Titel:
Auslegung einer Betriebsvereinbarung
Normenketten:
BetrVG § 77 Abs. 4
BGB § 134
Schlagworte:
Auslegung einer Betriebsvereinbarung, Besitzstandswahrung, Anspruch auf erfolgsabhängige Vergütung, Unwirksamkeit eines Verzichts., Aufhebungsvertrag, Zustimmung des Betriebsrats, Einigungsstelle, Unwirksamkeit eines Verzichts
Vorinstanz:
ArbG München, Endurteil vom 24.10.2019 – 31 Ca 13311/18
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 57535
Tenor
1. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 24.10.2019, Az.: 31 Ca 13311/18, zugestellt am 31.10.2019 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.479,99 brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017.
2
Der Kläger war vom 16.08.2006 bis 31.12.2018 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen und unmittelbar zuvor bei der Z B-Stadt GmbH beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.
3
Am 27.10.2008 schlossen die Betriebsparteien der Z B-Stadt GmbH die Betriebsvereinbarung über eine erfolgsabhängige Vergütung vom 27./30.10.2008 nebst Ergänzungsbetriebsvereinbarungen (Bl. 23 ff. d. A). Die Betriebsvereinbarung über erfolgsabhängige Vergütung regelt eine jährliche variable Vergütung, die sich am Erfolg des Standorts orientiert. Sie richtete sich nach der Bezugsgröße „EBIT“ (Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern) und war dann nicht geschuldet wird, wenn ein negatives EBIT nach Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung vorliegt. Nach § 5 Ziffer 5.2 erfolgt die Ermittlung und Auszahlung der Höhe der erfolgsabhängigen Vergütung unverzüglich nach Vorlage der benötigten Ergebniszahlen, in der Regel im April des Folgejahres, spätestens am 30.06.
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2016 plante die y Konzernmutter eine organisatorische und gesellschaftsrechtliche Neuausrichtung der Z-Gruppe in Deutschland. In diesem Zusammenhang schlossen die Z B-Stadt GmbH und der bei ihr gebildete Betriebsrat am 25.04.2016 eine „Betriebsvereinbarung zum Projekt Mission 2016“ (im Folgenden: BV Mission 2016, Bl. 66 ff. d.A.). Darin hieß es unter anderem:
(1) räumlich: für den Betrieb in B-Stadt der Z B-Stadt GmbH bzw. den Betrieb BStadt der Nachfolgegesellschaft
(2) persönlich: für alle Mitarbeiter [...]
§ 2 Vorgesehene Maßnahmen
(1) Im Zuge der Neuausrichtung der Z in Deutschland innerhalb des Projektes „Mission 2016“ sollen die bisherigen Standorte der Z B-Stadt GmbH, Z X GmbH, Z W GmbH, Z V GmbH, Z U GmbH und Z T GmbH eine neue Organisationsstruktur (im Folgenden die „Organisationsveränderung) erhalten.
Die vorgenannten Gesellschaften werden voraussichtlich in einem zweiten, von der Organisationsveränderung unabhängigen Schritt, in einer Gesellschaft zusammengefasst (im Folgenden die „Zusammenfassung“). Die künftige gesellschaftsrechtliche Struktur der an der Zusammenfassung beteiligten Gesellschaft ergibt sich aus Anlage 1. Die Betriebe dieser Gesellschaften an den Standorten bleiben dabei grundsätzlich erhalten.
Die Z Holding GmbH & Co. KG bleibt unverändert bestehen.
(2) Bereits vor Durchführung der Zusammenfassung, vermutlich im Wege der Verschmelzung im Sinne des UmwG, soll die Organisationsveränderung umgesetzt werden. Die Fachliche Führung oberhalb der Abteilungsebene wird nach Umsetzung der Organisationsveränderung nicht mehr an den Standorten erfolgen, sondern im Rahmen standortübergreifender Fachbereiche, welche dem neu geschaffenen Bereich „Operations“ angehören werden. Die Strukturen der heutigen Abteilungen und Teams sollen dabei unberührt bleiben mit Ausnahme der neu zu gründenden Shared Service Center an den einzelnen Standorten.
Die Bereiche „Business Development“, „KAM“, „Technology Process, Innovation/Quality“ und „Strategy & Communication“ sind standortübergreifend aufgestellt.
Die sich daraus ergebende Organisation wird in der Anlage 2 dargestellt.
(3) Der Beginn der Neuausrichtung der Organisationsveränderung im Rahmen des Projekts - „Mission 2016“ soll der 01.06.2016 sein. Zu diesem Zeitpunkt soll die neue Organisationsstruktur eingeführt werden. Die gesellschaftliche Zusammenfassung der beteiligten Gesellschaften der deutschen Z Gruppe soll bis spätestens zum 01.01.2017 vollzogen sein.
§ 3 Auswirkungen auf die Mitarbeiter/Besitzstandswahrung
(1) Die Organisationsveränderung im Rahmen des Projektes - „Mission 2016“ stellt eine Betriebsänderung dar. Die Mitarbeiter sollen durch die Umsetzung der beiden vorgenannten Änderungen keine Nachteile, insbesondere keine wirtschaftlichen Nachteile erfahren.
(5) Sämtliche zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Organisationsänderung bzw. der Zusammenfassung der Gesellschaften bestehenden Betriebsvereinbarungen gelten fort, nach Maßgabe der Bestimmungen des § 613a Abs. 1 BGB. […]
(6) Die Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ (v. 27.10.2008, sowie Zusatzvereinbarungen) stellt auf das Betriebsergebnis der Z B-Stadt GmbH ab. Diese Bezugsgröße bleibt für die Ermittlung der Zielerreichung für das Geschäftsjahr 2016 bestehen. Da die Bezugsgröße im Zuge der Neuausrichtung im Rahmen des Projektes - „Mission 2016“ ab dem Geschäftsjahr 2017 weg fallen wird, insbesondere wegen der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung, beschließen die Betriebsparteien, spätestens bis zum 31.01.2017 über eine neue Bezugsgröße dieser Vergütung konstruktiv und zielführend zu verhandeln und diese zu beschließen, die sicherstellt, dass den Mitarbeitern des Betriebs B-Stadt die Möglichkeit haben, ein entsprechendes Vergütungsniveau wie heute zu erreichen. Die erzielbare Vergütung - also prozentualer Anteil zum Monatseinkommen - bleibt erhalten. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer solchen Vereinbarung erzielt worden sein, also unbeschadet der vertragsrechtlichen Formalisierung, werden gilt Folgendes:
Der Auszahlungsbetrag der erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 beträgt zumindest 78,5% entsprechend der Regelungen der BV „Erfolgsabhängige Vergütung“ (bezogen auf 60% des vertraglichen BruttoMonatsgehalt). Diese Zahl (78,5%) ergibt sich aus den durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen der Geschäftsjahre 2011 - 2016, wobei für das Geschäftsjahr 2016 von einer 100%igen Zielerreichung und Auszahlung ausgegangen wird.
Sollte die Zielerreichung für das Geschäftsjahr 2016 100% übersteigen, so wird diese Zahl für die Durchschnittsbetrachtung der Geschäftsjahr 2011 - 2016 zugrunde gelegt. Der Auszahlungsbetrag erhöht sich dann dem entsprechend.
§ 6 Inkrafttreten/Laufzeit
Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und endet am 30.06.2018.
§ 8 Meinungsverschiedenheiten Bei allen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung, Anwendung und Durchführung dieser Betriebsvereinbarung entscheidet, wenn zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat keine Einigung erzielt werden kann, die gem. § 76 BetrVG zu bildende Einigungsstelle verbindlich.“
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Das Geschäftsjahr bei der Z B-Stadt GmbH war gleichlaufend mit dem Kalenderjahr. Die Organisationsänderung, mit der die zuvor standortbezogen geführten Betriebe eine standortübergreifende Führung erhielten, wurde zum 01.07.2016 durchgeführt. Die Betriebe an den einzelnen Standorten blieben erhalten. Die auf das EBIT bezogene Zielerreichung für das Jahr 2016 betrug 289,92%. Unter Einbeziehung dieser Zahl in die Durchschnittsbetrachtung der Geschäftsjahre 2011 bis 2016 ergab sich ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 81,7% im Sinne des § 3 Abs. 6 Unterabsätze 2 und 3 der BV Mission 2016.
