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VG Bayreuth, Urteil v. 21.09.2020 – B 8 K 20.500
Titel:

Austausch der Rechtsgrundlage, schuldhafte Verweigerung einer Sachaufklärung zu Lasten des Elternteils

Normenketten:
UVG § 5 Abs. 1
SGB X § 48 Abs. 1 S. 1
SGB X § 45
Schlagworte:
Austausch der Rechtsgrundlage, schuldhafte Verweigerung einer Sachaufklärung zu Lasten des Elternteils
Fundstelle:
BeckRS 2020, 56132

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Einstellung von Unterhaltsvorschussleistungen für seine Tochter sowie gegen eine Schadensersatzforderung der Beklagten.
2
Auf seinen Antrag vom 19.08.2017 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 20.09.2017 ab dem 01.07.2017 für seine Tochter …, geboren am …2009, Unterhaltsvorschussleistungen. Er wurde im Bescheid darüber belehrt, jede der dort genannten Veränderungen, u.a. Wohnsitzwechsel des Kindes, sofort anzeigen zu müssen.
3
Mit Schreiben vom 16.10.2017 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass sich seine getrenntlebende und im Ehescheidungsverfahren befindliche Ehefrau derzeit in Brasilien befinde. Auf dem Überprüfungsbogen gemäß § 9 UVG (Bl. 63 Beiakte) erklärte der Kläger am 22.08.2018, dass das Kind bei ihm in ständiger häuslicher Gemeinschaft lebe. Er sei verheiratet, aber seit 2010 dauernd getrennt lebend. Das Ehescheidungsverfahren laufe beim Amtsgericht … Er erhalte vom anderen Elternteil keine Unterhaltszahlungen. Seine Ehefrau lebe in Brasilien unter der angegebenen Adresse. Mit Schreiben vom 12.10.2018 (Bl. 103 ff. Beiakte) übermittelte der Kläger einen Entwurf einer Vereinbarung zur Regelung eines Gemeinschaftsverhältnisses zwischen den Eheleuten. Er erklärte in diesem Schreiben, dass die Ehefrau die Versorgung und das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter übernehme.
4
Einer Melderegisterauskunft vom 28.05.2019 (Bl. 75, 83 Beiakte) ist zu entnehmen, dass die Ehefrau und Kindesmutter vom 07.02.2017 bis 06.10.2017 unter der Adresse des Klägers gemeldet war. Sie meldete sich zum 06.10.2017 unter Angabe einer Adresse in Brasilien ab. Ab dem 01.10.2018 war sie wieder unter der Adresse des Klägers als alleiniger Wohnung gemeldet. Für die Tochter weist das Melderegister zum 18.12.2019 eine alleinige Wohnung seit dem 26.12.2009 beim Kläger aus (Bl. 84 Beiakte).
5
Auf Nachfrage teilte der Kläger mit Schreiben vom 30.05.2019 der Beklagten mit, dass er von seiner Ehefrau auch dann getrennt lebe, wenn sie hier zu Besuch sei. Sie mache das, was sie wolle.
6
Auf einem weiteren Überprüfungsbogen gemäß § 9 UVG gab der Kläger am 15.08.2019 an (Bl. 80 Beiakte), dass das Kind bei ihm in ständiger häuslicher Gemeinschaft lebe und von niemand anderem betreut werde. Eine Scheidung werde erwartet; er sei seit 2010 getrennt lebend. Unterhaltszahlungen habe er von dem anderen Elternteil nicht erhalten. Seine Ehefrau lebe in Brasilien unter der angegebenen Adresse.
7
Auf beiden der oben genannten Überprüfungsbögen hat der Kläger unterschrieben, dass er (nochmals) davon Kenntnis nehme, (u.a.) folgende Änderungen der Unterhaltsvorschussstelle sofort anzeigen zu müssen:
- Wohnsitzwechsel des Kindes bzw. des Elternteils, bei dem das Kind lebt,
- Zusammenleben mit dem anderen Elternteil, und
- wenn sich der Betreuung -/Besuchsumfang des Kindes durch den anderen Elternteil ändert, bzw. sich nicht nur geringfügig erhöht.
8
Auf die Änderungsbescheide der Beklagten zur Anpassung der Unterhaltsvorschussleistungen am 07.12.2017, 30.11.2018, 27.05.2019 und 28.11.2019 wird Bezug genommen.
9
Am 18.12.2019 erschien die Kindsmutter persönlich bei der Beklagten zur Vorsprache (Bl. 85 Beiakte). Sie erklärte, dass ihr getrenntlebender Mann (zwei Wohnungen in einem Haus) immer noch das Kindergeld erhalte, obwohl die gemeinsame Tochter bei ihr lebe. Ihre Tochter sei seit Februar 2018 mit ihr zusammen in Brasilien gewesen; sie habe dort auch die Schule besucht. In … sei sie von der Schule abgemeldet worden. Ihre Tochter sei jedoch die ganze Zeit noch in … beim Vater gemeldet gewesen. Ihre Adresse in Brasilien sei nicht mehr aktuell gewesen, da sie zu ihrer Familie umgezogen sei. Sie habe nicht gewusst, dass sie sich hier melden bzw. ihre Tochter hätte abmelden müssen. Um die Papiere habe sich immer ihr Mann gekümmert, daher kenne sie sich damit auch nicht aus. Weiterhin habe er Post abgefangen und ihr falsche Auskünfte erteilt. Die Scheidung sei vorerst wieder vertagt worden, weil ihr Mann das nicht wolle.
10
Laut dem Vermerk sei ihr aufgegeben worden, bis spätestens zum 23.12.2019 Nachweise über den Aufenthalt im Ausland (Tickets, Reisepass), Nachweise über die Abmeldung von der Schule in …, Nachweise über den Schulbesuch in Brasilien, Adresse in Brasilien, Ummeldung von … beim Einwohnermeldeamt und eventuelle Scheidungsunterlagen vorzulegen. Am besten wäre es, wenn ihr Mann mitkomme.
11
Mit Kurzmitteilung vom 27.12.2019 wurden die Kindsmutter sowie der Kläger zum 13.01.2020 um 14:00 Uhr zur Vorsprache gebeten (Bl. 87 Beiakte). Dem Vermerk der Beklagten vom 13.01.2020 (Bl. 88 Beiakte) ist zu entnehmen, dass zu diesem Anhörungstermin niemand erschienen ist.
12
Die Beklagte bat den Kläger mit Schreiben vom 13.01.2020 (Bl. 89 Beiakte) eine aktuelle Bescheinigung von der Grundschule seiner Tochter für die Schuljahre 2017/2018, 2018/2019 und ab September 2019 bis zum jetzigen Zeitpunkt im Original bis spätestens 20.01.2020 vorzulegen. Andernfalls sähen sie sich gezwungen, die Leistungen ab dem 01.02.2020 einzustellen und die Rückforderung der Leistungen zu prüfen. Diese Bitte blieb ohne Erfolg.
13
Mit Schreiben vom 16.01.2020 (Bl. 91 Beiakte) beantragte der Kläger bei der Beklagten, Amt für Jugend und Familie, die „Zuteilung des vollen Sorgerechts“ für seine Tochter. Er erklärte, dass eine gemeinsame Vorsprache am 13.01.2020 beabsichtigt gewesen sei; seine Ehefrau sei jedoch leider seit dem 07.01.2020 unbekannt verzogen. Diese habe ihm im April 2017 die gemeinsame Tochter entzogen und sei - entgegen einer gemeinsamen Vereinbarung, nach zwei Wochen Aufenthalt in Brasilien zusammen mit der Tochter wieder zurück zu kehren - nicht wiedererschienen. Er habe aufgrund deren Unberechenbarkeit jedoch davon ausgehen müssen, dass sie mit der Tochter jederzeit wieder erscheinen könne. Erst am 13.12.2019 seien beide hier angekommen. Den Unterhaltsvorschuss habe er laufend per Überweisung oder in bar seiner Ehefrau zukommen lassen, zuletzt im Dezember 2019. Ab Januar 2020 besuche seine Tochter nun wieder in die …Schule in … (Grundschule Klasse 4A).
