Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 03.04.2020 – W 10 K 19.30677
Titel:

Dublin III (Italien): Keine systemischen Mängel, jedoch zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot für Mutter mit Kleinstkind

Normenketten:
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1, Art. 29 Abs. 2 S. 1
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 4, § 38 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Das Asylverfahren in Italien widerspricht unionsrechtlichen Maßstäben nicht, dort herrschen keine unzureichende Aufnahmebedingungen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen. (Rn. 38 - 48) (redaktioneller Leitsatz)
2. Systemische Mängel können auch nicht aufgrund der derzeitigen tatsächlichen Entwicklungen in Italien im Zeichen der durch das COVID-19-Virus ausgelösten Corona-Pandemie angenommen werden. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Vorhandensein belastbarer Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im Zielstaat hat das Bundesamt vor der Überstellung von Familien mit Klein- bzw. Kleinstkindern eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung (Garantieerklärung) der Behörden des Zielstaats einzuholen, dass die Familie dort eine gesicherte Unterkunft für alle Familienmitglieder erhalten wird. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es besteht aufgrund der Aufnahmebdingungen in Italien die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu Lasten der Klägerin, die Angehörige einer Kernfamilie mit einem Kleinstkind im Alter von noch nicht einmal einem Monat ist. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Überstellung nach Italien, Abschiebungsandrohung im Dublin-Verfahren, Aufschiebende Wirkung der Klage, Kein Ablauf der Überstellungsfrist, Keine systemischen Mängel, Keine Pflicht zum Selbsteintritt, Zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot für Mutter mit Kleinstkind, Einzelfallbezogene Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes, Abschiebungsandrohung, Italien, Asylantrag, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, kein Familienangehörige, Kindeswohl, vulnerable Person
Fundstelle:
BeckRS 2020, 5588

Tenor

I. Die Ziffern 2 bis 4 des Bescheides der Beklagten vom 2. April 2019 (Gz.: …) werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die mit einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung verbundene Ablehnung ihres Asylantrages als unzulässig wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates. Hilfsweise begehrt sie die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens.
2
1. Die Klägerin ist nach eigenen Angaben eine am … … 1990 in Drobo, Ghana, geborene ghanaische Staatsangehörige. Am 2. Januar 2019 wurde sie im Bundesgebiet als Asylsuchende erkennungsdienstlich behandelt. Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie 2 für Italien vom 2. April 2018.
3
Am 21. Januar 2019 stellte die Klägerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Dabei gab sie an, sie sei etwa im Januar 2018 aus ihrem Herkunftsland Ghana ausgereist und nach Ostern 2018 in Italien angekommen. Am 1. Dezember 2018 sei sie über die Schweiz und Frankreich in das Bundesgebiet eingereist. Sie habe in keinem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt, jedoch in Italien Fingerabdrücke abgegeben. Sie sei etwa im siebten Monat schwanger, der Vater des ungeborenen Kindes sei ein am … … 1976 geborener ghanaischer Staatsangehöriger, der sich als Asylbewerber in Deutschland aufhalte (vgl. Aktenvermerk Bl. 42 der Behördenakte).
4
Am 29. Januar 2019 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages statt (Bl. 49 ff. der Behördenakte). Die Klägerin bestätigte die bisherigen Angaben, gab allerdings ergänzend an, sie habe sich bis Dezember 2018 in Italien aufgehalten und sei dann nach Deutschland weitergereist, um nach dem Vater ihres ungeborenen Kindes zu suchen, den sie in Italien auf einer Party kennen gelernt habe. Sie habe zwar in Palermo Asyl beantragt, es habe jedoch keine Anhörung zu ihren Asylgründen stattgefunden und es sei keine Entscheidung über ihren Antrag ergangen. Außer dem Vater ihres ungeborenen Kindes habe sie keine Angehörigen in Deutschland.
5
Am 30. Januar 2019 ersuchte das Bundesamt die italienischen Behörden um Übernahme der Klägerin nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO). Am selben Tag fand eine Befragung bei der Zentralen Ausländerbehörde Bayern bei der Regierung von Unterfranken statt (Bl. 86 ff. der Behördenakte). Die Klägerin legte einen Mutterpass vor, aus welchem der voraussichtliche Geburtstermin … … 2019 hervorgeht (Bl. 92 der Behördenakte).
