Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 09.03.2020 – 4 U 55/19
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines mit einem Thermofenster ausgestatteten Mercedes-Diesel-Fahrzeugs (hier: Mercedes Benz E 220 CDI)

Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Vgl. auch zur Thematik des "Thermofensters" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 847; BeckRS 2021, 30607 sowie BGH BeckRS 2022, 12451; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2021, 33847; BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 31797 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in dortigem LS 1; OLG München BeckRS 2021, 39386. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer die Abgasreinigung (Abgasrückführung oder Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware - hier: „Thermofenster“ -, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Herstellerin in dem Bewusstsein agiert haben, eine möglicherweise unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit man davon auszugehen hat, dass die konkrete Funktionsweise des Thermofensters als ausnahmsweise zulässige Abschalteinrichtung anzusehen ist, stellen die erhöhten Stickoxidwerte innerhalb dieses Thermofensters keinen Fehler dar, welcher das OBD zu einem „Alarm“ hätte veranlassen müssen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651, Sittenwidrigkeit, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, (kein) Schädigungsvorsatz, (keine) Umschaltlogik, sekundäre Darlegungslast, OBD, Rückruf
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 12.02.2019 – 22 O 1321/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2022 – VI ZR 435/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 57671

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 12.02.2019, Az. 22 O 1321/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Würzburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund der Urteile insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem Fahrzeugkauf.
2
Der Kläger erwarb am 22.03.2017 von einem Dritten einen von der Beklagten produzierten Pkw, M., Erstzulassung 08.06.2012, mit einem Kilometerstand von ... km, zu einem Kaufpreis von 29.500,00 €. In dem Fahrzeug ist ein Diesel-Motor der Baureihe „OM 651“ der Schadstoffklasse Euro 5, verbaut.
3
Mit seiner Klage begehrt der Kläger - im Wesentlichen gestützt auf eine deliktische Haftung der Beklagten - im Wege des Schadensersatzes die Rückzahlung des Kaufpreises für den Erwerb des nach seiner Auffassung von dem sogenannten „Diesel-Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs, Zug um Zug gegen dessen Rückübereignung an die Beklagte.
4
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass eine im Fahrzeug verbaute Software erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde. Beim Durchfahren des Prüfzyklusses (NEFZ = Neuer Europäischer Fahrzyklus) werde die Abgasaufbereitung optimiert und nur dann die gesetzlichen Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden eingehalten, nicht aber im normalen Straßenbetrieb.
5
Ferner hat der Kläger behauptet, dass in seinem Fahrzeug zudem eine Steuerungssoftware verbaut sei, welche die Abgasreinigungsanlage im realen Straßenbetrieb am Beginn der Warmlaufphase des Motors und/oder bei einstelligen positiven Temperaturen reduziere oder ganz abschalte, mit der Folge, dass die Stickstoffemission erheblich ansteige. Dies stelle eine grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung dar, die auch nicht durch Art. 5 Abs. 2 lit a) VO (EG) 715/2007 (Fahrzeugeemissionenverordnung) gerechtfertigt sei. Diese Vorschrift sei vielmehr eng auszulegen und rechtfertige eine Aktivierung lediglich dann, wenn ansonsten ein unmittelbarer Motorschaden im Sinne eines Unfalls drohen würde, nicht aber - wie hier - um Bauteile vor Verschleiß oder einer Versottung bei normalen Nutzungsbedingungen, d.h. auch niedrigen Temperaturen, zu schützen, was auch durch andere technische Maßnahmen erreicht werden könne.
6
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Funktionsweise der Steuerungssoftware einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 darstelle. Ein Anspruch ergebe sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG aufgrund der irreführenden Werbung durch die Beklagte, die ihre Fahrzeuge als besonders schadstoffarm und umweltfreundlich angepriesen habe. Weiterhin hafte sie gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB. Die Beklagte habe vorsätzlich Fahrzeuge mit einer rechtswidrigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht, um Kunden zu schädigen. Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sei zudem auch Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB, so dass sich ein Anspruch auch hieraus, sowie in gleicher Weise aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB herleite.
7
Die Beklagte hat erstinstanzlich bestritten, dass im Fahrzeug eine Software verbaut sei, die das Emissionsverhalten je nach Prüfstand- oder Straßenbetrieb verändere; dieser Vorwurf sei rein spekulativ. Das Fahrzeug unterliege keinem behördlichen Rückruf und verfüge über eine wirksame Typengenehmigung. Der Kläger verkenne, dass die normierten Emissionsgrenzwerte mit den detailliert normierten Prüfbedingungen verknüpft seien, weswegen es für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Relevanz sei, welches Emissionsverhalten das Fahrzeug außerhalb der maßgeblichen gesetzlichen Prüfbedingungen habe. Das Fahrzeug erfülle vielmehr die Grenzwerte der einschlägigen Euro-Norm. Unwahre Angaben der Beklagten, die vom Kläger auch nicht substantiiert behauptet worden seien, seien nicht erfolgt. Eine deliktische Haftung sei nicht gegeben.
