Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 17.03.2020 – Z3-3-3194-1-47-11/19
Titel:

Leistungen, Nichtzulassung, Vergabekammer, Vergabeverfahren, Bieter, Vergabeunterlagen, Ausschluss, Zuschlag, Nebenangebot, Antragsgegner, Leistung, Verfahren, Leistungsbeschreibung, Nebenangebote, Kosten des Rechtsstreits, Kosten des Verfahrens, zweckentsprechende Rechtsverfolgung

Normenketten:
GWB § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
VOB/A § 8 EU Abs. 2 Nr. 3
Leitsätze:
1. Ein Verstoß durch nicht ausreichend detailliert festgelegte Mindestanforderungen bei der Zulassung von Nebenangeboten bei einem reinen Preisentscheid, ist für einen durchschnittlichen Bieter regelmäßig nicht erkennbar i.S.d. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB, da hierzu Kenntnis der sich erst entwickelnden Rechtsprechung erforderlich ist. 
2. Beruft sich der Auftraggeber selbst auf einen eigenen Vergabeverstoß zur Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge und hat der Bieter die vom Auftraggeber angestrebte Rechtsfolge gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB rechtzeitig gerügt, kann er geltend machen, dass der unstrittige Vergabeverstoß zu einer anderen Rechtsfolge führen muss, auch wenn er diesen nicht rechtzeitig nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB gerügt hat. 
3. Legt ein Auftraggeber nicht ausreichend detaillierte Mindestanforderungen für Nebenangebote bei einem reinen Preisentscheid fest, kann er die in den Vergabeunterlagen zugelassenen Nebenangebote nicht einfach unter Berufung auf die unzureichenden Mindestanforderungen ausschließen, sondern muss das Vergabeverfahren zurückversetzen, die Vergabeunterlagen korrigieren und zur Abgabe neuer Angebote auffordern. 
4. Ein Ausschluss eines Unternehmens nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB kann keinen Bestand haben, wenn der Auftraggeber die Zurechnung des Fehlverhaltens von Mitarbeitern an das Unternehmen nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 letzter Halbsatz GWB i.V.m. § 123 Abs. 3 GWB nicht darlegen kann.
Schlagworte:
Leistungen, Nichtzulassung, Vergabekammer, Vergabeverfahren, Bieter, Vergabeunterlagen, Ausschluss, Zuschlag, Nebenangebot, Antragsgegner, Leistung, Verfahren, Leistungsbeschreibung, Nebenangebote, Kosten des Rechtsstreits, Kosten des Verfahrens, zweckentsprechende Rechtsverfolgung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 57590

Tenor

1. Das Verfahren wird in den Stand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückversetzt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 Euro festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Gründe

I.
1
Der Antragsgegner schrieb den Abbruch von Gebäuden sowie allgemeine Abbruch- und Erdbewegungsarbeiten in mehreren Abschnitten durch Auftragsbekanntmachung vom 07.10.2019 im Supplement zum Amtsblatt der EU europaweit im offenen Verfahren aus. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote wurde der 29.10.2019, 10:00 Uhr in der Bekanntmachung genannt. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.
2
Gem. Ziff. III.1.3 gelten folgende Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit:
„[…] Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien: Gem. Eigenerklärung zur Eignung (124). Präqualifizierungszertifikat oder EEE: 1) Dass in den letzten bis zu 5 abgeschlossenen Kalenderjahren vergleichbare Leistungen erbracht wurden(Referenzen); […]“
3
Weitere Hinweise und Erklärungen in Bezug auf die Referenzen enthielt die Auftragsbekanntmachung nicht. Ebenso wenig erfolgte eine direkte Verlinkung auf ein konkretes Dokument in den Vergabeunterlagen. Der in der Auftragsbekanntmachung enthaltene Link zu den Vergabeunterlagen führte zur e-Vergabe Plattform „Deutsche eVergabe“. Dort wurde zunächst das Vergabeverfahren angezeigt. Erst nach mehreren Klicks und Herunterscrollen gelangt man zu einem Dokument, das als „124 Eigenerklärung zur Eignung VOB_2019.pdf“ bezeichnet Ist.
4
Das Formular „124 Eigenerklärung zur Eignung VOBA_2019“ beinhaltet folgenden zusätzlichen Text:
„[…] Angaben zu Leistungen. die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind: Ich erkläre / Wir erklären. dass ich / wir in den letzten fünf Kalenderjahren bzw. dem in der Auftragsbekanntmachung angegebenen Zeitraum vergleichbare Leistungen ausgeführt habe/haben.
Falls mein/unser Angebot in die engere Wahl kommt. werde ich / werden wir drei Referenznachweise mit mindestens folgenden Angaben vorlegen: Ansprechpartner; Art der ausgeführten Leistung; Auftragssumme; Ausführungszeitraum; stichwortartige Benennung des mit eigenem Personal ausgeführten maßgeblichen Leistungsumfanges einschl. Angabe der ausgeführten Mengen; Zahl der hierfür durchschnittlich eingesetzten Arbeitnehmer; stichwortartige Beschreibung der besonderen technischen und gerätespezifischen Anforderungen bzw. (bei Komplettleistung) Kurzbeschreibung der Baumaßnahme einschließlich eventueller Besonderheiten der Ausführung; Angabe zur Art der Baumaßnahme (Neubau, Umbau. Denkmal); Angabe zur vertraglichen Bindung (Hauptauftragnehmer. ARGE-Partner, Nachunternehmer): ggf. Angabe der Gewerke, die mit eigenem Leitungspersonal koordiniert wurden; Bestätigung des Auftraggebers über die vertragsgemäße Ausführung der Leistung. […]“
5
Nach Ziffer II.2.10 der Bekanntmachung waren Varianten/Alternativangebote zugelassen. Auf Seite 9 des Leistungsverzeichnisses werden die Anforderungen an die Nebenangebote wie folgt formuliert:
„Verfahrensweise Vergabe bei Nebenangeboten: Nebenangebote/Pauschalangebote sind erwünscht, zugrunde zu legen ist, dass in beiden Fällen der Leistungsumfang aus dem Hauptangebot in allen Teilen und vollumfänglich enthalten ist. Es werden Nebenangebote nur gewertet, wenn die komplette beschriebene Leistung aus dem Hauptangebot enthalten ist.“
6
Nach Ziffer 5 der Angebotsaufforderung (Formblatt 211) sind Nebenangebote für die gesamte Leistung zugelassen. Zudem waren Nebenangebote nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zugelassen. Bezüglich der Mindestanforderungen wurde auf das Leistungsverzeichnis verwiesen. Nicht zugelassen waren nach der Ziffer jedoch Nebenangebote, die ausschließlich Preisnachlässe mit Bedingungen beinhalten. Weitere Ausführungen zu Mindestbedingungen hinsichtlich der Nebenangebote enthalten die Vergabeunterlagen nicht.