14
Mit Schreiben vom 20.01.2020 (Bl. 93 Beiakte) forderte die Beklagte den Kläger auf, am 27.01.2020 um 10:00 Uhr im Amt vorzusprechen. Er wurde nochmals an die Vorlage der aktuellen Bescheinigungen von der Grundschule seiner Tochter erinnert. Ebenso wurde er zur lückenlosen Vorlage der Überweisungen von Unterhaltsvorschussleistungen an die Kindsmutter aufgefordert. Sollte er den Termin nicht wahrnehmen und die angeforderten Nachweise nicht vorlegen, sähen sie sich gezwungen, die Leistungen zum 31.01.2020 einzustellen und die im kompletten Zeitraum vom 01.07.2017 bis 31.01.2020 geleisteten Unterhaltsvorschusszahlungen von ihm zurückzufordern. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts müsse er beim Amtsgericht … beantragen.
15
Auf die vom Kläger vorgelegten Kontoauszüge der Ehefrau (Bl. 95 und 96 der Gerichtsakten) für den Zeitraum 01.09.2019 bis 04.12.2019 wird Bezug genommen. Diesen ist zum 06.09. und 25.11.2019 eine Gutschrift von … über 400 EUR bzw. 300 EUR zu entnehmen. Den Kopien des vorgelegten Passes der Kindsmutter und Ehefrau in der Behördenakte sind ein Flug am 08.02.2017 nach Madrid-Barajas und ein Flug am 23.02.2019 aus Madrid Barajas zu entnehmen. Weiteres ist nicht lesbar.
16
Laut einer E-Mail der Sekretärin der …Grundschule … vom 21.01.2020 (Bl. 111 Beiakte) sei das Kind … am 01.08.2016 für die Klasse 1 angemeldet und mit E-Mail des Vaters vom 12.03.2017 zum 13.03.2017 wieder abgemeldet worden. Mit E-Mail vom 30.12.2019 sei sie von ihrem Vater zum Schulbesuch - nach Rückkehr aus Brasilien - ab dem 10.01.2020 in der Klasse 4 wieder angemeldet worden. Heute am 21.01.2020 habe sich die Mutter im Rektorat vorgestellt, um ihre Tochter wegen eines Umzugs am 28.02.2020 wieder abzumelden. Eine schriftliche Abmeldung der Mutter komme noch.
17
Ausweislich der gleichzeitig übermittelten oben genannten E-Mails des Klägers hat dieser mit E-Mail vom 12.03.2017 (vgl. Bl. 113 Beiakte) an die Schule seine Tochter „vorübergehend wegen Umzugs ab dem 13.03.2017“ abgemeldet und mit E-Mail vom 30.12.2019 (vgl. Bl. 114 Beiakte) wieder angemeldet. In der letztgenannten E-Mail erklärte der Kläger, dass seine Tochter „seit dem 13.12.2019 wieder aus Brasilien zurückgekehrt“ und „zuletzt“ in einer Schule in Brasilien gewesen sei. In der …Grundschule in … sei sie vom 01.08.2016 bis 13.03.2017 gewesen. Sie werde in Zukunft wieder hier die Schule besuchen.
18
Ausweislich der Niederschrift der Beklagten vom 21.01.2020 (Bl. 110 Beiakte) erschien die Kindsmutter im Amt, allerdings ohne die angeforderten Unterlagen. Das Schreiben mit der Vorladung habe sie nicht erhalten. Ende Februar 2020 wolle sie wieder mit dem Kind zurück nach Brasilien. Sie habe erklärt, dass sie sich mit ihrer Tochter seit April 2017 bis Dezember 2019 in Brasilien aufgehalten habe. Unterhaltszahlungen vom Kindsvater habe sie in diesem Zeitraum nicht erhalten, weder in bar noch als Überweisung.
19
Die Kindsmutter erschien nach einem weiteren Vermerk der Beklagten vom 21.01.2020 (Bl. 115 Beiakte) am gleichen Tag nochmals bei der Beklagten. Sie habe angegeben, mit ihrer Tochter Ende Februar 2020 wieder zurück nach Brasilien zu gehen. Ihr Ehemann und Kläger habe die Tochter per Mail bei der Grundschule am 13.03.2017 abgemeldet und mit Mail am 30.12.2019 zum 10.01.2020 wieder angemeldet. Sie sei im Oktober 2018 für einen kurzen Zeitraum in … gewesen, um einiges zu klären; ihre Tochter sei nicht dabei gewesen. Sie habe auf Nachfrage erklärt, dass sie als getrenntlebendes Paar im Haus zwei abgeschlossene Wohnungen bewohnten. Der Kindesvater sehe seine Tochter daher jeden Tag und diese wechsele zwischen ihren Eltern hin und her. Beide Elternteile kümmerten sich um die Tochter. Sie habe weiter angegeben, dass sie von ihrem Ehemann im Zeitraum Juli 2017 bis Dezember 2019 keine Unterhaltszahlungen erhalten habe. Sie habe Kontoauszüge vorgelegt, woraus hervorgehe, dass die Miete von der vermieteten Wohnung eingehe; diese überweise ihr der Kläger. Allerdings stehe das nicht als Verwendungszweck mit dabei (123 …*). Den Brief vom 27.12.2019 (Kurzmitteilung) mit der Vorladung zum 13.01.2020 habe sie nicht erhalten. Dieser sei vermutlich wie die meiste Post von ihrem Mann abgefangen worden.
20
Nach dem Vermerk sei die Verständigung mit der Kindsmutter schwierig gewesen; aber auf gezielte Nachfragen habe diese nachvollziehbar antworten können.
21
Der Kläger erklärte im Schreiben vom 24.01.2020 (Bl. 120 Beiakte) gegenüber der Beklagten, dass die gewünschten Bescheinigungen von der Grundschule unnötig seien, weil sie die Verhältnisse kennen würden. Seine Angaben gegenüber der Beklagten seien moralisch-rechtlich richtig gewesen, denn seine Tochter wohne auch dann hier, wenn sie vorübergehend abwesend sei. Ferner habe die Behörde vom Aufenthalt in Brasilien durch die Auskünfte seiner Ehefrau und der damaligen Schulleiterin gewusst. Bezüglich der Weiterleitung seiner Zahlungen der Unterhaltsvorschussleistungen müsse seine Ehefrau gefragt werden. Sollte seine Frau dies bestreiten, könne er anschließend aufgefordert werden, Nachweise zu liefern. Für ein persönliches Gespräch sehe er derzeit keinen Bedarf.
22
Ausweislich des Vermerks der Beklagten vom 28.01.2020 (Bl. 129 Beiakte) erschien der Kläger am 27.01.2002 (Anmerkung: gemeint vermutlich 2020) trotz der Vorladung vom 20.01.2020 nicht.
23
Anlässlich eines Hausbesuchs der Sozialamt-Ermittlungsstelle der Beklagten beim Kläger am 03.02.2020 zur Klärung der Wohnverhältnisse wurde festgestellt, dass die Mutter nicht zu Hause gewesen sei. Der Kläger habe sie an der Sprechanlage „abgefertigt“ und nicht ins Haus gelassen (vgl. E-Mail vom 03.02.2020, Bl. 131 Beiakte).
24
Die Beklagte richtete an den Kläger („als gesetzlicher Vertreter von …“) folgenden Bescheid vom 04.02.2020 (Bl. 133 ff. Beiakte):
„1. Die Gewährung von bisher bewilligten Unterhaltsvorschussleistungen für das Kind …, geboren …2009, wird rückwirkend zum 01.07.2017 eingestellt. Der Bewilligungsbescheid vom 20.09.2017, mit dem ihrem o.g. Kind, welches sie gesetzlich vertreten, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gewährt wurden, sowie die Änderungsbescheide vom 07.12.2017, 30.11.2018, 27.05.2017 und 28.11.2019 werden zurückgenommen.