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Die gesellschaftsrechtliche Zusammenfassung sollte unabhängig von der Änderung der Organisationsstruktur im Wege der Verschmelzung nach dem Umwandlungsgesetz bis 01.01.2017 vollzogen werden. Diese Verschmelzung kam 2016 nicht zustande, da ein Verkauf auf der Gesellschaftsseite stattfand. Die Übernahme durch den Käufer fand zum 28.02.2017 statt. Erst im September 2017 erfolgte die gesellschaftsrechtliche Zusammenfassung der Gesellschaften, indem u.a. die S B-Stadt GmbH, damalige Inhaberin des Betriebes B-Stadt der Beklagten, vormals Z B-Stadt GmbH auf die S V GmbH verschmolzen wurde. Die S V GmbH änderte im Zuge der Verschmelzung zudem ihre Firmierung in C., der jetzigen Beklagten, und unterhält seitdem Zweigniederlassungen an den Standorten Großmehring, B-Stadt, Sindelfingen und T.
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Im Dezember 2016 erhielt der Betriebsrat einen Verschmelzungsvertrag zur Prüfung. Die Z GmbH trat im Februar 2017 an den Betriebsrat heran mit dem Vorschlag, es solle eine EBIT Vorgabe für 2017 ausgegeben werden. Das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 28.02.2017 (Bl. 78 d.A.) hält in Ziff. 2 hierzu folgendes fest:
„2. Vorschlag von Fr. Deusinger: Es soll eine EBIT Vorgabe für 2017 ausgegeben werden, wir aber für 2017 bereits eine verhandelte Prämienregelung in der Betriebsvereinbarung Mission 2016 enthalten ist. Nun soll durch den BR eine Prüfung erfolgen, ob wir für 2017 auf die Mission Regelung verzichten und auf unserer bestehende Betriebsvereinbarung EBIT Regelung für 2017 zurückkehren.
- Frage aus dem Gremium: Was geschieht mit der Betriebsvereinbarung EBIT Prämien nach 2018, wenn wir nicht zustimmen würde diese bestehen bleiben oder entfällt diese automatisch (Rücksprache mit Fr. Seidel)“
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Der Betriebsrat war in der Folgezeit bereit, auf die sich verändernden Wünsche des Arbeitgebers für eine Zielvorgabe einzugehen und die Betriebsvereinbarung Mission 2016 abzuändern. In seiner Sitzung vom 11.04.2017 (TOP 04 des Protokolls: Abstimmung über Mail Stellungnahme an Fr. Deusinger zur EBIT Betrachtung 2017 und dem Zusatz einer Betriebsvereinbarung Änderung Mission 2016, Bl. 113f d.A.) war der Betriebsrat bei der Zielvorgabe eines EBIT von minus € 134.000,00 einverstanden mit einer Abänderung der Betriebsvereinbarung Mission 2016 und Rückkehr in 2017 zur Betriebsvereinbarung „erfolgsabhängige Vergütung“. In seiner Betriebsratssitzung vom 13.04.2017 (TOP 02 des Protokoll Bl. 115 d.A.) war der Betriebsrat bei einer Zielvorgabe eines EBIT von nunmehr minus € 119.000,00 einverstanden mit einer Abänderung der Betriebsvereinbarung Mission 2016 und Rückkehr in 2017 zur Betriebsvereinbarung „erfolgsabhängige Vergütung“. In seiner Betriebsratssitzung vom 20.04.2017 hat der Betriebsrat unter TOP 03 über eine EBIT Prämienregelung für 2017 diskutiert. Im Protokoll wurde sodann festgehalten: „Letzte Abstimmung über die EBIT Zielvorgabe, keine weiteren Zugeständnisse“ und im Weiteren war der Betriebsrat mit der Zielvorgabe eines EBIT von plus € 225.000,00 einverstanden wiederum mit der Maßgabe einer Abänderung der Betriebsvereinbarung Mission 2016 und Rückkehr in 2017 zur Betriebsvereinbarung „erfolgsabhängige Vergütung“ (TOP 03 und 04 des Protokolls Bl 116f d.A.). Der Wortlaut des geplanten Zusatzes zur Betriebsvereinbarung „Mission 2016“ (Bl. 52 d.A.) lautete:
Aufgrund dessen, dass es in 2017 zu keiner Neuausrichtung hinsichtlich der GmbH-Zusammenlegung kommt und die Berechnungsermittlung auf Standort/Betriebsstätten B-Stadt GmbH erhalten bleiben, beschließen die Vertragsparteien S B-Stadt GmbH und der Betriebsrat S B-Stadt GmbH die Regelung für 2017 zu § 3 Abs. 6 zu stornieren und durch die Regelung in der Betriebsvereinbarung über die erfolgsabhängige Vergütung vom 30.10.2008 vereinbaren zu ersetzen.“
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Die vorgeschlagene Zusatzvereinbarung wurde von Arbeitgeberseite nicht unterzeichnet.
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Im April 2017 gab die S B-Stadt GmbH mit einem an die Mitarbeiter gerichteten Aushang für das Jahr 2017 (Bl. 126 d.A.) die für die erfolgsabhängige Vergütung maßgeblichen Ziele vor. Das EBIT-Ziel betrug danach € 225.000,00.
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Mit einem Aushang vom 11.04.2018 informierte die Beklagte die Mitarbeiter der Zweigniederlassung B-Stadt darüber, dass das EBIT für das Geschäftsjahr 2017 bezogen auf die Zweigniederlassung B-Stadt negativ ausgefallen war (-1.691 T€) und aus diesem Grunde keine variable Vergütung gemäß der Betriebsvereinbarung B-Stadt vom 30.10.2008 für das Jahr 2017 ausgezahlt werden könne. Demgemäß erhielt auch der Kläger keine erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017.
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Über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung aus der BV Mission 2016 wurde zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht München ein Beschlussverfahren geführt. Der Antrag des Betriebsrates wurde mangels Antragsbefugnis zurückgewiesen (ArbG München 21.12.2018, 2 BV 109/18).
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Das EBIT der damaligen S GmbH als Bezugsgröße für die Ermittlung der erfolgsabhängigen Vergütung nach der BV erfolgsabhängige Vergütung fiel im Jahr 2017 negativ aus. Für das Jahr 2017 wurde der Klagepartei daher keine erfolgsabhängige Vergütung ausgezahlt.
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Zwischen den Parteien wurde unter dem 08.05.2018 ein Aufhebungsvertrag mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2018 abgeschlossen (Bl. 108 ff. d. A.). Dort heißt es unter Ziffer 1.:
„[…] Bis zu seiner rechtlichen Beendigung am 31.12.2018 wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgewickelt und abgerechnet.
Hierbei sind sich die Parteien einig, dass mit der ordnungsgemäßen Abrechnung und Auszahlung des monatlichen Gehaltes, vermögenswirksamer Leistungen AG-Anteil in Höhe von 27,00 € brutto und der ggf. entstandenen Reisekosten sowie Reisekostenvorschüsse sämtliche Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis vollständig erfüllt sind.
