Inhalt

LG Ansbach, Zwischenurteil v. 20.07.2020 – 3 O 1537/19
Titel:

Keine Nebenintervention des Kfz-Haftpflichtversicherers auf Seiten des durch den Versicherten geschädigten Verletzten im Haftpflichtprozess

Normenketten:
ZPO § 66
VVG § 103
Leitsätze:
1. Eine Nebenintervention des Kfz-Haftpflichtversicherers im Haftpflichtprozess auf Seiten des Gegners seines auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Versicherten ist unzulässig. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies gilt auch dann, wenn der Verletzte die Feststellung verlangt, die Haftung des Versicherten beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Beitritt des Kfz-Haftpflichtversicherers als Nebenintervenient auf Seiten des Gegners des bei ihm Versicherten ist auch dann unzulässig, wenn der Versicherte ihm den Streit verkündet hat. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Haftpflichtprozess, Haftpflichtversicherer, Streitverkündung, Nebenintervention, Treuepflicht, Rücksichtnahmepflicht
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.04.2022 – 5 W 2855/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 56944

Tenor

Der Antrag der Nebenintervenientin, auf Seiten des Klägers dem Rechtsstreit beizutreten, wird zurückgewiesen.
Die Nebenintervenientin hat die Kosten des Zwischenstreits zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 04.06.2019 geltend.
2
Am 04.06.2019 gegen 07.45 Uhr befand sich der Kläger auf einer Trainingsfahrt mit seinem Rennrad auf der Bundesstraße B 25 aus Kaltenbronn kommend in Richtung Feuchtwangen. Unmittelbar nachdem der Kläger den Kreisverkehr am südlichen Stadtrand an der 2. Ausfahrt in die Dinkelsbühler Straße Richtung Stadtmitte verlassen hatte, kollidierte das Rennrad des Klägers mit dem vom Beklagten gelenkten SUV, amtliches Kennzeichen …, wodurch der Kläger stürzte und verletzt wurde.
3
Der Kläger begehrt mit der Klage Schmerzensgeld für die ihm durch das Schadensereignis entstandenen Verletzungen sowie Ersatz der Schäden an seinem beschädigten Fahrrad, seiner Kleidung und Ausrüstung sowie der Kosten für ärztliche Behandlungen und Atteste, Ersatz des Haushaltsführungsschadens, Entschädigung für verfallene Urlaubstage sowie der ihm entgangenen Beitragsrückerstattung der privaten Krankenversicherung für das Jahr 2019. Ferner begehrt er die Feststellung, dass der Beklagte zum Ersatz sämtlicher entstandener und zukünftiger materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche verpflichtet sei, und dass es sich bei den geltend gemachten Forderungen um Ansprüche aus unerlaubter Handlung handele.
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Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihn nicht aus Versehen angefahren. Vielmehr habe dieser - offensichtlich aus Wut und Verärgerung darüber, dass der Beklagte beim Einfahren in den Kreisverkehr durch den Kläger überholt worden war - den Kläger bewusst von hinten angefahren und überrollt. Der Kläger habe durch den Vorfall gravierende Verletzungen erlitten, welche auch Dauerfolgen nach sich ziehen würden. Es seien umfangreiche ärztliche sowie physio- und psychotherapeutische Behandlungen erforderlich gewesen. Der Kläger sei zudem seither dienstunfähig. Als Polizeibeamter habe er für das Jahr 2020 einen Auslandseinsatz in Mali geplant, für welchen er neben seinen Bezügen als Polizeibeamter von der Bundesrepublik Deutschland und von den Vereinten Nationen steuerfreie Zahlungen erhalten habe sollen, welche ihm nunmehr aufgrund des Unfallereignisses entgangen seien. Der Kläger habe damit einen erheblichen Verdienstschaden erlitten.
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Der Kläger meint, der Beklagte habe durch sein Verhalten die Straftatbestände des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und der gefährlichen Körperverletzung erfüllt. Das Verhalten des Beklagten bewege sich am Rande eines versuchten Tötungsdeliktes, da der Beklagte den Tod des Radfahrers zumindest billigend in Kauf genommen habe.
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Der Kläger beantragt,
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.07.2019 zu zahlen.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.785,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz
aus 2.035,48 Euro seit Rechtshängigkeit
aus 1.245,60 Euro sowie 4.504,69 Euro seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche entstandenen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche aufgrund des Vorfalls, der sich am 04. Juni 2019 in der Dinkelsbühler Straße in 9..1555 Feuchtwangen ereignet hat, zu ersetzen. Eine Ausnahme gilt nur für die materiellen Ansprüche, die auf Dritte übergegangen sind.
IV. Es wird festgestellt, dass es sich bei den unter Ziff. I., II. und III. geltend gemachten Forderungen um Ansprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt.
V. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.607,37 Euro gegenüber der Kanzlei … freizustellen.
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Der Beklagte beantragt,
kostenpflichtige Klageabweisung.
8
Der Beklagte behauptet, er habe den Unfall nicht absichtlich verursacht. Vielmehr habe er versucht, den Kläger nach Verlassen des Kreisverkehrs unmittelbar nach der Verkehrsinsel zu überholen. Als er sich etwa auf Höhe des Hinterrads des Fahrrads des Klägers befunden habe, habe der Kläger einen Schlenker nach links gemacht, woraufhin es zu einer Berührung der Fahrzeuge und dem anschließenden Sturz des Klägers gekommen sei. Der Unfall sei auf einen zu geringen seitlichen Abstand der Fahrzeuge beim Überholvorgang zurückzuführen, wobei den Kläger eine erhebliche Mitschuld treffe, da dieser ihn zuvor im Kreisverkehr selbst riskant überholt und hierdurch den weiteren Überholvorgang erst notwendig gemacht habe und zudem auch keinen Helm getragen habe. Der Beklagte habe den Kläger zu keinem Zeitpunkt verletzen wollen. Zudem bestreitet der Beklagte die vom Kläger geltend gemachten Verletzungsfolgen, soweit diese nicht im Entlassungsbericht der ANregiomed Klinik Dinkelsbühl vom 15.06.2019 festgestellt worden seien. Insbesondere werden Dauerfolgen sowie eine noch bestehende Dienstunfähigkeit des Klägers sowie der geplante Auslandseinsatz in Mali bestritten. Auch werden die entstandenen Sachschäden bestritten.
9
Der Beklagte meint, die berechtigten Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen seien bereits durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 3.000,- Euro vollständig befriedigt worden.
10
Die Nebenintervenientin war die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des vom Beklagten im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallereignisses gelenkten Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen.... Für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall wurde der Versicherungsschutz durch die Nebenintervenientin versagt und die Versagung damit begründet, dass von einem vorsätzlichen Handeln des Beklagten auszugehen sei.
11
Die Nebenintervenientin erklärte mit Schriftsatz vom 13.01.2020, sie trete dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers bei. Mit Schriftsatz der Beklagtenvertreterin vom 27.01.2020 beantragte die Beklagtenpartei die Zurückweisung der Nebenintervention, da ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin nicht dargelegt worden sei. Mit Schriftsatz vom 25.02.2020 verkündete die Beklagtenpartei der Nebenintervenientin den Streit und forderte diese auf, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beizutreten, woraufhin die Nebenintervenientin wiederum mit Schriftsatz vom 23.03.2020 erklärte, sie trete dem Verfahren auf Seiten des Klägers bei. Sie macht geltend, dass sich ihre Interessen und die des Klägers überschneiden würden. Als Haftpflichtversicherer sei für sie die Feststellung der Verschuldensform des Beklagten bedeutsam, da hiervon abhänge, ob die Versicherung die Schadensregulierung übernehme. Sollte ein vorsätzliches schadensverursachendes Handeln des Beklagten festgestellt werden, könne sich die Nebenintervenientin gemäß § 103 VVG auf Leistungsfreiheit berufen. Nach § 103 VVG sei ein Versicherer nämlich nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt habe. Die Feststellungen aus dem Rechtsstreit hätten auch für einen etwaigen Deckungsprozess Bindungswirkung. Der Nebenintervenientin müsse deshalb die Möglichkeit eröffnet werden, sich am Verfahren zu beteiligen, um ihre Interessen wahren zu können. Zudem sei es widersprüchlich, wenn sich der Beklagte auf die Unzulässigkeit der Nebenintervention berufe, nachdem dieser die Streitverkündung zuvor selbst ausgesprochen habe.
12
Die Nebenintervenientin beantragt,
den Streitbeitritt auf Klägerseite zuzulassen.
13
Der Beklagte beantragt,
den Streitbeitritt der Nebenintervenientin auf Klägerseite zurückzuweisen und hierüber vorab zu entscheiden.
14
Der Beklagte hält den Streitbeitritt für nicht zulässig und wendet ein, dass die Nebenintervenientin kein rechtliches Interesse an einem Obsiegen des Klägers habe. Auch im Falles eines Obsiegens sei sie gegenüber dem Beklagten nicht leistungsfrei.
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Der Kläger stellt zur Frage der Zulässigkeit des Streitbeitritts der Nebenintervenientin keinen Antrag.
16
Das Gericht hat keinen Beweis erhoben. Zur Ergänzung wird auf den Akteninhalt, insbesondere die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Der Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten der Klagepartei ist aus nachfolgenden Gründen nicht zulässig.
18