2. Sie sind verpflichtet, Schadensersatz für zu viel geleistete Unterhaltsvorschussleistungen für die Zeit vom 01.07.2017 bis 31.01.2020 in Höhe von 6.370 EUR zu leisten.
3. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides wird angeordnet.
4. Ziffer 2 dieses Bescheides kann nach den Bestimmungen des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) für vollstreckbar erklärt werden.
5. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei. Die Kosten einer eventuellen Zwangsvollstreckung hat der Leistungspflichtige zu tragen.“
25
Zur Begründung des geltend gemachten Schadensersatzes für die Zeit vom 01.07.2017 bis 12.12.2019 wird auf § 5 Abs. 1 UVG in Verbindung mit § 6 Abs. 4 UVG wegen vorsätzlich falscher Angaben verwiesen. Ob ein Anspruch auf UVG Leistungen ab dem Zeitpunkt der Rückkehr ihres Kindes ab dem 13.12.2019 bestehe, könne nicht eindeutig geklärt werden; sowohl der Kläger als auch die Kindsmutter hätten angegeben, sich um das Kind zu kümmern. Da sich die Tochter bei beiden Elternteilen aufhalte und die Familie in einem Haus mit abgetrennten Wohnungen lebe, werde angenommen, dass beide Elternteile die Betreuung des Kindes gemeinsam vornähmen. Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide beruhe auf „Nummer 5.3.1.3 Verwaltungsrichtlinien zum UVG i.V.m. § 45 SGB X“.
26
Der Kläger wurde aufgefordert, den Betrag von insgesamt 6.370 EUR bis zum 10.03.2020 an die genannte Bankverbindung zu überweisen.
27
Die Anordnung des sofortigen Vollzugs beruhe auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Die sofortige Rückzahlung sei im öffentlichen Interesse. Dieses bestehe darin, dass niemand öffentliche Leistungen behalten dürfe, die ihm nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zustehen. Bei Sozialleistungen bestehe zudem die Gefahr, dass der Empfänger bis zur Bestandskraft des Rückforderungsbescheides das Geld ausgegeben und keine Rücklagen für die Rückzahlung gebildet habe. Der Behalt des Geldes bis zur Bestandskraft führe dazu, dass öffentliche Gelder der Gemeinschaft entzogen seien und die unrechtmäßige Überzahlung scheinbar folgenlos bleibe.
28
Auf die Aufstellung der gezahlten Leistungen (Blatt 135 Beiakte) wird Bezug genommen.
29
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 27.02.2020 Widerspruch (Bl. 172 Beiakte). Er erklärte, dass seine Tochter seit ihrer Geburt hier wohne. Das Amt habe von ihrer zwischenzeitlichen Abwesenheit gewusst. Eine durchgehende Abwesenheit von 2017-2019 könne so nicht stimmen. Nachdem seine Tochter seit Anfang Januar 2020 wieder hier sei, seien die Leistungen an ihn als Versorger weiter zu bezahlen, da seine Ehefrau hierzulande überwiegend beruflich unterwegs sei und ihm gegenüber nichts zahle.
30
Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab, sondern legte ihn mit Schreiben vom 14.04.2020 der Regierung von Oberfranken als Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor.
31
Mit Schreiben vom 18.05.2020 ergänzte der Kläger seine Widerrufsbegründung dahingehend, dass am 01.07.2017 seine Tochter hier gewohnt habe. Auch 2018/2019 habe sie hier gewohnt. Als Beweis hierfür legte er eine Rechnung der Ehefrau vom 25.02.2019 für die Tage 22.02.2019 bis 25.02.2019 für eine Autovermietung vor.
32
Die Regierung von Oberfranken wies mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2020 (Bl. 196 ff. Beiakte) den Widerspruch zurück. Zur Begründung ist im Wesentlichen angegeben, dass die Rückforderung der gesamten UVG-Leistungen für die Zeit vom 01.07.2017 bis zum 31.01.2020 zutreffend auf § 5 UVG gestützt worden sei. Die Voraussetzungen für die Zahlung von Unterhaltsvorschussleistungen hätten nicht vorgelegen. Da über die Wohn- und Betreuungsverhältnisse der Familie nach wie vor Unklarheit bestehe und eine Klärung der Verhältnisse durch die Vertreterin des Stadtjugendamts nicht möglich gewesen sei, da diese vom Kläger nicht ins Haus gelassen worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass entweder ein Zusammenleben beider Elternteile gegeben sei oder sich der Kläger weigere, die erforderlichen Auskünfte über die Wohn- und Betreuungsverhältnisse zu erteilen. In beiden Fällen scheide ein Anspruch auf weitere Gewährung von Unterhaltsleistungen gemäß § 1 Abs. 3 UVG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG aus.
33
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 05.06.2020, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 08.06.2020, Klage.
34
Er beantragt,
1. Der Bescheid der Stadt … vom 04.02.2020 wird als sachlich unbegründet und völlig ungenau aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
35
Zur Begründung gibt er an, dass „diverse Kenntnisse der Beklagten und mir (da mitunter vergesslich)“ … „nach weiterer Prüfung und nach Rücksprache mit meiner Ehefrau nicht stimmen“ könnten. „Am 01.07.2017 sowie zum Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellungen“ sei „seine Tochter hier“ gewesen. Wie aus dem Widerspruchsbescheid hervorgehe, seien seine „Ehefrau und Tochter am 16.10.2017 noch hier“ gewesen. „In einem Teilzeitraum von 2018/2019“ sei dies „ebenfalls“ der Fall gewesen („Anlage 1, Rechnung der Ehefrau für Autovermietung vom 25.02.2019“). Außerdem habe sich seine Ehefrau beim hiesigen Einwohnermeldeamt 2018 wieder angemeldet. Sie sei „bekanntlich deutschlandweit in der Gastronomie tätig“ und komme „manchmal nur am Wochenende nach Hause“; „währenddessen betreue ich meine Tochter“. Mitunter seien auch beide zusammen auf Reisen; die mögliche Aufenthaltsadresse habe er jeweils schriftlich auf dem Unterhaltsantrag oder telefonisch gegenüber der Beklagten mitgeteilt, damit „diese aufgrund des planlosen Hin und Her recherchieren und beurteilen kann“. Das Ehescheidungsverfahren sei wegen gütlicher Einigung zurückgenommen worden.
36
Soweit die Stadt … in ihrem Telefax vom 13.02.2020 an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth mitgeteilt habe, dass „aufgrund der dargestellten widersprüchlichen Angaben zum Aufenthalt des Kindes … eine eindeutige Klärung des Sachverhaltes … nicht möglich“ sei, sei der angefochtene Bescheid sachlich unbegründet und es fehle Genauigkeit.
37
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
38
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die widersprüchlichen Angaben zum Aufenthalt der Tochter in Brasilien und der derzeitigen Betreuungssituation Bezug genommen; deswegen sei eine eindeutige Klärung des Lebensmittelpunktes nicht möglich gewesen. Die Leistungen seien deshalb gemäß Nummer 1.3.1 Abs. 2 und 10 VwUVG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG einzustellen gewesen. Von einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt könne bei zweieinhalb Jahren nicht mehr gesprochen werden. Ließen sich die Anspruchsvoraussetzungen nicht eindeutig feststellen, seien die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nicht zu gewähren. Die Unterhaltsvorschussleistungen seien nicht bereits zum Dezember 2019 eingestellt, da die Leistungen monatlich im Voraus gezahlt würden (§ 9 Abs. 3 Satz 1 UVG). Die Zahlung vom 30.12.2019 beziehe sich daher auf den Leistungsmonat Januar 2020. Auf diese Vorgehensweise sei der Kläger im Bewilligungsbescheid vom 20.09.2017 hingewiesen worden.