Hinsichtlich der Ansprüche auf variable Vergütung bzw. Bonus besteht Einigkeit, dass für das Geschäftsjahr 2018 keine Ansprüche mehr entstehen.“
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Unter Ziffer 6. ist geregelt:
„Mit Erfüllung der Verpflichtungen aus diesem Vertrag sind alle wechselseitigen Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, endgültig erledigt. Gleiches gilt im Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und den anderen Gesellschaften der S -Unternehmensgruppe.“
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Mit Schreiben vom 14.09.2018 (Bl. 54 d. A.), welches der Beklagten am selben Tag zuging, machte der Kläger eine erfolgsabhängige Vergütung in Höhe von 81,7% bezogen auf 60% des vertraglichen Bruttogehaltes auf Basis der BV Mission 2016 gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte übersandte dem Kläger am 11.10.2018 eine „Eingangsbestätigung“ und teilte darin mit, dass sie nach Prüfung in angemessener Zeit unaufgefordert darauf zurückzukommen wolle. Die Berechnung der Höhe des eventuellen Anspruches der Klagepartei ist zwischen den Parteien unstreitig.
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Mit seiner Klage vom 19.12.2018, beim Arbeitsgericht München eingegangen am gleichen Tage, hat der Kläger seinen Anspruch auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 weiter verfolgt. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe für das Geschäftsjahr 2017 auf Basis der Betriebsvereinbarung Mission 2016 eine erfolgsabhängige Vergütung zu in Höhe von 81,7% bezogen auf 60% des vertraglichen Bruttogehaltes des Kalenderjahres 2017, das durchschnittlich € 2.479,99 betragen habe.
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Der Kläger trägt vor, die Arbeitgeberin habe die BV Mission 2016 lange Zeit selbst für einschlägig gehalten. Im Frühjahr 2017 habe die Arbeitgeberin von der in der BV Mission 2016 getroffenen Regelung abweichen und zu den alten in der BV erfolgsabhängige Vergütung aus dem Jahr 2008 getroffenen Staffelungen zurückkehren wollen. Der Betriebsrat habe hierüber mit der Arbeitgeberin mehrfach beraten und sei einer Einigung grundsätzlich zugänglich gewesen. Eine ablösende Betriebsvereinbarung sei jedoch nicht zustande gekommen, weil am Ende die Arbeitgeberin die Unterzeichnung des Zusatzes zu der Betriebsvereinbarung nicht vollzogen habe. Die Verhandlungen seien daraufhin im Sande verlaufen. Nachdem eine Einigung über eine Änderung der Betriebsvereinbarung nicht zustande gekommen sei, gelte weiterhin die BV Mission 2016, die den für die Klagepartei errechneten Betrag vorsehe.
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Bei der BV Mission 2016 handele es sich um einen notwendigen Interessenausgleich, weil es sich bei der vorgenommenen Organisationsänderung gemäß § 111 Nr. 4 BetrVG um eine Änderung der Betriebsorganisation handele. Die Beklagte habe neben der Organisationsänderung auch eine gesellschaftsrechtliche Veränderung geplant gehabt. Umwandlungen, die sich auf der Ebene des Unternehmens abspielten, lösten keine Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach §§ 111 ff. BetrVG aus. Sie stellten keine Betriebsänderung dar und wären auch vorliegend nicht der Anlass gewesen, eine Betriebsvereinbarung bzw. einen Interessenausgleich abzuschließen. Entgegen der Darstellung der Beklagten sei der Betriebsrat nicht davon ausgegangen, dass eine Verschmelzung im Jahr 2016 möglicherweise stattfinden würde oder nicht. Auf die gesellschaftsrechtlichen Handlungen habe der Betriebsrat keinen Einfluss, er sei über die Details der Planung nicht informiert. Der Betriebsrat im lokalen Betrieb B-Stadt habe die Aussagen der Arbeitgeberin lediglich zur Kenntnis genommen, einen inhaltlichen oder sachlichen Beitrag zu den gesellschaftsrechtlichen Veränderungen habe der Betriebsrat nicht leisten können. Insbesondere der Zeitpunkt der gesellschaftsrechtlichen Veränderung sei für den Betriebsrat nicht ausschlaggebend gewesen, dieser habe sich vorwiegend und entsprechend seiner gesetzlichen Aufgaben für die konkret und zeitnah stattfindende Betriebsänderung interessiert.
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Allein wegen der gesellschaftsrechtlichen Änderung hätte die Arbeitgeberin keine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat treffen müssen. Auch nach einer gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung könne eine Bezugsgröße für jeden Betrieb berechnet und nachvollzogen werden. Die Beklagte tue so, als stünde die Vereinbarung der erfolgsabhängigen Vergütung für das Jahr 2017, die in der BV Mission 2016 getroffen worden sei, unter der Bedingung, dass die gesellschaftsrechtliche Zusammenfassung erfolgt sei. Dies gehe eindeutig gegen den Wortlaut der Betriebsvereinbarung. Die einzige Bedingung, die die Parteien einander auferlegt hätten, sei, dass sie bis spätestens 31.01.2017 über eine neue Bezugsgröße der erfolgsabhängigen Vergütung verhandeln sollten. Für den Fall, dass keine Einigung über die wirtschaftlichen Parameter erzielt würde, hätten die Parteien fix vereinbart, wie sich der Betrag errechne, aus dem heraus die erfolgsabhängige Vergütung für 2017 zu zahlen sei. Eine darüber hinausgehende Auslegung widerspreche dem eindeutigen Wortlaut. Sollte die Beklagte am eindeutigen Wortsinn Zweifel haben, so gelte der von den Betriebsparteien beabsichtigte Zweck: Weil im Wege der Betriebsänderung, also der Organisationsveränderung, der Standort B-Stadt nicht mehr allein über seine Geschicke entscheiden könne, habe bereits im Vorhinein für das Geschäftsjahr 2017 eine Einigung für die erfolgsabhängige Vergütung getroffen werden sollen.
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Die Regelung des Bonus der Klagepartei für das Jahr 2017 in der BV Mission 2016 stehe nicht unter der aufschiebenden Bedingung, dass die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung zwingend zu einem definierten Zeitpunkt stattfinden müsse. Anderenfalls hätten die Parteien regeln müssen, was passiere, wenn die aufschiebende Bedingung nicht eintrete. Die Betriebsparteien hätten jedoch nur den „voraussichtlichen Zeitpunkt“ der gesellschaftsrechtlichen Veränderung erwähnt. Auch der Verweis auf § 2 Abs. 3 der Betriebsvereinbarung regele mit dem wiederholten Wort „soll“ gerade nichts Verbindliches.
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Der Aufhebungsvertrag stehe dem Anspruch der Klagepartei ebenfalls nicht entgegen. Teil der Ansprüche aus dem Aufhebungsvertrag sei die „ordnungsgemäße Abwicklung und Abrechnung bis zur rechtlichen Beendigung am 31.12.2018“. Der Anspruch des Klägers auf Bonuszahlung für das Jahr 2017 hätte spätestens am 30.06.2018 ausbezahlt werden müssen. Die ordnungsgemäße Abrechnung des eingeklagten Bonus sei somit vom Aufhebungsvertrag umfasst. Die Parteien hätten keine wirksame Abgeltung des Anspruchs vereinbart.
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Die Klagepartei hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.479,99 brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2018 zu zahlen.
24
Die Beklagte beantragt,
die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass sich bereits aus Ziffer 6. des zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrags ergebe, dass sämtliche Ansprüche und somit auch der streitgegenständliche Anspruch erledigt seien.
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Hilfsweise trägt die Beklagte weiter vor, dass abweichend von anderen Betrieben für den Betrieb B-Stadt die BV erfolgsabhängige Vergütung bestehe. Diese habe für das Jahr 2016, dem Jahr der Organisationsveränderung, erhalten bleiben sollen. Erst ab dem Jahr nach der Verschmelzung (geplant ab 2017) habe, sofern keine neue Bezugsgröße vereinbart werden würde, zumindest der durchschnittliche Auszahlungsbetrag der Geschäftsjahre 2011 bis 2016 in Höhe von 78,5% bezogen auf 60% des vertraglichen Bruttomonatsgehalts der einzelnen Mitarbeiter bzw. ein entsprechend angepasster Betrag bei einer Zielerreichung im Jahr 2016 von über 100% ausgezahlt werden sollen. Diese Anpassung sei auf 81,67% erfolgt.
