Titel:
Willkürliche Verweisung bei gegebener Teilzuständigkeit
Normenkette:
ZPO § 29, § 281 Abs. 1
Leitsätze:
Zur Willkür bei Teilzuständigkeit des gemäß § 281 Abs. 1 ZPO verweisenden Gerichts. (Rn. 25)
1. Bei Bauverträgen ist der Ort des Bauvorhabens einheitlicher Leistungsort auch für die Zahlungsansprüche des Unternehmers gegen den Besteller, so dass das Gericht am Ort des Bauvorhabens auch für die entsprechende Werklohnklage örtlich zuständig ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht eine Teilzuständigkeit, kann die vollständige Verweisung an ein anderes Gericht gemäß § 281 Abs.1 ZPO willkürlich sein. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeit, Verweisung, Willkür, Erfüllungsort
Fundstelle:
BeckRS 2020, 5679
Tenor
Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau vom 28. November 2019 ist nicht bindend.
Die Sache wird an das Landgericht Passau zurückgegeben.
Gründe
1
Die Klägerinnen sind Werkunternehmerinnen. Mit ihrer zum Landgericht Passau erhobenen Klage macht die Klägerin zu 1) gegen den Beklagten eine Werklohnforderung im Zusammenhang mit der Behebung eines Wasserschadens an einem Gebäude der Universität in Passau geltend. Die Klägerin zu 2) begehrt von dem Beklagten die Bezahlung restlichen Werklohns für die Erbringung von Sanitärarbeiten an einem Gebäude der Technischen Hochschule in Deggendorf. Der Beklagte ist der F.; er wird im Rechtsstreit durch das L. vertreten.
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Die Klägerin zu 1) bringt vor, sie sei von dem Beklagten mit der Erbringung von Lüftungsarbeiten im Rahmen eines Bauvorhabens an der Universität in Passau beauftragt worden. Als geforderte Werkleistung sei auch eine Osmoseanlage zu errichten gewesen. Mit der Erstellung der Sanitäranlagen sei vom Beklagten ein anderes Unternehmen beauftragt worden; dieses habe die von ihr montierte Osmoseanlage an Kaltwasserleitungen angeschlossen, die teilweise noch im Altbestand des Beklagten vorhanden gewesen seien. Nach Abnahme der Leistungen im Jahr 2015 sei im März 2016 der Deckel des Modulgehäuses der Osmoseanlage gebrochen, so dass erhebliche Mengen Wasser ausgetreten seien. Für den Schaden sei sie nicht verantwortlich. Sie habe an der Schadensbeseitigung mitgewirkt, indem sie die Lüftungsanlage repariert habe. Diese Leistungen habe sie dem Beklagten erfolglos mit 10.514,76 € in Rechnung gestellt, so dass Klage geboten sei. Für die Beseitigung des Wasserschadens durch Drittunternehmer seien dem Beklagten Kosten in Höhe von 17.439,64 € entstanden, für deren Begleichung sie nicht einzustehen habe. Bei den ausgeführten Leistungen handele es sich nicht um die Beseitigung eines Mangelfolgeschadens, sondern um vergütungspflichtige Werkleistungen.
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Die Klägerin zu 2) macht geltend, sie sei vom Beklagten mit der Erbringung von Sanitärarbeiten im Rahmen des Bauvorhabens an der Hochschule in Deggendorf beauftragt worden. Die Prüfung ihrer Schlussrechnung durch den Beklagten habe einen Freigabebetrag von 39.165,77 € ergeben, den sie akzeptiert habe. Gegen ihre Werklohnforderung habe der Beklagte mit Schreiben vom 1. Dezember 2017 unberechtigt die Aufrechnung mit den Kosten für die Behebung des Wasserschadens durch die Drittunternehmer an dem Objekt in Passau in Höhe von 17.439,64 € erklärt. Gegenseitigkeit der Forderungen im Sinne des § 387 BGB liege nicht vor. Der Wasserschaden sei zudem nicht von der Klägerin zu 1) verschuldet worden.