8
Das Landgericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Die Behauptung des Klägers, dass in dem Fahrzeug eine Manipulations-Software verbaut sei, sei spekulativ. Nachdem das Fahrzeug keinem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes unterliege, liegen gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass die im Fahrzeug des Klägers enthaltene Software nicht zu beanstanden sei. Das vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten würde einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen. Der Kläger habe es damit nicht vermocht eine Täuschung durch die Beklagte darzustellen. Ferner fehle es auch an einem kausalen Schaden. Ein Wertverlust bzw. geringerer Wiederverkaufswert sei aufgrund der, vom Abgasskandal losgelösten allgemeinen Dieselproblematik, nicht ausreichend sicher feststellbar. Ferner habe der Kläger auch nicht ausreichend dazu vorgetragen, weshalb sich die Beklagte eine unerlaubte Handlung ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen müsse. Das Landgericht hat ferner einen Anspruch aus § 826 BGB mangels hinreichender Darlegung der Tatbestandsmerkmale der Sittenwidrigkeit und des Vorsatzes bzgl. einer individuellen Schädigung auf Käuferseite verneint.
9
Zu den weiteren Einzelheiten - auch zum Wortlaut der erstinstanzlichen Anträge - wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
10
Mit seiner zulässigen Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche dem Grunde nach, bei etwas veränderten Zahlungsanträgen, weiter.
11
Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der fehlende Rückruf durch das KBA ein gewichtiger Anhaltspunkt gegen die Verwendung einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware sei. Vielmehr stelle es einen Anhaltspunkt für die Betroffenheit des Fahrzeugs dar, dass es Teil der sogenannten freiwilligen Kundendienstmaßnahme der Beklagten sei. Das Landgericht habe vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2007 bereits aufgrund des Vortrags der Beklagten ausgehen müssen. Die Beklagte habe eingestanden, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug ein sogenanntes Thermofenster verwendet werde. Dieses sei unzulässig, nachdem die engen Voraussetzungen einer ausnahmsweise Zulässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 715/2007 nicht eingehalten sei, für die auch die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sei. Die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten ergebe sich daraus, dass sie im streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut habe, ohne über die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung aufgeklärt zu haben. Hierdurch habe die Beklagte den Kläger, wie auch jeden anderen potentiellen Käufer, konkludent darüber getäuscht, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorschriften entspreche und ohne spätere zusätzliche Maßnahmen am Straßenverkehr teilnehmen zu können.
12
Der Kläger hat zunächst beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 26.291,48 € sowie Zinsen in Höhe von 2.386,22 €, nebst weiteren Zinsen aus 29.500 € in Höhe von 4% pro Jahr seit dem 01.04.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges M. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WDB ....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeuges seit dem 15.06.2018 in Annahmeverzug befindet
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die ARAG A. Versicherungs AG zur Schadensnummer: ... vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.058,86 € sowie an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 300,00 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie die Klagepartei von weiteren vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 813,49 € gegenüber der ... freizustellen.
13
Mit Schriftsatz vom 07.02.2020 hat der Kläger den Berufungsantrag zu Ziffer 1 umgestellt und insoweit beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.878,59 € sowie Zinsen in Höhe von 3.369,56 € nebst weiterer Zinsen aus 29.500,00 € in Höhe von 4% pro Jahr seit dem 01.02.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges M. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer  ....
14
Im Übrigen hat der Kläger in Bezug auf den Klageantrag zu 1. die Erledigung des Rechtsstreits erklärt.
15
Ergänzend hat der Kläger in diesem Schriftsatz vorgetragen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug außerhalb des Prüfstands die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches überschreite, was sich aus Messungen des britischen Messdienstes „Emissions Analytic“ ergebe. Trotzdem löse das Fahrzeugdiagnosesystem (OBD) keinen Fehler aus. Daraus ergebe sich, dass bereits im Zeitpunkt der Typengenehmigung das Fahrzeug so konzipiert worden sei, dass jedenfalls dem Fahrzeugkäufer gegenüber verschleiert wurde, dass das jeweilige Fahrzeug die Grenzwerte erheblich überschreite. Ferner trägt der Kläger vor, dass die Beklagte im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens nicht ihren Pflichten zur Angabe von Details der Motorsteuerung nachgekommen sei, da sie nicht angegeben habe, ob das Abgasreinigungsreinigungssystem ein anderes Verhalten bei niedrigeren Temperaturen und, wenn ja, welches, zeige. Auch dieser Umstand biete einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Vorsätzlichkeit und Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten.
