Titel:
Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen die Herstellerin bei vom Diesel-Abgasskandal betroffenem Fahrzeug und Klageeinreichung in 2020 (hier: VW Golf)
Normenkette:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 826, § 852
Leitsätze:
1. Zur Frage der Verjährung von erst nach 2018 erhobenen Klagen vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4175; BeckRS 2021, 22216; BeckRS 2020, 37753; BeckRS 2022, 7982; BeckRS 2022, 10193; OLG München, BeckRS 2020, 11023; BeckRS 2019, 31911; BeckRS 2020, 3135; OLG Köln BeckRS 2020, 4947; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5743; BeckRS 2020, 7263; LG München II BeckRS 2021, 30618; OLG Bamberg BeckRS 2021, 10356; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 7000; BeckRS 2020, 6999; BeckRS 2020, 29575; OLG Naumburg BeckRS 2020, 28801. (redaktioneller Leitsatz)
2. Angesichts der massiven Medienberichterstattung über den Diesel-Abgasskandal ist spätestens im Jahre 2016 von einer grob fahrlässigen Unkenntnis auf Seiten eines betroffenen Käufers auszugehen, so dass die Verjährungsfrist spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen hat. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung führt nicht dazu, dass die Verjährungsfrist später beginnt oder gehemmt wird; Rechtsfolge ist lediglich, dass bei Scheitern von Verhandlungen die über die Verjährungsfrist hinausdauern, eine Berufung auf die Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich wäre. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal,, EA 189, Sittenwidrigkeit, unzulässige Abschalteinrichtung, Presseberichterstattung, Ad-hoc-Mitteilung, Kenntnis vom Abgasskandal, Verjährung, grob fahrlässige Unkenntnis
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 26.10.2021 – 5 U 387/20
BGH Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 13.06.2022 – VIa ZR 488/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58794
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 10.912,76 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „VWAbgasskandal“.
2
Die Klägerin erwarb im März 2015 bei … einen gebrauchten VW Golf zum Preis von 14.790, - € (Anlage K 1), ein Pkw, der von der Beklagten entwickelt, produziert und in Verkehr gebracht worden ist. Bei Erwerb betrug der km-Stand 56.433 km.
3
Der in dem Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA 189 verfügte über eine Software, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf optimierte (sog. Umschaltlogik). Sie erkannte, wenn das Fahrzeug den „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) durchfuhr und schaltete das regulär im Betriebsmodus 0 (Straßenbetrieb) betriebene Fahrzeug dann in den Betriebsmodus 1, in dem der Ausstoß von Stickoxiden dadurch verringert wurde, dass mehr Abgas über die Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt wurden. Dadurch wurden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt und es konnten im Testzyklus die nach der Euro-5-Abgasnorm (Verordnung (EG) 715/2007 vom 20.06.2007) vorgegebenen Werte eingehalten werden - was im Betriebsmodus 0 nicht möglich gewesen wäre.
4
Das Fahrzeug erhielt folglich auch die EG-Typengenehmigung und wird von der Beklagten seitdem massenhaft in den Verkehr gebracht.
5
Die Erstellung der Software erfolgte jedenfalls spätestens im Jahre 2007 - wer auf Seiten der Beklagten hierüber informiert war, ist zwischen den Parteien streitig.
6
Im Jahre 2015 erließ das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) einen - inzwischen bestandskräftigen - Bescheid, wonach es feststellte, dass es sich bei der geschilderten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/007 handele und in dem es den Rückruf der Fahrzeuge anordnete, die in einen Zustand zu bringen sind, der den öffentlichrechtlichen Normen entspricht. Seitens der Beklagten wird - in Abstimmung mit dem KBA - eine technische Überarbeitung mittels Software-Update angeboten, welches die Klägerin inzwischen hat aufspielen lassen. Funktionsweise, Kosten und Auswirkungen des Software-Updates sind zwischen den Parteien streitig.
7
Das Fahrzeug durfte seit Anordnung des Rückrufs weiter im Straßenverkehr genutzt werden und wurde von der Klägerin auch genutzt. Zuletzt betrug der km-Stand 153.587 km.
8
Seit der adhoc Mitteilung vom 22.09.2015 war der Abgasskandal regelmäßig Thema in der Medienberichterstattung.
9
Mit Schreiben vom 09.06.2020 (Anlage K 8) machte die - rechtsanwaltlich vertretene - Klägerin gegenüber der Beklagten erfolglos Schadensersatzansprüche geltend und forderte zur Zahlung des Kaufpreises abzgl. einer Nutzungsentschädigung auf.
10
Schließlich begehrt die Klägerin Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Anlage K 7) und Feststellung des Annahmeverzugs.
11
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
12
Die Klägerin stützt ihre Klage u.a. auf Ansprüche nach §§ 826, 31 BGB.
