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ArbG Würzburg, Endurteil v. 11.11.2020 – 3 Ca 258/20
Titel:

Kündigung wegen Verstoßes gegen die Meldepflicht im Rahmen einer Arbeitsunfähigkeit

Normenkette:
EFZG § 8 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Der Arbeitnehmer, und damit bei übergegangenem Anspruch der Sozialversicherungsträger, ist für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungspflichtig aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber iSv § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG die Kündigung aus Anlass der Erkrankung ausgesprochen hat. Durch die etwaige Kenntnis des Arbeitgebers von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Arbeitsverhinderung und Kündigung werden Hilfstatsachen begründet, die den Schluss auf den Tatbestand zulassen können. Diesem Indizienschluss kann vom Arbeitgeber mit entgegengesetzten Tatsachenvortrag über den Kündigungsgrund begegnet werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Geht der Arbeitgeber hingegen, da der Arbeitnehmer ihm gegenüber die Arbeitsunfähigkeit nicht anzeigt, davon aus, der Arbeitnehmer fehle unentschuldigt, kündigt er wegen der Arbeitsversäumnis, nicht wegen einer möglichen Arbeitsunfähigkeit. Eine hierauf begründete Kündigungsentscheidung ist keine, die im Rahmen von § 8 Abs. 1 EFZG beachtlich ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entgeltfortzahlung, Anlasskündigung, Meldepflicht, Entleiher
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 25.11.2021 – 3 Sa 67/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58739

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.318,15 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um übergegangene Entgeltfortzahlungsansprüche der Arbeitnehmerin …, die in der Zeit vom 3.9. bis 1.10.2019 bei der Beklagten beschäftigt war.
2
Die Mitarbeiterin meldete sich mit ärztlicher Bescheinigung vom 23.9.2019 (bis 25.9.2019) arbeitsunfähig (Bl. 36 d.A.) und blieb dem zugewiesenen Arbeitsplatz im Entleiherbetrieb fern. Mit Schreiben vom 26.9.2019 (Bl. 17 d.A.) Kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit unter Berufung auf die tariflichen Kündigungsfristen zum 1.10.2019, vorsorglich zum nächstmöglichen Termin.
3
Für die Zeit vom 2.10. bis 11.11.2019 wurde von der Klägerseite Krankengeld in Höhe von 1.318,15 € gezahlt. Mit Schreiben vom 16.1.2020 (Bl. 14 d.A.) erklärte die Klägerin den Anspruchsübergang und forderte die Beklagte zur Zahlung der geleisteten Krankengeldbeträge auf.
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Die Klägerin trägt vor:
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Auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses erlösche der Entgeltfortzahlungsanspruch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht, wenn der Arbeitgeber des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Hierbei bestehe ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer Anlass der Kündigung war, wenn der Arbeitgeber in zeitlichem Zusammenhang mit der Krankmeldung eines Arbeitnehmers oder der Anzeige, dass eine bekannte Arbeitsunfähigkeit fortdauere, das Arbeitsverhältnis kündigt. Hierbei komme es nicht darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit der unmittelbar leitende Beweggrund für die Kündigung ist.
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Soweit sich die Beklagte darauf berufe, eine weitere Einsatzmöglichkeit sei aufgrund einer Abmeldung durch den Kunden nicht möglich gewesen, sei dies für die Fortzahlung nicht von Relevanz. Auch könne sich die Beklagte nicht auf unentschuldigtes Fehlen berufen, da es dem Arbeitgeber obliege zunächst die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, die Arbeitnehmerin sei arbeitsunfähig erkrankt. Werde vor Ablauf der Nachweisfrist gekündigt, müsse sich der Arbeitgeber so behandeln lassen, als habe er Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit gehabt. Soweit eine Folgeerkrankung anzuzeigen sei, habe die Beklagte nicht nach Ablauf der ersten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am 26.9.2019 kündigen können.
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Die Höhe der geleisteten Zahlungen ergebe sich aus dem Leistungskonto der Mitarbeiterin (Bl. 38 d.A.).
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Die Klägerin beantragt daher zuletzt zu erkennen:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.318,15 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.3.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
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Die Beklagte führt aus:
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Durch den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Arbeitsverhinderung und Kündigung entstehe keine tatsächliche Vermutung, dass die Kündigung aus Anlass der Erkrankung ausgesprochen wurde. Es handele sich lediglich um Hilfstatsachen, die den Schluss auf den Tatbestand des § 8 Abs. 1 EFZG zulassen können. Ein solcher Indizienschluss sei nicht mit einem Anscheinsbeweis gleichzusetzen.
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Der Entleiherbetrieb habe den Einsatz der Mitarbeiterin am 26.9.2019 abgemeldet und dauerhaft ihren Einsatz abgelehnt. Grund hierfür sei, dass die Arbeitnehmerin am 26.9.2019 unentschuldigt am Arbeitsplatz gefehlt hat. Die Abmeldung der Mitarbeiterin durch den Entleiherbetrieb sei der Grund für den Ausspruch der Kündigung.
13
In jedem Fall habe die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin keinen entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben. Eine Arbeitsunfähigkeit am 26.9.2019 sei der Beklagten im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht bekannt gewesen. Die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt unentschuldigt gefehlt.
14
Vorliegend gehe es entgegen der Auffassung der Klägerseite auch nicht um die Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Vielmehr habe die Klägerin ihre Arbeit am 26. September antreten und eine etwaige Verhinderung unverzüglich mitteilen müssen.
15
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die entsprechenden schriftsätzlichen Ausführungen Bezug genommen.
16
Bezug genommen wird im Übrigen auf den Inhalt der Verhandlungsniederschriften, sowie auf die gesamte Gerichtsakte.

