Inhalt

LG Würzburg, Endurteil v. 28.09.2020 – 92 O 375/20
Titel:

VW-Dieselskandal: Keine Schadenersatzansprüche bei Motortyp EA 288 (hier: Audi Q5)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
StGB § 263
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG München BeckRS 2022, 18805; BeckRS 2022, 23390; BeckRS 2021, 54742; BeckRS 2021, 54495; BeckRS 2021, 54503; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2020, 46880; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 3447; OLG Bamberg BeckRS 2022, 18709; BeckRS 2022, 25139; BeckRS 2022, 25141 sowie BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Vorhandensein einer temperatur- und betriebszustandsabhängigen Steuerung des Ausmaßes der Abgasrückführung kann nicht auf ein sittenwidriges Vorgehen der Herstellerin gefolgert werden. (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Annahme des Vorsatzes der Herstellerin steht entgegen, dass die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Herstellerin konnte durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei, weil sie ansonsten vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet worden wäre. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, (kein) Rückrufbescheid, Umschaltlogik, Thermofenster, KBA, Steuerung der Abgasrückführung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 10.09.2021 – 3 U 324/20
OLG Bamberg, Beschluss vom 15.12.2021 – 3 U 324/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 11.07.2022 – VIa ZR 84/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58772

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und Betrugs wegen eines von ihr erworbenen Fahrzeugs, dass mit einer Manipulationssoftware ausgestattet sei und ein sogenanntes „Thermofenster“ aufweise, wodurch die Abgaswerte die Grenzen des gesetzlich noch Zugelassenen überschreiten würden.
2
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 21.04.2015 ein Fahrzeug des Modells Audi 5 zu einem Kaufpreis von 40.130,00 €. In dem Fahrzeug ist der Motor des Typs EA 288 verbaut.
3
Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug am 19.08.2020 84.116 km.
4
Die Klägerin behauptet:
5
Das Fahrzeug sei vom sogenannten Abgasskandal betroffen und mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware sei so programmiert, dass sie erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde oder im regulären Straßenbetrieb. Im Prüfstand-Modus sei der Motor so eingestellt, dass auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt würden als im üblichen Straßenverkehr.
6
Bei ihrer Erwerbsentscheidung habe die Klagepartei auf die Richtigkeit der entsprechenden, öffentlich zugänglichen bzw. im Rahmen des Verkaufs zur Verfügung gestellten Herstellerangaben vertraut. Die Klagepartei sei bei Vertragsabschluss davon ausgegangen, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um ein Fahrzeug handele, das aufgrund seiner modernen Technik leistungsstark, aber dennoch in besonderem Maße umweltfreundlich sei und einen geringeren Kraftstoffverbrauch aufweise. Der Klagepartei sei es auf die Zuordnung zu der angegebenen Schadstoffklasse bei ihrer Kaufentscheidung angekommen. Darüber hinaus seien für sie auch die Verbrauchswerte wichtig gewesen. Bei Auslieferung sei das Fahrzeug werkseitig bereits manipuliert gewesen. Die Klagepartei hätte das streitgegenständliche Fahrzeug niemals ausgewählt und gekauft, wenn sie gewusst hätte, dass das Motorsteuergerät mit einer unerlaubten Schalteinrichtung ausgestattet sei, um die Abgaswerte im Testbetrieb erheblich von denen im normalen Straßenverkehr abweichen zu lassen.
7
Das Kraftfahrtbundesamt weise darauf hin, dass ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen könne. So moniere das KBA hier trategien, welche sich allesamt auch in den EA 288 Motoren befänden. Diese unzulässigen Strategien befänden sich sowohl in Fahrzeugen mit einem NOx-Speicher-Katalysator (NSK-Ausführung) sowie in Modellen mit einer SCR-Ausführung, soweit die Abschalteinrichtung nicht explizit Ad-Blue betreffe.
8
Schon auf der Seite 3 des Dokuments „Applikationsrichtlinien & Freigaben EA 288“ würden verschiedene Zielwerte für verschiedene Fahrzyklen definiert. Die Definition des NEFZ-Zyklus (kalt) solle den EU Vorgaben entsprechen, mithin einen Faktor von 0,9 und einem absoluten NOx-Ausstoß von 70 mg/km. Der gleiche Zyklus, lediglich warm gestartet, bedeute, dass schon eine Vorheizung des Motors stattgefunden hätte mit der Folge, dass dies schon zu einer Überschreitung der Messwerte führe, da hier entsprechende Messwerte von 80-120 mg/km angegeben würden, und mithin ein Faktor von 1-1,5 des Grenzwertes. Technisch gesehen würde jedoch ein warmer Start dazu führen, dass die Grenzwerte besser eingehalten würden, als bei einem kalten Start, da z.B. der Katalysator nicht erst noch auf Betriebstemperatur gebracht werden müsste. Bei den Zyklen RDE extendend (warm) werde mit einer Überschreitung des Grenzwertes vom 3-5-fachen gerechnet. Beim ADAC-Autobahn Test sogar mit einer Überschreitung vom 4-6-fachen. Dies bedeute, dass schon in der Applikation bei der Planung entsprechender Zielvorgaben auch Überschreitungen eingeplant seien. Die Überschreitung seien dabei so hoch, dass bei diesen Werten eine zweite Manipulation der On-Board-Diagnose-Einheit (OBD) notwendig werde.