13
Sie ist der Meinung, bei der sog. Umschaltlogik handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 - dies sei bereits durch den Bescheid des KBA bindend festgestellt.
14
Die Beklagte habe - auch auf Vorstandsebene - Kenntnisse über die Manipulationssoftware gehabt:
15
Die Klägerin ist der Meinung, dass die erteilte Typengenehmigung von Anfang an und auch nach Aufspielen des Updates unwirksam sei - das Fahrzeug befinde sich weiterhin in einem nicht zulassungsfähigen Zustand, so dass das Risiko bestehe, dass das Fahrzeug mangels Genehmigung stillgelegt werde.
16
Insbesondere über das Bestehen der Typengenehmigung, aber auch über andere Punkte, wie die Schadstoffwerte sei von der Beklagten getäuscht worden.
17
In Kenntnis der gesamten Thematik hätte sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben.
18
Zudem führe das Update zu negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug, insbesondere zu höherem Spritverbrauch, höherem CO²-Ausstoß, geringerer Motorleistung und Einschränkungen der Dauerhaltbarkeit der Teile.
19
Zudem führe allein die Betroffenheit des Pkws vom Abgasskandal dazu, dass der Marktwert des Fahrzeugs nicht unerheblich gesunken sei.
20
Die Klägerin meint, die Verjährungseinrede greife nicht durch und behauptet hierzu - erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2020 -, sie habe erst im Jahre 2017 positive Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs erlangt.
21
Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin10.912,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Golf 1,6 l TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer …90.
- 2.
-
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs VW Golf 1,6 l TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer …90 im Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den vorgerichtlichen Gebühren ihrer Prozessbevollmächtigten Hillman & Partner mbB, Garten straße 14, 2..6122 Oldenburg, in Höhe von 958,19 € freizustellen.
22
Die Beklagte beantragt,
23
Die Beklagte ist der Meinung, die Umschaltlogik stelle bereits keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da die Software nicht Bestandteil des Emissionskontrollsystems sei und auch nicht im realen Fahrbetrieb auf dieses einwirke - vielmehr handele es sich um eine bloße innermotorische Maßnahme (Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors), die von den nachgelagerten Maßnahmen der Abgasreinigung zu unterscheiden sei.
24
Die Beklagte meint weiter, der Sachvortrag der Klägerin zur Kenntnis der Beklagten sei unsubstantiiert. Nach jetzigen Erkenntnissen - die Aufklärung sei noch nicht abgeschlossen - sei davon auszugehen, dass die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneten Arbeitsebenen getroffen worden sei. Weder der damalige Vorstandsvorsitzende noch einzelne Vorstandsmitglieder seien hieran beteiligt gewesen oder hätten dies gebilligt.
25
Die erteilte Typengenehmigung sei wirksam und das Fahrzeug weiterhin technisch sicher und uneingeschränkt gebrauchstauglich.
26
Es seien keinerlei Täuschungen durch die Beklagte erfolgt, insbesondere nicht bzgl. der Typengenehmigung, der Nutzbarkeit des Fahrzeugs oder der Schadstoffwerte.
27
Das Update führe nicht zu Leistungseinbußen, Erhöhung des Kraftstoffverbrauchs oder verringerter Lebensdauer des Fahrzeugs. Vielmehr werde durch die Veränderung diverser Parameter (etwa Optimierung des Verbrennungsprozesses durch Anpassung der Einspritzcharakteristik - insb. zusätzliche Nacheinspritzung und Erhöhung des Einspritzdrucks um 10% im Teillastbereich) bei Kosten von ca. 35, - € nunmehr ein einheitlicher adaptierter Modus 1 geschaffen, der auch im regulären Straßenbetrieb gefahren werde und der keinerlei negative Auswirkungen auf das Fahrzeug habe. Entsprechendes habe auch das KBA mit dem das Update freigegebenden Bescheid bestätigt.
28
Angesichts der fortbestehenden Nutzbarkeit und des geringen Update-Aufwands sei auch mit Nichtwissen zu bestreiten, dass die Klägerin den Kaufvertrag überhaupt nicht geschlossen hätte, wenn er von der Existenz der Software gewusst hätte.
29
Die Marktwerte der betroffenen Fahrzeuge seien stabil. Lediglich aufgrund der - von dem Abgasskandal unabhängigen - Thematik etwaiger Dieselfahrverbote habe sich die Nachfrage zu Benzinern hin verschoben.
30
Bezüglich der Anrechnung von Nutzungen sei von einer Gesamtlaufleistung im Bereich zwischen 200.000 und 250.000 km auszugehen.