39
Der Kläger erwiderte daraufhin mit Schriftsatz vom 05.07.2020, dass seine Argumente durch die Ausführungen der Beklagten nicht entkräftet würden. Ob ein fehlendes Schulzeugnis oder eine fehlgeschlagene Überprüfung der Wohnungs- und Betreuungssituation bzw. eine nicht befolgte unverbindliche Einladung zu einem Gespräch eine Einstellung des Unterhaltsvorschusses rechtfertigten, dürfe bezweifelt werden. Auch ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung der gleichen Sach- und Rechtslage sei als aussichtslos gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden (Mitteilung der Staatsanwaltschaft … vom 28.06.2020).
40
In einem weiteren Schriftsatz vom 12.08.2020 erklärt der Kläger, dass in einem Gerichtsverfahren nachweisliche Fakten und nicht „dubiose Behauptungen oder Fantastereien“ entscheidend seien. Zuständig für den Nachweis eines Aufenthalts sei das Einwohnermeldeamt der Stadt … Seine Ehefrau habe sich seiner Kenntnis nach mehrfach an- und abgemeldet. Die genauen Zeiträume seien der Beklagten bekannt. „Die Schulpflicht bzw. Schulungspflicht war und ist vorhanden“; dies beweise das gute Jahreszeugnis vom 24.07.2020 der Grundschule (darunter zweimal sehr gut und dreimal gut). Außerdem sei seine Tochter in portugiesischer Schrift und Sprache sehr gut bewandert und besitze ferner Englischkenntnisse.
41
In der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … (Az. …) befindet sich für die Kindesmutter ein Auszug aus dem Ausländerzentralregister zum 04.06.2020. Diesem ist folgendes zu entnehmen:
- Ersteinreise der Kindesmutter in das Bundesgebiet am 16.05.1996
- Fortzug ins Ausland am 27.11.2016
- Wiederzuzug aus dem Ausland am 07.02.2017
- Fortzug ins Ausland am 06.11.2017
- Wiederzuzug aus dem Ausland am 01.10.2018.
42
Nach Mitteilung der Beklagten (Schriftsatz vom 31.08.2020) sind beide Elternteile gesetzliche Vertreter der gemeinsamen Tochter … Die …Grundschule … übermittelte mit Schriftsatz vom 04.09.2020 einen Auszug aus der Schülerakte von … Diesem ist zu entnehmen, dass … am 01.08.2016 in die 1. Klasse eingeschult wurde und die Schule am 13.03.2017 aufgrund „Wegzug nach Brasilien“ wieder verlassen hat. Sie wird seit dem 10.01.2020 wieder als Schülerin der 4. Klasse geführt. Dem Auszug ist ein Gastschulverhältnis zum Besuch einer anderen Grundschule nicht zu entnehmen.
43
Der Rektor der Grundschule teilt im oben genannten Schriftsatz weiter mit, dass der entsprechende Schülerakt in der Zeit von März 2017 bis Januar 2020 an der …Grundschule verblieben sei. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, dass … in dieser Zeit auch keine andere deutsche Schule im Gastschulverhältnis besucht habe.
44
Das Verfahren des Klägers beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth, zur Verpflichtung der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, Unterhaltsvorschussleistungen weiterhin zu leisten (Antrag vom 01.02.2020), wurde mit Beschluss dieses Gerichts vom 09.03.2020 wegen der Rücknahme des Antrags durch den Kläger eingestellt (Az. …).
45
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten der Beklagten sowie die beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … (Az. …*) Bezug genommen. Zur mündlichen Verhandlung erschienen weder der Kläger noch die geladene Zeugin (Ehefrau des Klägers und Kindsmutter). Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen, § 117 Abs. 3 VwGO.

Entscheidungsgründe

46
Über die Klage kann trotz Ausbleibens des Klägers entschieden werden, da die Ladung den entsprechenden Hinweis gemäß § 102 Abs. 2 VwGO enthielt. Auch das Nichterscheinen der ordnungsgemäß geladenen Zeugin zur mündlichen Verhandlung (§ 98 VwGO i.V.m. § 377 ZPO) hindert das Gericht nicht an einer Entscheidung, da auch ohne ihre Aussage eine hinreichende Grundlage für eine Entscheidung besteht.
A.
47
Die Klage ist zulässig. Sie wurde frist- und formgerecht bei Gericht erhoben.
48
Dem Kläger steht hinsichtlich der Ziffer 1 des Bescheides (Rücknahme) sowohl ein eigenständiges Antrags- als auch Klagerecht aus § 9 Abs. 1 UVG zu (vergleiche VG Karlsruhe, Entscheidungen vom 11.12.1986 - 6K183/86 - und - 6K47/86 - sowie vom 15.1.1987 - 6, 197/86 -, juris). Da er sich gegenüber der Beklagten als alleinerziehendes Elternteil ausgegeben hat und einen entsprechenden Antrag auf Gewährung von UVG-Leistungen gestellt hat, sind Bewilligungs- und im Umkehrschluss auch Rücknahmebescheide, die sich an ihn in dieser Eigenschaft richten, wirksam (siehe unten Nr. B.1). In Folge dessen erwächst ihm daraus denknotwendig eine Klagebefugnis gegen den entsprechenden Rücknahmebescheid.
49
Die genannte Vorschrift gibt dem (alleinerziehenden) Elternteil ein eigenständiges Antragsrecht. § 9 Abs. 1 UVG begründet die Berechtigung des alleinerziehenden Elternteils, die Ansprüche nach dem UVG im eigenen Namen geltend zu machen (BayVGH 20.1.2014 - 12 C 13.2488, NJW 2014, 876; OVG Bln-Bbg 27.8.2012 - 6 M 111.12, NVwZ-RR 2012, 814; SächsOVG 16.3.2011 - 5 D 181/10, NJW 2011, 2457; OVG NRW 23.9.1999 - 16 A 461/99, FamRZ 2000, 777). Wenngleich die Einräumung eines Antragsrechts im Verwaltungsverfahren nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass damit stets auch eine eigenständige Prozessführungsbefugnis verbunden ist, stellt ein solches Antragsrecht doch jedenfalls ein gewichtiges Indiz für eine auch materiell-rechtlich geschützte Rechtsposition i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO dar“ (vgl. dazu Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Kommentar), 24. Auflage (2017) § 42 Rn. 61; OVG NW Urt. v. 23.9.1999 - 16 A 461/99, BeckRS 1999, 23257 Rn. 20-23, beck-online). Soweit dies hinsichtlich der Beantragung von Leistungen nach dem UVG gilt, kann im Umkehrschluss nichts Anderes hinsichtlich der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden gelten.
50
Gleiches ließe sich aus dem Sinn und Zweck von § 1629a Abs. 2 Satz 2 BGB ableiten.
B.
51
Die Klage hat jedoch inhaltlich keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid vom 04.02.2020 ist im Wesentlichen rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss über den 01.02.2020 hinaus (§ 113 Abs. 5 VwGO).
52
1. Durchgreifende Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen nicht. Insbesondere wurde der Bescheid gemäß Art. 39 Abs. 1 SGB X (anwendbar gemäß § 68 Nr. 14 SGB I) durch die bewusste und gewollte Bekanntgabe an den Kläger wirksam. Der Bescheid war an den Kläger sowohl in seiner Eigenschaft als Elternteil (gesetzlicher Vertreter, bzgl. Ziffer 1) als auch an ihn als direkt Betroffener (Schadensersatz), bzgl. Ziffer 2 gerichtet.
53
Auch kann dem Vergleich der Formulierungen in den Ziffern 1 und 2 des Bescheides hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X) entnommen werden, in welcher Eigenschaft der Kläger jeweils angesprochen, betroffen und verpflichtet ist.