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Nach Zustellung der Klage hat das Landgericht Passau den Parteien mit Verfügung vom 31. Oktober 2019 mitgeteilt, dass es für die Baustelle in Deggendorf auf keinen Fall zuständig sei. Der Sitz des Landesamts für Finanzen sei Regensburg, gegen dieses richte sich die Klage. Dies wäre auch der gemeinsame Gerichtsstand für alle Ansprüche. Im Übrigen handele es sich bei den Klägerinnen um verschiedene Parteien mit verschiedenen Ansprüchen aus verschiedenen Bauverträgen, so dass auch hier eine gemeinsame Verhandlung nicht möglich sei. Die Klägerseite möge Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Regensburg beantragen, hier sei das dortige Gericht zweifelsfrei für sämtliche Ansprüche zuständig.
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Mit Schriftsatz vom 13. November 2019 haben die Klägerinnen Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Regensburg beantragt.
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Mit Schriftsatz vom 26. November 2019 hat der Beklagte erklärt, dass gegen den Verweisungsantrag keine Bedenken bestünden.
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Mit Verfügung vom 27. November 2019 hat das Landgericht Passau die Frist zur Klageerwiderung für den Beklagten bis 16. Dezember 2019 verlängert.
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Mit Beschluss vom 28. November 2019 hat das Landgericht Passau das Verfahren an das Landgericht Regensburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Landesamt für Finanzen habe seinen Sitz in Regensburg, es gehe um reine Zahlungsklagen. Nur die Baustelle der Universität Passau wäre im Bezirk des Landgerichts Passau gelegen gewesen.
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Das Landgericht Regensburg hat den Parteien mit Verfügung vom 9. Dezember 2019 mitgeteilt, dass es sich an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau nicht gebunden fühle. Die für eine Verweisung nach § 281 Abs. 1 ZPO notwendige örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Passau liege in Bezug auf die streitgegenständliche Werklohnforderung für das dortige Bauvorhaben gerade nicht vor.
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Mit der Klageerwiderung vom 12. Dezember 2019 hat der Beklagte geltend gemacht, der Auftrag für das Gewerk „Lüftungsarbeiten“ in Passau sei nicht der Klägerin zu 1), sondern der Klägerin zu 2) erteilt worden. Er hat zudem hilfsweise für den Fall, dass das Gericht von einer Unwirksamkeit der Aufrechnung aufgrund fehlender Parteiidentität hinsichtlich der streitgegenständlichen 17.439,64 € betreffend den Klageantrag der Klägerin zu 2) ausgehen sollte, Widerklage erhoben mit dem Antrag, die Klägerin zu 1) zu verurteilen, an ihn 17.439,64 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Mit Schriftsätzen vom 9. Januar 2020 und 4. Februar 2020 haben die Parteien mitgeteilt, dass sie beabsichtigten, eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen. In ihrem Schriftsatz vom 4. Februar 2020 haben die Klägerinnen zudem ausgeführt, sie präferierten, das Verfahren vor dem Landgericht Regensburg durchzuführen, das ohnehin gemäß § 18 ZPO zuständig sei, während der Beklagte auf einer Vereinbarung des Gerichtsstands Passau bestehe.
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Mit Beschluss vom 5. Februar 2020 hat das Landgericht Regensburg den Rechtsstreit an das Landgericht Passau zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verweisungsbeschluss sei nicht bindend, da er unter Missachtung der unzweifelhaft vorliegenden örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Passau für die streitgegenständliche Forderung aus dem Bauvorhaben an der dortigen Universität ergangen sei, § 29 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Verweisung aufgrund Unzuständigkeit nach § 281 Abs. 1 ZPO lägen damit hinsichtlich dieses Streitgegenstands nicht vor. Dem unter Missachtung einer eindeutig vorliegenden eigenen Zuständigkeit ergehenden Verweisungsbeschluss komme keine Bindungswirkung zu.
