Titel:
Abgewiesene Klage im Streit um die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe
Normenketten:
SGB III § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
SGG § 193
Schlagworte:
Zeitpunkt, abschlagsfreie Rente, Beschäftigungsverhältnis, Ruhen des Anspruchs, richterlicher Hinweis
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 26.10.2021 – L 10 AL 154/20
BSG Kassel, Beschluss vom 11.04.2022 – B 11 AL 69/21 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 56868
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe in der Zeit vom 01.05.2020 bis 23.07.2020.
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Der 1957 geborene Kläger war bei der Fa. B. vom 20.05.1983 bis 30.04.2020 beschäftigt. Am 18.02.2014 schloss er mit der Arbeitgeberin eine Altersteilzeitvereinbarung. Die Altersteilzeit begann demnach am 01.05.2014. Die passive Phase endete am 30.04.2020.
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Am 04.02.2020 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 01.05.2020 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 07.04.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Alg. Für die Zeit vom 01.05.2020 bis 23.07.2020 traf die Beklagte zunächst keine Entscheidung. Mit Schreiben vom 14.04.2020 nahm der Kläger zu den Umständen der Arbeitsaufgabe Stellung. Auf das in der Verwaltungsakte befindliche Schreiben wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 16.04.2020, handschriftlich umdatiert auf den 23.04.2020, stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe in der Zeit vom 01.05.2020 bis 23.07.2020 sowie das Ruhen des Alg-Anspruchs fest. Zudem mindere sich der Anspruch um 180 Tage, was einem Viertel der Anspruchsdauer entspreche. Mit weiterem Bescheid vom 23.04.2020 bewilligte die Beklagte Alg ab 24.07.2020 in Höhe von 42,25 € täglich. In der Zeit vom 01.05.2020 bis 23.07.2020 wurde der Anspruch wegen der eingetretenen Sperrzeit auf 0,- € festgesetzt.
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Hiergegen legte der vormals Bevollmächtigte des Klägers am 18.05.2020 Widerspruch ein und verwies auf aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung keine Rentenauskunft eingeholt. Er habe am 04.02.2020 mitgeteilt, dass er erst zum 01.04.2021 ohne Abzüge in Rente gehen wolle. Er habe keine Aussicht auf eine Anschlussbeschäftigung gehabt. Ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Arbeitsaufgabe sei nicht erkennbar. Objektive Anhaltspunkte, dass der Kläger beabsichtigt habe, nahtlos nach der Freistellungsphase aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, lägen nicht vor. Der Kläger habe keine Rentenauskunft aus dem Jahr 2014 vorlegen können. Er habe die Sachlage vorab nicht abgeklärt. Mit Schreiben vom 14.04.2020 habe er selbst eingeräumt, dass er zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung der festen Überzeugung gewesen sei, dass er die Voraussetzungen für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erfülle. Im Rahmen einer Rentenberatung im Dezember 2019 sei er darauf aufmerksam gemacht worden, dass dies nicht der Fall sei und er eine Kürzung der Bezüge hinnehmen müsse. Da er im Jahr 2017 an Krebs erkrankt sei, habe er zur Verbesserung seiner finanziellen Situation Alg bis zum Renteneintritt beantragt. Die Rechtsprechung des BSG führe daher vorliegend nicht zu anderer Entscheidung, da der Kläger gerade nicht nachweisen könne, dass er bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung beabsichtigt habe, mit Abschlägen in Altersrente zu gehen.
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Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2020 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Er habe vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung eine aktuelle Renteninformation bei der Fa. B. vorlegen müssen. Der Kläger habe sich ausführlich mit der letzten Rentenauskunft vom 09.10.2012 auseinandergesetzt. Auf Seite 8 befänden sich Informationen für langjährig Versicherte. Hiernach sei der früheste Rentenbeginn mit Abschlag im Fall des Klägers der 01.05.2020 gewesen. Eine vorzeitige Inanspruchnahme hätte nach der Information zu einer Minderung von 10,5% geführt. Der Kläger habe aufgrund dieser Information beabsichtigt, unter Inkaufnahme von Abschlägen nach Ablauf der Altersteilzeit in Rente zu gehen. Eine andere Rente sei zum damaligen Zeitpunkt nicht in Betracht gekommen. Da der Kläger zwischenzeitlich aufgrund einer Krebserkrankung seit 11.03.2019 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 habe, habe er die Möglichkeit erhalten, abschlagsfreie Rente für schwerbehinderte Menschen mit Beginn des 01.04.2021 zu beantragen. Somit sei ein Sperrzeittatbestand unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht erfüllt. Der Kläger habe wie ausgeführt entgegen der Annahme der Beklagten vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung eine Rentenauskunft eingeholt. Mit der Klagebegründung wurde eine Rentenauskunft vom 09.10.2012 vorgelegt.