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Die Parteien seien, da die Planungen im Rahmen des Projektes „Mission 2016“ bereits sehr weit fortgeschritten seien, zum Zeitpunkt des Abschlusses der BV Mission 2016 nicht davon ausgegangen, dass die Verschmelzung möglicherweise nicht im Jahr 2016 stattfinden würde, so dass sie keine Regelung für den Fall einer zeitlichen Verzögerung getroffen hätten, was an sich auch nicht erforderlich gewesen sei, da bei einer nicht erfolgten Verschmelzung es überhaupt keinen Anlass gegeben habe, eine andere Zielgröße als die in der Betriebsvereinbarung erfolgsabhängige Vergütung geregelte zu vereinbaren.
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Die Auslegung der BV Mission 2016 ergebe dabei eindeutig, dass es den Parteien in § 3 Absatz 6 evident darum gegangen sei, eine neue Bezugsgröße für die Ermittlung der erfolgsabhängigen Vergütung ausschließlich für den Fall zu finden, dass die Ermittlung nach der bisherigen Bezugsgröße auf Basis eines testierten Jahresabschlusses in den Jahren nach Vollzug der Verschmelzung nicht mehr möglich sei. Maßgeblich für die Festlegung einer neuen Bezugsgröße sei demnach nicht das Jahr 2017, sondern der Eintritt der Verschmelzung und der damit verbundene Wegfall der bisherigen Bezugsgröße gewesen. Es habe also wegen der nicht erfolgten Verschmelzung keinerlei Anpassung an neue Verhältnisse bedurft.
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In § 3 Absatz 6 der BV Mission 2016 heiße es anders, als die Klagepartei suggerieren wolle: Es heiße dort nämlich, dass die Bezugsgröße „insbesondere wegen der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung“ wegfallen werde. Die Klagepartei würde sich auf die Organisationsveränderung beziehen. Die Organisationsveränderung als solche lasse aber nicht die Erstellung eines eigenen testierten Jahresabschlusses der Gesellschaft entfallen, ermögliche also gerade weiter die Feststellung der Bezugsgröße.
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Eine solche Auslegung entspreche auch nicht dem sich aus der Vereinbarung ergebenden Regelungszweck, wonach hier lediglich eine Auffangregelung für den Fall getroffen worden sei, dass die Bezugsgröße nicht mehr ermittelbar sein sollte. Soweit die Beklagte über Zielvorgaben für das Jahr 2017 habe sprechen wollen, sei sie davon ausgegangen, dass gerade die BV Mission 2016 nicht einschlägig sei und habe lediglich ihrer Verpflichtung aus der BV erfolgsabhängige Vergütung nachkommen wollen. Der Betriebsrat habe seinerzeit, nachdem die Verschmelzung im Jahr 2016 nicht erfolgt sei, auch keinerlei Bestrebungen unternommen, über eine neue Bezugsgröße zu verhandeln oder eine solche anzumahnen.
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Wie § 2 Abs. 3 Satz 2 der BV Mission 2016 zeige, seien die anstehenden gesellschaftsrechtlichen Veränderungen bereits während der Verhandlungen zur Betriebsvereinbarung derart präsent gewesen, dass keine Zweifel dahingehend bestanden hätten, dass es zu der gesellschaftsrechtlichen Veränderung auch tatsächlich noch im Jahre 2016 durch Abschluss des Verschmelzungsvertrages kommen würde. Der Abschluss der BV Mission 2016 sei somit unter den rechtlichen Erfordernissen im Zusammenhang mit der Organisationsveränderung erfolgt und habe wegen der geplanten gesellschaftsrechtlichen Veränderung auch vorab die Anpassungserfordernisse der BV erfolgsabhängige Vergütung, die aus der gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung absehbar resultieren würden, geregelt. Lediglich der Wegfall eines feststellbaren EBIT durch die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung habe die „Auffanglösung“ bezüglich der BV erfolgsabhängige Vergütung bedingt. Der Wortlaut der Norm sei daher nicht eindeutig im Sinne der Auslegung der Klagepartei, sondern zeige, dass es gerade bezüglich der Bezugsgröße und deren Anpassung auf die Verschmelzung ankomme und nicht auf die Organisationsveränderung. Die Bedingung des Wegfalls der Bezugsgröße infolge der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung sei direkt im Wortlaut angelegt, wie auch § 3 Abs. 6 Satz 2 der BV Mission 2016 zeige.
32
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und seine Entscheidung damit begründet, dass die Ausgleichsklausel in Ziffer 6. Aufhebungsvertrages der Parteien vom 08.05.2018, dass durch des Aufhebungsvertrags, wonach mit Erfüllung der Verpflichtungen aus diesem Vertrag wechselseitig alle Ansprüche aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, endgültig erledigt sind, als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis auszulegen sei und hierdurch ein eventueller Anspruch der Klagepartei auf Zahlung eines Bonus für das Geschäftsjahr 2017 untergegangen sei. Aus diesem Grunde könne offenbleiben, ob dem Kläger die geltend gemachte erfolgsabhängige Vergütung nach der BV Mission 2016 zugestanden habe.
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Die Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 sei entgegen der Auffassung der Klagepartei auch nicht Teil der im Aufhebungsvertrag geregelten Ansprüche. Ziffer 1. des Aufhebungsvertrages sehe zwar in seinem Absatz 2 die ordnungsgemäße Abwicklung und Abrechnung des Arbeitsverhältnisses vor. Unter Absatz 3 heiße es aber weiter, dass sich die Parteien einig sind, dass mit der ordnungsgemäßen Abrechnung und Auszahlung des monatlichen Gehaltes, vermögenswirksamer Leistungen sowie der Reisekosten sämtliche Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis vollständig erfüllt sind. Diese Regelung könne nur dahingehend ausgelegt werden, dass der Klagepartei über die ausdrücklich genannten Zahlungen hinaus keine weiteren Vergütungsansprüche mehr zustehen sollen. Bei der geltend gemachten Bonuszahlung handele es sich jedoch unzweifelhaft um eine Vergütungszahlung in Form der erfolgsabhängigen Vergütung, die weder eine monatliche Gehaltszahlung noch vermögenswirksame Leistungen oder Reisekosten darstelle. Derartige weitere Vergütungsansprüche sollten jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut der Ziffer 1. Abs. 3 des Aufhebungsvertrages gerade nicht mehr geschuldet sein.
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Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem letzten Absatz der Ziffer 1. des Aufhebungsvertrages, die hinsichtlich der Ansprüche auf variable Vergütung bzw. Bonus für das Geschäftsjahr 2018 ausdrücklich vorsehe, dass solche nicht mehr entstehen. Die Parteien hätten zwar keine vergleichbare ausdrückliche Regelung für das Geschäftsjahr 2017 getroffen. Dies ändere jedoch nichts an der eindeutigen Vereinbarung unter Ziffer 1. Absatz 3, die - wie dargestellt - nur dahingehend ausgelegt werden könne, dass eine Bonuszahlung für das Geschäftsjahr 2017 als weiterer Vergütungsbestandteil seitens der Beklagten nicht mehr geschuldet ist.
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Gegen dieses Urteil vom 24.10.2019, dem Kläger zugestellt am 31.01.2020, legte dieser am 22.11.2019 Berufung ein, welche er mit einem am 19.12.2019 eingegangenen Schriftsatz begründete.
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Der Kläger macht geltend, die erstinstanzliche Entscheidung sei unzutreffend. Die erkennende Kammer sei in mehreren Parallelverfahren zu der richtigen Auffassung gekommen, dass den Klägern der Anspruch auf Zahlung des Bonus für das Jahr 2017 zusteht, habe also grundsätzlich einen Anspruch bejaht. Dieser Anspruch sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht durch die Ausgleichsklausel untergegangen. Diese unterliege der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Die aufgrund der unklaren Fassung bestehenden Zweifel an der Reichweite der Regelung gingen aufgrund der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.
