Beklagte unter Beifügung eines Entwurfs der Klageschrift zur Erfüllung der sich aus der Klageschrift ergebenden Ansprüche bis zum 15.05.2020 auf.
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Die Klagepartei ist unter anderem der Ansicht, dass sie gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs abzüglich gezogener Nutzungen habe. Die Beklagte habe getäuscht und die Klagepartei geschädigt, weshalb ihr in der Hauptsache Ansprüche aus §§ 826, 31, 831 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zustünden.
6
Die Klagepartei vertritt die Auffassung, dass ihre Ansprüche nicht verjährt seien. Die Verjährungsfrist habe noch gar nicht zu laufen begonnen, da konkrete Kenntnis über die Vorgänge selbst bei der Beklagten selbst nicht gegeben sei. Auch sei die Erhebung der Einrede der Verjährung treuwidrig.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.559,53 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus 34.000,00 € seit dem 21.07.2010 und seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs …, Fahrzeugidentifizierungsnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs …, Fahrzeugidentifizierungsnummer … im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten, …, in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
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Sie trägt vor, ein Schadenersatzanspruch des Klägers scheitere bereits daran, dass kein Schaden vorliege. Deliktische Ansprüche gegen sie kämen nicht in Betracht, weil schon die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen eines Betruges nicht vorlägen und auch der subjektive Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB nicht erfüllt sei. Auch habe die Klagepartei keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB, weil keine sittenwidrige Handlung der Beklagten erkennbar sei und auch die subjektiven Anspruchsvoraussetzungen nicht dargelegt werden würden.
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Die am 15.05.2020 bei Gericht eingegangene Klage wurde der Beklagten am 09.06.2020 zugestellt.
12
Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 29.06.2020 informatorisch, angehört. Auf das Protokoll wird insoweit verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
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Die Klage ist zulässig. Das sachlich zur Entscheidung zuständige Landgericht Ansbach gem. §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG ist auch örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 32, 35 ZPO, da die Klagepartei ihre Anträge auf deliktische Ansprüche, insbesondere gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 Fall 2 StGB und auf § 826 BGB stützt. In diesen Fallkonstellationen, in denen die Schadensrealisierung Teil des Tatbestands der unerlaubten Handlung ist, ist zur Bestimmung des gem. § 32 ZPO maßgeblichen Begehungsortes ausnahmsweise auf den Schadensort abzustellen (Musielak/Voit, 14. Aufl., 2017, § 32 ZPO, Rn. 15 m.w.N.). Das Vermögen der Klagepartei befindet sich an ihrem im hiesigen Gerichtsbezirk belegenen Wohnort.
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Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger kann sich mit Erfolg dem Grunde nach auf die geltendgemachten Schadenersatzansprüche stützen.
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Der Klagepartei steht ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte zu (Anschluss an BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19). Im Rahmen des Schadensersatzes kann die Klagepartei von der Beklagten Zahlung von 17.361,84 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen.
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Die als sittenwidrig zu beurteilende und den Kläger schädigende Handlung der Beklagten liegt darin, dass die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug in Verkehr gebracht hat, obwohl dessen Motorsteuerung mit einer nicht offengelegten Umschaltlogik versehen war, die dazu führte, dass im Rahmen des Typgenehmigungsverfahren die Einhaltung der Emissionswerte der Euro-5-Norm und damit das Vorliegen der Voraussetzungen der Typgenehmigung lediglich vorgetäuscht wurde. Die von der Beklagten bei dem streitgegenständlichen Motor installierte Steuersoftware stellte eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 dar, da durch die unterschiedlichen Betriebsmodi für den Prüfstandsbetrieb und den Betrieb im normalen Straßenverkehr Emissionen kontrolliert und gesteuert wurden und die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten waren, auf dem Prüfstand verringert wurde.
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Durch dieses Verhalten ist bei der Klagepartei kausal ein Schaden verursacht worden, der bereits im Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug zu sehen ist. Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19). Die Klagepartei erwarb ein Fahrzeug, welches zwar formal über die EG-Typgenehmigung verfügte. Bei Abschluss des Kaufvertrages durch die Klagepartei bestand jedoch grundsätzlich die Gefahr, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entsprach (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19). Insoweit drohte eine Nutzungsbeschränkung. Das Fahrzeug war damit für die Zwecke der Klagepartei nicht uneingeschränkt brauchbar. Ein Fahrzeug wird in aller Regel erworben, um es im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen. Es ist deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klagepartei von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die Zulassung des Fahrzeugs durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 erreicht worden ist.