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Am 03.07.2020 ist ein richterlicher Hinweis an den Kläger ergangen. Die Vorsitzende hat hierin ausgeführt, der Kläger habe in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 14.04.2020 ausdrücklich erklärt, dass er bei Abschluss der Vereinbarung dem Irrtum unterlegen habe, nach Ende der Altersteilzeit abschlagsfrei in Rente gehen zu können. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger diesen Nachteil, hätte er ihn gekannt, in Kauf genommen hätte. Hierin liege ein Unterschied zu dem vom BSG entschiedenen Fall. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, aufgrund welcher Informationen der Kläger bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung im Februar 2014 davon ausgegangen sei, nach Ende der Altersteilzeit abschlagsfrei in Rente gehen zu können.
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Hierzu hat der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 06.07.2020 Stellung genommen. Maßgeblich für die Beantragung der Altersteilzeit sei eine zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Rentenauskunft gewesen. Der Kläger habe bereits am 03.05.2013 Altersteilzeit bei der Arbeitgeberin beantragt. Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme vom 14.04.2020 als Datum der Beantragung von Altersteilzeit „5/2012“ angegeben habe, handele es sich um einen Schreibfehler. Der Kläger habe frühestens zum 01.05.2014 eine Altersteilzeitvereinbarung abschließen können. Der Antrag habe ein Jahr vor Vollendung des 57. Lebensjahres gestellt werden müssen. Die Renteninformation vom 09.10.2012 sei daher aktuell gewesen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung sei der Kläger davon ausgegangen und habe in Kauf genommen, mit Abschlägen in Rente zu gehen. Der Kläger sei zwar auch davon ausgegangen, dass ihm neben den 37 Jahren Pflichtversicherung bei der Fa. B. noch 10 weitere Jahre wegen Beschäftigung einschließlich Ausbildung in Rumänien nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zuerkannt würden, was erst im Dezember 2019 habe geklärt werden können. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er vom ursprünglichen Plan, mit Abschlägen in Rente zu gehen, Abstand genommen. Der Kläger habe bis dahin geglaubt, er könne die Abschläge zumindest teilweise durch die Anerkennung von Fremdrententatbeständen kompensieren. Die entgegenstehenden Angaben in der Stellungnahme vom 14.04.2020 seien nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung bezogen. Der Kläger habe sich missverständlich ausgedrückt.
die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 23.04.2020 und Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 23.04.2020 sowie Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2020 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 01.05.2020 bis 23.07.2020 Arbeitslosengeld I in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt,
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Sperrzeit- und der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 23.04.2020, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2020 sind nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht das Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe in der Zeit vom 01.05.2020 bis 23.07.2020 sowie eine Anspruchsminderung um 180 Tage festgestellt.
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Gemäß § 159 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der maßgeblichen Fassung ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
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Die Voraussetzungen des o. g. Sperrzeittatbestandes sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat das Beschäftigungsverhältnis mit der Fa. B. durch Zustimmung zur Altersteilzeitvereinbarung ohne Aussicht auf eine Anschlussbeschäftigung gelöst und damit grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit verursacht.