16
Die Beklagte hat unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Zurückweisung der Berufung beantragt. Der Erledigungserklärung des Klägers hat sie nicht zugestimmt. Bei dem vom Kläger angeführten Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs handele es sich um eine freiwillige Servicemaßnahme, die von der Beklagten in Zusammenarbeit mit den Behörden zur allgemeinen Senkung der Emissionen und Modernisierung des Abgassystems entwickelt worden sei.
17
Auf den neuerlichen Vortrag des Klägers hat die Beklagte erwidert, dass eine Vergleichbarkeit zudem von „Emissions Analytics“ getesteten Fahrzeug nicht bestehe. Ferner reagiere auch das OBD-System, entsprechend Art. 3 Abs. 9 VO (EG) 715/2017, nicht auf die konkreten Emissionswerte im realen Fahrbetrieb, sondern lediglich bei Ausfall oder fehlerhaften Arbeiten eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems, wobei sich die OBD-Schwellenwerte nur auf das Erkennen von Fehlfunktionen im NEFZ bezögen.
II.
18
Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend einen Schadensersatzanspruch des Klägers verneint.
19
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB wegen eines von ihr behaupteten Vermögensschadens in Folge der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu. Der Klägerin ist von der Beklagten nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden.
20
a) Der Kläger hat in seiner Berufungsbegründung den erstinstanzlich erhobenen Vorwurf nicht aufrechterhalten, wonach in dem streitgegenständlichen Fahrzeug, wie beim Motor EA 189 des Volkswagenkonzerns, eine Manipulationssoftware verbaut sei, die erkenne, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet, und in diesem Fall in einen Modus schaltet, bei dem sich der Ausstoß an Stickoxiden verringere.
21
Zu Recht hat auch das Landgericht die entsprechende Behauptung als spekulativ qualifiziert und eine entsprechende Beweisaufnahme abgelehnt. Anders als bei dem Motor EA 189 des Volkswagenkonzerns gibt es bei dem Motor OM 651 der Beklagten jedenfalls bisher keine Hinweise darauf, dass dieser mit einer „Umschaltlogik“ ausgestattet ist. Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich ausdrücklich bestritten, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine derartige Software eingebaut sei. Vor diesem Hintergrund hätte es von Seiten des Klägers konkreten Vortrags bedurft, aus welchen Tatsachen er auf den Einbau einer Umschaltlogik im Motor ihres Fahrzeugs schließe (OLG Koblenz, Urteil vom 23.12.2019 - 12 U 1721/19, BeckRS 2019, 32694) Der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug Teil einer sogenannten „freiwilligen Kundendienstmaßnahme“ der Beklagten war, ist nicht ausreichend, den erstinstanzlichen Vortrag des Klägers bzgl. einer verbauten Umschaltlogik im vorgenannten Sinn als hinreichend substantiiert anzusehen. Der Kläger hat schon nicht konkret behauptet, dass die „freiwillige Kundendienstmaßnahme zum Diesel-Software-Update“ wegen der Ausstattung des klägerischen Fahrzeugs mit einer derartigen Umschaltlogik erfolgte. Ein vom Kraftfahrtbundesamt angeordneter Rückruf für die Abgasreinigungsanlage des im klägerischen Pkw verbauten Motors wurde ausdrücklich nicht behauptet. Ein greifbarer Anhaltspunkt für die Behauptung der Klagepartei, dass der verbaute Motor hinsichtlich der Abgasreinigung über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge, liegt nicht vor.
22
b) Was die Behauptung des Klägers angeht, in seinem Fahrzeug sei eine Steuerungssoftware verbaut, welche die Abgasreinigungsanlage im realen Straßenbetrieb am Beginn der Warmlaufphase des Motors und/oder bei einstelligen positiven Temperaturen reduziere oder ganz abschalte, so ist das Verhalten der Beklagten, ein so ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, auch unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Software eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem VW-Motor EA 189 verwendet worden ist, ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, die - auf den Betriebszustand des Fahrzeugs abstellend - allein danach unterscheidet, ob sich dieses auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Bei einer anderen, die Abgasreinigung (Abgasrückführung oder Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware wie dem hier in Rede stehenden sogenannten „Thermofenster“, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, eine möglicherweise unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (siehe OLG Koblenz, a.a.O.).