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Das Landgericht Passau hat daraufhin das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Es führt aus, für die beim Objekt Universität Passau ausgeführten Arbeiten sei das Landgericht Passau gemäß § 29 ZPO zuständig. Als gemeinsamer Erfüllungsort bei Bauverträgen gelte nach ständiger Rechtsprechung der Ort des Bauvorhabens. Insoweit sei der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau falsch. Für die Arbeiten, die an der Hochschule Deggendorf ausgeführt worden seien, liege die Zuständigkeit nach § 29 ZPO im Landgerichtsbezirk Deggendorf, da der Sitz der beauftragenden Behörde keine eigene Zuständigkeit begründe. Ein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs existiere nicht. Insoweit sei der Verweisungsbeschluss richtig gewesen; die Klägerinnen hätten mit ihrem Verweisungsantrag an das Landgericht Regensburg ihr Wahlrecht, die Verweisung an ein zuständiges Gericht (hier: Deggendorf oder Regensburg) beantragen zu können, ausgeübt. Beide Verweisungsbeschlüsse, sowohl der des Landgerichts Passau, wie auch der des Landgerichts Regensburg beschäftigten sich lediglich mit der Zuständigkeit des Empfangsgerichts, nicht jedoch mit der eigenen Zuständigkeit, so dass die Voraussetzungen der fehlenden Bindungswirkung vorlägen, wie es zuletzt das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 13. März 2019, 34 AR 166/18) entschieden habe. Im Hinblick darauf akzeptiere das Landgericht Passau die Zurückverweisung durch Beschluss des Landgerichts Regensburg, soweit streitgegenständlich die Arbeiten am Bauvorhaben in Passau seien, obgleich bei richtigem Vorgehen das Landgericht Regensburg insgesamt den Vorgang dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung hätte vorlegen müssen. Hinsichtlich des Bauvorhabens in Deggendorf ergebe sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Zuständigkeit des Landgerichts Passau. Der mit der Klage unterbreitete Sachverhalt sei vielmehr von verschiedenen Gerichten zu entscheiden. Eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO scheide, abgesehen davon, dass eine solche nicht beantragt sei, aus, weil beim Landgericht Regensburg ein gemeinsamer Gerichtsstand bestanden habe. Mit der Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Regensburg sei der Sachverhalt „TH Deggendorf“ beim zuständigen Gericht rechtshängig geworden. Eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung könne daher an dieser eingetretenen Rechtshängigkeit nichts mehr ändern.
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Im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren bringen die Klägerinnen vor, das Landgericht Regensburg sei für die Werklohnklage insgesamt zuständig. Die Klägerinnen verklagten den Beklagten gemeinsam. Die Geltendmachung der Werklohnansprüche der Klägerin zu 1) sowie der Klägerin zu 2) in einer gemeinsamen Klage sei zulässig. Die Klägerinnen seien Streitgenossinnen im Sinne des § 60 ZPO. Der innere Zusammenhang werde vorliegend durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung mit einer nicht existenten Forderung aus dem Bauvorhaben Passau wegen der Kosten für die Behebung des Wasserschadens gegen die Forderung der Klägerin zu 2) aus dem Bauvorhaben in Deggendorf herbeigeführt. Darüber hinaus begründe auch die Gefahr widerstreitender Entscheidungen durch verschiedene Gerichte einen inneren Zusammenhang, der die Verbindung der Geltendmachung beider Ansprüche in einem Verfahren zulässig mache. Der Beklagte habe daher gemeinsam an seinem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen. Daran ändere auch der besondere Gerichtsstand des § 29 ZPO nichts. Erfüllungsort bei Geldschulden sei der Sitz des Schuldners. Da ein ausschließlicher Gerichtsstand nicht vorliege, stehe den Klägerinnen zudem gemeinsam ein Wahlrecht unter mehreren zuständigen Gerichten gemäß § 35 ZPO zu. Die Klägerinnen hätten durch den Verweisungsantrag sowie den Schriftsatz vom 4. Februar 2020 klar zum Ausdruck gebracht, das Verfahren vor dem Landgericht Regensburg durchführen zu wollen. Aus den genannten Gründen sei das Landgericht Regensburg als zuständiges Gericht zu bestimmen.