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Bei den Leistungen auf erfolgsanhängige Vergütung handele es sich um einen kollektivrechtlichen Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung und dieser sei Gehaltsbestandteil. Die Beklagte habe zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages die Position vertreten, dass aus dem Interessenausgleich und Sozialplan „Mission 2016“ keine Zahlungsansprüche für den Bonus des Jahres 2017 bestehen, so dass auch ihrer Sicht der Bonus 2017 nicht ausdrücklich habe geregelt werden müssen. Daher sei nur für das Jahr 2018 eine ausdrückliche Regelung getroffen worden. Da erst im Nachhinein klargeworden sei, dass der Kläger einen Anspruch auf den Bonus 2017 habe, sei die Verzichtsregelung aus dem Abwicklungsvertrag unwirksam, zumindest aber unklar. Auch gelte die Betriebsvereinbarung unmittelbar und zwingend, mit der Folge, dass der ohne Zustimmung des Betriebsrats erklärte Verzicht gem. § 77 Abs. 4 BetrVG unwirksam sei. Selbst wenn es sich, wie die Beklagte behaupte, um eine freiwillige Betriebsvereinbarung gem. § 88 BetrVG handele, sei § 77 anwendbar.
Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 24.10.2019, Az. 31 Ca 13311/18, zugestellt am 31.10.2019, wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.479,99 brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2018 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung als zutreffend. Die Parteien hätten im Aufhebungsvertrag eine umfassende Abgeltungsklausel vereinbart, die alle Ansprüche betreffen sollte, die nicht explizit ausgenommen wurden. Damit seien auch etwaige Ansprüche des Klägers auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 umfasst. Bei der Bonusregelung handele es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung. Der Betriebsrat habe nur in Bezug auf die Ausgestaltung der erfolgsabhängigen Vergütung ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. § 77 Abs. 4 BetrVG komme daher vorliegend nicht zur Geltung. Im Übrigen bestehe aus der BV Mission 2016 kein Anspruch für 2017, weil die hierfür erforderliche Voraussetzung der bis 01.01.2017 durchgeführten Verschmelzung der Gesellschaften nicht vorliege. Entsprechend der Entscheidungen verschiedener Kammern des LAG München sei die Betriebsvereinbarung so auszulegen, dass die Auffangregelung in § 3 (6) nicht zur Anwendung komme und sich die Ermittlung der erfolgsabhängigen Vergütung nach der weiter bestehenden Betriebsvereinbarung vom 30.10.2008 richte. Da das Ziel-EBIT nicht erreicht wurde und 2017 mit einem negativen EBIT abgeschlossen wurde, bestehe kein Anspruch auf eine erfolgsabhängige Vergütung in 2017.
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Für das weitere Vorbringen der Parteien in der Berufungsinstanz im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 18.10.2019, 27.01.2020, 08.07.2020 und 27.07.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat aus der BV Mission 2016 einen Anspruch auf die geltend gemachte, erfolgsabhängige Vergütung in der - von der Berechnung her - unstreitigen Höhe. Auf diesen Anspruch konnte er durch die Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag nicht wirksam verzichten. Aus diesem Grunde war die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern und der Klage stattzugeben.
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Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).
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Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung für das Jahr 2017 aus der BV Mission 2016 durch die Ausgleichsklausel im Aufhebungsvertrag vom 08.05.2018 untergegangen ist. Der Verzicht auf einen solchen Anspruch war gem. § 77 Abs. 4 BetrVG ohne Zustimmung des Betriebsrats unwirksam. Da der Kläger gem. § 3 (6) Abs. 2 BV Mission 2016 einen garantierten Mindestanspruch auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 in der von ihm geltend gemachten Höhe hat, war das erstinstanzlich Urteil dementsprechend abzuändern.
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1. Die Auslegung der BV Mission 2016 ergibt, dass diese in § 3 (6) Abs. 2 einen ga rantierten Mindestanspruch auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 unabhängig von einer Bezugsgröße und einer Zielerreichung gewährt für den Fall, dass bis zum Stichtag 31.01.2017 keine Einigung über eine neue Bezugsgröße erfolgt. Dieser Mindestanspruch orientiert sich an den durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen der Geschäftsjahre 2011 - 2016. Der Anspruch auf den Mindestauszahlungsbetrag ist nicht abhängig davon, wann die Verschmelzung auf gesellschaftsrechtlicher Ebene tatsächlich durchgeführt wurde, bzw. ob diese im Jahr 2016 abgeschlossen wurde (so auch LAG München 10.06.2020, 5 Sa 89/20; a.A. LAG München 12.05.2020, 9 Sa 688/19).
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1.1 Betriebsvereinbarungen sind nach ständiger Rechtsprechung wegen ihres normativen Charakters wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut und dem dadurch vermittelten Wortsinn. Ist der Wortsinn unbestimmt, ist darüber hinaus der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der betrieblichen Regelungen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine tatsächliche Übung herangezogen werden. Im Zweifel gebührt der Auslegung der Vorzug, die zu einer gesetzeskonformen, sachgerechten und praktisch handhabbaren Regelung führt (BAG v. 15.04.2008, 9 AZR 26/07, BB 2008, 1897; BAG, 22.07.2003 - 1 AZR 496/02, Rn. 23, jeweils m.w.N.).
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1.2 Aus dem Wortlaut der BV Mission 2016 geht hervor, dass diese verhandelt wurde, weil mit der geplanten Organisationsveränderung im Rahmen des Projekts - „Mission 2016“ durch die zentralen Standortleitungen eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG anstand (s. § 3 (1) der BV Mission 2016). Aus den §§ 3, 4 und 5 ergibt sich, dass die BV Mission 2016 durch Regelungen zur Besitzstandswahrung, den Ausschluss von betriebsbedingte Kündigungen und Härtefallregelung Nachteile für die Mitarbeiter vermeiden soll. Hierbei handelt es sich typische Regelungen, die in einem Interessenausglich/Sozialplan über die Betriebsänderung gem. § 112 BetrVG zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart werden. § 6 der BV Mission 2016 sieht das Inkrafttreten mit der Unterzeichnung am 25.04.2016 vor und eine Beendigung am 30.06.2018. Für Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung, Anwendung und Durchführung der Betriebsvereinbarung ist in § 8 die verbindliche Entscheidung der Einigungsstelle vereinbart.
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Die Besitzstandswahrung gem. § 3 soll verhindern, dass durch die Betriebsänderung, also die für zum 01.07.2016 eingeführte neue Organisationsstruktur der Standorte („Organisationsveränderung“) und durch die bis zum 01.01.2017 geplante und im September 2017 durchgeführte Zusammenfassung in einer Gesellschaft („Zusammenfassung“) Nachteile, insbesondere wirtschaftliche Nachteile für die Mitarbeiter entstehen. Nach Regelungen zur unveränderten Fortgeltung der Arbeitsbedingungen, dem Anspruch auf ein Zwischenzeugnis und der Fortgeltung der Vergütung von Reisezeiten auch bei einer Vermehrung von Dienstreisen, sowie der bisher bestehenden Betriebsvereinbarungen nach den gesetzlichen Bestimmungen enthält Ziff. (6) eine Modifikation der Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ vom 27.10.2008.