23
Auch muss dem Kraftfahrtbundesamt bei Erteilung der Typengenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein und wurde gleichwohl nicht beanstandet. Die Beklagte konnte daher durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung nicht zu beanstanden ist, weil sie ansonsten vom Kraftfahrtbundesamt beanstandet worden wäre. Auch waren und sind die Kriterien, aus denen sich die ausnahmsweise aus Bauteilschutzgesichtspunkten zulässige Abschaltvorrichtung ergibt, nicht eindeutig bestimmt und in Rechtsprechung wie Literatur umstritten (vgl. dazu umfassend Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil v. 19.12.2019, Az. 5 U 103/18; OLG Nürnberg, Urteil v. 19.07.2019, Az. 5 U 1670/18; OLG Bamberg, Urteil vom 30.01.2020, Az. 1 U 218/18). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang im Schriftsatz vom 07.02.2020 vorgetragen hat, die Beklagte habe im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt ungenügende Angaben zur Motorsteuerung, insbesondere zur Funktionsweise des Abgasrückführungssystems, insbesondere bei niedrigeren Temperaturen gemacht, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Zum einen wird eine Täuschung des Kraftfahrtbundesamts in diesem Zusammenhang nicht behauptet. Zum anderen wird nicht dargelegt, welche konkreten Angaben im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens erforderlich sind. Es kann darüber hinaus nicht unterstellt werden, dass die Beklagte davon ausging, dass im Falle von entsprechenden Angaben eine Typengenehmigung nicht erteilt werden würde und gleichzeitig eine Beanstandung seitens des Kraftfahrtbundesamts wegen unzureichender Angaben nicht erfolgen würde. Allein unter diesen Voraussetzungen, für die jedoch hinreichende Anhaltspunkte nicht vorliegen, könnte von einem Täuschungsvorsatz der Beklagten ausgegangen werden. Im Übrigen erfolgte der Sachvortrag des Klägers zu diesem Punkt auch verspätet im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, nachdem sich aus dem Vortrag des Klägers nicht ergibt, weshalb entsprechendes nicht auch schon in der ersten Instanz hätte vorgetragen werden können. Soweit der Kläger behauptet hat, dass der Vortrag sich erst aus dem Bericht der Fernsehsendung „Frontal 21“ vom 20.01.2020 ergebe, befasst sich die entsprechende Sendung nach eigenen Angaben des Klägers (lediglich) mit durch den britischen Messdienst „Emissions Analytics“, vorgenommenen Messungen des Stickoxidausstoßes eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs, nicht jedoch mit den Angaben der Beklagten im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens.
24
Auch aus den vom Kläger zitierten Messungen des britischen Messdienstes „Emissions Analytics“ lassen sich im Zusammenhang mit der Nichtaktivierung des Fahrzeugdiagnosesystems (OBD), unabhängig davon, dass es sich bei dem getesteten Fahrzeug um einen anderen Typ als dem klägerischen Fahrzeug handelte, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Beklagte sittenwidrig bzw. mit Täuschungsvorsatz handelte. Soweit man, wie dargelegt, mangels hinreichender anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen hat, dass sie die konkrete Funktionsweise des Thermofensters als ausnahmsweise zulässige Abschalteinrichtung ansehen durfte, durfte sie konsequenterweise ebenfalls davon ausgehen, dass die erhöhten Stickoxidwerte innerhalb dieses Thermofensters keinen Fehler darstellten, welche das Fahrzeug Diagnosesystem zu einem „Alarm“ hätten veranlassen müssen.
25
Solange daher in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hat, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt / Sprau, BGB, 79. Auflage 2020, § 826 Rn. 8). Dass auf Seiten der Beklagten die Erkenntnis eines möglichen Gesetzesverstoßes zumindest in Form eines billigenden Inkaufnehmens desselben, vorhanden war, ist von der - insoweit darlegungsund beweispflichtigen - Klägerin weder dargetan, noch aus den Gesamtumständen ersichtlich.
26
2. Ansprüche des Klägers aus § 831 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind ebenfalls nicht gegeben. Diese würden jeweils den Nachweis eines deliktischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen Täuschungshandlung voraussetzen. Dieser ist wie oben dargelegt dem Kläger nicht gelungen. Gleiches gilt für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, denn auch dieser setzt Vorsatz zumindest im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung voraus, ohne die das Schutzgesetz nicht verletzt ist. Es kann daher dahinstehen, ob §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetzcharakter zukommt (OLG Bamberg, a.a.O.).
27
3. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keine Zahlungsansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 Abs. 1 UWG. Hierzu fehlt es schon an der Darstellung von konkreten öffentlichen Werbeaussagen der Beklagten.
28
4. Dem Kläger steht ferner kein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung bzw. Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten zu. Deliktische Ansprüche scheiden als Anspruchsgrundlage aus. Zur Begründung wird auf obige Ausführungen verwiesen. Mangels Hauptanspruchs ergibt sich ein solcher Anspruch der Klägerin ebenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzuges nach §§ 280, 286 Abs. 1 BGB.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
30
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein sogenanntes Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, hat ebenso wie die Frage einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB im Hinblick auf die große Anzahl der bundesweit gegen die Beklagte anhängigen Klagen grundsätzliche Bedeutung.