9
Das entsprechende unzulässige Zyklen-Erkennungen in den verschiedenen Modellen SCR und NSK verbaut seien, erkenne man auch an den Seiten 4 und 5 der Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgabe EA 288. Hier werde ausgeführt, dass eine unterschiedliche Bedatung (sprich unterschiedliche Werte für die Abgasreinigung) genutzt würde durch die Erkennung entsprechender Fahrprofile. Die ganz offensichtlichen unzulässigen Zyklen-Erkennungen hätten nach den entsprechenden Dokumenten dann geändert werden sollen.
10
Neben den oben ausgeführten unzulässigen Abschalteinrichtungen seien hier in detaillierter Ausprägung noch weitere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut.
11
Anhand gemessener Werte sei ersichtlich, dass in dem Motor des Typs EA 288 eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung verbaut sei. Bei den 3,0 l Fahrzeugen führe die Beklagte aus, dass diese Rückführung bei 17 °C komplett ausgeschaltet sei.
12
Die entsprechenden Manipulationen seien beim Typ T6 so gravierend gewesen, dass hier auch ein Pflichtrückruf durch das KBA erlassen worden sei. Hier habe das KBA einen Rückrufbescheid am 17.04.2019 erlassen. Hierdurch werde bestätigt, dass auch das KBA hier von einer erheblichen Überschreitung der Stickoxidwerte bei diesem Motor ausgehe. Bislang sei jedoch nur ein Rückruf zu dem Modell T6, welches ebenfalls den Motor A 288 verbaut habe, bekannt geworden. Das KBA führe hier als Grund für den Rückruf unter der Beschreibung lediglich an: Konformitätsabweichung führe zur Beschreibung des Euro-6-Grenzwertes für Stickoxide. Dieser Bescheid bestätige, dass in dem Fahrzeug auch durch das KBA hier entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung gefunden worden sei, welche dieses zu dem Rückruf der 185, 383 Fahrzeuge veranlasst habe.
13
Die Manipulation des Systems verhindere, dass entsprechende Fehlercodes geschrieben würden.
14
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug befinde sich mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung. Diesbezüglich seien die internen Dokumente mit der Anlage K2 vorgelegt worden, welche deutlich eine unzulässige Zykluserkennung mit der damit einhergehenden Steuerung von Abgasevents aufzeigten. Daneben gehe die Klagepartei davon aus, dass in dem Fahrzeug auch die vom KBA aufgedeckten unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien, welche auch in den 3,0 l Motoren der Beklagten verbaut worden seien.
15
Die Klägerin beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi Q5 mit der Fahrgestellnummer … durch die Beklagte herrühren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.613,24 € freizustellen.
16
Die Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
17
Sie erwidert:
18
Bei dem Modell EA 288 EU 6 plus handele es sich um den Nachfolgermotor zu dem Motor EA 189. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe den streitgegenständlichen Motortyp EA 288 im Hinblick auf die bei den EA 189-Fahrzeugen monierte Umschaltlogik überprüft und festgestellt, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Folgerichtig habe das KBA keinen Bescheid im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlassen und auch keinen verpflichtenden Rückruf angeordnet.
19
Die Klagepartei behaupte unzutreffend und ohne jede Tatsachengrundlage, dass auch in dem streitgegenständlichen EA 288-Fahrzeug eine Umschaltlogik wie in den EA 189-Fahrzeugen zum Einsatz komme. Der Klagepartei gelinge es folglich nicht, substantiiert einen angeblichen Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. eine hierüber erfolgte Täuschung darzulegen. Die Klagepartei beschränke sich vielmehr auf pauschale Behauptungen ins Blaue hinein. Auf dieser Grundlage bestehe kein Anknüpfungspunkt für eine angebliche deliktische Haftung der Beklagten.