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Der Beklagte weist darauf hin, dass für den Fall, dass das Bayerische Oberste Landesgericht die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung als gegeben ansehe, sich die eigentlichen inhaltlichen Streitigkeiten der Parteien auf das Bauvorhaben in Passau bezögen, womit sich auch die mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2019 eingereichte Widerklage gegen die Klägerin zu 1) befasse. Aus diesem Grund erscheine eine Befassung des Landgerichts Passau, welches bezüglich dieses Sachverhalts in jedem Fall sachlich und örtlich zuständig sei, sinnvoll.
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Auf die zulässige Vorlage des Landgerichts Passau ist auszusprechen, dass der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau vom 28. November 2019 keine Bindungswirkung entfaltet (dazu 2.). Die Sache ist ohne Bestimmungsentscheidung an das Ausgangsgericht zur weiteren Behandlung und Zuständigkeitsprüfung zurückzugeben, denn die Voraussetzungen für die Bestimmung eines für den Rechtsstreit insgesamt zuständigen Gerichts liegen derzeit nicht vor (dazu 3.).
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1. Das Gesuch des vorlegenden Gerichts um eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht ist zulässig.
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a) Das Landgericht Passau hat sich nach Rechtshängigkeit der Streitsache durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 28. November 2019 für unzuständig erklärt, das Landgericht Regensburg durch den die Übernahme ablehnenden Beschluss vom 5. Februar 2020. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 34 f. m. w. N.).
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b) Die Ausführungen des Landgerichts Passau im Vorlagebeschluss, dass es die Zurückverweisung durch Beschluss des Landgerichts Regensburg, soweit streitgegenständlich die Arbeiten am Bauvorhaben in Passau seien, akzeptiere, ändern daran nichts. Das verweisende Gericht kann seinen Beschluss selbst dann nicht ändern, wenn es nachträglich dessen Unrichtigkeit erkennt (BayObLG, Beschluss vom 19. Dezember 2019, 1 AR 136/19, nicht veröffentlicht; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16; Thole in Stein/Jonas, 23. Aufl. 2018, § 281 Rn. 33). Dementsprechend lautet der Tenor des Vorlagebeschlusses dahin, dass „das Verfahren“ dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt werde.
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c) Zuständig für die Entscheidung ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zum Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher bayerischer Oberlandesgerichte (München und Nürnberg) gehören.
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2. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau entfaltet ausnahmsweise keine Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
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a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
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b) Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keinerlei Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).
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Als willkürlich zu werten ist es insbesondere, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, etwa weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder nicht zur Kenntnis nimmt (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011, X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 18. April 2002, 1Z AR 36/02, NJW-RR 2002, 1295 [Leitsatz 2 und Rn. 8 bei juris]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 17).
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c) Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau als objektiv willkürlich zu werten. Er ist dahin auszulegen, dass das verweisende Gericht noch zutreffend davon ausgegangen ist, im Hinblick auf die von der Klägerin zu 1) geltend gemachte Forderung nach § 29 Abs. 1 ZPO zuständig zu sein, und die Verweisung dennoch für den gesamten Rechtsstreit mit Blick auf die daneben bestehende Zuständigkeit des Landgerichts Regensburg nach § 18 ZPO, § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 VertrV ausgesprochen hat, ohne zu beachten, dass die Klägerin zu 1) gemäß § 35 ZPO an ihre mit der Klageerhebung getroffene Wahl des insoweit zuständigen Landgerichts Passau gebunden ist.