54
2. Die Verpflichtung des Klägers in Ziffer 2 des Bescheides, Schadensersatz für zu viel gezahlte Unterhaltsvorschussleistungen für die Zeit vom 01.07.2017 bis 31.01.2020 in Höhe von 6.370 EUR zu leisten, ist auch materiell rechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht rechtsfehlerfrei auf § 5 Abs. 1 UVG.
55
Nach § 5 Abs. 1 UVG hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt oder der gesetzliche Vertreter des Berechtigten den geleisteten Betrag zu ersetzen, soweit die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben und er
1. die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 UVG unterlassen hat oder
2. gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren.
56
Eine Ermessensausübung seitens des Leistungsträgers ist nicht erforderlich, da nach dem Wortlaut der Norm („hat“) bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen eine Verpflichtung des Betroffenen besteht. Insbesondere setzt diese gesetzlich normierte Vorgehensweise nicht die Aufhebung des bewilligenden Verwaltungsaktes voraus.
57
Die gemäß § 24 SGB X vor Erlass eines Bescheides erforderliche Anhörung, insbesondere bei Frage eines schuldhaften Verhaltens, ist erfolgt (vgl. Anhörungsschreiben vom 13.01.2020 (Bl. 89 Beiakte) und vom 20.01.2020 (Bl. 93 Beiakte)).
58
Die oben genannten Erstattungsvoraussetzungen sind gegeben. Insbesondere sind weder im Zeitraum vom 01.07.2017 bis 12./13.12.2019 (siehe unten Nr. 2.1) noch im Zeitraum vom 13./14.12.2019 bis 31.01.2020 (siehe unten Nr. 2.2) die Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 1 UVG erfüllt. Auch die weitere Voraussetzung, eine schuldhafte Handlung, des Klägers im Sinn des § 5 Abs. 1 UVG, liegt vor.
59
Gemäß § 1 Abs. 1 UVG hat Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistung,
1. wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
2. im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt und
3. nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil erhält.
60
Diese Voraussetzungen bestanden hinsichtlich der nach dem UVG berechtigten Tochter des Klägers nicht.
61
2.1 Im Zeitraum vom 01.07.2017 bis 12./13.12.2019 hielt sich diese in Würdigung der Gesamtumstände nach Überzeugung des Gerichts (§ 108 VwGO) nicht im Geltungsbereich des UVG auf. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
62
a. So lässt sich dem von der … Grundschule … übermittelten Auszug aus der Schülerakte (Bl. 44 ff. Gerichtsakte) der Tochter des Klägers entnehmen, dass die Tochter lediglich in der Zeit vom 01.08.2016 bis 13.03.2017 sowie seit dem 10.01.2020 eine Grundschule in der Bundesrepublik Deutschland besucht hat bzw. derzeit besucht. Die Tatsache, dass der entsprechende Schülerakt in der Zeit von März 2017 bis Januar 2020 bei der … Grundschule … verblieben und nicht an eine andere Schule abgegeben wurde, lässt zweifelsfrei den Schluss zu, dass die Tochter in dieser Zeit auch keine andere deutsche Schule im Gastschulverhältnis besucht hat. Dieses war dem Kläger auch bekannt, da er seine Tochter ausweislich seiner E-Mails (v. 12.03.2017 und 30.12.2019, Bl. 113 und 114 Beiakte) selbst von der Schule ab- als auch wieder angemeldet hat. Die Tochter wäre jedoch gemäß Art. 129 Bayerische Verfassung verpflichtet gewesen, eine Grundschule zu besuchen.
63
b. Dass sich die Tochter während der Zeit des fehlenden Schulbesuchs nicht in Deutschland, sondern in Brasilien aufgehalten hat, ist den eigenen Angaben des Klägers und der Kindsmutter, zu entnehmen:
64
So hat der Kläger selbst in seinem Schreiben vom 16.01.2020 an die Beklagte, Amt für Jugend und Familie (Bl. 91 Beiakte), angegeben, dass ihn seine Ehefrau im April 2017 die gemeinsame Tochter entzogen habe und entgegen der gemeinsamen Vereinbarung, nach zwei Wochen geplanten Aufenthalts in Brasilien mit ihr wieder da zu sein, nicht wiedererschienen sei.
65
Seinen eigenen Angaben in diesem Brief zufolge hat er den Unterhaltsvorschuss seiner Frau (in Brasilien) per Überweisung und in bar zukommen lassen, was höchst überflüssig erscheint, wenn das Kind bei ihm gewohnt hätte.
66
Für einen längeren Aufenthalt der Tochter außerhalb Deutschlands und einen Schulbesuch der Tochter in Brasilien sprechen auch die eigenen Angaben des Klägers in seiner E-Mail vom 30.12.2019 zur Schulanmeldung (Bl. 114 Beiakte). Darin erklärte er, dass seine Tochter zuletzt die konkret angegebene Schule in Brasilien besucht habe.
67
Diese Annahme bestärken auch seine Angaben im Schriftsatz vom 12.08.2020 an das Gericht; darin hat er angegeben, dass seine Tochter in portugiesischer Schrift und Sprache sehr gut bewandert sei. Solche Kenntnisse werden nach lebensnaher Betrachtung im Alter der Tochter nicht in der Bundesrepublik Deutschland erworben, zumal wenn sich die brasilianische Kindsmutter - seinen eigenen Angaben zufolge - nicht zusammen mit ihrer Tochter in Deutschland aufgehalten hat.
68
Im Übrigen hat er im Schreiben vom 18.05.2020 an die Beklagte noch erwähnt, dass seine Tochter zusammen mit der Kindesmutter auf Reisen zu Besuch in Brasilien gewesen sei.
69
Bestätigt werden diese Angaben durch die Kindsmutter. So hat diese bei ihren beiden Vorsprachen am 21.01.2019 bei der Beklagten (Bl. 85, 110 und 115 Beiakte) angegeben, mit ihrer Tochter seit 8. Februar/April 2017 bis Dezember 2019 in Brasilien gewesen zu sein. Soweit sie bei ihrer Vorsprache am 18.12.2019 angegeben hat, seit Februar 2018 mit ihrer Tochter in Brasilien gewesen zu sein, stehen dieser Angabe zum Beginn des Auslandsaufenthaltes ihrer Tochter deren fehlender Schulbesuch in der Bundesrepublik Deutschland sowie ihre späteren kalendarischen Angaben entgegen. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass der Kindsmutter anfänglich lediglich ein Irrtum hinsichtlich des Jahres unterlaufen ist, zumal sie später das genaue Datum, 08.02.2017, angegeben hat.
70
b. In Würdigung der Gesamtumstände wird letztendlich zum Nachteil des Klägers gewertet, dass dieser seinen Mitteilungspflichten gegenüber der Behörde bewusst nicht nachgekommen ist und an einer Sachaufklärung der Behörde und des Gerichts keinerlei Interesse erkennen hat lassen.
71
Obwohl der Kläger gemäß § 6 Abs. 4 UVG verpflichtet ist, als Elternteil, bei dem das unterhaltsvorschussberechtigte Kind (angeblich) lebt, sowie als gesetzlicher Vertreter des Kindes der zuständigen Stelle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, missachtete er diese Mitteilungspflicht. Dass zu den maßgeblichen Mitteilungspflichten insbesondere der Aufenthalt des berechtigten Kindes außerhalb der Bundesrepublik zählt, liegt auf der Hand.
72
Er unterließ es darüber hinaus sogar bewusst, zur Sachaufklärung beizutragen, obwohl Nachweise für den Aufenthalt seiner Tochter in der Bundesrepublik Deutschland in dem fraglichen Zeitraum (neben seiner Ehefrau) nur ihm möglich gewesen wären. Solches hat er jedoch bewusst nachdrücklich unterlassen. Trotzdem er - neben seiner Ehefrau und seiner Tochter - die einzige Person ist, der der Aufenthalt der eigenen Tochter im fraglichen Zeitraum bekannt ist, machte er weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren sachdienliche Angaben, auch nachdem ihm die starken Indizien für den Aufenthalt seiner Tochter in Brasilien mit Schriftsatz des Gerichts vom 30.07.2020 zur Stellungnahme übermittelt worden waren.