20
Darüber hinaus führe der klägerische Vortrag weiterhin über weite Strecken zu EA 288 Motoren, die über ein NSK-Katalysator verfügen, aus. In diesem Zusammenhang behaupte sie den Vorbau weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen (AdBlue-Reduzierung, SCR-Dosierstrategie, Zykluserkennung) und verweist dabei auf eine Applikationsanweisung der Beklagten sowie eine Berichterstattung des SWR. Zudem sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug kein NSK Katalysator verbaut, so dass die Ausführungen zum NSK-Katalysator irrelevant seien. Darüber hinaus verweise die Klagepartei auf Messergebnisse der Untersuchungskommission Volkswagen und den Rückrufbescheid des KBA, der ganz andere Fahrzeuge und Motoren beträfe. Die Klagepartei behaupte pauschal den Verkauf von „multiplen Abschalteinrichtungen“, vermag diesen aber nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug zu konkretisieren.
21
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf alle gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe

22
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klage wegen des Vorrangs der Leistungsklage bereits unzulässig ist. Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
I.
23
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB und/oder aus §§ 826, 31 BGB zu.
24
1. Ein Anspruch gegen die Beklagte als Herstellerin und nicht als Verkäuferin des PKW nach den vorgenannten Vorschriften könnte sich daraus ergeben, wenn die Beklagte mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges konkludent darüber getäuscht hat, dass der Einsatz des Fahrzeuges entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist, obwohl dies nicht der Fall war, weil tatsächlich eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut war mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung droht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, 13 U 142/18; DAR 2019, 266). Dazu müsste die Beklagte zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben. Das Verhalten der Beklagten müsste sich, um einen Anspruch aus § 826 BGB zu begründen, zudem als sittenwidrig darstellen.
25
2. Im Rechtsstreit ist unstreitig, dass das klägerische Fahrzeug von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht erfasst wird, da die Klägerin keinen Bescheid mit einer entsprechenden Aufforderung vom Kraftfahrt-Bundesamt erhalten hat.
26
a) Die Klage kann auch unter dem Gesichtspunkt eines sog. thermischen Fensters keinen Erfolg haben.
27
aa) Aus dem Vorhandensein einer temperatur- und betriebszustandsabhängigen Steuerung des Ausmaßes der Abgasrückführung vermag das Gericht nicht die von der Klägerin für richtig gehaltenen rechtlichen Schlussfolgerungen zu ziehen. Das hier zur Entscheidung berufene Gericht schließt sich der Rechtsprechung des OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 - Az. 5 U 1670/18 -, die in einem - wenn auch einen anderen Automobilhersteller betreffenden - Verfahren ergangen ist, das von den relevanten Fragestellungen aber denen dieses Verfahrens gleichgelagert ist, an und legt diese seiner eigenen Urteilsfindung zugrunde.
28
bb) Die Klägerin ist der Auffassung, die Reduzierung der Abgasrückführung bei niedrigen Außentemperaturen stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) 715/2007 dar. Davon, dass eine solche Einrichtung ausnahmsweise nach Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a der genannten Verordnung zum Zwecke des Motorschutzes zulässig sei, könne mangels entsprechender Darlegung der Beklagten nicht ausgegangen werden.
29
Rechtlicher Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vom 20.06.2007, wonach „die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissions-Kontrollsystemen verringern“ grundsätzlich unzulässig ist. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 sieht Ausnahmen von diesem generellen Verbot von Abschalteinrichtungen vor; danach gilt das Verbot insbesondere nicht (Buchstabe a), wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung (oder Unfall) zu schützen. Was unter einer Abschalteinrichtung i.S.d. genannten Bestimmung zu verstehen ist, definiert Art. 3 Nr. 10 der genannten Verordnung. Danach handelt es sich um ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrgeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlass-Krümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissions-Kontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissions-Kontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Eine Definition des Begriffes „Emissions-Kontrollsystem“ fehlt in der Verordnung allerdings. Die Funktion einer Abgasrückführung besteht bekanntlich darin, dass das nach dem Verbrennungsvorgang aus den Zylindern des Motors abströmende Gas in einem bestimmten Umfang erneut dem Verbrennungsvorgang zugeführt wird, wobei dies auf unterschiedliche technische Weise geschehen kann (hochdruckseitig, niederdruckseitig oder kombiniert). Den Zylindern wird also nicht nur frisch angesaugte Luft zugeführt - in die dann der Treibstoff eingespritzt wird - sondern auch Abgase, womit erreicht werden soll, dass die Verbrennungstemperatur herabgesetzt wird, wodurch sich die Bedingungen für die Entstehung von Stickoxiden verschlechtern und der Stickoxid-Anteil im Abgas letztlich verringert wird. Dabei leuchtet unmittelbar ein, dass die Abgasrückführungsrate, also der Anteil des Abgases an dem zur Verbrennung vorgesehenen Luft-Treibstoff-Gemisch, nicht beliebig gesteigert werden kann; auch dem technischen Laien erscheint zudem wenigstens plausibel, dass die Abgasrückführungsrate nicht unter allen denkbaren Betriebsbedingungen gleich hoch sein kann, sollen unerwünschte Auswirkungen und Beschädigungen des Motors, insbesondere des Abgasrückführungsventils selbst, vermieden werden.