Entscheidungsgründe

I.
17
Die Klage ist zulässig.
18
Das Arbeitsgericht Würzburg - Kammer Schweinfurt - ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG im Rechtsweg zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ist gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 12, 17 ZPO begründet.
19
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend im Wege des Urteilsverfahrens, § 2 Abs. 5 ArbGG.
II.
20
Die Klage ist unbegründet. Im Einzelnen gilt folgendes:
21
Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG besteht der Anspruch auf Lohnfortzahlung des Arbeitnehmers auch bei Ausspruch einer Kündigung fort, wenn der Arbeitgeber des Arbeitsverhältnisses aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Erbringt der Sozialversicherungsträger Leistungen, so geht der dem Arbeitnehmer zustehende Anspruch gemäß § 115 SGB X auf ihn über. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG kündigt. Zwar entsteht kein rückwirkender Leistungsanspruch, jedoch ist nach Ablauf der Wartezeit der Anspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 EFZG unter den entsprechenden Voraussetzungen gegeben (BAG vom 26.5.1999, NZA 1999, S. 1273; 16.2.2002, AP EFZG § 3 Nr. 13).
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Voraussetzung ist jedoch, dass der Arbeitgeber des Arbeitsverhältnisses Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt.
23
Der Arbeitnehmer, und damit bei übergegangenem Anspruch der Sozialversicherungsträger, ist für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungspflichtig aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber die Kündigung als Anlass der Erkrankung ausgesprochen hat. Durch die etwaige Kenntnis des Arbeitgebers von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Arbeitsverhinderung und Kündigung werden Hilfstatsachen begründet, die den Schluss auf den Tatbestand zulassen können. Diesem Indizienschluss kann vom Arbeitgeber mit entgegengesetzten Tatsachenvortrag über den Kündigungsgrund begegnet werden (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 8 EFZG Rn. 10 m.w.N.).
24
Vorliegend bestand jedoch kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO) hat die Arbeitnehmerin weder ihre Arbeitsleistung am 26.9.2019 angeboten, noch ihre Entschuldigung unverzüglich angezeigt. Sie wurde daher vom Entleiherbetrieb abgemeldet. Geht der Arbeitgeber aber davon aus, ein Arbeitnehmer fehlt unentschuldigt, kündigt er wegen der Arbeitsversäumnis, nicht wegen einer möglichen Arbeitsunfähigkeit. Lässt der Arbeitnehmer die zu seinen Gunsten eingeräumten Fristen für Anzeige und Nachweis der Arbeitsunfähigkeit verstreichen, darf der Arbeitgeber nämlich berechtigt davon ausgehen, der Arbeitnehmer fehle unentschuldigt (Müller-Glöge, Aktuelle Rechtsprechung zum Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, RdA 2006, S. 105 (S. 111) m.w.N.). Eine hierauf begründete Kündigungsentscheidung ist keine, die im Rahmen von § 8 Abs. 1 EFZG beachtlich ist.
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Da ein Nachweis für eine anlassbedingte Kündigung in Zusammenhang mit der Erkrankung der Mitarbeiterin nicht geführt wird, vermag die Klägerseite daher mit ihrem Anspruch nicht durchzudringen. Die Klage war abzuweisen.
III.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 61 Abs. 1, § 46 Abs. 2 ArbGG; 2, 3 ZPO festgesetzt.