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Nach dem Eröffnungsprotokoll der Submission wurden insgesamt 8 Hauptangebote und 5 Nebenangebote bis zum Schlusstermin abgegeben.
8
Die Antragstellerin gab am ein Hauptangebot und ein Nebenangebote ab, einschließlich ausgefülltem Formblatt 124. Das Nebenangebot unterschied sich vom Hauptangebot dadurch, dass für die ausgeschriebene Leistung ohne die Titel 1.4 (statische Sicherungsmaßnahmen), 1.5 (Rodungsarbeiten), 1.6.3 (Erdaushub), 1.7.6 (Erdarbeiten) und 1.8. (Stundenlohnarbeiten) ein Pauschalpreis angeboten wurde.
9
Mit Schreiben vom 30.10.2019 hat der Antragsgegner durch das von ihm beauftragte Büro per E-Mail unter anderem die Einreichung einer Referenzliste gefordert, die die Antragstellerin mit Schreiben vom 31.10.2019 übersandt hat.
10
Mit zwei Schreiben vom 13.11.2019 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin nach § 134 GWB darüber, dass beabsichtigt sei der Firma A…GmbH den Zuschlag am 25.11.2019 auf deren Angebot zu erteilen. Das Hauptangebot der Antragstellerin werde ausgeschlossen, weil geforderte Erklärungen oder Nachweise weder im Angebot enthalten waren noch entsprechend der Aufforderung rechtzeitig vorgelegt worden seien. Das Nebenangebot der Antragstellerin wurde mit der Begründung ausgeschlossen, dass es den formalen Anforderungen an Nebenangebote nicht genügte, da die vorgelegte Referenzliste in weiten Teilen nicht den Anforderungen des Formblatts 124 entspreche.
11
Daraufhin rügte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner am 14.11.2019 den Ausschluss ihrer Angebote. Der Antragsgegner erklärte mit Schreiben vom 18.11.2019 der Rüge nicht abhelfen zu wollen, da die Angaben zu den Referenzen nicht vollständig gewesen seien.
12
Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Fax vom 20.11.2019 erneut den Ausschluss der Angebote, da mangels Festlegung der Eignungskriterien in der Bekanntmachung und mangels Bekanntmachung der Forderung des „Eignungskriteriums Referenz“ die Referenzen nicht wirksam gefordert waren.
13
Da der Antragsgegner nicht innerhalb der gesetzten Frist der Rüge abhalf, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.11.2019 einen Nachprüfungsantrag und beantragte,
1.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Bezuschlagung des Angebots der A… GmbH zu unterlassen, die Angebotswertung zu wiederholen und dabei die Angebote der Antragstellerin bei der Wertung zu berücksichtigen sowie der Antragstellerin als Bestbieterin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht den Zuschlag zu erteilen.
2.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
3.
Dem Antragsgegner werden die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung einschließlich der vorprozessualen Anwaltskosten der Antragstellerin auferlegt.
14
Im Wesentlichen trug die Antragstellerin zur Begründetheit vor, dass der Ausschluss wegen vermeintlich fehlender Nachweise über Referenzen unzulässig sei, da die Anforderung an Referenzen nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei.
15
Mit Schreiben vom 22.11.2019 wurde der Antragsgegner von der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag informiert.
16
Auf den rechtlichen Hinweis der Vergabekammer Südbayern vom 05.12.2019, dass sie nach Prüfung des Nachprüfungsantrags und der beigefügten Unterlagen zu der vorläufigen Einschätzung komme, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zumindest insoweit begründet sei, als diese bemängle, dass die Eignungskriterien und die Unterlagen mit denen die Antragstellerin ihre Eignung nachweisen sollen, in der Auftragsbekanntmachung anzugeben sind, half der Antragsgegner insoweit der Rüge der Antragstellerin ab, indem er das Verfahren in das Stadium vor Angebotswertung mit Schreiben vom 16.12.2019 zurückversetzte.
17
Mit Schreiben vom 02.01.2020 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin nach § 134 GWB mit, dass nach Zurückversetzung und Vorlage der Angebotsunterlagen beabsichtigt sei, der Firma A… …, frühestens am 13.01.2020, den Zuschlag zu erteilten. Auf das Hauptangebot der Antragstellerin könne der Zuschlag nicht erteilt werden, da ein wirtschaftlicheres Hauptangebot vorliege. Die Nebenangebote der Antragstellerin seien schon allein deshalb auszuschließen, da die Mindestanforderungen für Nebenangebote nicht gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A hinreichend bekannt gemacht worden seien.
18
Mit Schreiben vom 08.01.2020 teilte die Antragstellerin mit, dass sie gegen das Informationsschreibein vom 02.01.2020 unter Fristsetzung Rüge gegenüber dem Antragsgegner erhoben habe, denn der beabsichtigte Ausschluss verletze die Antragstellerin erneut in ihren subjektiven Rechten, da ein Ausschluss des Nebenangebots nicht auf Gründe gestützt werden könne, die aus der Sphäre des Auftraggebers stammten. Vor diesem Hintergrund teilte die Antragstellerin mit, im Falle der Nichtabhilfe durch den Antragsgegner, den Nachprüfungsantrag entsprechend zu erweitern und die Anträge gegebenenfalls umzustellen.
19
Mit Schreiben vom 13.01.2020 teilte die Antragstellerin mit, dass sie durch die erfolgte Wiederholung der Angebotswertung nicht klaglos gestellt wurde. Der Nachprüfungsantrag habe sich nicht erledigt und stellte nunmehr folgende Anträge:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Bezuschlagung des Angebots der A… GmbH zu unterlassen und mit nachgebesserten Vergabeunterlagen erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern.
2. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
3. Dem Antragsgegner werden die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung einschließlich der vorprozessualen Anwaltskosten der Antragstellerin auferlegt.
20
Der Ausschluss des Nebenangebots der Antragstellerin könne nicht auf Gründe gestützt werden, die dem Auftraggeber vorzuwerfen seien. Ein Angebot dürfe deshalb nur dann ausgeschlossen werden, wenn der Auftraggeber selbst die erforderlichen Mindestanforderungen eindeutig und unmissverständlich beschrieben habe. Der Antragsgegner habe Nebenangebote zugelassen und bisher nicht daran gezweifelt Mindestbedingungen dafür aufgestellt zu haben. Unklarheiten bei den festgesetzten Mindestanforderungen gingen zu Lasten des Antragsgegners, nicht zu Lasten der der Antragstellerin. Die definierten Mindestbedingungen müssten sicherstellen, dass die eingereichten Haupt- und Nebenangebote qualitativ vergleichbar seien und der Zuschlag auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis erteilt werde. Dies gelte insbesondere, wenn wie vorliegend der Preis das einzige Zuschlagskriterien sei. Ohne Festlegung von Mindestanforderungen werde gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Eine Heilung dieses Vergabeverstoßes sei lediglich durch Änderung der Vergabeunterlagen und entsprechende Rückversetzung des Vergabeverfahren in den Zeitpunkt vor Auftragsbekanntmachung möglich.