73
So erklärt er sich trotz mehrerer Aufforderungen nie konkret zum Aufenthalt seiner Tochter, sondern erklärt dazu nur kryptisch und auffällig nichtssagend, dass seine Angaben „moralisch-rechtlich richtig“ gewesen seien, denn seine Tochter wohne auch dann hier, wenn sie vorübergehend abwesend sei (Schreiben vom 24.01.2020). Weiteren Ermittlungen entzog sich der Kläger und erschien wiederholt zu Vorsprachen bei der Behörde trotz mehrerer Vorladungen (vgl. Vorladungen vom 27.12.2019 für den 13.01.2020 und vom 20.01.2020 für den 27.01.2020) nicht und nahm ohne Entschuldigung auch die Gelegenheit zur Darlegung seiner Klagebegründung in der mündlichen Verhandlung vor Gericht nicht wahr.
74
Er hat es damit nicht nur unterlassen, zur Aufklärung beizutragen, sondern auch behördliche Annahmen zum Aufenthalt seiner Tochter zu entkräften und zu widerlegen. Er liefert damit selbst keine von ihm eingeforderten „nachweislichen Fakten“ (Schriftsatz vom 12.08.2020).
75
Soweit der Kläger in seinen Anträgen auf Bewilligung bzw. Weiterleistung von UVG-Leistungen jeweils angegeben hat, dass seine Tochter durchgehend bei ihm in … wohne, steht dies vielmehr in einem eklatanten Widerspruch sowohl zu seinen eigenen Angaben im bereits oben genannten Schreiben vom 16.01.2020 an die Beklagte, Amt für Jugend und Familie (Bl. 91 Beiakte), wonach seine Tochter bereits seit April 2017 nicht mehr bei ihm gewohnt habe, als auch zu den Erklärungen der Kindsmutter.
76
Eine Erklärung des Klägers für seine eigenen widersprüchlichen Angaben zum Aufenthalt seiner Tochter in der Bundesrepublik Deutschland bzw. Brasilien fehlt jedoch völlig; vielmehr vermeidet er ersichtlich irgendeine Art von Erklärung. Seine Hinweise auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft (vgl. Schriftsatz vom 12.08.2020 und 10.09.2020 an das Gericht), auf die Daten des Einwohnermeldeamts sowie auf den von ihm angeblich bekannt gegebenen jeweiligen Aufenthalt seiner Ehefrau (vgl. Widerspruchschreiben vom 27.02.2020) sind jeweils unbehelflich und tragen nichts zur Klärung des Sachverhalts bei. Soweit er für den fraglichen Zeitraum vom 01.07.2017 bis 12./13.12.2019 auf Aufenthalte der Kindesmutter in der Bundesrepublik Deutschland verweist (Auszüge aus dem Ausländerzentralregister und Melderegister, Rechnung Autovermietung für 22.- 25.02.2019, lassen diese schon keinerlei Rückschlüsse auf den hier einzig maßgeblichen Aufenthalt des berechtigten Kindes zu. Denn es sind nicht die Aufenthalte seiner Ehefrau entscheidungserheblich, sondern nur die seiner Tochter. Darüber hinaus vermag eine (fehlende) Abmeldung der Tochter nach Brasilien keinesfalls einen Beweis für deren Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland zu beweisen, sondern stellt allenfalls ein Indiz dar.
77
Im Gegenteil werden diese Angaben durch die Einlassung der Kindsmutter entkräftet: So hatte die Kindesmutter am 21.01.2020 bei der Beklagten (Bl. 115 Beiakte) dazu erklärt, im Oktober 2018 ohne ihre Tochter kurzzeitig in … gewesen zu sein. Ihre Verwandten in Brasilien hätten sich um diese gekümmert; die Tochter habe in dieser Zeit weiterhin die Schule (in Brasilien) besucht. Weiterhin hatte sie bei ihrer Vorsprache bei der Beklagten am 18.12.2019 angegeben, gar nicht gewusst zu haben, dass sie sich in der Bundesrepublik Deutschland an- bzw. abmelden müsse bzw. ihre Tochter hätte abmelden müssen. Es habe sich immer ihr Mann „um die Papiere gekümmert“.
78
Durch seine Verweigerungshaltung vereitelte der Kläger nicht nur eine weitere Sachaufklärung sowohl der Behörde als auch des Gerichts. Das Nichterscheinen der allein über den Aufenthalt ihrer Tochter informierten Eheleute (Kläger und Zeugin) vor dem Verwaltungsgericht stellt darüber hinaus eine grobe Missachtung des Gerichts dar.
79
Eine derart schuldhafte Sachaufklärungs- oder Beweisvereitelung und die Verletzung von nur ihm möglichen Mitwirkungspflichten, erst recht, da er dazu verpflichtet ist (s.o.), sind im Rahmen der Beweiswürdigung entsprechend §§ 427, 444 und 446 ZPO i.V.m. § 98 VwGO zum Nachteil des Klägers zu berücksichtigen.
80
In Würdigung der oben ausgeführten Gesamtumstände hat das Gericht deshalb die Überzeugung gewonnen, dass sich die unterhaltsvorschussberechtigte Tochter des Klägers im maßgeblichen Zeitraum zumindest vom 01.07.2017 bis 12./13.12.2019 nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Dabei ist entscheidungsunerheblich, ob sich die Tochter bereits seit Februar oder März 2017 nicht mehr in Deutschland aufgehalten hat.
81
Das Gericht konnte bereits aus den genannten Gründen einen derart hohen Grad an Gewissheit über die Tatsache, dass das Kind im streitgegenständlichen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht beim Kindsvater hatte, erreichen, dass es zur vollen Überzeugung dieser Tatsache gelangt ist. In Anbetracht des nicht erschienenen Klägers, der bisherigen dokumentierten Aussagen der Kindsmutter und Ihren aus den Akten zu entnehmenden und gegenüber dem Gericht dokumentierten Verhalten, ergaben sich nach mündlicher Verhandlung mangels hinreichender, die Sachlage aufklärenden Substantiierungen des Klägers keine stichhaltigen Anhaltspunkte, so dass sich eine weitere Aussage der Kindsmutter nicht aufdrängte.
82
Damit lagen die Voraussetzungen der Bewilligung von UVG-Leistungen - Aufenthalt der Tochter in Deutschland - bis einschließlich 12.12.2019 nicht vor.
83
c. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches nach § 5 UVG sind gegeben. Eine Ersatzpflicht nach Abs. 1 setzt voraus, dass der Ersatzpflichtige schuldhaft gehandelt hat. Im Gegensatz zu der vergleichbaren Vorschrift des § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB X wird nicht auf eine grobe Fahrlässigkeit abgestellt, es reicht sogar die „einfache“ Fahrlässigkeit aus (Rancke, Mutterschutz - Elterngeld - Elternzeit - Betreuungsgeld, UVG § 5 Rn. 4, beck-online).
84
Das Gericht geht vorliegend von einer bewusst getätigten falschen Angabe des Klägers aus. Ausweislich der Belehrung im Bescheid vom 20.09.2017 und den Ausführungen auf beiden Überprüfungsbögen vom 22.08.2018 und 15.08.2019, die der Kläger unterschrieben hatte, war ihm deutlich vor Augen geführt worden und damit bekannt, dass Angaben zum Aufenthalt seiner Tochter entscheidungserheblich sind. Trotzdem hat der Kläger nach den obigen Feststellungen in Kenntnis aller relevanten Umstände wissentlich falsche Angaben in seinem Antrag vom 22.08.2017, im Überprüfungsbogen vom 22.08.2018 (Bl. 63 f. Beiakte), und im Überprüfungsbogen vom 15.08.2019 zum Aufenthaltsort seiner Tochter gemacht.
