Inhalt

SG Landshut, Gerichtsbescheid v. 28.02.2020 – S 16 AS 667/18
Titel:

Leistungen, Rentenversicherung, Bescheid, Einkommen, Versicherungspflicht, Widerspruchsbescheid, Bewilligung, Lebensunterhalt, Arbeitslosengeld, Gerichtsbescheid, Unterkunft, Ablehnung, Fahrzeug, Regelbedarf, gesetzlichen Rentenversicherung, personenbezogene Daten, Unterkunft und Heizung

Schlagworte:
Leistungen, Rentenversicherung, Bescheid, Einkommen, Versicherungspflicht, Widerspruchsbescheid, Bewilligung, Lebensunterhalt, Arbeitslosengeld, Gerichtsbescheid, Unterkunft, Ablehnung, Fahrzeug, Regelbedarf, gesetzlichen Rentenversicherung, personenbezogene Daten, Unterkunft und Heizung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 10.03.2022 – L 16 AS 198/20
BSG Kassel, Beschluss vom 16.05.2022 – B 4 AS 76/22 BH, B 4 AS 77/22 BH, B 4 AS 78/22 BH, B 4 AS 79/22 BH, B 4 AS 80/22 BH
Fundstelle:
BeckRS 2020, 57903

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten im Streit ist im Überprüfungsverfahren die Ablehnung eines Antrags der Klägerin auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch den Beklagten mangels Hilfebedürftigkeit für die Zeit vom 01.03.2018 bis 31.08.2018.
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Die 1961 geborene Klägerin übt eine selbständige Tätigkeit in den Bereichen Kunsthandwerk und Trockenstrahlservice aus und ist freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert.
3
Sie wohnt mit zwei weiteren Personen in ihrem Einfamilienhaus mit drei Räumen sowie Küche und Bad (Grundstücksgröße 1.168 m2, Grundfläche nach eigenen Angaben ca.60 m2, Wohnfläche ca. 28 m2). Daneben ist sie Eigentümerin eines unbebauten Grundstücks mit einer Größe von 1.630 m2 (Landwirtschaftsfläche). Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung geht aus den Akten nicht hervor.
4
Im streitgegenständlichen Zeitraum bezog sie von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik eine Unfallrente nach Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 427,55 Euro monatlich bzw. 441,32 Euro monatlich ab dem 01.07.2018. Zudem besaß sie zwei Rentenversicherungen, eine bei der E. Versicherung (Versicherungsbeginn am 01.12.2004) und eine bei der H. Versicherung (Versicherungsbeginn ebenfalls am 01.12.2004), ein Girokonto, einen Bausparvertrag und eine Versicherung bei der Neuen Bayerischen Beamtenlebensversicherung.
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Seit 2006 ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat. Mangels Nachweises der Hilfebedürftigkeit wurden die Anträge vom Beklagten bislang abgelehnt bzw. Leistungen versagt. Diesbezüglich waren bereits zahlreiche Verfahren bei Gericht anhängig.
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Aus den Behördenakten ergibt sich, dass der Verkehrswert der H. Rentenversicherung zum 01.12.2013 insgesamt 8.615,58 Euro betrug (8.407 Euro Rückkaufswert und 208,58 Euro Überschussanteilguthaben), zum 01.12.2015 insgesamt 9.137,29 Euro und zum 01.12.2017 insgesamt 9.641,43 Euro (Rückkaufswert 9.325 Euro, Überschussanteilguthaben 316,43 Euro).
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Am 31.03.2018 stellte die Klägerin beim Beklagten per Fax erneut einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II und bat um Übersendung der erforderlichen Formulare.
8
Mit Schreiben vom 03.04.2018 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass im Rahmen der Antragstellung eine Identitätsprüfung zwingend erforderlich sei. Dies erfordere das persönliche Erscheinen der Klägerin unter Vorlage eines gültigen Ausweises. Um dies zeitnah zu ermöglichen und die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen vorzunehmen, werde die Klägerin am 12.04.2018 zu einem Gespräch beim Beklagten geladen.