31
Zur Verjährungseinrede vertritt die Beklagte die Auffassung, die Verjährung beginne angesichts der öffentlichen Information über den Abgasskandal am 22.09.2015 und der in der Folge einsetzenden Presseberichterstattung zum 31.12.2015. Zudem sei die Klägerin - wie alle anderen Betroffenen - bereits im Jahre 2016 durch ein Schreiben der Beklagten informiert worden.
32
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sachvortrags der Parteien - auch zu anderen Anspruchsgrundlagen - wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2020 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
33
I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
34
1. Die Beklagte kann die Erfüllung der klägerischen Schadensersatzansprüche nach § 826 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 = zitiert nach juris) wegen der Berufung auf die Einrede der Verjährung dauerhaft verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB).
35
Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann hier gemäß § 199 Abs. 1 Ziff. 1, 2 BGB spätestens mit Ablauf des Jahres 2016.
36
Spätestens im Jahre 2016 hat die Klägerin durch die individuelle Mitteilung der Beklagten bzgl. der Betroffenheit ihres Fahrzeugs Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt und konnte - wie dies von einer Vielzahl von Endkunden der Beklagten mit gleicher Argumentation gerade auch in Bezug auf die Zurechnung des Organisationsverschuldens getan wurde - eine hinreichend aussichtsreiche, wenn auch nicht risikolose Klage (vgl. hierzu etwa Palandt - Ellenberger, BGB - Kommentar, 79. Aufl. 2020, § 199 Rn. 28) erheben.
37
Soweit die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2020 zu dem bereits in der Klageerwiderung vom 11.08.2020 enthaltenen Sachvortrag der Beklagten (Übersendung individueller Anschreiben an alle Betroffene, so auch die Klägerin, im Jahre 2016) insoweit Stellung genommen hat, dass sie das Schreiben erst im Jahre 2017 erhalten habe, ist dieser Sachvortrag als verspätet zurückzuweisen (§ 296 Abs. 1 ZPO).
38
Zudem ist angesichts der massiven Medienberichterstattung spätestens im Jahre 2016 auch von einer grob fahrlässigen Unkenntnis auf Seiten der Klägerin auszugehen, so dass auch aus diesem Grunde die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2016 beginnt.
39
Hemmungstatbestände wie eine zwischenzeitliche Anmeldung zur Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig oder auch nur Verhandlungen zwischen den Parteien sind von der Klägerin nicht vorgetragen worden.
40
Damit endet die Verjährungsfrist spätestens mit Ablauf des 31.12.2019, so dass die Klageerhebung durch Schriftsatz vom 15.06.2020 keinen Einfluss mehr auf die Verjährung hat.
41
2. Die weiteren von der Klägerin mit Schriftsatz vom 31.08.2020 vorgetragenen Argumente zur Verjährungseinrede stehen dem nicht entgegen:
42
a) Es gilt nicht die Verjährungsfrist von 10 Jahren nach § 852 BGB.
43
Selbst die Ausführungen der Klägerin (Bl. 165, 166 d.A.) zeigen, dass es sich bei dem von § 852 BGB betroffenen Anspruch auf Restschadensersatz um einen anderen als den geltend gemachten Anspruch handelt (Kaufpreis abzüglich Händlermarge), zu dem sie selbst nichts vorträgt.
44
b) Der Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung führt nicht dazu, dass die Verjährungsfrist später beginnt oder gehemmt wird. Rechtsfolge ist lediglich, dass bei Scheitern von Verhandlungen die über die Verjährungsfrist hinausdauern, einer Berufung auf die Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich wäre (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17.01.1978 - VI ZR 116/76 = zitiert nach juris).
45
c) Weshalb die Erhebung der Einrede treuwidrig sein soll, erschließt sich nicht.
46
Die konkrete Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder - die von Beklagtenseite weiterhin bestritten wird - ist für die Erhebung der Klage und deren Erfolg nicht relevant, weil eine Haftung über die Grundsätze des Organisationsverschuldens (§ 31 BGB analog) bejaht werden kann.
47
d) Die von Klägerseite zitierte Entscheidung aus einem anderen Verfahren beim LG Bamberg beruhte insb. darauf, dass dort die positive Kenntnis der Klagepartei erst im Jahre 2017 unstreitig war.
48
e) Soweit behauptet wird, dass es durch das Update zu einer erneuten schädigenden Handlung komme, ist dies für die Entstehung des Schadens (Abschluss des so nicht gewollten Kaufvertrages) nicht kausal und deshalb für die Verjährung unbeachtlich.
49
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
50
III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
51
Der Streitwert ergibt sich aus folgenden Ansätzen:
- Antrag zu 1)
- Antrag zu 2)
- Antrag zu 3)
|
10.912,76 €
0,00 € (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2017 - XI ZR 109/17) 0,00 € (§ 4 ZPO)
|
GESAMT:
|
10.912,76 €
|