85
Das Gericht ist deshalb der Überzeugung, dass der Kläger schuldhaft gehandelt hat und darüber hinaus eine Anzeige nach § 6 Abs. 4 UVG zur Änderung des Aufenthaltsortes seiner Tochter (in Brasilien) bewusst und damit vorsätzlich unterlassen hat. Nur dem Kläger selbst war bekannt, dass seine Tochter nicht (mehr) bei ihm wohnt. Selbst wenn anfangs (d.h. ab Februar 2017 nach den Angaben der Kindsmutter bzw. April 2017 nach den Angaben des Klägers im Schreiben vom 16.01.2020) nur ein vorübergehender Aufenthalt in Brasilien geplant gewesen sein sollte, so musste dem Kläger spätestens zum Juli 2017 bewusstgeworden sein, dass es nicht mehr nur um einen lediglich vorübergehenden, besuchsweisen Aufenthalt in Brasilien gehandelt hat.
86
d. Da die Unterlassung dieser Angaben ursächlich für die Gewährung und Fortgewährung der Unterhaltsvorschussleistungen war, ist die in § 5 Abs. 1 UVG normierte Schadensersatzpflicht gegeben.
87
2.2 Auch im Zeitraum vom 13./14.12.2019 - 31.01.2020 lagen die Voraussetzungen für die Zahlung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nach Überzeugung des Gerichts nicht vor. Zwar lebte das Kind nunmehr nach übereinstimmenden Angaben der Eltern in Deutschland. Es lebte aber nicht bei einem in dauernder Trennung lebenden Elternteil.
88
Leistungsvoraussetzung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ist, dass das berechtigte Kind a. bei einem seiner Elternteile lebt, und b. dieses Elternteil ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (s.o. Nr. 2).
89
Zu a. Das Merkmal „Leben bei einem Elternteil“ ist nur dann erfüllt, wenn das Kind bei diesem seinen Lebensmittelpunkt hat und dort im Wesentlichen betreut und versorgt wird. Wenn das Kind jedoch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut wird, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung zur Folge hat, sind keine Leistungen zu gewähren (vgl. BVerwG U.v. 11.10.2012 - 5 C 20.11 - juris und BVerwGE 144, 306-313 (Leitsatz und Gründe); vgl. auch OVG NW, U.v. 15.12.2015 - 12 A1053/14 - juris und FamRZ 2016, 1016).
90
Gemessen an diesen Kriterien lebte die Tochter des Klägers im fraglichen Zeitraum nicht beim Kläger, denn sie wurde nach Überzeugung des Gerichts von beiden Elternteilen betreut; es liegt daher keinesfalls eine alleinige Betreuung durch den Kläger vor.
91
Dies ergibt sich aus den Angaben der Kindsmutter bei ihrer weiteren Vorsprache bei der Beklagten am 21.01.2020. Dort hatte sie erklärt, dass der Kläger aufgrund der gemeinsamen Benutzung von Bad und Küche in der Wohnung des Klägers seine Tochter jeden Tag sehe und diese zudem zwischen ihren Eltern hin und her wechsele. Diese Schilderung erscheint vor allem hinsichtlich der Weihnachtsfeiertage nachvollziehbar und das Verhalten der Tochter auch lebensnah. Eine alleinige Betreuung der Tochter durch den Kläger liegt deshalb nach Überzeugung des Gerichts nicht vor.
92
Zu b. Darüber hinaus kann auch nicht mehr von einem Getrenntleben ausgegangen werden.
93
Gemäß § 1 Abs. 2 UVG gilt ein Elternteil, bei dem das Kind lebt, als dauernd getrennt lebend im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, wenn im Verhältnis zum Ehegatten oder Lebenspartner ein Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB vorliegt oder wenn dessen Ehegatte oder Lebenspartner wegen Krankheit oder Behinderung oder auf Grund gerichtlicher Anordnung für voraussichtlich wenigstens sechs Monate in einer Anstalt untergebracht ist. Gemäß § 1567 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Kein Getrenntleben im Sinne dieser Vorschrift liegt dagegen vor, wenn die Eltern bzw. Ehegatten aus beruflichen Gründen keine gemeinsame häusliche Gemeinschaft haben (vgl. Rancke, Mutterschutz - Elterngeld - Elternzeit - Betreuungsgeld, UVG § 1 Rn. 14, beck-online).
94
a. Gemessen daran legt bereits die Rückkehr der Kindsmutter mit der unterhaltsvorschussberechtigten Tochter in das Haus des Klägers die Annahme nahe, dass die beiden Elternteile auch nicht mehr getrennt leben. Auch durch die Rücknahme des Scheidungsverlangens (nach Angaben beider Eheleute) besteht kein Anlass mehr für die Annahme eines „Getrenntleben“ im Sinne des Familienrechts (tatsächliche Verhältnisse).
95
Dies wird auch durch die Angaben der Kindsmutter bei ihrer Vorsprache am 21.01.2020 untermauert. Diese schilderte, dass sie und ihre Tochter sowohl Küche als auch das Bad in der Wohnung des Kindsvaters benutzen. Zwar ist familienrechtlich ein Getrenntleben auch innerhalb einer Wohnung möglich (§ 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB); dass dies praktiziert wird, ist jedoch weder konkret vorgetragen, noch ersichtlich und damit nicht klärungsbedürftig.
96
Darüber hinaus bestätigte der Kläger selbst im Schriftsatz vom 18.05.2020 (Bl. 190 Beiakte), dass er seit Februar 2020 wieder mit seiner Ehefrau zusammenlebe.
97
b. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben der Kindsmutter nicht der Wahrheit entsprechen, wurden nicht geltend gemacht und sind auch den Akten nicht zu entnehmen. Vielmehr verweigerte sich der Kläger nachhaltig der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht, was zu seinen Lasten gewertet wird (s.o).
98
Der Kläger selbst äußerte sich hierzu in keiner Weise. So erklärt er sich trotz mehrerer Aufforderungen und etlicher Gelegenheiten (vgl. Vorladungen vom 27.12.2019 für den 13.01.2020 und vom 20.01.2020 für den 27.01.2020) nie konkret (s.o.). Vielmehr entzog er sich weiteren Ermittlungen und erschien wiederholt zu Vorsprachen bei der Behörde trotz Vorladungen nicht (s.o). Die Person vom Ermittlungsdienst der Beklagten ließ er nicht ins Haus. Erklärungen dazu, wie sich das Zusammenleben und die Betreuung der gemeinsamen Tochter seit dem 12./13.12.2019 gestaltete, machte er nicht. Er lieferte selbst keine - nur ihm möglichen - „nachweislichen Fakten“ (Schriftsatz vom 12.08.2020).
99
Das Nichterscheinen der allein über den Aufenthalt ihrer Tochter informierten Eheleute (Kläger und Zeugin) vor dem Verwaltungsgericht stellt darüber hinaus eine grobe Missachtung des Gerichts dar.
100
Eine derartige Sachaufklärungs- oder Beweisvereitelung und die Verletzung sonstiger Mitwirkungspflichten, die dem Kläger möglich und zumutbar wären, erst recht, da er dazu verpflichtet ist (s.o.), sind im Rahmen der Beweiswürdigung entsprechend §§ 427, 444 und 446 ZPO i.V.m. § 98 VwGO zum Nachteil des Klägers zu berücksichtigen (s.o.).
101
Im Rahmen der Würdigung dieser Gesamtumstände gelangte das Gericht zur Überzeugung, dass im fraglichen Zeitraum die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nicht vorliegen. Eine weitere Sachaufklärung durch Vernehmung der Zeugin drängte sich deshalb nicht auf.