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Daraufhin nahm der Antragsgegner mit Schreiben vom 22.01.2020 Stellung und beantragte Folgendes:
I. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten des Antragsgegners.
III. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners wird für notwendig erklärt.
22
Der Antragsgegner vertrat die Ansicht, dass der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig sei, da der Antragstellerin die Antragsbefugnis fehle, da diese mangels Aussicht auf Erteilung des Zuschlages nicht antragsbefugt sei. Wenn das Nebenangebot der Antragstellerin gewertet würden, läge es auf dem dritten Platz und mit ihrem Hauptangebot auf dem 7. Platz. Wenn ausschließlich die Hauptangebote gewertet werden, läge die Antragstellerin lediglich auf Platz 3, hinter der Beigeladenen.
23
Darüber hinaus sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet, da die Nebenangebote entgegen der Meinung der Antragstellerin zwingend auszuschließen seien. Eine Wertung der Angebote habe ohne Berücksichtigung der Nebenangebote erfolgen dürfen. Die Vorgabe auf Seite 9 im Leistungsverzeichnis, wonach hinsichtlich der Nebenangebote festgelegt worden sei, dass der Leistungsumfang aus dem Hauptangebot in allen Teilen vollumfänglich enthalten sein müsse, sei als Definition von Mindestanforderungen nicht ausreichend. Damit habe es der Antragsgegner versäumt Mindestanforderungen für Nebenangebote festzulegen. Das vollständige Fehlen von den Mindestanforderungen führe nicht zu einer Ungleichbehandlung der Bieter. Die Entscheidung die Nebenangebote auszuschließen und eine Wertung aufgrund der Hauptangebote durchzuführen sei auch interessengerecht, da durch den Ausschluss der Nebenangebote, die Antragstellerin genau dieselben Chancen auf den Zuschlag des Hauptangebotes hätte, wie alle anderen Bieter.
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Höchst vorsorglich führte der Antragsgegner aus, dass selbst wenn die Wertung von Nebenangeboten zulässig wäre, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen sei. Die Antragstellerin habe ein sogenanntes gemischtes Nebenangebot aus Einheits- und Pauschalpreis abgegeben. Ein solches Nebenangebot weiche von den Vergabeunterlagen ab und müsse deshalb nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A ausgeschlossen werden. Nach Seite 9 der Leistungsbeschreibung seien Pauschalangebote als Nebenangebote zugelassen worden, wobei dabei das Risiko der Massenmehrung und Massenminderung vom Auftragnehmer zu tragen sei. Da jedoch die Nebenangebote der Antragstellerin bei bestimmten Leistungspositionen auch Einheitspreise vorsehen, sei nicht wie gefordert ein reines Pauschalangebot abgegeben worden. Damit biete die Antragstellerin einen gemischten Vertrag mit Einheits- und Pauschalpositionen an. Dieses sei mit einem reinen Pauschalangebot, wie es auf Seite 9 des Leistungsverzeichnisses als mögliches Nebenangebot beschrieben werde, aufgrund der unterschiedlichen Risikoverteilung nicht vergleichbar, da der Auftragnehmer gerade nicht vollständige Massenmehrungs- und Massenminderungsrisiko übernehme, wie es bei einen Pauschalangebot sei.
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Die Antragstellerin vertrat mit Schreiben vom 30.01.2020 die Ansicht, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig sei. Die Antragstellerin habe ein Interesse am Auftrag. Da dieses Verfahren wegen seiner Fehlerhaftigkeit nicht vergaberechtskonform zu Ende geführt werden könne, ziele der Nachprüfungsantrag auf die rechtskonforme Fortsetzung der Vergabe nach Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Auftragsbekanntmachung. Die Antragstellerin werde dann erneut ein Angebot abgeben. Auch drohe der Antragstellerin, wie bereits im Nachprüfungsantrag dargelegt, ein Schaden zu entstehen, da infolge des rechtwidrigen Ausschlusses der Antragstellerin und Fortführung des Verfahrens der Antragstellerin die Chance genommen werde, sich an einen neuen Verfahren zu beteiligen und den Zuschlag zu erhalten. Es komme deshalb entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht auf die Frage an, welchen Rang das abgegebene Nebenangebot der Antragstellerin in diesem vergaberechtswidrigen Verfahren habe.
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Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Es bestehe insoweit Einigkeit, dass der Antragsgegner es vergaberechtswidrig unterlassen habe, Mindestanforderungen für Nebenangebote zu definieren und die Nebenangebote nicht wertbar seien. Uneinigkeit bestehe darüber, welche rechtlichen Konsequenzen die unterbliebene Definition von Mindestanforderungen habe. Die Ansicht des Antragsgegners, eine Heilung der fehlenden Festlegung von Mindestanforderungen sei dadurch möglich, dass er die Nebenangebote von der Wertung ausschließe, würde dazu führen, dass die Bieter für einen dem Auftraggeber zuzurechnenden Vergabeverstoß sanktioniert würden. Der Antragsgegner habe in der Auftragsbekanntmachung den Anschein erweckt, dass Bieter Nebenangebote könnten. Faktisch sei aber keine Abgabe von Nebenangeboten wirksam möglich gewesen, sodass das Verfahren auch insoweit intransparent sei. Hätte die Antragstellerin gewusst, dass ihr Nebenangebot nicht gewertet werde, hätte sie ihr Hauptangebot, anders kalkuliert. Durch den bloßen Ausschluss der Nebenangebote könne dieser Fehler nicht geheilt werden. Vielmehr sei das Verfahren zurückzuversetzen.
27
Die Antragstellerin wies höchst vorsorglich darauf hin, dass die Behauptung des Antragsgegners, das Nebenangebot der Antragstellerin sei wegen gemischter Kalkulation auszuschließen, nicht zutreffe, denn Pauschalangebote waren, wie der Antragsgegner selbst ausgeführt habe, zugelassen. Es handle sich daher bei einem teilweise pauschalierten Angebot nicht um ein von den Vergabeunterlagen abweichendes Angebot. Dies schon deshalb nicht, da für die nach Einheitspreisen abzurechnenden Titel 1.4, 1.6, 1.6.3, 1.7.6, 1.8 eine Pauschalierung gar nicht möglich sei, da es sich um Arbeiten handle, die variabel und aufwandsabhängig seien. Die Zulassung von Pauschalangeboten als Nebenangebote ohne nähere Erläuterung oder Differenzierung zwischen den Titeln sei daher insgesamt missverständlich und stelle bereits als solche einen Verstoß gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot dar.