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Daraufhin teilte die Klägerin mit Fax vom 11.04.2018 mit, dass sie seit 1993 einer selbständigen Tätigkeit nachgehe, die 15 Stunden und mehr umfasse. Sie habe kein eigenes Fahrzeug. Es stünden Leistungen gemäß § 65a Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) aus für mehrere Termine (willkürliche Kürzung bzw. Verweigerung). Da sie durch langjährige Unterdeckung kein Geld habe, benötige sie vorschüssig entsprechende Leistungen.
10
Daraufhin übersandte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 11.04.2018 die Antragsformulare und lud diese zu einem Termin am 24.04.2018 um 09:30 Uhr ein. Zu diesem Termin könne sie den vollständigen Antrag abgeben.
11
Zu dem Termin am 24.04.2018 erschien die Klägerin nicht.
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Mit Schreiben vom 30.04.2018 übersandte der Beklagte der Klägerin dann nochmals die Antragsunterlagen.
13
Mit Bescheid vom 15.05.2018 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 31.03.2018 ab. Sie habe keinen Anspruch, weil sie ihre Bedürftigkeit nicht nachgewiesen habe. Sie sei nicht zur Identitätsprüfung erschienen und habe zugleich ihre Antragsunterlagen nicht eingereicht. Die Ablehnung gelte für den Zeitraum vom 01.03.2018 bis 28.02.2019.
14
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin keinen Widerspruch ein; der Bescheid wurde bestandskräftig.
15
Am 27.07.2018 übersandte die Klägerin dem Beklagten dann die Antragsunterlagen zum Antrag vom 31.03.2018. Dem Schreiben beigefügt waren der handschriftlich ausgefüllte Hauptantrag mit den Anlagen KdU, EK, VM und EKS samt eigenhändiger Aufstellung der anfallenden Nebenkosten für das Haus. Angaben zum Rückkaufswert der beiden Rentenversicherungen machte die Klägerin nicht. Dem Antrag beigefügt waren Kontoauszüge für das Girokonto der Klägerin für die Zeit vom 01.12.2017 bis 28.02.2018. Zum 28.02.2018 betrug der Kontostand demnach 513,60 € im Haben.
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Mit Schreiben vom 31.07.2018 lud der Beklagte die Klägerin dann abermals zur Identitätsprüfung ein (Termin am 09.08.2018). Die Klägerin nahm auch diesen Termin nicht wahr.
17
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.08.2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 15.05.2018 ab. Aufgrund des Guthabens bei der H. Rentenversicherung mit Stand vom 01.12.2017 werde der Vermögensfreibetrag überschritten. Zusätzlich sei die Klägerin auch nicht zur Identitätsprüfung erschienen.
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Hiergegen legte die Klägerin am 26.09.2018 Widerspruch ein. Das Rentenversicherungsguthaben sei ihre Altersvorsorge. Dies sei seit 2006 bekannt und in der Akte. Sollte der Aufbau einer Altersvorsorge nicht zulässig sein, sei das eine Diskriminierung. Ihre Identität sei bekannt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2018 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin habe konkret nichts Neues vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen könnte. Mit der Versicherung werde der Vermögensfreibetrag überschritten. Zudem besitze die Klägerin ausweislich der Gerichtsentscheidungen des Sozialgerichts Landshut weitere verwertbare Vermögensgegenstände. Ferner bleibe unbeachtet, dass die Klägerin darüber hinaus Grundstücke mit einer Fläche von 1.600 m² besitze, welche bei der vorliegenden Berechnung nicht berücksichtigt worden seien. Insgesamt werde der Vermögensfreibetrag damit deutlich überschritten, so dass es auf die Einkommensverhältnisse der Klägerin nicht mehr ankomme.
20
Am 05.11.2018 hat sich die Klägerin an das Sozialgericht Landshut gewandt und Klage erhoben gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.10.2018. Ihre Identität sei bekannt. Ihr seien die Formulare zu spät und unvollständig zugeschickt worden. Sie habe bereits alle verfügbare Zeit für ihre Arbeit aufwenden müssen. Zur Erstellung der Formulare gemäß der Forderung des Sozialgerichts Landshut in der „Gerichtsverhandlung“ habe sie Fragen gehabt (Schreiben vom 16.06.2018 an den Beklagten). Sie habe nie eine Antwort erhalten. Weitere Themen habe der Bescheid vom 15.05.2018 nicht enthalten.