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Nach § 29 Abs. 1 ZPO ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Bei Bauverträgen ist der Ort des Bauvorhabens einheitlicher Leistungsort auch für die Zahlungsansprüche des Unternehmers gegen den Besteller (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010, Xa ARZ 14/10, NJW-RR 2010, 891 Rn. 8; Urt. v. 25. Februar 1999, VII ZR 408/97, NJW 1999, 2442, juris Rn. 17; Beschluss vom 5. Dezember 1985, I ARZ 737/85, NJW 1986, 935, juris Rn. 5; BayObLG, Beschluss vom 10. November 2003, 1Z AR 129/03, juris, dort Rn. 7), so dass das Gericht am Ort des Bauvorhabens auch für die entsprechende Werklohnklage örtlich zuständig ist. Im Streitfall ist der Vertrag, auf den sich die Werklohnklage der Klägerin zu 1) stützt, nach dem Sach- und Streitstand als Bauvertrag anzusehen.
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Diesem Verständnis steht nicht entgegen, dass das Landgericht Passau im Verweisungsbeschluss davon spricht, dass es um „reine Zahlungsklagen“ gehe und nur „die Baustelle“ der Universität Passau „im hiesigen Bezirk gelegen gewesen“ „wäre“. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Passau ist im Lichte des vorangegangenen Hinweises vom 31. Oktober 2019 auszulegen. Dort wird ausgeführt, dass das Landgericht Passau für die Baustelle in Deggendorf auf keinen Fall zuständig sei, woraus zu schließen war, dass das Landgericht Passau hinsichtlich der von der Klägerin zu 1) geltend gemachten Ansprüche - das Landgericht Passau spricht in seiner Hinweisverfügung hinsichtlich der Klageforderung der Klägerin zu 1) ausdrücklich von einem Anspruch aus einem Bauvertrag - seine Zuständigkeit als gegeben betrachtete. Das Landgericht Passau hat der Klageseite überdies die Stellung eines Verweisungsantrags an das Landgericht Regensburg nahelegt, da dieses Gericht „für sämtliche Ansprüche“ zuständig sei. Aus der Sicht eines unvoreingenommenen Lesers wurde damit im Verweisungsbeschluss zum Ausdruck gebracht, dass hinsichtlich der Klage der Klägerin zu 1) an sich eine Zuständigkeit nach § 29 Abs. 1 ZPO am Ort des Bauvorhabens in Passau anzunehmen sei; weder hat das Landgericht Passau - in Unkenntnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Erfüllungsort bei Bauverträgen - lediglich rechtsfehlerhaft angenommen, der Erfüllungsort für die Zahlungsansprüche der Klägerin liege am Sitz der Schuldnerin zum Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden Bauvertrags, § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB, noch ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss, dass das Landgericht Passau bloß rechtsirrtümlich angenommen hätte, den Ansprüchen der Klägerin zu 1) im Zusammenhang mit der Behebung des Wasserschadens an der Universität Passau liege kein Bauvertrag zugrunde.
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d) Dadurch, dass das angegangene Gericht den Rechtsstreit dann aber insgesamt an das Landgericht Regensburg verwiesen hat, hat es sich über seine Zuständigkeit für den Anspruch der Klägerin zu 1) willkürlich hinweggesetzt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 152/19, juris Rn. 18; OLG Hamm, Beschluss vom 23. Mai 2018, 32 SA 9/18, juris Rn. 15; Beschluss vom 19. April 2017, 32 SA 12/17, juris Rn. 11). Das Verhältnis zwischen Verweisung nach § 281 ZPO und Trennung nach § 145 ZPO unterliegt nicht der Disposition der Klagepartei. Liegen die Voraussetzungen der Verweisung (z. B. die örtliche Unzuständigkeit) nur für einen von mehreren prozessualen Ansprüchen vor, muss - wenn die Voraussetzungen für die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht gegeben sind - erst die Trennung angeordnet werden, bevor die Verweisung des abgetrennten Teils ausgesprochen werden kann (Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 145 Rn. 9), es sei denn eine Trennung ist z. B. wegen notwendiger Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) unzulässig (Althammer, a. a. O., Rn. 10). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor; die Klägerinnen sind nur einfache Streitgenossinnen; die von der Beklagten vorprozessual mit Ansprüchen aus der Beseitigung des Wasserschadens am Bauobjekt in Passau erklärte Aufrechnung gegen die Werklohnforderung der Klägerin zu 2) ändert daran nichts. Das Erfordernis der Trennung hat das Landgericht Passau bereits in seinem Hinweis vom 31. Oktober 2019 nicht beachtet. Die Verweisung des gesamten Rechtsstreits trotz angenommener Zuständigkeit für die Klage der einen klägerischen Streitgenossin entbehrt erst recht jeder gesetzlichen Grundlage. Als Teilverweisung kann der Beschluss des Landgerichts Passau nicht verstanden werden.