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Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig i.S. von § 826 BGB.
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Der Käufer eines Fahrzeugs - gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt - setzt die Einhaltung der das Abgasverhalten betreffenden Vorgaben arglos als selbstverständlich voraus. Das betrifft sowohl Neuwagen- als auch den Gebrauchtwagenkäufer. Die Beklagte machte sich im Rahmen der von ihr bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze. Dabei erfolgte das Inverkehrbringen der Fahrzeuge gerade mit dem Ziel, möglichst viele der bemakelten Fahrzeuge abzusetzen. Ein solcher Fall steht einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich. Die Beklagte trifft das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge. Diese Schädigung stellt die zwangsläufige Folge des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge dar und liegt unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens (BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19).
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Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB, insbesondere ein Schädigungsvorsatz und eine Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, sind gegeben.
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Die Beklagte kannte die Umstände, welche die Sittenwidrigkeit begründen. Sie hat sich insoweit entsprechend § 31 BGB das Wissen und Wollen ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter (sog. Repräsentanten) zurechnen zu lassen (Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 31 Rn. 6 mit Verweis auf die Rspr. des BGH).
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Mitarbeiter der Beklagten haben die Software in Kenntnis von deren Funktionsweise in die Motorsteuerung sämtlicher Motoren der neu entwickelten Generation … integriert, die konzernweit millionenfach in Dieselfahrzeugen zum Einsatz kommen sollten. Die Funktionsweise widersprach für jeden erkennbar offensichtlich dem Verbot einer solchen Abschalteinrichtung im Sinne eines „defeat device“ gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG. Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware in einer solch hohen Anzahl von Motoren erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte.
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Vor diesem Hintergrund kommt der Beklagten gegenüber den insoweit ausreichenden Behauptungen der Klagepartei eine sekundäre Darlegungslast zu. Dieser hat die Beklagte indes nicht genügt und die Behauptung der Klagepartei bzgl. Kenntnis und Billigung des Handelns durch den Vorstand der Beklagten bzw. Repräsentanten nicht ausreichend bestritten. Sie hätte sich nicht auf ein einfaches Bestreiten zurückziehen dürfen, sondern durch substantiierten Vortrag die Behauptung der Klagepartei erschüttern müssen. Ein Verweis auf fehlende Erkenntnisse aus bisherigen internen Ermittlungen ist nicht ausreichend.
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Nachdem die Beklagte das Vorbringen der Klagepartei nicht ausreichend bestritten bzw. ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, gilt der Vortrag der Klagepartei, dass der Vorstand i.S. von § 31 BGB den Einsatz der Manipulationssoftware kannte und billigte, als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO (hierzu ebenfalls BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19).
27
Ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klagepartei das von der Beklagten angebotene Software-Update zwischenzeitlich durchführen ließ.
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Selbst wenn das Update das Fahrzeug in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt haben sollte, wäre der Schadensersatzanspruch nur erloschen, wenn die Entgegennahme des Updates als Annahme an Erfüllungs statt i.S. von § 364 Abs. 1 BGB auszulegen wäre. Das ist indes nicht anzunehmen. Dies scheitert zum einen daran, dass die Beklagte das Update nicht als Erfüllung eines Schadensersatzanspruchs der Klagepartei angeboten hat, zum anderen daran, dass sich die Entgegennahme der Leistung durch die Klagepartei nicht als Annahme an Erfüllungs statt deuten lässt, nachdem es angesichts des bekannten Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamts vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont aus naheliegt, dass die Klagepartei das Update ausschließlich aufspielen ließ, um die Weiternutzung ihres Fahrzeugs nicht zu gefährden.
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Der Schadenersatzanspruch ist auch nicht verjährt, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.
30
Die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 BGB hat nicht bereits mit Ablauf des Jahres 2015 begonnen.
31
Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen der Verjährungsvoraussetzungen ist die Beklagte. Der Kläger hat vorgetragen, dass er das Update am 16.02.2017 hat aufspielen lassen. Wann die Beklagte den Kläger von seiner Betroffenheit informiert hat, wird durch sie nicht vorgetragen, so dass letztlich derzeit davon auszugehen ist, dass die Verjährung der klägerischen Forderung frühestens mit dem Schluss des Jahres 2017 zu laufen begann und durch die Zustellung der Klage am 09.06.2020 wirksam gehemmt wurde.