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1.2.1 Zunächst treffen die Betriebsparteien die Feststellung, dass das Betriebsergebnis der Z B-Stadt GmbH für das Geschäftsjahr 2016 (= Kalenderjahr 2016) bestehen bleibt. Im Text heißt es dann weiter: „Da die Bezugsgröße im Zuge der Neuausrichtung im Rahmen des Projektes - „Mission 2016“ ab dem Geschäftsjahr 2017 wegfallen wird, insbesondere wegen der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung, beschließen die Betriebsparteien, spätestens bis zum 31.01.2017 über eine neue Bezugsgröße dieser Vergütung konstruktiv und zielführend zu verhandeln und diese zu beschließen, die sicherstellt, dass den Mitarbeitern des Betriebes B-Stadt die Möglichkeit haben, ein entsprechendes Vergütungsniveau wie heute zu erreichen. … Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer solchen Vereinbarung erzielt worden sein, also unbeschadet der vertragsrechtlichen Formalisierung, werden, gilt Folgendes: Der Auszahlungsbetrag der erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 beträgt zumindest 78,5% entsprechend der Regelungen der BV „Erfolgsabhängige Vergütung“ (bezogen auf 60% des vertraglichen Brutto-Monatsgehalt). Diese Zahl (78,5%) ergibt aus den durchschnittlichen Auszahlungsbeträgen der Geschäftsjahre 2011 - 2016, wobei für das Geschäftsjahr 2016 von einer 100%-igen Zielerreichung und Auszahlung ausgegangen wird. Sollte die Zielerreichung für das Geschäftsjahr 2016 100% übersteigen, so wird diese Zahl für die Durchschnittsbetrachtung der Geschäftsjahre 2011 - 2016 zugrunde gelegt. Der Auszahlungsbetrag erhöht sich dann dementsprechend.“
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1.2.2 Durch diese Regelung drücken die Betriebsparteien ihre Motivation aus, eine neue Regelung ab dem Geschäftsjahr 2017 zu schaffen, weil die Bezugsgröße, also das Betriebsergebnis der Z B-Stadt GmbH für das Geschäftsjahr 2017 insbesondere wegen der gesellschaftsrechtlichen Zusammenfassung wegfallen wird. Das „insbesondere“ ist sprachlich ein Hinweis darauf, dass die gesellschaftsrechtliche Zusammenfassung insoweit eine große Rolle spielt, aber gleichzeitig nicht der alleinige Grund ist. Das passt dazu, dass die Betriebsparteien in § 3 (1) von der Betriebsänderung aufgrund der Organisationsveränderung ausgehen und dann regeln, dass durch die Umsetzung der in § 2 (1) näher definierten beiden Änderungen, also Organisationsveränderung und Zusammenfassung die Mitarbeiter keine Nachteile erleiden sollen. Die Regelung trägt also dem Umstand Rechnung, dass zum einen durch die Organisationsveränderung die Z B-Stadt GmbH bereits eine Veränderung erfährt und zum anderen geplant war, dass die Gesellschaft durch die Zusammenfassung, voraussichtlich Verschmelzung, nach Durchführung der Organisationsveränderung als juristische Person wegfallen sollte (§ 2 (1) und (2)) und die Regelung zur erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 also wegen der beiden Änderungen erfolgt ist.
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Aus dieser Motivation heraus haben die Betriebsparteien sich dann in § 3 (6) der BV Mission 2016 verpflichtet, spätestens bis zum 31.01.2017 über eine neue Bezugsgröße konstruktiv und zielführend zu verhandeln und eine besitzstandswahrende Bezugsgröße zu beschließen. Allerdings haben die Betriebsparteien weder eine Bezugsgröße für das Jahr 2017 festgelegt, noch es bei der Verpflichtung zu Verhandlungen belassen, sondern für den Fall, dass bis zu diesem Zeitpunkt - also bis zum 31.01.2017 - keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer solchen Vereinbarung erzielt worden ist, eine Regelung für einen garantierten Mindestanspruch für die Mitarbeiter auf erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 zu schaffen, der den Besitzstand insoweit wahrt, als auf den durchschnittlichen Auszahlungsbetrag der Geschäftsjahre 2011 - 2016 abgestellt wird.
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1.2.3 Nach dem Wortlaut ergibt sich also als einzige Voraussetzung für den in § 3 (6) Absatz 2 und 3 geregelten Anspruch auf eine erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017, die mindestens dem Durchschnitt der Vorjahre entspricht lediglich, dass bis zum 31.01.2017 keine Einigung über die wesentlichen wirtschaftlichen Parameter einer neuen Bezugsgröße erzielt worden ist. Ob hierzu Verhandlungen stattgefunden haben, oder nicht, ist für den im Folgenden geregelten Anspruch auf Besitzstandswahrung ohne Belang, denn dieser sollte nur dann nicht greifen, wenn die Betriebsparteien eine anderweitige Einigung erzielt haben. Dies war unstreitig nicht der Fall.
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1.2.4 Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die in § 3 (6) der BV Mission 2016 niedergelegte Motivation der Betriebsparteien nicht dazu, dass Voraussetzung für den geregelten Mindestanspruch für das Geschäftsjahr 2017 die tatsächliche Durchführung der Zusammenfassung noch im Jahr 2016 ist und damit die Regelung nur greift, wenn die Z GmbH zu keinem Zeitpunkt im Jahr 2017 noch als rechtliche Einheit bestanden hat. Aus dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung geht vielmehr an vielen Stellen hervor, dass die Betriebsparteien sich bewusst waren, dass weder das „Ob“ einer Verschmelzung feststand, noch die Einhaltung des Zeitplans für die Änderungen. Dies drückt sich z.B. aus in der Formulierung in § 2 (2) 2. Absatz: Die vorgenannten Gesellschaften werden voraussichtlich in einem zweiten, von der Organisationsveränderung unabhängigen Schritt, in einer Gesellschaft zusammengefasst“, in § 2 (4) in den Worten „vermutlich im Wege der Verschmelzung“ und in dem Wort „soll“, dass in § 2 (5) im Zusammenhang mit beiden geplanten Veränderungen mehrfach verwendet wird. Außerdem macht die Regelung über die Laufzeit in § 6 klar, dass die Betriebsvereinbarung am 30.06.2018 endet und schon von daher ausschließlich geeignet ist, eine Regelung für das Geschäftsjahr 2017 zu schaffen und nicht etwa - was die Betriebsparteien auch hätten regeln können - für das Geschäftsjahr, dass auf eine Zusammenfassung folgt.
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Die Offenheit der Betriebsparteien dafür, welche Regelung für das Geschäftsjahr 2017 in der dann bestehenden Situation tatsächlich sinnvoll ist, zeigt sich auch in der Vereinbarung von Verhandlungen in § 3 (6) Abs. 1, in denen eine Einigung für das Geschäftsjahr 2017 lediglich bis 31.01.2017 erzielt werden sollte. Daraus wird deutlich, dass Vorrang eine neue Einigung der Betriebsparteien über eine besitzstandswahrende Bezugsgröße für das Geschäftsjahr 2017 haben sollte, die den Änderungen (Organisationsveränderung und Zusammenfassung) gerecht wird, aber gleichzeitig für den Fall, dass bis 31.01.2017 keine solche Vereinbarung getroffen ist, die Besitzstandswahrung greifen soll, wie sie unmittelbar in § 3 (6) Absatz 2 und 3 der BV Mission 2016 geregelt ist.
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Zumindest der Betriebsrat hat jedenfalls die BV Mission 2016 auch in diesem Sinne verstanden und hat seinerseits keinen Grund gesehen, auf eine Vereinbarung zu dringen, weil die in der Betriebsvereinbarung Mission geregelte Besitzstandswahrung für die Mitarbeiter eine gute Regelung dargestellt hat. Dies geht insbesondere aus dem Protokoll der Betriebsratssitzung vom 19.12.2016 hervor, in dem sich unter TOP 13 der Hinweis findet, dass für 2018 für den Standort B-Stadt eine erfolgsabhängige Vergütung möglich ist und ein Vorschlag zur Änderung der Betriebsvereinbarung kommt und im Protokoll der Betriebsratssitzung vom 28.2.2017 unter „zusätzliche Infos“ Ziff. 2 der Vorschlag der Arbeitgeberseite festgehalten ist, es solle eine EBIT Vorgabe für 2017 ausgegeben werden, der Betriebsrat aber davon ausgegangen ist, dass „für 2017 bereits eine verhandelte Prämienregelung in der BV Mission 2016 enthalten ist“ und der Betriebsrat daher prüfen solle, ob er für 2017 auf die Mission Regelung verzichtet und auf die bestehende Betriebsvereinbarung EBIT Regelung für 2017 zurückkehrt.