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3. Für die weitere Prüfung der Zuständigkeit hinsichtlich des von der Klägerin zu 2) gestellten Klageantrags weist der Senat auf Folgendes hin:
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Das Landgericht Passau ist nicht durch den rückverweisenden Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 5. Februar 2020 für den Rechtsstreit insgesamt zuständig geworden. Es kann offenbleiben, unter welchen Voraussetzungen eine Rückverweisung ausnahmsweise zulässig ist und dann ihrerseits nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO binden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1995, XII ARZ 36/94, FamRZ 1995, 792 [juris Rn. 5] und 6. Oktober 1993, XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126 [juris Rn. 7]; Beschluss vom 17. Mai 1989, I ARZ 254/89, NJW 1990, 53 [juris Rn. 8]; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Juni 2012, 32 SA 38/12, NJW-RR 2012, 1464 Rn. 15 und 19; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 281 Rn. 13; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 19). Denn jedenfalls ist der Rückverweisungsbeschluss des Landgerichts Regensburg bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich. Das Landgericht Passau ist für die Klage der Klägerin zu 2) ersichtlich nicht zuständig.
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Da der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand nach § 18 ZPO nicht im Bezirk des Landgerichts Passau hat, kommt eine Teilverweisung in Betracht, falls der Beklagte sich nicht beim Landgericht Passau rügelos einlässt (§ 39 ZPO) und die Klägerin zu 2) einen entsprechenden Antrag stellt. Der mit Schriftsatz der Klägerinnen vom 13. November 2019 gestellte Antrag auf Verweisung an das Landgericht Regensburg kann bereits deswegen nicht (auch) als ein (hilfsweise gestellter) Antrag auf Teilverweisung nur hinsichtlich des prozessualen Anspruchs der Klägerin zu 2) behandelt werden, weil er auf dem fehlerhaften Hinweis des Landgerichts Passau dahin, dass ein Antrag auf Verweisung des gesamten Rechtsstreits an das Landgericht Regensburg erforderlich sei, beruht. Auch die Frage, an welches Gericht der Rechtsstreit hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin zu 2) zu verweisen ist, bedürfte nochmaliger Prüfung (vgl. zur Aufklärungspflicht des Gerichts bei einem Antrag, an ein bestimmtes Gericht zu verweisen: Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 281 Rn. 26), denn es ist auch eine Zuständigkeit des Landgerichts Deggendorf eröffnet, § 29 Abs. 1, § 35 ZPO.
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Zwar ist die Vereinbarung eines Gerichtsstands durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 Abs. 1 ZPO grundsätzlich möglich. Sie berührt aber gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nach erfolgter Zustellung der Klage eine einmal bestehende Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung nicht (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2010, Xa ARZ 14/10, NJW-RR 2010, 891 Rn. 9 m. w. N.; Beschluss vom 16. November 1962, III ARZ 123/62, NJW 1963, 585; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 261 Rn. 16 und § 38 Rn. 17a; Greger in Zöller, ZPO, § 261 Rn. 12) und wäre daher nur hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin zu 2) wirksam (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, 35. Ed. Stand: 1. Januar 2020, § 38 Rn. 37).