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2. Mit Bescheid vom 2. April 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Klägerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung nach Italien angedroht (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
7
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund der illegalen Einreise in diesen Mitgliedstaat gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig sei. Für den Fall der Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat ergebe sich die Unzulässigkeit des Asylantrages aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrages könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor, jedoch bestehe das temporäre Abschiebungshindernis des § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) aufgrund der Schwangerschaft der Klägerin. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Beklagte zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO veranlassen könnten, seien nicht ersichtlich. Nach Aktenlage bestehe mit dem Vater des ungeborenen Kindes der Klägerin keine zivilrechtlich wirksame Ehe, so dass dieser kein Familienangehöriger i.S.d. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO sei. Darüber hinaus sei die Vaterschaft zum einen nicht belegt, zum anderen wäre eine Vaterschaftsanerkennung hinsichtlich eines ungeborenen Kindes grundsätzlich nicht allein ausreichend, um Abschiebungsverbote i.S.d. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK festzustellen. Es sei grundsätzlich zumutbar, eine beabsichtigte Eheschließung und Herstellung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater vom zuständigen Mitgliedstaat aus zu betreiben. Die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG beständen grundsätzlich erst ab der Geburt des Kindes. Die Klägerin habe keine weiteren schutzwürdigen Belange als die bereits erwähnten Sachverhalte vorgetragen, welche sich auf die Festsetzung der Frist des gesetzlichen Wiedereinreiseverbotes auswirken könnten. Sie verfüge nach eigenen Angaben im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, welche im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Auch sonst habe sie keine Belange vorgetragen, welche eine kürzere Frist angezeigt erscheinen ließen. Es lägen auf der anderen Seite keine Anhaltspunkte vor, welche die Festsetzung einer höheren Frist rechtfertigten. Daher sei eine Frist von sechs Monaten angemessen.
8
Der Bescheid ging am 3. April 2019 bei der Aufnahmeeinrichtung ein (Bl. 128 der Behördenakte) und wurde der Klägerin am selben Tag persönlich ausgehändigt (Bl. 127 der Behördenakte).
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3. Am 8. April 2019 ließ die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben. Zur Begründung wurde ausgeführt, angesichts der aktuellen Situation in Italien sei Deutschland verpflichtet, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, um eine Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 3 EMRK zu verhindern.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 2. April 2019 aufzuheben.
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4. Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
13
5. Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2019 trugen die Klägerbevollmächtigten nach Akteneinsicht ergänzend vor, der Vater des (laut Auszug aus dem Geburtenregister, Bl. 161 der Akte, am …2019 geborenen) Kindes der Klägerin sei niederländischer Staatsbürger. Eine Vaterschaftsanerkennung werde in die Wege geleitet. Die Beklagte sei gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO i.V.m. Art. 6 GG zuständig. Vorliegend dürfte von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen sein, aus welcher der Klägerin ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts erwachse. Allein die Ausübung des Selbsteintrittsrechts stelle eine ermessensfehlerfreie Entscheidung im vorliegenden Fall dar. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei besonders der Schutz der Klägerin aus Art. 6 GG zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei ausweislich des 13. Erwägungsgrundes der Dublin III-VO sowie des Art. 6 Abs. 1 und 3 Dublin III-VO das Kindeswohl eine der vorangehenden Erwägungen in der Anwendung der Verordnung und damit auch im Rahmen der Ermessensausübung im Rahmen des Selbsteintrittsrechts. Danach sollten die Mitgliedstaaten besonders das Wohlbefinden und die soziale Entwicklung des Minderjährigen, Erwägungen der Sicherheit und der Gefahrenabwehr sowie den Willen des Minderjährigen unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Reife, einschließlich seines Hintergrundes berücksichtigen. Vorliegend sei nicht ersichtlich, inwiefern die Abschiebung der Kindesmutter das Kindeswohl berücksichtige. Vielmehr dürfte es dem Kindeswohl entsprechen, mit beiden Elternteilen aufzuwachsen, von diesen versorgt zu werden und eine dauerhafte, vertraute Beziehung aufzubauen. Dies sei bei einer Abschiebung der Kindesmutter nach Italien nur bedingt möglich. Es sei davon auszugehen, dass dadurch dem Kind jedenfalls eine wichtige Bezugsperson, d.h. entweder die Mutter oder der Vater genommen würde. Da das Kind lediglich wenige Wochen alt sei, dürfte davon auszugehen sein, dass es seine Mutter nach Italien begleiten würde. Dies könne im Hinblick auf die derzeitige Situation in Italien nicht dem Kindeswohl entsprechen. Besonders sei zu berücksichtigen, dass der Kindsvater als niederländischer Staatsangehöriger ein gesichertes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland habe. Sobald die Vaterschaft anerkannt sei, stehe fest, dass das gemeinsame Kind ebenfalls die niederländische Staatsangehörigkeit besitze, weshalb die Klägerin auch davon abgeleitet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben werde. Vor diesem Hintergrund sei die Abschiebung nach Italien unverhältnismäßig, weshalb die Beklagte es ermessensfehlerhaft versäumt habe, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Unabhängig von einer Vaterschaftsanerkennung ergebe sich die Zuständigkeit der Beklagten auch aus Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO. Es seien hinreichende Gründe für die Annahme feststellbar, dass bei einer Rückkehr nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund systemischer Mängel die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohe. Dies müsse insbesondere für die Klägerin als alleinerziehende Mutter eines Neugeborenen gelten. Als solche sei sie besonders vulnerabel. Im Übrigen liege jedenfalls bis acht Wochen nach der Geburt ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vor.