32
Ein Beginn des Laufes der Verjährungsfrist mit dem Ende des Jahres 2015 ist nicht anzunehmen sein. Zwar ist es für die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners nicht notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es - abgesehen von Ausnahmefällen - nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (BGH, Urteil vom 03.06.2008 - XI ZR 319/06 -, VersR 2009, 1630, Tz. 27, m.w.N.). Weder die Ad hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 noch die nachfolgende Medienberichterstattung im Jahr 2015 noch die Freischaltung einer Intemetseite zur Prüfung, ob ein bestimmtes Fahrzeug von der unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen ist, waren geeignet, der Klagepartei hinreichende Kenntnis von den tatsächlichen Umständen zu vermitteln, welche die Annahme eines vorsätzlichen sittenwidrigen Handelns der Beklagten begründen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.30.2020; Az. 7 U 470/19 - zit. nach juris). Es erschließt sich für das Gericht nicht, woraus die Klagepartei zu diesem Zeitpunkt detaillierte Kenntnisse in Bezug auf den Wissensstand einzelner Vorstandsmitglieder etc. hätte ziehen sollen. Zu diesem Zeitpunkt war der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt. Bei einem weitgehend ungeklärten Sachverhalt ist eine Klageerhebung jedoch nicht zumutbar. Die Beklagte hatte mit der im September 2015 veröffentlichten ad-hoc-Mitteilung eingeräumt, dass eine „auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb festgestellt“ worden sei. Damit hat die Beklagte die Mangelhaftigkeit der betroffenen Fahrzeuge allenfalls vage und verklausuliert eingeräumt, jedoch nicht uneingeschränkt die Verantwortung für die vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung übernommen. Auch jetzt bestreitet sie, dass ihr Vorstand bzw. der für eine Haftung gemäß § 826 BGB in Betracht kommende Personenkreis davon gewusst habe. Erst 2016 sind durch Nachforschungen und Ermittlungen der Medien und Strafverfolgungsbehörden weitere Informationen zu den beteiligten Personen bekannt geworden. Belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagte verdichteten sich erst im Laufe des Jahres 2016 durch die Aussagen der bei der Beklagten beschäftigten Ingenieuren, die bei ihrer Vernehmung als Zeugen angaben, dass auch den Führungskräften der Beklagten die Problematik bekannt gewesen sei.
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Darüber hinaus kann eine problematische und ungeklärte Rechtslage den Verjährungsbeginn hiausschieben. Verjärungsbeginn tritt erst dann ein, wenn eine zutreffende Einschätzung der Rechtslage möglich ist (vgl. MüKo, 8. Aufl., § 199, Rn. 29). Eine höchstricherliche Entscheidung in den Fällen der Abgasmanipulation in Zusammenhang mit dem Motor … liegt erst seit dem 25.05.2020 vor.
34
Die Beklagte hat der Klagepartei alle aus der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.
35
1. Wenn - wie hier - der Geschädigte durch Täuschung zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu. Die Klagepartei kann damit Erstattung des bezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte verlangen.
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2. Die Klagepartei muss sich allerdings im Rahmen des Vorteilausgleichs Gebrauchsvorteile anrechnen lassen (hierzu ebenfalls BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19).
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a) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist - auch für eine auf § 826 BGB gestützte Schadensersatzforderung - geklärt, dass dem Geschädigten nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung neben dem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Es ist ein allgemeiner schadensrechtlicher Grundsatz, dass der Nachteil des Geschädigten zwar voll kompensiert wird, er durch den Schadensersatz aber auch keinen über den Schadensausgleich hinausgehenden Vorteil erlangen soll. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, vor § 249 Rn. 71 m.w.N.); einer Aufrechnungserklärung des Schädigers bedarf es nicht, weil es sich bei der Vorteilsausgleichung nicht um eine Aufrechnung handelt (BGH, NJW 1962, 1909). Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe dieses Vorteils verlangt, kommt es nicht an; insbesondere bedarf es keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schädigers (BGH, NJW 2015, 3160 m.w.N.).