21
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.10.2018 zu verpflichten, den Ablehnungsbescheid vom 15.05.2018 zurückzunehmen und ihr ab dem 01.03.2018 dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
22
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
23
Die Klägerin setze sich mit den Ausführungen in Widerspruchsbescheid nicht auseinander. Es werde auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen.
24
Bereits am 28.09.2018 hat die Klägerin einen neuen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gestellt, welcher mit Bescheid vom 23.10.2018 für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.08.2019 abgelehnt worden ist (Klage anhängig mit dem Az. S 16 AS 21/19).
25
Mit gerichtlichem Schreiben vom 24.10.2019 hat das Gericht von der Klägerin weitere Informationen und Unterlagen angefordert (u.a. Klagebegründung, Nachweise zum Rückkaufswert und zur Höhe der eingezahlten Beiträge in die privaten Rentenversicherungen, lückenlose Kontoauszüge, abschließende Anlage EKS mit Belegen und Nachweisen, Angaben und Nachweise zu den Betriebskosten des Hauses, aktueller Grundbuchauszug, Fahrzeugschein zu den vorhandenen Fahrzeugen in Kopie).
26
Daraufhin hat die Klägerin Kopien ihres handschriftlich erstellten Geschäftsbuches – so das Vorbringen der Klägerin – an das Gericht übermittelt, zudem aufgrund des kleinen Formats und schwachen Drucks nicht lesbare Kontoauszüge. Beigefügt waren zudem ein Kontoauszug ihres Bausparvertrages (Guthaben Stand Januar 2019: 53,18 Euro), ein Beitragsbescheid zur Entwässerungsanlage und eine Mahnung der Verwaltungsgemeinschaft M., die Beitragsrechnung einer Wohngebäudeversicherung sowie eine handschriftlich erstellte Übersicht zu den Einnahmen und Ausgaben ihrer selbständigen Tätigkeit (offenbar für die Zeit vom 01.03.2018 bis 28.02.2019).
27
Mit Schreiben vom 03.12.2019 hat das Gericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass die vom Gericht angeforderten Unterlagen und Informationen nicht (vollständig) vorgelegt worden seien. Das Geschäftsbuch enthalte keinerlei Nachweise und Belege. Kontoauszüge seien nicht vollständig vorgelegt worden und seien überwiegend nicht lesbar (zu kleines Format und zu schwacher Druck). Nachweise zu der privaten Rentenversicherung seien ebenfalls nicht vorgelegt worden. Der Datenschutz werde im Verfahren sichergestellt. Bei vorzulegenden Kontoauszügen dürften Leistungsempfänger die Empfänger von (eigenen) Zahlungen und die Verwendungszwecke in den Kontoauszügen schwärzen, wenn andernfalls besondere personenbezogene Daten (etwa Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben) offengelegt werden müssten.
28
Daraufhin hat die Klägerin dahingehend Stellung genommen, dass sie Belege gemäß DSGVO und SGB (Daten unbeteiligter Dritter) nicht herausgeben könne; das wäre eine Straftat. Die Kontoauszüge seien ihres Wissens vollständig. Das Gericht müsse sie nur vergrößern. Auszüge habe sie nur noch zum Ausdrucken. Leider gehe ihr Drucker nicht besser. Druckerfarbe und Geräteverschleiß seien extrem teuer. Sie habe keine private Rentenversicherung. Das sei die von der Politik geforderte selbständige Versicherung zur Altersvorsorge für ca. 25 Jahre Arbeit.
29
Mit Schreiben vom 09.01.2020 hat das Gericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie die Beweislast für die Feststellung ihrer Hilfebedürftigkeit bzw. für den Umfang derselben trage. Die Beteiligten sind mit gleichem Schreiben zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
30
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage kann gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zur Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört.