28
Mit Schreiben vom 10.02.2020 wiederholte der Antragsgegner im Wesentlichen seine Ausführungen. Hinsichtlich der Ausführung der Antragstellerin, bei Nichtzulassung von Nebenangeboten hätte sie anders kalkuliert, ergänzte er, dass diese nicht nachvollzogen werden könnten. Eine direkte Kohärenz werde bestritten. Vorliegend sei die Abgabe von Nebenangeboten nur in Verbindung mit der Abgabe eines Hauptangebots zugelassen. Die Antragstellerin habe damit rechnen müssen, dass ihr Hauptangebot bezuschlagt werden könnte und deshalb müsse sie auch ihr Hauptangebot sorgfältig und bezuschlagungsfähig kalkulieren. Welche Sorgfalt bei der Erstellung der angebotsteile angewandt werde, sei allein Sache des Bieters.
29
Mit Beschluss vom 17.02.2020 wurde der Umfang der Akteneinsicht festgelegt und der Antragstellerin entsprechend Akteneinsicht gewährt.
30
Der Antragsgegner teilte mit Schreiben vom 03.03.2020 mit, dass ihm bekannt geworden sei, dass im Rahmen einer anderen Ausschreibung eines anderen öffentlichen Auftraggebers die Antragstellerin eine Bescheinigung der BG Bau eingereicht hatte, welche nicht von der BG Bau ausgestellt worden war, woraufhin die Antragstellerin den Zuschlag für das Projekt erhalten habe. Weiter habe der Antragsgegner erfahren, dass der Vertrag mit der Antragstellerin nach Aufkommen dieses Vorfalls von dem anderen öffentlichen Auftraggeber gekündigt worden sei. Nach Kenntnis dieses neuen Sachverhalts habe der Antragsgegner um Aufklärung gebeten, da er Bedenken hinsichtlich der Eignung der Antragstellerin gehabt habe. Daraufhin habe die Antragstellerin den mitgeteilten Sachverhalt bestätigt und die Durchführung von Selbstreinigungsmaßnahmen ihrerseits mitgeteilt. Mit anwaltlichen Schreiben vom 21.02.2020 habe der Antragsgegner die Antragstellerin aufgefordert:
a) Den Namen des Mitarbeiters mitzuteilen, der aufgrund der Herstellung und Nutzung unautorisierter BG Bau-Bescheinigungen gekündigt wurde.
b) Die Kündigung aufgrund der Herstellung und Nutzung unautorisierter BG Bau Bescheinigungen bzgl. Des fraglichen Mitarbeiters nachzuweisen
c) Organisatorische und technische Maßnahmen detailliert darzustellen, die in Zukunft ein entsprechendes Handeln von Mitarbeitern verhindern sollen.
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Dies habe die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.02.2020 abgelehnt. Daraufhin habe der Antragsgegner die Antragstellerin gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB und § 6 e EU Abs. 6 Nr. 3 VOB/A und § 124 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 8 GWB vom Verfahren ausgeschlossen. Der Nachprüfungsantrag sei aufgrund dieses Ausschlusses der Antragstellerin unzulässig, da der Antragstellerin mangels Aussicht auf Erteilung des Zuschlages nicht antragsbefugt sei.
32
Die Antragstellerin nahm mit Schreiben vom 04.03.2020 anlässlich ihres Ausschlusses aufgrund der neu vorgetragenen Gründen Stellung und rügte diesen. Ein Ausschluss nach §§ 124 Abs. 1 Nr. 3 und § 6e EU Abs. 6 Nr. 3 VOB/A setze voraus, dass die Antragstellerin im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen habe, die die Integrität des Unternehmens in Frage stelle; § 123 Abs. 3 GWB bzw. § 6e EU Abs. 3 VOB/A seien entsprechend anzuwenden. Das setze wiederum voraus, dass aufgrund der schweren Verfehlung in der Vergangenheit Zweifel an der Integrität des Bieters in Bezug auf die Ausführung des konkreten Auftrags beständen. Dies sei nicht der Fall, da die Personen, die für das Vorkommnis im Verfahren des anderen Auftraggebers verantwortlich waren, nicht mehr für die Antragstellerin tätig seien. Deshalb könne nicht angenommen werden, dass es zu erwarten sei, dass die Antragstellerin weitere Verfehlungen in der Zukunft begehen werde. Durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem betreffenden Mitarbeiter und Neuordnung ihrer IT-Strukturen seien keinerlei Unregelmäßigkeiten für den in Rede stehenden Auftrag, sondern ordnungsgemäße Leistungen zu erwarten. Der Antragstellerin sei keine schwerwiegende Täuschung oder ein zurückhalten von Auskünften nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB vorzuwerfen, da der in der Vergangenheit liegende Sachverhalt nach Entlassung der betreffenden Mitarbeiter sowie Verbesserung des IT-Systems nicht von Relevanz für künftige Aufträge sei. Unabhängig davon habe die Antragstellerin ihre Eignung durch die Darlegung der von ihr durchgeführten Maßnahmen ausreichend nachgewiesen. Eine Offenlegung von internen Vorgängen, wie der Antragsgegner mit Schreiben vom 21.02.2020 gefordert habe, sei schon vor dem Hintergrund, dass das gegenständliche Verfahren ohnehin zurückzuversetzen sei nicht geboten und unverhältnismäßig. Es seien nicht nur in personeller, sondern auch in organisatorischer und technischer Hinsicht ausreichende Vorkehrungen getroffen worden, um künftig solche Vorfälle zu vermeinen. Vor diesem Hintergrund bestehe kein Anlass, an der Zuverlässigkeit und Eignung der Antragstellerin zu zweifeln. Die verantwortlichen Mitarbeiter, die die betreffende Unbedenklichkeitsbescheinigung ohne Wissen der Geschäftsleitung verwendet hätten, hätten das Unternehmen verlassen und aufgrund einer Optimierung der internen IT-Prozesse könne nunmehr konkret nachvollzogen werden, wenn, wann und von wem Änderungen an hinterlegten Dokumenten vorgenommen würden. Eine Offenlegung arbeitsrechtlicher interner Vorgänge, welche auch die personenbezogenen Daten der ausgeschiedenen Mitarbeiter beträfen, seien aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.
33
Am 05.03.2020 fand die mündliche Verhandlung zusammen mit dem Parallelverfahren Z3-3-3194-46-11/19 hinsichtlich der Thematik Ausschluss der Nebenangebote statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag. Hinsichtlich der Problematik der Rechtsfolge bei unzureichenden Mindestbedingungen, stellte der Vorsitzende an die beiden Antragstellerinnen jeweils die Frage, warum sie ihr Hauptangebot anders kalkulieren würden, wenn von Anfang an keine Nebenangebote zulässig gewesen wären. Nachdem die Antragstellerin im Fall Z3-3-3194-46-11/19 und die Beigeladenen den Sitzungssaal verlassen hatten, erläuterte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin kurz deren Kalkulationsüberlegungen.