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Nachdem der in der Folge vom Betriebsrat gemachte entsprechende Änderungsvorschlag nicht unterschrieben wurde, hat dieser über die Frage der Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung aus der BV Mission 2016 vor dem Arbeitsgericht München ein Beschlussverfahren geführt. Eine inhaltliche Klärung ist hierdurch nicht zustande gekommen, weil der Antrag des Betriebsrates mangels Antragsbefugnis zurückgewiesen wurde (ArbG München 21.12.2018, 2 BV 109/18).
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1.2.5 Auch verliert die Besitzstandsregelung für 2017 entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dadurch ihren Sinn, dass die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung nicht bis Ende 2016, sondern erst ab September 2017 umgesetzt war. Bereits im Dezember 2016 lag dem Betriebsrat ein Konzept für eine Verschmelzung vor (Protokoll der Betriebsratssitzung vom 19.12.2016). Anfang 2017 war also davon auszugehen, dass die geplante Verschmelzung bald umgesetzt wird. Ende Februar 2017 ist der Verkauf an die S Gruppe zustande gekommen und zum September 2017 wurde sodann die geplante Verschmelzung wirksam.
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Das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang zu Recht ausgeführt hat, dass für die ehemalige Z B-Stadt GmbH und dann S B-Stadt GmbH das Geschäftsjahr 2017 nur noch ein Rumpfgeschäftsjahr dargestellt hat, weil sie nach diesem Zeitpunkt nicht mehr existierte. Wie die Beklagte in diesem Zusammenhang das EBIT nach eigenen Angaben bis 31.12.2017 berechnet hat, ist unklar und von dieser nicht näher erläutert.
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Jedenfalls lag 2017 eine Umbruchsituation vor, die von den in der Betriebsvereinbarung Mission 2016 erwähnten zwei Veränderungen: Organisationsänderung (zum 01.07.2016 umgesetzt) und gesellschaftsrechtliche Verschmelzung (zum September 2017 umgesetzt) bestimmt war und die durchaus Auswirkungen auf das EBIT haben konnte. So hat die Arbeitgeberseite ersichtlich zunächst auch mit einem negativen Ergebnis gerechnet (Zielvorgabe eines EBIT von Minus € 134.000,00, s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 11.04.2017) und ihre Prognose sodann ein wenig nach oben korrigiert ((Zielvorgabe eines EBIT von Minus € 119.000,00 s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 13.04.2017), um sodann ihre Prognose deutlich nach oben zu korrigieren (Zielvorgabe eines EBIT von plus € 225.000,00 s. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 20.04.2017). Weshalb dann schlussendlich ein so hoher Verlust für 2017 entstanden ist, wie von der Beklagten im Frühjahr 2018 bekannt gegeben, ist nicht bekannt.
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Weder aus dem Wortlaut der BV Mission 2016, noch aus dem Gesamtzusammenhang oder den Umständen war deshalb ersichtlich, dass die Besitzstandsregelung für diese Situation nicht gelten sollte, sondernwie die Beklagte behauptet - ausschließlich für den Fall, dass die Existenz der Z GmbH schon im Jahr 2016 beendet worden wäre. Allenfalls könnte ggf. aus der in den Wortlaut der BV Mission 2016 Motivation der Betriebsparteien ein Wegfall der Geschäftsgrundlage hergeleitet werden für den Fall, dass bis zum Ende des Geschäftsjahres 2017 keine der geplanten Änderungen umgesetzt worden wäre. Dies war jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht der Fall.
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1.2.6 Damit lässt sich abschließend feststellen, dass sich aus dem eindeutigen Wortlaut der BV Mission 2016 und dem Sachzusammenhang ergibt, dass in § 3 (6) ein direkter Anspruch der Mitarbeiter auf eine besitzstandswahrende, erfolgsabhängige Vergütung für das Geschäftsjahr 2017 in der dort bestimmten Mindesthöhe geregelt ist, der allein von der Voraussetzung abhängt, dass bis 31.01.2017 keine Einigung über eine neue Bezugsgröße zustande gekommen ist. Der Anspruch gilt gem. § 77 Abs. 3 BetrVG unmittelbar und zwingend für alle Mitarbeiter.
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Dieser garantierte Anspruch auf erfolgsabhängige Vergütung ändert in Teilen die - wie alle anderen Betriebsvereinbarungen auch - gem. § 3 (5) der BV Mission 2016 fortgeltende Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ vom 27.10.2008, die dementsprechend in § 3 (6) auch explizit genannt wird.
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Zwar gilt gem. § 3 (5) BV Mission 2016 grundsätzlich die Betriebsvereinbarung über eine erfolgsabhängige Vergütung vom 27./30.10.2008 fort. Allerdings sollte nur für das Jahr 2016 weiterhin mit einer entsprechenden EBIT-Zielvorgabe gerechnet und für das Jahr 2017 eine andere Bezugsgröße vereinbart werden.
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1.3 Die Voraussetzungen gem. § 3 (6) Abs. 2 und 3 der BV Mission 2016 für einen Anspruch auf Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung in Höhe des dort festgelegten Mindestbetrags für 2017 sind erfüllt. Bis 31.01.2017 haben unstreitig weder Verhandlungen über eine Bezugsgröße stattgefunden, noch ist eine Einigung diesbezüglich zustande gekommen. Damit liegen die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer erfolgsabhängigen Vergütung für das Geschäftsjahr dem Grunde nach vor. Die Klageforderung ist der Höhe nach und von der Berechnung her unstreitig. Der Zinsanspruch in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz besteht für Vergütungsansprüche gem. § 288 Abs. 1 i.V.m. §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 2, 614 BGB ab dem Monatsende nach Fälligkeit - hier bis spätestens 30.06.2018 - und ist deshalb dem Kläger antragsgemäß zuzusprechen.
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1.4 Eine abweichende Regelung oder Einigung mit dem Betriebsrat, die den Anspruch des Klägers entfallen lässt oder ändert, ist - abweichend von der Annahme in der Entscheidung des LAG München 12.05.2020, 9 Sa 688/19 und 27.11.2019, 11 Sa 451/19 nicht zustande gekommen. Erst im Februar 2017 ist die Arbeitgeberin an den Betriebsrat herangetreten mit dem Vorschlag, für das Jahr 2017 eine EBIT Zielvorgabe entsprechend der Betriebsvereinbarung über eine erfolgsabhängige Vergütung vom 27./30.10.2008 zu vereinbaren. Aus dem Protokoll der Betriebsratssitzung vom 28.02.2017 geht hervor, dass die Arbeitgeberseite einen entsprechenden Wunsch geäußert hat und der Betriebsrat seinerseits prüfen wollte, ob er für 2017 auf die Mission-Regelung verzichtet und bereit wäre, zu der bestehenden Betriebsvereinbarung EBIT-Regelung zurückzukehren.
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Ausweislich der bereits zitierten Protokolle der Betriebsratsratssitzungen vom April 2017 ist die Arbeitgeberseite wiederholt mit Vorschlägen an den Betriebsrat herangetreten, welches EBIT-Ergebnis als Bezugsgröße nach der Betriebsvereinbarung „Erfolgsabhängige Vergütung“ vom 27.10.2008 maßgebend sein sollte. Die Arbeitgeberseite hat dabei innerhalb kurzer Zeit ihre Vorstellungen von der Bezugsgröße stark verändert. Der Betriebsrat hat mit allen Vorschlägen stets Einigungsbereitschaft signalisiert und klar ausgedrückt, dass er sein Einverständnis daran knüpft, dass eine Zusatz-Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird, die die Betriebsvereinbarung Mission 2016 insoweit für das Jahr 2017 ändert. Eine solche Betriebsvereinbarung ist nicht zustande gekommen. Damit ist keine wirksame Änderung der Betriebsvereinbarung Mission 2016 erfolgt und es bleibt bei dem Anspruch Klägers gem. § 3 (6) Abs. 2 und 3.
