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OLG München, Endurteil v. 10.11.2020 – 9 U 1448/20
Titel:

Schadensersatz, Berufung, Schadensersatzanspruch, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Revision, Fahrzeug, Zahlung, Beschwer, Klage, Kostenentscheidung, Schriftsatz, Umfang, Erwerb, Zug um Zug

Schlagworte:
Schadensersatz, Berufung, Schadensersatzanspruch, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Revision, Fahrzeug, Zahlung, Beschwer, Klage, Kostenentscheidung, Schriftsatz, Umfang, Erwerb, Zug um Zug
Vorinstanzen:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 19.03.2020 – 43 O 2706/18
LG Ingolstadt, Endurteil vom 17.02.2020 – 43 O 2706/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 58675

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 13.03.2020 gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.02.2020, berichtigt durch Beschluss vom 19.03.2020, Az.: 43 O 2706/18, wird dieses aufgehoben und die Klage wird insgesamt abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Der Kläger begehrt Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkws Audi Q 5, ausgestattet mit einem Motor des Typs EA 189, am 24.07.2015.
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Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils vom 17.02.2020, berichtigt durch Beschluss vom 19.03.2020, Az.: 43 O 2706/18, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
3
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 12.683,88 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkws Audi Q 5. Es stellte ferner den Annahmeverzug fest und verpflichtete die Beklagte, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab.
4
Tragend stellte das Erstgericht dabei darauf ab, die Beklagte hafte deshalb nach §§ 826, 31 BGB, weil sie sich entschieden habe, den in Streit stehenden Motor EA 189 in das streitgegenständliche Fahrzeug einzubauen und dieses mit der erschlichenen Typengenehmigung in Verkehr gebracht zu haben.
5
Gegen dieses dem anwaltlichen Vertreter der Beklagten unter dem 24.02.2020 zugestellte Urteil legte derselbe mit Schriftsatz vom 13.03.2020, eingegangen beim Oberlandesgericht München am gleichen Tag, Berufung (Bl. 296/297 d. A.) ein, die er mit Schriftsatz vom 23.04.2020, beim Oberlandesgericht München eingegangen am gleichen Tag, begründete (Bl. 301/352 d. A.).
6
Er argumentiert, die Beklagte sei zwar Herstellerin des Fahrzeugs, habe aber den Motor EA 189 nicht entwickelt. Bei dem vor dem Einbau des Motors geschuldeten Prüfungsumfang habe die Beklagte auch nicht erkennen können, dass eine sogenannte „Schummelsoftware“ verwendet worden ist. Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2020 übergebenen Schriftsatz vom 28.09.2020 (Bl. 455/488 d. A.) genüge die Beklagte auch einer eventuell sie treffenden sekundären Darlegungslast.
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Die Beklagte beantragt zuletzt,
das am 17.02.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az.: 43 O 2706/18, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
8
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
9
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
10
Die Einzelrichterin hat am 29.09.2020 zur Sache mündlich verhandelt. Hinsichtlich des Inhalts wird Bezug genommen auf das Protokoll vom genannten Tag (Blatt 489/491 d. A.). Im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch gleich aus welchem Rechtsgrund zu.
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1. Die Beklagte haftet wegen des Einbaus des Motors EA 189 in den Audi Q 5 nicht nach §§ 826, 31 BGB.
13
Zwar ist die Beklagte Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Den in dem Fahrzeug verbauten Motor des Typs EA 189 hat die Beklagte allerdings nicht entwickelt.
14
Zwar haftet die VW AG für das dolose Handeln ihres Organwalters nach § 31 BGB und muss sich damit eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zurechnen lassen (BGH, Urteil v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555). Allerdings muss sich die A. AG die Kenntnis der Organwalter der V. AG nicht zurechnen lassen.