34
Nachdem die Antragstellerin in der Sache Z3-3-3194-1-46-11/19 nach Schließung der mündlichen Verhandlung in dieser Sache den Saal verlassen hatte, erläuterte der Vorsitzende der Vergabekammer kurz der Beigeladenen, dass der Antragsgegner aufgrund neuer Erkenntnisse die Antragstellerin wegen fehlender Eignung ausgeschlossen habe. Anschließend musste die Beigeladene den Saal zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Antragstellerin verlassen. Der Vorsitzende führte daraufhin in den weiteren Sach- und Streitstand ein.
35
Der Vorsitzende der Vergabekammer wies darauf hin, dass für einen Ausschluss der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB die Zurechnung eines Fehlverhaltens von Mitarbeitern an das Unternehmen nach § 123 Abs. 3 GWB erforderlich sei und der Antragsgegner hierfür die grundsätzliche Darlegungslast habe. Um dieser nachzukommen und die Antragstellerin zur Mitwirkung zu bewegen, könne er sich der Aufklärung bedienen. Dies habe der Antragsgegner auch getan, die entscheidende Frage nach der Stellung der ehemaligen Mitarbeiter der Antragstellerin, denen das Fehlverhalten zur Last gelegt wird, im Unternehmen aber nicht gestellt. Vor diesem Hintergrund sei die Ausschlussentscheidung auf einem nicht vollständig ermittelten Sachverhalt getroffen worden. Nach kurzer Unterbrechung erläuterte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, welche Funktionen die ehemaligen Mitarbeiter der Antragstellerin hatten. Es handele sich um einfache Mitarbeiter ohne Entscheidungs- und Kontrollbefugnis im Unternehmen.
36
Die Antragstellerin hielt ihre Anträge vom 13.01.2020 und der Antragsgegner hielt seine Anträge vom 22.01.2020 aufrecht. Die Beigeladene stellte keine Anträge.
37
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
38
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
39
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i.V.m. §§ 1 und 2 BayNpV.
40
Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i.S.d. § 103 Abs. 1, 3 GWB. Der Antragsgegner ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Auftragswert für die Gesamtmaßnahme überschreitet den gemäß § 106 GWB für das streitgegenständliche Vergabeverfahren maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 5.548.000 Euro erheblich.
41
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
42
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
43
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
44
Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe ihres Haupt- und Nebenangebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerin hat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch den Ausschluss ihres Nebenangebots geltend gemacht. Durch diesen Ausschluss des Nebenangebots droht der Antragstellerin auch ein Schaden, obwohl sie weder das günstigste Haupt- noch das günstigste Nebenangebot abgegeben hat, da sie Umstände vorträgt, die dazu führen können, dass das Verfahren soweit zurückzuversetzen ist, dass sie ein neues Angebot abgeben kann.
45
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB entgegen. Die Antragstellerin hat in ihren Rügeschreiben vom 14.11.2019 und 20.11.2019 den Ausschluss ihres Nebenangebots gegenüber der Antragsgegnerin rechtzeitig gerügt. Im Übrigen bestand eine Rügeobligenheit hinsichtlich des Ausschlusses des Nebenangebots auf Grund mangelnder Mindestanforderungen wegen des bereits laufenden Nachprüfungsverfahrens über die Zulässigkeit des Ausschlusses auf Grund nicht eingereichter Eignungsnachweise nach dem klaren Wortlaut des nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB ohnehin nicht.
46
Soweit die Antragstellerin sich – insoweit in Übereinstimmung mit dem Antragsgegner – darauf beruft, dass die Mindestanforderungen für Nebenangebote bei einer reinen Zuschlagsentscheidung nach dem Preis nicht ausreichend waren, ist sie damit nicht gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert.
47
Eine Rügepräklusion gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB kommt in der Regel nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen muss. Zwar war in tatsächlicher Hinsicht bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar, dass Nebenangebote zugelassen waren und welche Anforderungen an die Nebenangebote gestellt werden, allerdings war die Problematik, dass hierin ein Vergabeverstoß liegen könnte für die Antragstellerin in rechtlicher Hinsicht nicht erkennbar, da sich der gerügte Vergabeverstoß gerade nicht allein aus der Lektüre des Gesetzestextes bzw. einem Vergleich von Gesetzestext und Ausschreibungsunterlagen erschloss.
48
Gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A sind für Nebenangebote Mindestanforderungen anzugeben. Fehlen diese, kann von einem durchschnittlichen Wettbewerbsteilnehmer erwartet werden, dies zu erkennen und rechtzeitig zu rügen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 22.01.2019 – 54 Verg 3/18).
49
Der Antragsgegner hatte jedoch im Leistungsverzeichnis Mindestanforderungen angegeben, so dass diese nicht fehlten, sondern in Frage steht, ob die Mindestanforderungen ausreichend sind.
50
Wie detailliert die Vorgaben an Mindestanforderungen sein oder eben nicht sein müssen, wird allerdings erst in Zusammenschau mit der Rechtsprechung klar. Ein Bieter muss jedoch nicht die Literatur oder vergaberechtliche Rechtsprechung zu den Vergabeordnungen und dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kennen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15. Juli 2008 – 11 Verg 4/08, und Beschluss vom 10.Juni 2008 – 11 Verg 3/08), die Vergabeunterlagen gewissermaßen routinemäßig auf etwaige Rechtsverstöße überprüfen oder sie durch Einholung externen Rechtsrats auf das Vorliegen von Vergabefehlern prüfen lassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Oktober 2006 – VII-Verg 35/06). Er muss weder Nachforschungen noch Prüfungen anstellen, um sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Kenntnis von einem Rechtsverstoß zu verschaffen (OLG München, Beschluss vom 23. Juni 2009 – Verg 8/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Februar 2005 – Verg 74/04). Im vorliegenden Verfahren waren die Vorgaben der Vergabestelle zudem so weit gesteckt, dass die Antragstellerin hiervon bei der Erstellung ihrer Nebenangebote auch nicht eingeschränkt war und daher einen Vergabeverstoß nicht bemerken musste. Vielmehr war der Spielraum für die Abgabe von Nebenangeboten sehr weit, so dass es für einen durchschnittlichen Bieter, der ein Nebenangebot abgeben wollte, auch keine Veranlassung gab, sich besonders intensiv mit den Voraussetzungen für Nebenangebote zu beschäftigen.
51
Im Übrigen erscheint die Annahme einer Rügepräklusion gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB in einem Fall widersprüchlich, in dem sich der Auftraggeber selbst auf seinen eigenen Vergabeverstoß zur Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge beruft. Hat der Bieter die vom Auftraggeber angestrebte Rechtsfolge gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB rechtzeitig gerügt, oder bestand – wie hier – insoweit keine Rügeobligenheit, kann er geltend machen, dass der unstrittige Vergabeverstoß zu einer anderen Rechtsfolge führen muss.