102
c. Das Gericht ist auch hier der Überzeugung, dass der Kläger schuldhaft gehandelt hat. Ihm war bekannt, dass für ihn Informationspflichten nach dem UVG bestehen und dass die Betreuungssituation der gemeinsamen Tochter entscheidend ist. Darauf wurde er ausdrücklich im Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 20.09.2017 (Bl. 43 Beiakte) hingewiesen. Der identische Hinweis auf Mitteilungspflichten findet sich auch auf den vom Kläger unterschriebenen Überprüfungsbögen vom 22.08.2018 (Bl. 63 Beiakte) und vom 15.08.2019 (Bl. 80 Beiakte). Insofern geht das Gericht zumindest von einer Fahrlässigkeit des Klägers hinsichtlich der unterlassenen Mitteilungspflichten gemäß § 6 Abs. 4 UVG aus.
103
d. Da die Unterlassung dieser Angaben ursächlich für die Gewährung und Fortgewährung der Unterhaltsvorschussleistungen war, sind die in § 5 Abs. 1 UVG normierten Voraussetzungen für die Entstehung der Schadensersatzpflicht eingetreten.
104
2.3 Hinsichtlich der Höhe der Schadensersatzforderung wurden keine Bedenken vorgetragen und sind auch den Akten nicht zu entnehmen. Dem Anhang des streitgegenständlichen Bescheides vom 04.02.2020 ist die Zusammenstellung der Rückforderung zweifelsfrei zu entnehmen.
105
3. Die Entscheidung in Ziffer 1 des Bescheides hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligungsbescheide ist zwar teilweise rechtswidrig, verletzt den Kläger jedoch nicht in seinen Rechten. Es bedarf daher keiner Teilaufhebung. Im Übrigen ist die Ziffer 1 im Ergebnis nicht zu beanstanden.
106
3.1 Auch wenn Ziffer 1 des Bescheides hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit im Zeitraum vom 01.07.2017 bis 12./12.12.2019 mangels Ausübung des in § 45 SGB X vorgesehenen Ermessens rechtswidrig ist, erwächst daraus für den Kläger keine Rechtsverletzung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar benannte die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung ihre Erwägungen zur Rücknahme der Bewilligungsbescheide, doch ist die in § 114 Satz 2 VwGO vorgesehene Ergänzung auf bislang nicht ausreichende Ermessenserwägungen beschränkt. Eine erstmalige Ermessensausübung wird davon nicht erfasst.
107
Doch vermag dieser Mangel keine Rechtsverletzung des Klägers persönlich zu bewirken, da sich daraus jedenfalls für ihn selbst keine belastenden Konsequenzen ergeben. Insbesondere stellt diese Rücknahme keine rechtliche Voraussetzung für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches nach § 5 UVG dar (siehe oben Nr. 2). Weitere rechtliche Auswirkungen hat die Rücknahme für die Vergangenheit jedenfalls für den Kläger nicht. Aus diesen Gründen ist ihm gegenüber die in Ziffer 1 des Bescheides ausgesprochene Rücknahme des Bewilligungs- und aller Änderungsbescheide für die Vergangenheit nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht aufzuheben.
108
Soweit für den Zeitraum 12./13.12.2019 bis 31.02.2020 auch § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X als weitere mögliche Rechtsgrundlage für eine Rücknahme in Betracht kommt, gelten die obigen Ausführungen angesichts der gesetzlichen Formulierung „soll“ entsprechend, soweit die Beklagte erkennbar nicht darüber befunden hat, ob sie von einem typischen oder atypischen Fall ausgeht.
109
3.2 Soweit Ziffer 1 des Bescheides auch eine sofortige Einstellung der Leistungen für die Zukunft ab dem 01.02.2020 zu entnehmen ist, findet diese Entscheidung in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ihre Rechtsgrundlage.
110
3.2.1. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann vorliegend als Rechtsgrundlage herangezogen werden. Kommt ein Verwaltungsgericht zu der Erkenntnis, dass ein Verwaltungshandeln zu Unrecht auf die von der Behörde herangezogene Rechtsnorm gestützt ist, ist es befugt und verpflichtet zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang das Verwaltungshandeln mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann; einer (richterlichen) Umdeutung bedarf es hierfür nicht (BVerwG Beschluss vom 29.7.2019 - 2 B 19.18 - juris Rn. 24).
111
Insbesondere ist ein Austausch der Rechtsgrundlage eines Bescheides durch das Gericht möglich, wenn die Identität der im Bescheid getroffenen behördlichen Regelung nicht verändert wird und der Bescheid sowie die ihn tragenden Ermessenserwägungen nach ihrem „normspezifischen Zuschnitt“ dadurch keine Wesensänderung erfahren (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 26.5.2009 - 1 LB 38/08 - juris). Das Wesen des angefochtenen Bescheids wird hier durch ein Auswechseln der Ermächtigungsgrundlage nicht verändert, da sie gerade keine Ermessensausübung voraussetzt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung keine Einwände geltend gemacht.
112
3.2.2 Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen vor. Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (siehe unten a.) vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (siehe unten b.).
113
a. Der Bescheid der Beklagten vom 20.09.2017 zur Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Er erschöpft sich nicht in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern begründet ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis, in dem nach seinem Wortlaut nicht etwa auf einen bestimmten zeitabschnittbezogene, sondern - ausdrücklich - eine laufende Unterhaltsleistung für eine gewisse Zeit gewährt wird, sodass § 48 SGB X Anwendung findet (vgl. BVerwG, U.v. 28.9.1995 - 5 C 21.93 - juris).
114
b. Die Rückkehr der Kindsmutter am 12./13.12.2019 und das anschließende gemeinsame Wohnen im Haus des Klägers in Verbindung mit die Rücknahme des Scheidungsverlangens (vgl. Schreiben des Klägers vom 18.05.2020 an die Beklagte, Bl. 190 ff. Beiakte) stellen wesentliche Änderungen der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse für die unterhaltsvorschussberechtigte Tochter des Klägers dar. Zur Vermeidung von Wiederholungen hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG wird auf die obigen Ausführungen (zum „Leben bei einem Elternteil“, das ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt) Bezug genommen (siehe oben Nr. 2.2.1). Allein deshalb ist Aufhebung der Bewilligungs- und Änderungsbescheide mit Wirkung für die Zukunft rechtmäßig und nicht zu beanstanden.
115
3.2.3 Nur ergänzend ist hinsichtlich eines weiteren Anspruches auf Unterhaltsvorschussleistungen noch auszuführen, dass gemäß § 1 Abs. 3 UVG nach Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse (Rückkehr der Klägerin ins Haus des Klägers) kein Anspruch auf Unterhaltsleistung besteht. Nach dieser Norm besteht kein Anspruch auf Unterhaltsleistung, wenn der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 UVG bezeichnete Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenlebt oder sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind, zu erteilen. Auch diese Voraussetzungen liegen vor.
116
4. Die Anordnung des Sofortvollzugs in Ziffer 3 des Bescheides am Ende des streitgegenständlichen Bescheides ist unter Hinweis auf das besondere öffentliche Interesse bei der Rückzahlung von Sozialleistungen (noch) ausreichend schriftlich begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und auch sonst im Ergebnis nicht zu beanstanden. Ein überwiegendes Interesse des Klägers an der Aufhebung der sofortigen Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheides besteht nicht, da sein dagegen erhobenes Rechtsmittel erfolglos bleibt (s.o.).
117
5. Der Ziffer 4 des Bescheides, wonach Ziffer 2 nach den Bestimmungen des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes - VwZVG - für vollstreckbar erklärt werden kann, ist kein eigenständiger Regelungsgehalt zu entnehmen, sondern stellt wohl eher einen Hinweis auf die Möglichkeit einer Vollstreckungsanordnung (Art. 24 VwZVG) dar. Eine Prüfung der Rechtmäßigkeit erübrigt sich - unbeschadet eines zweifelhaften Rechtschutzbedürfnisses - daher.
118
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Nach § 188 Satz 2 1. Halbsatz i.V.m. Satz 1 VwGO werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) in Angelegenheiten der Fürsorge nicht erhoben.
119
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.