30
cc) Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine derartige von bestimmten Parametern abhängige Veränderung der Abgasrückführungsrate von der Definition der „Abschalteinrichtung“ in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfasst werde, weil es sich bei der Abgasrückführung um ein „Emissions-Kontrollsystem“ handele (und nicht etwa um einen innermotorischen Vorgang), ferner, dass die Fahrzeughersteller sich zur Rechtfertigung dieser Variabilität nicht auf die Ausnahmebestimmung in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der genannten Verordnung berufen könnten, so lange sie nicht den Nachweis führen könnten, dass sich solche Einrichtungen weder durch Konzeption noch durch Konstruktion oder Werkstoffwahl nach aktuellem Stand der Technik vermeiden ließen. Andernfalls hätten die Automobilhersteller die Möglichkeit, sich von dem Verbot der Abschalteinrichtung dadurch zu befreien, dass sie Motoren bewusst so suboptimal konstruierten, dass diese bei vollem Greifen des Emissions-Kontrollsystems Schaden zu nehmen drohten.
31
Da im vorliegenden Fall der Klageanspruch gegen die Beklagte nicht auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche gestützt werden kann - und auch nicht gestützt wird -, ist das Vorliegen eines Mangels im kaufrechtlichen Sinne nicht unmittelbar entscheidungserheblich.
32
b) Der Annahme des Vorsatzes steht hier entgegen, dass die zitierten Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste. Zu diesem Ergebnis ist immerhin der 5. Untersuchungsausschuss gemäß Art. 44 des Grundgesetzes des Deutschen Bundestages (Drucksache 18/12900) gelangt; in den Schlussfolgerungen und Empfehlungen dieses Ausschusses (S. 536 ff. der zitierten Drucksache) wird die Auffassung des Ausschusses festgehalten, die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufgeführten Ausnahmen vom Verbot von Abschalteinrichtungen seien nicht eindeutig definiert; das europäische Recht ermögliche der Typgenehmigungsbehörde nicht in jedem Fall, zweifelsfrei festzustellen, ob eine genutzte Abschalteinrichtung zulässig sei oder nicht; die Formulierung der Ausnahmen sei teilweise so weit, dass den Automobilherstellern ein weiter Einsatzspielraum verbleibe (OLG Nürnberg, a.a.O., Juris Rdn. 38). Dies gelte insbesondere für die Ausnahme des Motorenschutzes, die den Herstellern die Definition weitreichender sog. Thermo-Fenster ermögliche; letztlich bestimme der Hersteller durch seine Motorkonstruktion, wie häufig eine Abschalteinrichtung greifen müsse, damit die vorgegebene Lebensdauer des Motors erfüllt werden könne. Die europäischen Typgenehmigungsvorschriften müssten deshalb überarbeitet werden.
33
c) Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 vom 18.07.2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems einschließlich seines Funktionierens bei niedrigen Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen gemacht hat, so dass dem Kraftfahrt-Bundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm jedoch - offensichtlich - nicht beanstandet worden ist. Auch das zeigt, dass eine andere von einem Teil der Rechtsprechung favorisierte Auslegung nicht als zwingend angesehen werden kann, zugleich und vor allem stellt dies ein wesentliches Argument gegen die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten bei dem In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges dar. Die Beklagte konnte durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei, weil sie ansonsten vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet worden wäre.
34
d) Selbst wenn man mangels gegenteiliger Darlegung der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere - und vor allem durchgehend hohe - Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde - und letztlich auch die Käufer - täuschen wollen.
35
3. Darauf, dass der Klägerin auch kein Schaden entstanden sein dürfte, weil nicht zu erkennen ist, dass seinem Fahrzeug die Entziehung der Betriebserlaubnis droht, und weil ein etwaiger genereller Wertverfall gebrauchter Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor jedenfalls nicht auf ein Verhalten der Beklagten zurückgeführt werden könnte, kommt es mangels eines haftungsbegründenden Verhaltens der Beklagten nicht mehr an.
36
4. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da bereits keine begründende Hauptforderung festzustellen war.
II.
37
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.