52
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
53
Die Antragstellerin ist durch den Ausschluss ihres Nebenangebots in ihren Rechten aus § 97 Abs. 2 GWB verletzt, da der Antragsgegner gegen das Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot verstoßen hat indem er zunächst unzureichende Mindestanforderungen für Nebenangebote formuliert und anschließend deswegen alle eingereichten Nebenangebote ausgeschlossen hat. Da auch der Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren auf Grund fehlendem Nachweis der Zurechnung bezüglich der Einreichung einer unautorisierten Bescheinigung der BG-Bau auch nicht rechtmäßig nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfolgen konnte und daher rückgängig zu machen ist, ist sie auch in ihren Rechten verletzt, da sie in einem zurückversetzten oder neu durchzuführenden Vergabeverfahren ein neues Angebot abgeben darf.
54
2.1. Der Antragsgegner hat für die in der Auftragsbekanntmachung zugelassenen Nebenangebote keine ausreichenden Mindestanforderungen formuliert.
55
Die Festsetzung von ausreichend detaillierten, transparenten und widerspruchsfreien Mindestanforderungen ist aber Voraussetzung für die Zulassung von Nebenangeboten bei einem reinen Preisentscheid. Aus § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A ist nicht zu folgern, dass nunmehr Nebenangebote stets auch dann zulässig sind, wenn einziges Zuschlagskriterium der Preis ist. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A (und der inhaltsgleiche § 35 Abs. 2 VgV) stellt den Versuch des Gesetzgebers dar, im Sinne eines von ihm angenommenen Bedarfs an innovativen Nebenangeboten die Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 07.01.2014 – X ZB 15/13) zu korrigieren. Die Regelung hat keine Grundlage in den zugrundeliegenden Vergaberichtlinien und steht in einem Spannungsverhältnis zu Art. 45 Abs. 2 Satz 2 der RL 2014/24/EU und § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A ist daher strikt im Lichte des höherrangigen Rechts auszulegen.
56
Der BGH hat zwar mit Beschluss vom 07.01.2014 – Az.: X ZB 15/13- ausgeführt, dass die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung zu erfassen brauchen, sondern Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und sich darauf beschränken dürfen, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss. Die Begründung der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung zu § 35 Abs. 2 VgV – nach § 35 Abs. 2 S. 1 VgV sind in Hinblick auf Nebenangebote in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festzulegen – hat diese Ausführungen wortgleich übernommen (vgl. BT-Drs. 18/7318 S. 147f zu § 35 Abs. 2 VgV). Nach der Begründung der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung soll in solchen Fällen die Festsetzung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener nichtpreislicher Zuschlagskriterien durch den öffentlichen Auftraggeber „naheliegen“. Auf diese Weise könne eingeschätzt werden, ob ein preislich günstigeres Nebenangebot mit einem solchen Abstand hinter der Qualität eines dem Amtsvorschlag entsprechenden Hauptangebots zurückbleibt, dass es nicht als das wirtschaftlichste Angebot bewertet werden kann (BT-Drs. 18/7318 S. 147f zu § 35 Abs. 2 VgV).
57
In seinem umfangreichen obiter dictum im Beschluss vom 10.05.2016 – X ZR 66/15 – hat der BGH darauf hingewiesen, dass § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 b) S. 2 VOB/A (und entsprechend § 35 Abs. 2 S. 3 VgV) nicht von der Beachtung des gesetzlichen Grundsatzes, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird und sich das wirtschaftlichste Angebot nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt (§ 127 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB), entbindet. Nur wenn dies nach dem Gegenstand des Auftrags und der Gesamtheit der Vergabeunterlagen erreicht werden kann, darf der Preis einziges Zuschlagskriterium sein (vgl. auch BT-Drs. 18/6281 S.111 f. zu § 127 Abs. 1 GWB).
58
Konkret bedeutet dies, dass Nebenangebote nur dann nach dem Preis als einzigem Zuschlagskriterium gewertet werden können, wenn durch eine entsprechende Festlegung von Mindestanforderungen i.S.d. § 8 EU Abs. 2 Nr.3 b VOB/A sichergestellt ist, dass die Angebote qualitativ soweit vergleichbar sind, so dass der Zuschlag auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis erteilt werden kann. Es ist wäre dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar, wenn wesentlich ungleiche Angebote willkürlich gleich, nämlich nach dem einzigen Kriterium des niedrigsten Preises, das keine Qualitätsunterschiede abbilden kann, gewertet würden (VK Südbayern, Beschluss vom 06.02.2016, Az.: Z3-3-3194-1-50-12/16).
59
Wie auch der Antragsgegner nach anwaltlicher Beratung richtig erkannt hat, sind die o.g. Anforderungen an die Festlegung von Mindestanforderungen i.S.d. § 8 EU Abs. 2 Nr.3 b VOB/A vorliegend nicht ansatzweise erfüllt, zudem sind die vom Antragsgegner getroffenen Regelungen uneindeutig und missverständlich: Bei den Vorgaben des Antragsgegners ist bereits unklar, ob auch technische Nebenangebote oder nur kaufmännische Nebenangebote im Sinne von Pauschalen gestattet sind. Insbesondere ist nicht eindeutig, was unter der Vorgabe, dass der Leistungsumfang aus dem Hauptangebot enthalten sein muss, zu verstehen ist. Auch mit der weiteren Erläuterung, dass Nebenangebote nur gewertet würden, „wenn die komplette beschriebene Leistung aus dem Hauptangebot enthalten ist“, bleibt offen, ob nun alle Positionen des Leistungsverzeichnisses, das einem Hauptangebot zu Grunde liegen muss, für ein Nebenangebot ebenfalls verbindlich sein sollen und somit ein technisches Nebenangebot nicht zulässig sein soll, oder ob aber die Formulierung so zu verstehen ist, dass lediglich der reine Leistungsumfang im Sinne des Leistungserfolgs mit allen notwendigen Teilschritten gefordert ist und hier technische oder organisatorische Abweichungen gestattet sein sollen.
60
Auch hinsichtlich der kaufmännischen Nebenangebote bei Pauschalierungen ist nicht eindeutig, ob ein Pauschalangebot nur über die gesamte Leistung gestattet sein soll. Der Antragsgegner selbst verfolgte hierzu im Verfahren keine einheitliche Linie, da er in der Antragserwiderung vom 22.01.2020 seine eigenen Vorgaben so versteht, dass das Pauschalangebot über die gesamte Leistung zu erbringen sei, die Antragstellerin mit der Begründung ausschließt, dass diese die Titel 1.4, 1.5, 1.6.3, 1.7.6 und 1.8. nicht in die Pauschale einbezogen hat. Im Nachprüfungsverfahren Z3-3-3194-1-46-11/19 zum selben Vergabeverfahren erklärt der Antragsgegner dann jedoch, dass es nicht zulässig sei, die Regieleistungen aus Titel 1.8. des Leistungsverzeichnisses in ein Pauschalangebot zu inkludieren.