32
Die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
33
Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 24.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2018, mit dem der Überprüfungsantrag der Klägerin in Bezug auf den Ablehnungsbescheid vom 15.05.2018 abgelehnt wurde.
34
Die Auslegung ergibt, dass die Klägerin im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X endgültig zu bewilligende Leistungen nach dem SGB II für den bereits abgeschlossenen Bewilligungszeitraum vom 01.03.2018 bis 31.08.2018 begehrt. Zwar wurde mit dem Bescheid vom 15.05.2018 der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03.2018 bis 28.02.2019 abgelehnt. Jedoch hat die Klägerin bereits am 28.09.2018 einen neuen Leistungsantrag gestellt, welcher mit Bescheid vom 23.10.2018 für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.08.2019 abgelehnt worden ist. Insoweit hat sich der hier zu überprüfende Bescheid vom 15.05.2018 hinsichtlich seines Geltungszeitraums gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Stellt der Betroffene einen neuen Antrag, so erledigt sich der ursprünglich angefochtene Bescheid für den Zeitraum, der von dem neuen Bescheid erfasst wird. Der neue Bescheid wird nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28.10.2009, Az. B 14 AS 62/08 R, juris-Rn. 17).
35
Der mit der Klage angefochtene Bescheid ist rechtmäßig; der zu überprüfende Bescheid vom 15.05.2018 war nicht zurückzunehmen.
36
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurück-zunehmen. Die Beweislastverteilung bestimmt sich grundsätzlich nach dem Regelungsgefüge der für den Rechtsstreit maßgebenden Norm. Ist § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X die maßgebende Norm und beruft sich der Kläger auf das Tatbestandsmerkmal des sich als unrichtig erweisenden Sachverhalts, geht es zu seinen Lasten, wenn das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals durch die Tatsachengerichte nicht festgestellt werden kann Bundessozialgericht, Urteil v. 25.06.2002, Az. B 11 AL 3/02 R).
37
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.03.2018 bis 31.08.2018 ist § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V. m. § 7 Abs. 1 Satz 1, § 41a SGB II. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, (2.) erwerbsfähig und (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
38
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 SGB II ist unstreitig. Im Streit ist hier allein die Frage der Hilfebedürftigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum.
39
Vorliegend ist jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum hilfebedürftig gewesen ist. Ausreichende Nachweise zum Beleg ihrer Hilfebedürftigkeit hat die Klägerin nicht vorgelegt, weder im Verwaltungsverfahren noch im anschließenden Gerichtsverfahren. Eine inhaltliche Ablehnung durch den Grundsicherungsträger (im Gegensatz zu einer bloßen Versagung von Leistungen gemäß § 66 SGB I) erging zu Recht, da alle erreichbaren Erkenntnisquellen zur Ermittlung der Hilfebedürftigkeit ausgeschöpft waren (zur Abgrenzung vgl. Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 9 (Stand: 30.08.2019), Rn. 207).
40
Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
41
Die Klägerin trägt die Beweislast für die Feststellung ihrer Hilfebedürftigkeit (Bundessozialgericht, Urteile vom 18.02.2010, AZ. B 14 AS 32/08 R, juris-Rn. 18 und vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 10/08 R juris-Rn. 21). Die Unerweislichkeit einer Tatsache, vorliegend die Hilfebedürftigkeit, geht zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24.05.2006, Az. B 11a AL 7/05 R, juris-Rn. 32; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.09.2012, Az. L 19 AS 937/12, juris-Rn. 49).
42
Das Arbeitslosengeld II umfasst nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Regelbedarf für Alleinstehende – wie hier die Klägerin – betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 416 Euro monatlich. Die Bedarfe für die Unterkunft und Heizung wurden von der Klägerin trotz Aufforderung nur teilweise belegt. Bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist jedenfalls eine monatliche Rentenzahlung in Höhe von 427,55 Euro monatlich bzw. 441,32 Euro monatlich ab dem 01.07.2018. Das Einkommen der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit wurde trotz entsprechender Aufforderung seitens des Gerichts nicht belegt. Kontoauszüge, Quittungen oder sonstige Belege wurden nicht vorgelegt. Damit ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt nicht bereits durch ihr Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit bestreiten kann.