14
Vorgelegt wurde eine eidesstaatliche Versicherung der Klägerin vom 25. Februar 2019, aus welcher u.a. hervorgeht, dass sie in Italien zwei bis drei Wochen mit dem in Ghana geborenen niederländischen Staatsangehörigen C. J. zusammen gewesen sei und von ihm schwanger geworden sei. Er sei der einzige Mann, der als biologischer Kindsvater in Betracht komme. Sie planten eine gemeinsame Zukunft und wollten das Kind mit dem gemeinsamen Sorgerecht großziehen. Sie wollten auch sobald wie möglich heiraten.
15
6. Mit Email-Nachrichten vom 24./25. Juni 2019 teilte die Ausländerbehörde dem Bundesamt mit, dass die Klägerin vom 11. bis 25. Juni 2019 untergetaucht gewesen sei. Eine Mitteilung an die italienischen Behörden ist nicht erfolgt.
16
7. Mit Beschluss vom 24. Februar 2020 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Für die Klägerin wurde auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Für die Beklagte hat das Bundesamt bereits vorab durch allgemeine Prozesserklärung sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage entscheidet das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
20
Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
21
1. Die Klage ist zulässig.
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a) Hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Ziffer 1) sowie der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Ziffer 3) ist die Anfechtungsklage statthaft; dies folgt bereits aus dem Charakter dieser Maßnahmen als belastender Verwaltungsakte i.S. von § 42 Abs. 1 Alternative 1 VwGO i.V.m. § 35 Satz 1 VwVfG und entspricht ständiger Rechtsprechung (z.B. BVerwG, U.v. 8.1.2019 - 1 C 16.18 - juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.50029 - juris Rn. 19 m.w.N.).
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b) In Bezug auf die negative Feststellung bezüglich des zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutzes gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in Ziffer 2 bleibt zwar eine (isolierte) Anfechtung grundsätzlich hinter dem Rechtsschutzziel der von einer Überstellungsentscheidung in einen anderen Mitgliedstaat betroffenen Klägerin zurück. Zwar darf die Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG nur ergehen, wenn (u.a.) Abschiebungsverbote bezüglich des jeweiligen Zielstaates nicht vorliegen, womit aber keine (ausdrückliche) negative Entscheidung über den zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG vorausgesetzt ist (BVerwG, U.v. 25.7.2017 - 1 C 10.17 - juris Rn. 14). Allerdings steht eine ausdrückliche negative Feststellung zum zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz, wie hier, jedenfalls nach Eintritt ihrer Bestandskraft einer erneuten (positiven) Entscheidung insoweit entgegen (vgl. § 43 Abs. 2 i.V.m. §§ 51 Abs. 1, Abs. 5, 48, 49 VwVfG). Dies kann aber im Ergebnis dahinstehen, weil eine Anfechtungsklage gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 AsylG jedenfalls in der Regel - und so auch hier - bei sachgerechter Würdigung des Rechtsschutzbegehrens (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) dahingehend auszulegen ist, dass hilfsweise auch die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutzes beantragt wird (BVerwG, U.v. 25.7.2017 - 1 C 10.17 - juris Rn. 11).