61
2.2. Entgegen der vom Antragsgegner vertretenen Rechtsauffassung ist das von der Antragstellerin eingereichte Nebenangebot auch als Nebenangebote i.S.d. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A anzusehen. Ein Nebenangebot umfasst jede Abweichung vom geforderten Angebot. Ein kaufmännisches Nebenangebot liegt vor, wenn der Bieter in technischer Hinsicht den Vorgaben des Auftraggebers folgt, jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweichen. Bei kaufmännischen Nebenangeboten wird in der Regel nicht das Leistungssoll abgeändert, sondern es werden dem Auftraggeber andere wirtschaftliche Modalitäten angeboten. Dies können ein anderes Finanzierungsmodell, eine abweichende Vergütungsstruktur und auch das Angebot von Preisnachlässen unter Bedingungen sein. Eine Pauschalierung eines Einheitspreisangebotes ist damit ein kaufmännisches, die Vergütungsart betreffendes Nebenangebot (vgl. VK Bund, Beschluss vom 26.02.2007 – VK 2-9/07).
62
2.3. Bei unzureichenden Mindestanforderungen an zugelassene Nebenangebote darf der Zuschlag nicht auf ein Nebenangebot erteilt werden. Eine Zuschlagserteilung auf ein Hauptangebot ist jedoch ebenfalls zu untersagen, da der Fehler des Auftraggebers bei der Erstellung der Vergabeunterlagen nicht zu Lasten der Bieter gehen darf, solange keine Präklusion diesbezüglich vorliegt. Die Behebung des Vergabeverstoßes erfordert daher eine Rückversetzung des Verfahrens in den Zustand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen, damit der Antragsteller entweder in den Vergabeunterlagen neue Mindestanforderungen für Nebenangebote formulieren kann oder mit einer Änderungsbekanntmachung und einer Umformulierung der Vergabeunterlagen Nebenangebote als nicht zulässig deklarieren kann.
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Es kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass die Zulassung eines Nebenangebots auf die Erstellung des Hauptangebotes Einfluss ausgeübt hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2011, VII-Verg 22/11, BA 16; Thüringer OLG, Beschluss vom 16.09.2013, 9 Verg 3/13). Dies gilt insbesondere, wenn Nebenangebote nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässig waren.
64
Durch die ausdrückliche Zulassung von – letztlich vergaberechtlich unzulässigen – Nebenangeboten hat die Antragsgegnerin bei den Bietern den Eindruck erweckt, dass der Wettbewerb für Nebenangebote eröffnet ist und darauf auch ein Zuschlag erteilt werden kann. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Bieter das Hauptangebot mit Blick auf das vermeintlich zulässige Nebenangebot ausgearbeitet und kalkuliert haben. Es bedarf hierfür keiner vertieften Darstellung der Antragstellerin. Von einer gegenseitigen Beeinflussung beider Angebote ist vielmehr bereits aus grundsätzlichen Erwägungen auszugehen, weil die Möglichkeit, Nebenangebote einzureichen, Bietern einen auf mehrere Angebote gestützten Wettbewerbsbeitrag eröffnet, der typischerweise aufeinander abgestimmt wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.01.2015 – Verg 31/14).
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Diese vom OLG Düsseldorf für technische Nebenangebote entwickelten Grundsätze gelten auch bei rein kaufmännischen Nebenangeboten. Es ist nicht ersichtlich, dass bei diesen hinsichtlich der Kalkulation andere Voraussetzungen vorliegen. Bei einem (Teil-) Pauschalangebot können Risikofaktoren und Rabatte anders kalkuliert und gewertet werden, da es keines Aufmaßes und keiner exakten Mengenermittlung bedarf, Risikofaktoren über den Gesamtpreis verteilt werden können und eine Mischkalkulation zulässig ist. Beim im vorliegenden Fall zwingend abzugebenden Hauptangebot mussten die Einheitspreise dagegen konkret kalkuliert werden und es ist nur ein Rabatt über die Gesamtsumme zulässig. Dies unterschiedlichen Kalkulationsbedingungen treffen in der Regel auf Verträge mit Einheitspreisregelung im Vergleich zu einem Pauschalpreis zu, so dass es auch hierfür keiner vertieften Darstellung der Antragstellerin bedarf und davon auszugehen ist, dass durch die Zulassung von Nebenangeboten die Kalkulation hinsichtlich der Hauptangebote von Bietern, die ein Nebenangebot abgeben, beeinflusst wird. Anhaltspunkte dafür, dass dies im vorliegenden Einzelfall nicht zutrifft sind vom Antragsgegner weder konkret dargelegt noch aus anderen Gründen ersichtlich.
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Die Antragstellerin ist damit durch den Ausschluss der Nebenangebote und der geplanten Zuschlagserteilung auf das Hauptangebot der Beigeladenen in ihrem Recht auf Gleichbehandlung nach § 97 Abs. 2 GWB und transparente Verfahrensführung § 97 Abs. 1 GWB verletzt, da sie auf Grund der vom Auftraggeber in vergaberechtlich unzulässigerweise ausgestalteten Mindestbedingungen für Nebenangebote zulässigerweise darauf vertraut hat, dass sie den Zuschlag auf eines ihrer Nebenangebote erhalten könnte. Daher hat sie das zwingend abzugebende Hauptangebot unter falschen Annahmen über die Wettbewerbssituation, die ihr auch nicht zuzurechnen sind, kalkuliert.
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Diese Rechtsverletzung kann nur dadurch beseitigt werden, dass die Antragstellerin die Möglichkeit erhält, in einem neuen Verfahren ein neues Angebot abzugeben, so dass das Vergabeverfahren in den Zustand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen war. Möchte der Antragsgegner nunmehr Nebenangebote nicht mehr zulässig, wird er zudem eine geänderte Bekanntmachung zu veröffentlichen haben.
68
2.4. Die Antragstellerin durfte auch (zumindest auf der bislang vorliegenden Tatsachenbasis) nicht wegen der eingereichten falschen Bescheinigung der BG-Bau auf Grund von § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, da der Antragsgegner nicht darlegen konnte, dass die falsche Bescheinigung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 letzter Halbsatz GWB i.V.m. § 123 Abs. 3 GWB dem Unternehmen zuzurechnen ist. Der Antragsgegner konnte den ihm obliegenden Nachweis nicht erbringen, dass die Herstellung oder die Verwendung der gefälschten Bescheinigung einer für die Leitung des Unternehmens verantwortlichen Person als schwere Verfehlung zuzurechnen ist.