15
Es kommt nicht in Betracht, das Wissen von Angestellten der Muttergesellschaft denen der Tochtergesellschaft und umgekehrt zuzurechnen, weil die einheitlich geleiteten Konzernunternehmen rechtlich selbständig, Organwalter der Mutter keine solchen der Tochter und die Tochter keine der Mutter sind. Die Wissensvertretung nach Maßgabe der Organtheorie versagt daher schon im Ansatz und nichts anderes gilt für die Repräsentationstheorie, die § 166 Abs. 1 BGB zugrunde liegt (vgl. Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2838). Die Versuche, eine konzernweite „Informationsorganisationspflicht“ zu begründen und mit ihrer Hilfe Wissenszurechnung herbeizuführen, werden zu Recht abgelehnt, weil es noch nicht einmal eine Konzernleitungspflicht und eine Konzernorganisationspflicht gibt (vgl. Spindler ZHR 181 (2017), 311, 334; Altmeppen, NJW 2020, 2833, 2838).
16
Eine Lösung mit Hilfe der prozessualen Darlegungslast scheitert im konkreten Fall, da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast mit dem Schriftsatz vom 28.09.2020 (Bl. 445/488 d. A.) nachgekommen ist. In diesem Schriftsatz hat die Beklagte ein weiteres Mal vorgetragen, dass sie nicht an der Entwicklung der Motoren des Typs EA 189 beteiligt war. Die Verantwortung für die Entwicklung sämtlicher Motoren des Typs EA 189 für die verschiedenen Audi-Modelle habe allein der V.AG oblegen. Die Motoren des Typs EA 189 seien im Rahmen der Aggregateverantwortung für alle Konzernmarken, also auch für die Fahrzeuge der Beklagten ausschließlich von der V. AG in der Modulstrategie entwickelt worden. Dies habe insbesondere auch die Bedatung des zu dem Motor gehörigen Motorsteuergeräts umfasst. Die V. AG habe sodann das für die Emissionstypgenehmigung erforderliche Zulassungsverfahren einschließlich der hierbei durchzuführenden Tests organisiert und begleitet.
17
Die Beklagte ist auch zur Qualitätskontrolle eines jeden fertigen Fahrzeugs ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen.
18
Nach den einschlägigen Regelungen hat die Beklagte die von ihr hergestellten Serienfahrzeuge nur daraufhin zu überprüfen, ob ihr Bauzustand mit den EGTypgenehmigungsunterlagen, insbesondere den Beschreibungsbögen, übereinstimmt (Ziffer 2.3.5 Anhang X der RL 2007/46/EG). Bezogen auf die Einhaltung der Emissionswerte musste die Beklagte im Rahmen der CoP-Tests gemäß Abschnitt 4 von Anhang I VO (EG) 692/2008 die durchschnittlichen Abgasemissionen der Fahrzeuge bei Umgebungsbedingungen (sogenannte Prüfung Typ I) prüfen. Diese Prüfungen wurden im NEFZ (kalt) auf dem Rollenprüfstand durchgeführt. Das Prüfverfahren wird präzise in Ziffer 5.3.1 sowie Anhang 4 UN/ECE Regulierung Nr. 83 beschrieben, auf die in Ziffer 2.1 und 3.1 des Anhangs III der VO (EG) 692/2008 verwiesen wird. Im Rahmen des Typs ITests konnte die „Umschaltlogik“ der Motorsteuerungssoftware aber gerade nicht erkannt werden, da sie die Prüfungsbedingungen des Typs I-Test erkannte und die Abgasrückführung des Fahrzeugs innerhalb des Tests erhöhte. Mit diesem Vortrag ist die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Dem hat der Kläger im Schriftsatz vom 21.10.2020 (Bl. 492/493 d. A.) nichts entgegengesetzt. Eine Zurechnung des Verhaltens der Organwalter der V. AG auf die Beklagte kommt daher nicht in Betracht.
19
2. Auch andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
III.
20
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 97 Abs. 1 ZPO.
21
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
22
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Senat hat eine Zurechnung entsprechend der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgelehnt.
IV.
23
Eine Rückübertragung von der Einzelrichterin auf den Senat ist nicht in Betracht gekommen, da die Voraussetzungen des § 526 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht vorliegen. Die Prozesslage hat sich nicht wesentlich geändert (Zöller-Heßler, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 526 ZPO Rn. 12; BGH MDR 2004, 49; BayObLG FamRZ 2004, 1136 zum FG-Verfahren).