Titel:
Auslegung der Vertragslaufzeit eines Handelsvertretervertrages
Normenkette:
HGB § 84, § 89a Abs. 1
Leitsätze:
1. Wird im Rahmen einer Vertragsänderung eines Dauerschuldverhältnisses ein fixes Enddatum des Vertrages vereinbart, so spricht dies gegen die Weitergeltung der im ursprünglichen Vertrag vereinbarten Kündigungsfrist. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu der Frage, welches Verhalten die außerordentliche Kündigung eines Handelsvertretervertrages rechtfertigen kann. (Rn. 29 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Handelsvertreter, Vertragsdauer, außerordentliche Kündigung, Dauer, Alleinvertriebsrecht, Pflichtverletzung, Teilurteil, Formfehler
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 06.04.2022 – 7 U 2746/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 56345
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis auf Basis des „Internationalen Agenturvertrages“ vom 15.12.2009 nebst den hier zu vereinbarten Nachträgen vom 28.09.2010 und 18.12.2017 sowie 20.06.2019 bis zum Ablauf des 31.12.2020 mit der Maßgabe fortbesteht, dass die Beklagte neben der Klägerin keine weiteren Vertriebsvermittler für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bestellen darf.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
1
Zwischen den Parteien wurde am 15.12.2009 ein sog. „Internationaler Agenturvertrag“ geschlossen. In diesem heißt es u.a.:
„1.1. Der Geschäftsherr (die Beklagte) beauftragt den Agenten (die Klägerin), der den Auftrag annimmt, als sein Handelsvertreter den Verkauf der in Anlage I, § 1 angegebenen Produkte … in der in Anlage I § 2 angegebenen Zone … an die in Anlage II genauer angegebenen Kunden … zu fördern.
3.6. Für Kunden, die keine ausländische Rechnungsstellung akzeptieren, tritt der Agent … als Rechnungssteller und Lieferant auf.
5.1. Der Agent verpflichtet sich, während der gesamten Dauer dieses Vertrags, keinerlei Konkurrenzprodukte ohne vorheriges schriftliches Einverständnis des Geschäftsherren zu vertreten, herzustellen oder zu verteilen.
10.3. Das Recht des Agenten, die Marken, Namen oder Kennzeichen des Geschäftsherren, wie unter dem 1. Punkt des vorliegenden Artikels vorgesehen zu verwenden, verfällt mit sofortiger Wirkung beim Ablauf oder bei der Auflösung, aus welchem Grund auch immer dieses Vertrages.
12.1. Der Geschäftsherr verpflichtet sich, während der gesamten Dauer dieses Vertrags, ohne Absprache mit dem Agenten, keinem Dritten das Recht zu gewähren, die Produkte zu vertreten oder zu verkaufen.
17.1. Der vorliegende Vertrag ist unbefristet und tritt am 01.10.2009 in Kraft.
17.2. Der Vertrag kann von beiden Seiten im ersten Jahr mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten gekündigt werden. Ab dem zweiten Jahr gilt eine Kündigungsfrist von 6 Monaten.
19.1. Im Fall von wesentlicher Nichterfüllung der Gegenpartei oder aus außerordentlichen Gründen, die eine vorzeitige Auflösung rechtfertigen, kann jede der Parteien diesen Vertrag mit sofortiger Wirkung durch eine schriftliche Mitteilung an die Gegenpartei, die auf eine Weise erfolgen muss, die die den Beleg und das Datum des Erhalts der Mitteilung gewährleistet (z.B. Einschreibebrief mit Rückschein, Telex, Eilbote) auflösen.
19.3. Die Parteien vereinbaren, dass jede Verletzung der vertraglichen Pflichten immer dann als wesentliche Nichterfüllung betrachtet werden kann, wenn sie trotz der Forderung der Gegenpartei auf Erfüllung wiederholt wird.
22.1. Evtl. Änderungen oder Ergänzungen des vorliegenden Vertrages sind nur dann gültig, wenn sie schriftlich festgehalten werden."
2
In der Anlage I wurde im § 2 als Verkaufsgebiet „Deutschland“ festgelegt. (vgl. Anlage K 1).
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Am 18.12.2017 schlossen die Parteien folgende Vertragsänderung (vgl. näher Anlage K 2):
„17.1 Der vorliegende Vertrag tritt am 01.10.20019 (sic) in Kraft und endet am 31.12.2020; die Parteien werden sich bis zum 30.06.2020 treffen, um die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu besprechen. Sollte dieses Treffen nicht zeitgerecht durchgeführt werden, verlängert sich der Vertrag auf unbestimmte Zeit.“
„All the other contractual provisions are unchanged and will remain in force.“
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Unter dem 31.07.2019 kündigte mit englichsprachiger Erklärung die Beklagte den Internationalen Agenturvertrag mit Wirkung zum 1. Februar 2020.