69
Öffentliche Auftraggeber können nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt wird. Die schwere Verfehlung muss dabei durch das Unternehmen begangen worden sein, so dass bei juristischen Personen wie der Antragstellerin, die Handlung von für das Unternehmen tätigen Personen diesem zuzurechnen sein muss. Hierfür wird in § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB explizit auf die Zurechnungsnorm des § 123 Abs. 3 GWB verwiesen, welche entsprechend anzuwenden ist. Demnach ist das Verhalten einer natürlichen Person dem Unternehmen zuzurechnen, wenn diese als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6281 Seite 103) wurde die Formulierung in Anlehnung an § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG gewählt. Danach gehört zu den für die Leitung des Unternehmens verantwortlich handelnden Personen insbesondere, wer vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder Mitglied eines solchen Organs, Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder Mitglied eines solchen Vorstands, vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder Generalbevollmächtigter ist oder wer in leitender Stellung Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person, eines nicht rechtsfähigen Vereins bzw. einer rechtsfähigen Personengesellschaft ist. Diese Auslegung findet auch ihre Grundlage in Artikel 57 Absatz 1 Unterabsatz 2 der RL 2014/24/EU, wonach der Ausschluss eines Unternehmens dann möglich ist, wenn „die rechtskräftig verurteilte Person ein Mitglied im Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremium dieses Unternehmens ist oder darin Vertretungs-, Entscheidungs- oder Kontrollbefugnisse hat“. Das Wort „darin“ bezieht sich auf das Unternehmen insgesamt und nicht nur eingeschränkt auf das Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremium dieses Unternehmens. Ansonsten würde der zweite Halbsatz weitgehend leerlaufen und insbesondere der Fall eines Prokuristen nicht erfasst werden, der eventuell nur für einen Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens Prokura besitzt und nicht Mitglied eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums des Unternehmens ist. Auch Straftaten eines solchen Prokuristen sollten aber dem Unternehmen, für das der Prokurist tätig ist, zugerechnet werden können.
70
Der Antragsgegner konnte nicht darlegen, dass eine nach diesen Vorgaben für das Unternehmen handelnde Person eine schwere Verfehlung begangen hatte. Wer die unechte Bescheinigung der BG Bau im Unternehmen der Antragstellerin letztlich hergestellt hatte, konnte nach den Aussagen des Bevollmächtigten der Antragstellerin in dieser nicht mehr ermittelt werden. Der Personenkreis habe jedoch auf drei Personen eingegrenzt werden können, welche alle nicht in entsprechenden Leitungs- oder Aufsichtsfunktionen nach § 123 Abs. 3 GWB tätig gewesen seien. Dass der Geschäftsführer letztlich das Angebot mit der unechten Bescheinigung abgegeben und unterschrieben hatte ist nicht ausreichend, um eine schwere Verfehlung im Sinne des § 124 Abs. 3 GWB zu begründen, da hierfür Voraussetzung wäre, dass der Geschäftsführer gewusst oder grob fahrlässig nicht gewusst haben müsste, dass eine unechte Bescheinigung in den Unterlagen verwendet worden war (vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.2012 – C-465/11, Rn 30). Allein durch seine Unterschrift unter dem Angebot ist davon jedoch noch nicht auszugehen. Es ist im Geschäftsverkehr üblich, dass der Geschäftsführer hier auf die ordnungsgemäße Arbeit seiner Mitarbeiter vertrauen darf und ohne Anhaltspunkte nicht gehalten ist, einzelne Dokumente auf ihre Echtheit zu prüfen. Dass es eine derartig gesteigerte Sorgfalt nötig hätte sein müssen, hat der Antragsgegner jedoch weder vorgetragen noch nachgewiesen.
71
Es wäre Sache des Antragsgegners gewesen, vor der Ausschlussentscheidung durch entsprechende, auf die Zurechnung zielende Aufklärungsfragen, die Antragstellerin soweit zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung zu verpflichten, dass er zumindest eine Chance gehabt hätte, eine Zurechnung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 letzter Halbsatz GWB i.V.m. § 123 Abs. 3 GWB dazulegen.
72
Da der Auftraggeber nicht darlegen konnte, dass ein Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB aufgrund der Verwendung der unechten BG-Bescheinigung vorliegt, steht auch nicht fest, dass die Antragstellerin falsche Angaben in Bezug auf Ausschlussgründe gemacht hat, so dass nach derzeitiger Sachlage auch kein Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB besteht.
73
2.5. Da das Vergabeverfahren schon aufgrund auf Grund des parallelen Nachprüfungsverfahrens Z3-3-3194-1-46-11/19 in den Stand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen ist, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob das Angebot der Antragstellerin wegen Verweigerung eines berechtigten Aufklärungsverlangens nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen ist, da sie z.B. nicht die Namen der Mitarbeiter benannt hat, die die unechte Bescheinigung hergestellt haben. Es spricht zwar viel dafür, dass die entsprechende Frage des Antragsgegners im anwaltlichen Schreiben vom 21.02.2020, ebenso wie die weiteren dort gestellten Fragen, auch in Abwägung mit Datenschutzinteressen berechtigt und daher von der Antragstellerin fristgerecht zu beantworten war. Allerdings wäre selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A nur das Angebot der Antragstellerin, nicht aber die Antragstellerin als Bieterin selbst vom Verfahren auszuschließen, so dass diese nach der Rückversetzung des Vergabeverfahrens ein neues Angebot legen darf.
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Die Vergabekammer Südbayern weist allerdings darauf hin, dass der Antragsgegner durch die vorliegende Entscheidung nicht daran gehindert ist, die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB auszuschließen, wenn er in der Lage ist, die Zurechnung an das Unternehmen nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 letzter Halbsatz GWB i.V.m. § 123 Abs. 3 GWB dazulegen und die Selbstreinigungsmaßnahmen der Antragstellerin gem. § 125 GWB zur Kenntnis genommen und bewertet hat.
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3. Kosten des Verfahrens
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Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S.1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsgegner.
77
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann. Die Gebühr wurde auf Grund eines parallelen Nachprüfungsverfahrens im selben Vergabeverfahren aus Billigkeitsgründen ermäßigt, da durch Synergieeffekte in jedem Verfahren ein geringerer Arbeitsaufwand angefallen ist. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 Euro festgesetzt.
78
Der Antragsgegner ist als Landkreis von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S.2 GWB i. V. m. §°8 Abs. 1 Nr.3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
79
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft erstattet.
80
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
81
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S.4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da eine umfassende Rechtskenntnis und damit eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach dem GWB nicht erwartet werden kann. Zur Durchsetzung ihrer Rechte ist die Antragstellerin hier aufgrund der komplexen Rechtsmaterie auf anwaltliche Vertretung angewiesen.
82
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.
83
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen folgt aus § 182 Abs. 4 S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass der Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate hat den Beigeladenen kostenrechtlich nämlich nur dann wie einen Antragsteller oder Antragsgegner behandelt, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzt, indem er sich an dem Verfahren beteiligt (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Dafür muss eine den Beitritt eines Streithelfers vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, an Hand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-) Ziel ein Beigeladener in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 27.08.2008, Az.: 13 Verg 2/08). Ist eine solche nicht ersichtlich, handelt es sich bei den entstandenen Aufwendungen des Beigeladenen nicht um solche zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.02.2010, Az.: 1 VK 76/10).
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Die Beigeladene hat sich im vorliegenden Fall weder durch schriftsätzlichen noch mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Damit hat sie das gegenständliche Verfahren nicht wesentlich gefördert, ist aber auch nicht an den Kosten des Rechtsstreits zu beteiligen.