43
Auch ist nicht nachgewiesen, dass das Vermögen der Klägerin unterhalb der Freigrenzen des § 12 Abs. 2 SGB II liegt. Aktuelle Angaben zum Rückkaufswert der Rentenversicherung bei der H., für die kein Verwertungsausschluss ersichtlich ist, und zu den eingezahlten Beiträgen hat die Klägerin nicht gemacht. Belege wurden nicht übersandt. Aus den Akten ergibt sich, dass der Rückkaufswert der Rentenversicherung bei der H. Versicherung sich zum 01.12.2013 auf insgesamt 8.615,58 Euro belaufen hat (8.407 Euro Rückkaufswert und 208,58 Euro Überschussanteilguthaben – vgl. Schreiben der H.v aus dem Dezember 2013), zum 01.12.2015 auf insgesamt 9.137,29 Euro (Mitteilung der Klägerin vom 05.02.2016) und zum 01.12.2017 auf insgesamt 9.641,43 Euro (Rückkaufswert 9.325 Euro, Überschussanteilguthaben 316,43 Euro). Die eingezahlten Beiträge beliefen sich gemäß der Mitteilung der Klägerin vom 16.08.2016 zum Stand 26.07.2016 bis zur Prämienfreistellung auf insgesamt 8.640 Euro. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin nach dem Stand der Akten auch Eigentümerin einer unbebauten Landwirtschaftsfläche mit einer Größe von 1.630 m2 ist, das im Jahr 2002 für ca. 3.000 bis 3.500 Euro erworben wurde. Auch hierbei könnte es sich um verwertbares Vermögen handeln.
44
Die Klägerin wurde durch das Gericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die mit gerichtlichem Schreiben vom 24.10.2019 angeforderten Unterlagen und Informationen zum Nachweis ihrer Hilfebedürftigkeit nicht (vollständig) vorgelegt worden sind, dass das handschriftlich erstellte Geschäftsbuch keinerlei Nachweise und Belege enthält, und dass die Kontoauszüge nicht vollständig und zudem in überwiegend nicht lesbarer Form eingereicht worden sind (zu kleines Format und zu schwacher Druck). Nachweise zu der privaten Rentenversicherung sind ebenfalls nicht vorgelegt worden. Trotz des Hinweises durch das Gericht hat die Klägerin die Unterlagen nicht nachgereicht. Damit ist es dem Gericht nicht möglich, die von der Klägerin behauptete Hilfebedürftigkeit zu prüfen. Deren Vorbringen erschöpft sich insoweit in bloßen Behauptungen ohne entsprechende Nachweise.
45
Eine Prüfung der Hilfebedürftigkeit setzt voraus, dass die tatsächliche Einkommens- und Vermögenssituation des Betroffenen bekannt ist. Insoweit obliegt es zunächst dem Betroffenen, sämtliche hierfür erforderlichen Tatsachen anzugeben, entsprechende Beweismittel zu bezeichnen sowie sämtliche Beweisurkunden vorzulegen bzw. ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 SGB I). Dies ist der Klägerin im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems, das strikt an die Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger als Anspruchsvoraussetzung anknüpft, auch zumutbar (vgl. beispielhaft Bundessozialgericht, Urteil vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 10/08 R; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.06.2018, Az. L 15 AS 164/18 B ER juris-Rn. 6 f.). Wenn ein Antragsteller z.B. die Vorlage von Kontoauszügen verweigert, sind die Möglichkeiten der Amtsermittlung zur Feststellung von Kontobewegungen erschöpft (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.11.2011, Az. L 7 AS 881/10).
46
Im Ergebnis geht die Unerweislichkeit der Hilfebedürftigkeit der Klägerin daher zu deren Lasten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich vorliegend um ein Überprüfungsverfahren gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X handelt. Ist § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X die maßgebende Norm und beruft sich der Kläger auf das Tatbestandsmerkmal des sich als unrichtig erweisenden Sachverhalts, geht es zu seinen Lasten, wenn das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals durch die Tatsachengerichte nicht festgestellt werden kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25.06.2002, Az. B 11 AL 3/02 R).
47
Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.