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Zur Überzeugung der erkennenden Kammer hatte er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten. Unter Berücksichtigung der Überlegungen des Gesetzgebers zur Einführung der Altersteilzeit ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Fall des Abschlusses einer Altersteilzeitvereinbarung nur dann ein wichtiger Grund anzuerkennen, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt hatte, nach deren Ende nahtlos aus dem Arbeitsleben auszuscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 21.07.2009 - B 7 AL 6/08 R). Das Regelungsziel des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (vom 23.07.1996 (BGBl I, Seite 1078)) war, die Praxis der Frühverrentung durch eine sozialverträgliche Möglichkeit eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand (Altersteilzeitarbeit) abzulösen (BR-Drs 208/96, S. 1, 22) und eine Nahtlosigkeit zwischen Altersteilzeitbeschäftigung und Rentenbeginn unter Vermeidung des Zwischenschritts über die Arbeitslosigkeit und den Leistungsbezug zu erreichen (BR-Drs 208/96, S. 27), so dass einem Arbeitnehmer, der sich entsprechend dieser Gesetzesintention verhält, der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung dann aber nicht vorgeworfen werden kann, wenn nach der Altersteilzeit auch tatsächlich eine Rente beantragt werden sollte (vgl. BSG, a. a. O.). Die Beurteilung des künftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist dabei abhängig von der rentenrechtlichen Situation sowie davon, ob bzw. wie er diese unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Nachfragen bei sachkundigen Stellen eingeschätzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2017 - B 11 AL 25/16 R -, SozR 4-4300 § 159 Nr. 3). Eine rein subjektive Vorstellung des Klägers kann, weil der wichtige Grund objektiv vorliegen muss (BSG, Urteil vom 18.12.2003 - B 11 AL 35/03; Urteil vom 12.07.2006 - B 11a AL 55/05 R), nicht genügen.
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Vorliegend hatte zwar - vergleichbar mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2017 zu Grunde lag - der Kläger vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung eine Rentenauskunft bei der Arbeitgeberin vorgelegt, wonach er frühestens am 01.05.2020 mit einem Abschlag von 10,5% in Rente gehen konnte. Dies mag dem Kläger zum Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung auch bewusst gewesen sein. Wie der Kläger jedoch mit dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 06.07.2020 und seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung selbst einräumt, ging er zum Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung davon aus, dass ihm neben den 37 Jahren Pflichtversicherung bei der Fa. B. noch 10 weitere Jahre wegen Beschäftigung einschließlich Ausbildung in Rumänien nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zuerkannt würden, so dass er einen Teil des Abschlags kompensieren könne. Wie im Schreiben vom 06.07.2020 weiter ausgeführt wird, habe er vom ursprünglichen Plan, mit Abschlägen in Rente zu gehen, Abstand genommen, nachdem er im Dezember 2019 durch eine rentenrechtliche Beratung erfahren habe, dass eine Kompensation in dem vom Kläger vorgestellten Umfang nicht erfolgen könne. Insofern wurde durch den Kläger selbst eingeräumt, dass er seine rentenrechtliche Situation bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung falsch eingeschätzt hat, wobei er die Anerkennung von Fremdrententatbeständen vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung nicht bei einer sachkundigen Stelle hat klären lassen, was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre. Auch hat der Kläger selbst eingeräumt, dass er nach Klarheit über die tatsächliche rentenrechtliche Situation bei Inanspruchnahme der Rente ab 01.05.2020 von seinem Plan abgerückt sei, vorzeitig Rente zu beantragen. Dies lässt vermuten, dass der Kläger, hätte er bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung die tatsächliche rentenrechtliche Situation zum Ende der Altersteilzeit gekannt, die Vereinbarung nicht abgeschlossen hätte. Jedenfalls sind keine objektivierbaren Anhaltspunkte gegeben, dass der Kläger in Kenntnis der tatsächlichen rentenrechtlichen Situation beabsichtigt hätte, mit den bekannten Abschlägen in Rente zu gehen.
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Den Beginn der Sperrzeit hat die Beklagte zutreffend festgestellt. Die Sperrzeit beginnt nach § 159 Abs. 2 Satz 1 SGB III mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet hat. Die Sperrzeit beginnt vorliegend erst mit dem Ende der Freistellungsphase, somit ab dem 01.05.2020, da maßgebliches Ereignis der Eintritt der Beschäftigungslosigkeit ist.
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Die Dauer der Sperrzeit beträgt gemäß § 159 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III zwölf Wochen. Gründe, die die Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b) SGB III und damit eine Verkürzung der Sperrzeit auf sechs Wochen rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.
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Die Minderung der Anspruchsdauer um 180 Tage folgt aus § 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III. Der Tag des Ereignisses, das die Sperrzeit begründet, ist dabei nicht der Tag des Abschlusses des Altersteilzeitvertrages, sondern der Tag des Eintrittes der Beschäftigungslosigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 21.07.2009, a. a. O. m. w. N.). Die Voraussetzungen des § 148 Abs. 2 Satz 2 SGB III, der das Entfallen der Anspruchsminderung vorsieht, wenn das sperrzeitbegründende Ereignis bei Erfüllung des Anspruchs auf Alg länger als ein Jahr zurückliegt, liegen somit nicht vor.
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Die Klage war aus o. g. Gründen abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.