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Am 11.11.2019 übersandte die Beklagte eine Abmahnung an die Klägerin (vgl. Anlage B 21), weil die Klägerin durch ihren Geschäftsführer nicht an einem Verkaufsmeeting der Beklagten mit dem Kunden … am 5.11.2019 als Teilnehmer kam, sondern viel mehr das Treffen selbständig ohne den zuständigen Exportmanager der Beklagten abgehalten habe. Am 18.12.2019 wandte sich der spätere Klägervertreter an die anwaltliche Seite der Beklagten und forderte auf, bis spätestens 8.01.2020 16.00 Uhr sich zu verpflichten, es zu unterlassen, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland der … Norderstedt oder Dritten den Vertrieb der Produkte der Beklagten zu übertragen.
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Am 18.12.2019 fand ein weiteres Meeting bei der Kundin der Klägerin, der … statt unter Beteiligung des Geschäftsführers der Klägerin bezüglich dessen die Beklagte der Klägerseite ein Fehlverhalten vorwirft.
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Aus diesem Grund kündigte die Beklagtenseite der Klägerseite mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.12.2019 außerordentlich das Vertragsverhältnis durch Übersendung eines anwaltlichen Schreibens, dem die außerordentliche Kündigung der Beklagten auf anwaltlichem Briefpapier, unterzeichnet vom Beklagtenvertreter … übermittelt wurde. Bezüglich der Gründe wird auf die Anlage B 25 insoweit Bezug genommen.
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Die Klägerseite ist der Ansicht, dass das Agenturverhältnis zwischen den Parteien weder durch die ordentliche, noch durch die außerordentliche Kündigung beendet worden ist, sondern noch bis zum 31.12.2020 läuft.
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Die Klägerin beantragte daher zuletzt,
soweit für das Teilurteil maßgeblich.
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Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis auf Basis des „Internationalen Agenturvertrages“ vom 15.12.2009 nebst den hier zu vereinbarten Nachträgen vom 28.09.2010 und 18.12.2017 sowie 20.06.2019 bis zum Ablauf des 31.12.2020 mit der Maßgabe fortbesteht, dass die Beklagte neben der Klägerin keine weiteren Vertriebsvermittler für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bestellen darf.
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Die Beklagtenseite beantragt
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Sie ist der Ansicht, dass die Vertragsänderung vom 18.12.2017 die 6-monatige befristete Kündigungsmöglichkeiten nach § 17.2 Satz 2 fortgelten würde, weil insoweit die anderen Regelungen des Vertrags Anlage K 2 „unchanged“ in Geltung geblieben seien.
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Im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage war im ausgeurteilten Teil voll erfolgreich.
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Der Vertrag zwischen den Parteien ist weder durch die ordentliche Kündigung vom 31.07.2019 noch durch die außerordentliche Kündigung vom 27.12.2019 beendet worden.
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1. Der Beklagtenseite waren keine Schriftsatzfristen mehr zu gewähren, soweit für das Teilurteil maßgeblich, da die weiteren Schriftsätze der Klägerseite insoweit keinen neuen über den in der Verhandlung oder zwischen den Parteien unstreitigen Papieren und Inhalt der Vertragsklauseln Streit bestand, viel mehr bestehen die Divergenzen insoweit lediglich in rechtlicher Hinsicht.
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2. Einer ordentlichen Kündigung am 31.07.2019 stand entgegen die Nachtragsregelung vom 18.12.2017. Dort wurde eine Fixlaufzeit bis jedenfalls 31.12.2020 zwischen den Parteien festgeschrieben und vereinbart. Der Ansicht der Beklagtenseite, dass die ordentliche Kündigung binnen 6 Monaten weiterhin aus der Ziffer 17.2 fortgelte, kann nicht gefolgt werden.
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Zum einen spricht schon die klare Aussage, dass der Vertrag bis Ende 2020 andauern solle, rein vom Wortlaut her gegen eine Fortgeltung dieser 6-monatigen Kündigungsmöglichkeit.
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Dies wird noch deutlich unterstrichen dadurch, dass die Parteien eine Pflicht zur Verhandlung bis zum 30.06.2020 fest schrieben und auch dabei regelten, dass wenn es bis zum 30.06.2020 nicht zu einem solchen Besprechungstermin gekommen sei, der Vertrag sich auf unbestimmte Zeit verlängern würde.
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Nur in diesem Zusammenhang macht die Fortgeltung der 6-monatigen Kündigungsmöglichkeit Sinn, eben zeitlich nachgelagerten nach dem 31.12.2020.
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Insoweit weist das Gericht auch darauf hin, dass eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit mutmaßlich erst zum 30.06.2021 möglich ist, weil zuvor die Festlaufzeit des Vertrages bis zum 31.12.2020 gilt.
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Da die Klägerseite jedoch den Feststellungsantrag nur bis zum 31.12.2020 stellte, kann gem. § 308 ZPO hierüber nicht weiter entschieden werden.
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3. Der Vertrag ist auch nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagtenseite vom 27.12.2019 beendet worden.
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a) Die außerordentliche Kündigung durch den anwaltlichen Vertreter der Beklagten … (vgl. Anlage B 25) war bereits formunwirksam.