1. Der Beitritt des Haftpflichtversicherers des Beklagten auf Seiten des Klägers stellt einen Verstoß gegen versicherungsvertragliche Treue- und Rücksichtnahmepflichten dar. Kernaufgabe und Hauptpflicht des Versicherers ist es, entweder den Versicherungsnehmer bei der Abwehr unberechtigter Ansprüche zu unterstützen oder berechtigte Forderungen zu regulieren. Er kann den erhobenen Ersatzanspruch anerkennen und befriedigen, weitere Ermittlungen anstellen, mit dem Dritten verhandeln oder schließlich den Haftpflichtprozess für den Versicherten führen. Will er den Anspruch bestreiten, so muss er alles tun, was zu dessen Abwehr notwendig ist. Er allein trägt die aus der Prüfung und Abwehr folgende Arbeitslast und Verantwortung (BGH Urteil vom 20.2.1956 - II ZR 53/55 - NJW 1956, 826 = VersR 1956, 186 unter 2). Ist der Haftpflichtversicherer der Auffassung, dass sein Versicherungsnehmer eine wissentliche Pflichtverletzung begangen hat, kann er zwar im Innenverhältnis eine Deckung und Beteiligung am Haftpflichtprozess ablehnen. Ein mit Aufwand und Kostenrisiko verbundener prozessualer Beistand auf Seiten seines Versicherungsnehmers wird dem Haftpflichtversicherer in dieser Fallkonstellation nicht zugemutet. Der Versicherer lässt dann aber dem Versicherungsnehmer bei der Führung des Prozesses freie Hand und begibt sich seiner umfassenden Dispositionsbefugnis über den Haftpflichtanspruch. Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Versicherer in dieser Konstellation hinnehmen, dass in dem ohne seine Einflussnahme geführten Haftpflichtprozess Feststellungen getroffen werden, an die er im Deckungsprozess gebunden ist und die seinen Interessen zuwiderlaufen (BGHZ 119, 276/283, ebenso OLG München, Urteil v. 05.02.2009 - 1 U 1984/08, BeckRS 2009, 5218). Das Gericht versteht die Rechtsprechung des BGH dahingehend, dass dem Versicherer, der gegenüber seinem Vertragspartner eine Deckung ablehnt, mit Rücksicht auf das Versicherungsverhältnis zuzumuten ist, ein ihm nachteiliges Ergebnis des Haftpflichtprozesses hinzunehmen. Dieser, den eigenen Interessen des Versicherers zuwiderlaufende Nachteil belastet den Versicherer auch nicht unbillig, da er die Versicherungsprämien unter Berücksichtigung des Risikos kalkulieren kann. Aus den gleichen Erwägungen heraus kann der Versicherer einer ihm nachteiligen Bindungswirkung auch nicht dadurch entgegenwirken, dass er dem Haftpflichtprozess auf Seiten des Gegners beitritt, aktiv eine Position gegen die Interessen seines Versicherungsnehmers einnimmt und sich für dessen Verurteilung einsetzt. Ein solches Verhalten ist mit dem wechselseitigen Gebot der Rücksichtnahme und Unterstützung im Versicherungsfall nicht vereinbar. Auch wenn der Versicherer im Innenverhältnis endgültig und bindend eine Deckung abgelehnt hat, darf er seinem Versicherungsnehmer nach außen nicht derart „in den Rücken fallen“, um der Gefahr entgegenzuwirken, dass sich die Ablehnung der Deckung im Verhältnis zum Anspruchsteller als nicht tragfähig erweist.
19
2. Darüber hinaus steht dem Beitritt auf Seiten des Klägers entgegen, dass die Nebenintervenientin nur ein eingeschränktes Interesse an einem Obsiegen des Klägers hat, nämlich ausschließlich in dem Fall, dass ein vorsätzliches Verhalten des Beklagten festgestellt wird. Sie beteiligt sich am Verfahren ausschließlich, um ihr günstige Urteilsfeststellungen zu erlangen, nämlich die Feststellung, dass dem Beklagten ein vorsätzliches Handeln vorzuwerfen sei, damit die Nebenintervenientin leistungsfrei wird. Es besteht aber grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass der Kläger obsiegt, weil dem Beklagten zumindest fahrlässiges Verhalten nachgewiesen wird. Dies würde jedoch keinesfalls im Interesse der Nebenintervenientin liegen.
20
Bei genauer Betrachtung will die Nebenintervenientin somit die Interessen des Klägers im Prozess nicht fördern, sondern im Gegenteil nur ihre eigenen Interessen wahren. Sollte im Verfahren eine Haftung des Versicherungsnehmers aus fahrlässigem Verhalten festgestellt werden, wäre die Nebenintervenientin von ihrer Leistungspflicht aus der Haftpflichtversicherung nicht befreit. In diesem Fall hätte sie ein starkes Interesse daran, dass das festzustellende Schmerzensgeld so niedrig wie möglich und auch die beim Kläger vorliegenden Verletzungsfolgen so gering wie möglich ausfallen. Dies würden allerdings den Interessen des Klägers eindeutig zuwiderlaufen.
21
3. Dass die Beklagtenpartei der Nebenintervenientin den Streit verkündet hat, macht die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Nebenintervention durch diese weder treuwidrig noch rechtsmissbräuchlich, zumal der Beklagte im Zeitpunkt der Streitverkündung berechtigt davon ausgehen durfte, dass sich die Nebenintervenientin auf Seiten des Beklagten dem Rechtsstreit anschließen würde, um Ansprüche des Klägers in Grund und Höhe abzuwehren. Mit dem Umstand, dass der Beitritt letztlich in Verstoß gegen die Rücksichtsnahmepflichten aus dem Versicherungsverhältnis auf Seiten des Klägers erklärt wurde, musste der Beklagte nicht rechnen.
22
Die Voraussetzungen des § 66 ZPO für einen Streitbeitritt auf Seiten des Klägers sind damit nicht gegeben.