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2. Der Anspruch des Klägers auf erfolgsabhängige Vergütung aus der Betriebsverein barung Mission 2016 ist nicht durch die Abgeltungsklausel im Aufhebungsvertrag vom 08.05.2018 untergegangen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts konnte der Kläger in der individualvertraglichen Vereinbarung nicht wirksam auf den Anspruch aus einer Betriebsvereinbarung verzichten.
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2.1 Der Verzicht eines Arbeitnehmers auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung ist gem. § 77 Abs. 4 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig, die hier nicht vorliegt. Andernfalls ist der Verzicht unwirksam (§ 134 BGB). Das gilt für alle Rechte der Arbeitnehmer und gilt über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus (ErfK-Kania § 77 BetrVG Rn. 39, DKKW-Berg, § 77 BetrVG Rn. 89; GK-BetrVGKreutz, § 77 BetrVG, Rn. 311; Fitting Rn. 132 f., 136).
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Zwar kann die Zustimmung formlos als Einwilligung bzw. Genehmigung analog §§ 182 ff. BGB erfolgen, sie ist aber an einen ordnungsgemäßen Beschluss (§ 33) geknüpft und muss konkret für den einzelnen Arbeitnehmer oder den bestimmten Regelungstatbestand erklärt werden (ErfK-Kania § 77 BetrVG Rn. 39). Das Vorliegen einer solchen Zustimmung hat die Beklagte gar nicht erst behauptet. Im Gegenteil hat der Betriebsrat sogar ein Beschlussverfahren eingereicht (s. Ziff. 1.2.4), um die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Zahlung von erfolgsabhängiger Vergütung aus der BV Mission 2016 feststellen zu lassen.
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2.2 Zulässig wäre ein Verzicht erst, nachdem die Betriebsvereinbarung ihre zwingende Wirkung durch Ablauf verloren hat (ErfK-Kania § 77 BetrVG Rn. 89). Die Betriebsvereinbarung Mission war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 08.05.2018 wirksam und hat erst zum 30.06.2018 geendet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 fällig. Die Betriebsvereinbarung Mission sollte u.a. gerade das Weiterbestehen auch des Anspruchs auf erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 sicherstellen. Damit kam der Betriebsvereinbarung bei Abschluss des Aufhebungsvertrages hinsichtlich des Anspruchs des Klägers auf eine erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 noch unmittelbare und zwingende Wirkung zu. Auch war der Anspruch auf erfolgsabhängige Vergütung noch nicht fällig, da dieser bis spätestens 30.6. des Folgejahres zu zahlen war. Ein Verzicht vor Ablauf der Betriebsvereinbarung und vor Fälligkeit des Anspruchs war ohne die hier nicht vorliegende Zustimmung des Betriebsrats daher unwirksam.
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2.3 Auch Verzichtsvereinbarungen in einem Vergleich oder in einer Ausgleichsklausel bedürfen grundsätzlich der Zustimmung des Betriebsrats und sind ohne diese unwirksam. Abweichend hiervon kann bei einem Aufhebungsvertrag der Arbeitnehmer auch dann auf den Anspruch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam verzichten, wenn die abweichende Regelung für ihn objektiv günstiger ist (BAG 27.01.2004, 1 AZR 148/03). Das ist hier nicht der Fall. Vorliegend scheidet ein solcher Günstigkeitsvergleich schon deswegen aus, weil der Aufhebungsvertrag keine Regelung zur erfolgsabhängigen Vergütung für das Jahr 2017 vorsieht und die Beklagte bei Abschluss des Aufhebungsvertrages auch nicht davon ausgegangen ist, dass überhaupt ein solcher Anspruch für den Kläger besteht. Daher ist auch kein Wille erkennbar, insoweit einen Ausgleich zu schaffen. Vielmehr entspricht die getroffene umfassende Abgeltungsklausel bezüglich der erfolgsabhängigen Vergütung für das Jahr 2017 einer Ausgleichsquittung, die vorsorglich alle Ansprüche erfassen soll. Eine Ausnahme vom Zustimmungserfordernis des Betriebsrats liegt daher nicht vor.
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2.4 Ein zulässiger Vergleich über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs (sog. Tatsachenvergleich), liegt nicht vor. Einen solchen Tatsachenvergleich hat die Beklagte behauptet, ohne allerdings hierzu konkret etwas vorzutragen. Da vorliegend der Aufhebungsvertrag keine Regelung zu der erfolgsabhängigen Vergütung 2017 vorsieht, ist der Hinweis der Beklagten, dass insofern ein Tatsachenvergleich stattgefunden hat nicht recht verständlich. Die Beklagte war zwar bei Abschluss des Aufhebungsvertrages unstreitig der Meinung, dass ein Anspruch aus der Betriebsvereinbarung Mission 2016 auf erfolgsabhängige Vergütung für 2017 nicht besteht. Dies bedeutet aber nicht, dass die Parteien sich etwa darauf geeinigt hätten, dass die Voraussetzungen für eine Zahlung der erfolgsabhängigen Vergütung nicht vorliegen oder entfallen sind. Da vorliegend die Betriebsvereinbarung Mission 2016 einen Mindestanspruch auf erfolgsabhängige Vergütung vorsieht, für den keine weiteren Voraussetzungen vorliegen müssen, als dass eben keine Regelung zwischen den Betriebsparteien bis 31.01.2017 erfolgt ist, kommt schon aus diesem Grunde ein Vergleich über das Vorliege von tatsächliche Voraussetzungen des Anspruchs nicht in Betracht. Die Beklagte bezieht sich möglicherweise darauf, dass keine Regelung getroffen wurde, weil aus ihrer Sicht die Betriebsvereinbarung so auszulegen ist, dass kein Anspruch auf die erfolgsabhängige Vergütung für das Jahr 2017 bestand. Ein solcher Vergleich über die Auslegung bestimmter Regelungen in der Betriebsvereinbarung wäre allerdings ebenfalls unzulässig, da es sich hierbei nicht um einen Tatsachenvergleich handeln würde, sondern um einen Rechtsverzicht (BAG 25.04.2017, 1 AZR 714/15).
73
2.5 Der Hinweis der Beklagten, dass es sich bei der Bonusregelung um eine freiwillige Betriebsvereinbarung gehandelt habe, ist für die Geltung von § 77 Abs. 4 BetrVG nicht maßgeblich. Die Befugnis der Betriebsparteien zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen erstreckt sich auf alle (materiellen und formellen) Arbeitsbedingungen einschließlich betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen. Dies ergibt der Wortlaut des Gesetzes (Gegenschluss zur Sperre des Abs. 3 S. 1, Unabgeschlossenheit [„insbesondere“] des § 88), ferner die systematische Zusammensicht der §§ 77, 88 und der zahlreichen Mitbestimmungstatbestände, die eine gegenständliche Beschränkung nicht erkennbar werden lassen. Auch ist die nicht von vornherein der Regelungsbefugnis auszunehmen. Auch freiwillige Betriebsvereinbarungen, die den Bereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit betreffen, sind rechtlich zulässig, wie die gesetzlichen Regelungen über den möglichen Inhalt von Interessenausgleichen zeigen (§ 112). Auch diese fallen daher unter die allgemeine Regelung des § 77 BetrVG (vgl. NK-ArbR-Schwarze BetrVG § 77 Rn. 11, 14 m.w.N.). Für die Entscheidung kann deshalb dahinstehen, ob es sich bei der Betriebsvereinbarung Mission 2016 um eine freiwillige Regelung handelt oder diese ganz oder teilweise unter die zwingende Mitbestimmung fällt.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
75
Im Hinblick auf die in der Sache abweichenden Entscheidungen das LAG München 27.11.2019, 11 Sa 451/19 und LAG München 12.05.2020, 9 Sa 688/19 war gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.