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Vorteilsausgleichung von zwei Voraussetzungen ab; zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen, weiter muss die Anrechnung des Vorteils dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen, d.h. sie darf den Geschädigten nicht unzumutbar belasten und den Schädiger nicht unbillig begünstigen (siehe hierzu Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., vor § 249 Rn. 68 m.w.N.).
39
Dass zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil in Form der Nutzung des Fahrzeugs durch die Klagepartei ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, steht außer Frage. Die Anrechnung der Nutzungen entspricht auch dem Zweck des Schadensersatzes und führt weder zu einer unzumutbaren Belastung der Klagepartei noch wird die Beklagte hierdurch unbillig entlastet. Die Anrechnung der Gebrauchsvorteile benachteiligt die Klagepartei nicht unzumutbar, da lediglich die tatsächlich der Klagepartei zugeflossenen Nutzungsvorteile abgeschöpft werden.
40
c) Die Berechnung des anzurechnenden Nutzungsersatzes nimmt das Gericht nach der gebräuchlichen Formel der zeitanteilig linearen Wertminderung vor. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs setzt das Gericht mit 300.000 km an, § 287 ZPO.
41
Damit ergeben sich Gebrauchsvorteile in Höhe von 16.638,16 € (Bruttokaufpreis 34.000,00 € × zurückgelegte Fahrstrecke 101.409 km / zu erwartende Restfahrleistung bei Erwerb 300.000 km).
42
Damit beläuft sich der zuzusprechende Schadensersatzanspruch der Klagepartei auf 17.361,84 €.
43
Ein Anspruch auf Deliktszinsen gem. § 849 BGB steht der Klagepartei nicht zu.
44
Der Geschädigte kann zwar in den Fällen, in denen wegen der Entziehung einer Sache der Wert zu ersetzen, ist eine Verzinsung des zu ersetzenden Betrages von dem Zeitpunkt an verlangen, der der Bestimmung des Wertes zugrunde zu legen ist. Der Zinsanspruch aus § 849 BGB soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, Urteil vom 24.02.1983 - VI ZR 191/81). Ein allgemeiner Rechtssatz dahin, deliktische Schadensersatzansprüche seien stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen, lässt sich § 849 BGB hingegen nicht entnehmen (BGH, Urteil vom 12.06.2018 - KZR 56/16, juris).
45
Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Klagepartei Zinsen aus § 849 BGB nicht beanspruchen, da der vorliegende Fall nicht vom Schutzzweck des § 849 BGB erfasst wird, denn die Klagepartei hat im Gegenzug zur Hingabe des Kaufpreises den Besitz und das Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erlangt, mit der abstrakten Möglichkeit, dieses jederzeit über den gesamten Zeitraum hinweg nutzen zu können.
46
Dem steht nicht entgegen, dass die Klagepartei sich im Rahmen des Schadensersatzes im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss. Berücksichtigt werden insoweit nur die konkret gezogenen Nutzungen, nicht aber die abstrakte Möglichkeit, das Fahrzeug jederzeit nutzen zu können. Erhält der Geschädigte wie vorliegend einen faktisch nutzbaren Ersatz, greift § 849 BGB bereits nach seinem Sinn und Zweck nicht ein (Riehm, NJW 2019, 1105).
47
Die Beklagte befindet sich mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht in Annahmeverzug. Der Klägerin hat der Beklagten die ihr obliegende Leistung nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten. Ein solches konkretes Angebot lässt sich dem Schreiben der Bevollmächtigten vom 12.05.2020 nicht entnehmen.
48
Im Rahmen des Schadensersatzes hat die Beklagte der Klagepartei auch die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen. Der Klagepartei steht insoweit ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.
49
Unter Zugrundelegung des berechtigten klägerischen Anspruchs in Höhe von 17.361,84 € besteht ein Anspruch auf eine 1,3 Gebühr nach Nr. 2003 VV RVG, zuzüglich einer Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG sowie Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG. Dies ergibt den zu erstattenden Betrag in Höhe von 1.100,51 €.
50
Andere deliktische Schadensersatzansprüche begründen keinen weitergehenden Ersatzanspruch der Klagepartei.
51
Der Zinsanspruch begründet sich aus §§ 291, 288 Abs. 2 BGB.
52
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
53
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1, 2 ZPO.
54
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Ziffer 2. der Klageschrift wirkt nicht streitwerterhöhend.