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Der zwischen den Parteien geltende Vertrag Anlage K 1 enthielt in Ziffer 19.1 eine Formvorschrift für den Ausspruch außerordentliche Kündigungen „die auf eine Weise erfolgen muss, die den Beleg und das Datum des Erhalts der Mitteilung gewährleistet“ (so die Klausel 19.1).
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Die anwaltliche Erklärung wurde zum einen übersandt per Telefax gemäß der Kopie Anlage B 25 und dann, da kein weiterer Vermerk erkennbar ist, durch normale Post. Soweit die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung behauptet, dass Botenüberbringung unstreitig zwischen den Parteien sei, ist schon ein solcher Sachvortrag der Beklagten in den bisherigen Schriftsätzen nicht zu entnehmen. Die Klägerseite äußerte sich im Schriftsatz vom 11.02.2020 nicht zu den Modalitäten des Empfangs dieser außerordentlichen Kündigung. Die Beklagte äußerte sich zur Form der außerordentlichen Kündigung in ihrer Klageerwiderung gemäß Bl. 29 und 30 des Schriftsatzes vom 14.02.2020 nicht näher zu den Modalitäten der außerordenltichen Kündigung, sondern verwies nur auf den Text der außerordentlichen Kündigung Anlage B 25 vom 27.12.2019, die am selben Tag der Klägerin zugegangen sei.
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Weiter äußert die Klägerseite auf Bl. 59 der Akte unten (S. 30 der Klageerwiderung), dass die außerordentliche Kündigung der Klägerin per E-Mail am selben Tag zugegangen sei. Eine solche Form der außerordentlichen Kündigungserklärung verstößt gegen die zwischen den Parteien hierfür geltende Formvorschrift des § 19 Ziffer 2 des Agenturvertrags Anlage K 1, weil eben Weg und Datum des Erhalts nicht beweissicher festgehalten werden. Ein Vortrag der Beklagten oder der Klägerseite, dass per Boten der Klägerseite die Kündigung zugegangen sei, war schriftsätzlich entgegen der Behauptung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.
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b) Die außerordentliche Kündigung wäre im übrigen auch inhaltlich unwirksam.
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Sie stützt sich auf ein angeblich geschäftsschädigendes Verhalten des Geschäftsführers der Klägerin während des Meetings mit dem Kunden … am 18.12.2019.
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Dabei habe sich die Klägerin nicht eingebracht, sondern unbeteiligt gegeben, habe zu Boden geschaut, die Fingernägel gereinigt und gerülpst. Neue Produkte und Konzepte, die die Beklagtenseite vorstellte, hätte die Klägerseite nicht unterstützt, sondern Zweifel gesät. Die Klägerin habe zudem die Äußerung getätigt, dass die Beklagte nicht selbst Warenmuster schicken dürfe, sondern dies über ihre Firma gehen müsse.
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Diesen Gedanken einmal als wahr und geschehen unterstellt, würden nicht ausreichen, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
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Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es die Beklagte selbst ist, die zum Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung vom 27.12.2019 in erheblicher Weise gegen ihre Vertragspflichten aus den zwischen den Parteien geltenden Vertrag verstoßen hat, indem sie unwirksam ordentlich gekündigt hat und Verhandlungen mit neuen Vertriebspartnern aufgenommen hat, im vorliegenden Fall mit der … in Norderstedt.
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Aufgrund der Exclusivitätsklausel war der Beklagtenseite versagt, solche Verhandlungen überhaupt zu führen. Denn die Vertragsdauer war noch über 1 Jahr zwischen den Parteien gültig.
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Dass bei der massiven Pflichtverletzung der Beklagten gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen die Klägerseite darauf hingewiesen haben soll, dass Warenmuster nur über sie selbst verschickt werden dürften, entsprach angesichts des alleinigen Vertriebsrechts der Klägerin der zwischen den Parteien immer noch gültigen Vertragslage.
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Dass die Klägerin sich nicht aktiv in dem Kundenmeeting eingebracht habe, sondern sich unbeteiligt gegeben habe, ist der Beklagten angesichts des eigenen Pflichtenverstoßes durch die unwirksame ordentliche Kündigung zuzuschreiben und nachvolllziehbar, stellt keinen außerordentlichen Kündigungsgrund dar.
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Dass das „Zu-Boden-schauen“ in Anwesenheit eines Kunden einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen soll, ist dem Gericht nicht nachvollziehbar. Das angebliche Reinigen der Fingernägel wurde im Ablauf nicht näher geschildert und schon deshalb einer rechtlichen Würdigung zugunsten der Beklagten nicht zugänglich.
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Inwieweit ein angebliches Rülpsen versehentlich oder absichtlich geschehen ist - wenn überhaupt - führt ebenfalls dazu, dass ein außerordentlichen Kündigungsgrund auch angesichts der seit August andauernden Vertragsverletzungen der Beklagten nicht als außerordentlicher Kündigungsgrund angesehen werden kann, da er schon nicht ausreichend genug geschildert wurde in seiner „Begehensweise“.
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4. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.