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c) Des Weiteren fehlt es für den Fall, dass die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes rechtswidrig ist, auch an einer Rechtsgrundlage für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, sodass es insoweit genügt, die Aufhebung des regelmäßig in der Befristungsentscheidung (Ziffer 4 des Bescheides) implizit mitverfügten Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F. (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21.17 - juris Rn. 25; U.v. 25.7.2017 - 1 C 10.17 - juris Rn. 23 m.w.N.; entgegen BVerwG, U.v. 6.3.2014 - 1 C 2.13 - juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris Rn. 59 m.w.N.) zu beantragen.
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2. Die Klage ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet und insoweit abzuweisen.
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Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 2. April 2019 erfolgte Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (siehe nachfolgend a)). Demgegenüber hat die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 AsylG) einen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutzes hinsichtlich Italiens aus § 60 Abs. 5 AufenthG (siehe nachfolgend b)), weshalb die Ziffer 2 und in der Folge auch die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3 (siehe nachfolgend c)) und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes unter Ziffer 4 (siehe nachfolgend d)) des angefochtenen Bescheids rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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a) Die Beklagte hat den Asylantrag zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als unzulässig abgelehnt.
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Ein Asylantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
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aa) Im vorliegenden Falle ist die Italienische Republik gemäß Art. 13, 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig, weil die Klägerin dort nach eigenen Angaben erstmals internationalen Schutz beantragt hat. Sollte der Vortrag der Klägerin insoweit unzutreffend sein, was der vorliegende Eurodac-Treffer der Kategorie 2 nahelegen könnte, so würde sich die Verpflichtung Italiens zur Aufnahme der Klägerin aber aus Art. 13, 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO ergeben. Die Beklagte hat auch, ausgehend vom 2. Januar 2019 als Datum der Kenntniserlangung von dem Eurodac-Treffer, innerhalb der Zweimonatsfrist gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 bzw. Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO - nämlich am 30. Januar 2019 - um (Wieder-) Aufnahme der Klägerin ersucht. Da das Ersuchen nicht innerhalb der Fristen nach Art. 22 Abs. 1 bzw. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 Dublin III-VO beantwortet wurde, galt die Zustimmung des zuständigen Mitgliedstaates gemäß Art. 22 Abs. 7 bzw. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO (spätestens) mit Ablauf des 30. März 2019 als erteilt. Dies zog die Verpflichtung dieses Mitgliedstaates nach sich, die Klägerin (wieder) aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für ihre Ankunft zu treffen.
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bb) Die Zuständigkeit ist auch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wegen Fristablaufs auf die Beklagte übergegangen. Läuft die in Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO geregelte Überstellungsfrist ab, ohne dass der betroffene Asylbewerber in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde, und liegt überdies kein Fall einer Fristverlängerung gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO vor, so geht die Zuständigkeit von Rechts wegen, d.h. kraft „Gesetzes“ auf die Beklagte über (EuGH, U.v. 25.10.2017 - Shiri, C-201/16 - juris Rn. 30, 34; BVerwG, B.v. 2.12.2019 - 1 B 75.19 - juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.50029 - juris Rn. 25; B.v. 16.5.2018 - 20 ZB 18.50011 - juris Rn. 2).
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(1) Dies ist hier der Fall, denn die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist am 30. September 2019 abgelaufen. Da die Zustimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur (Wieder-) Aufnahme der Klägerin gemäß Art. 22 Abs. 7 bzw. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO (spätestens) mit Ablauf des 30. März 2019 als erteilt galt, ist der Lauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO (spätestens) vom 31. März 2019 ausgehend zu berechnen. Dahinstehen kann insoweit, ob die Beklagte bei ihrer (internen) Berechnung der Überstellungsfrist (Bl. 116 der Behördenakte) zu Recht von einem Fall des Art. 22 Abs. 7 bzw. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 (und nicht Satz 2) Dublin III-VO ausging.
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(2) Die Überstellungsfrist beginnt vorliegend jedoch erst mit der Rechtskraft der Entscheidung über einen gerichtlichen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung, d.h. über die vorliegende Klage, zu laufen (vgl. EuGH, U.v. 26.7.2017 - A.S., C-490/16 - juris Rn. 60; U.v. 29.1.2009 - Petrosian, C-19/06 - juris; BVerwG, U.v. 8.1.2019 - 1 C 16.18 - Rn. 18 ff.; U.v. 9.8.2016 - 1 C 6.16 - juris Rn. 18). Denn der Klage gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung im sog. Dublin-Verfahren kommt gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG aufschiebende Wirkung zu. Danach hat die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 (sowie der §§ 73, 73b und 73c) aufschiebende Wirkung. Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Bundesamt hat vorliegend zu Recht entsprechend § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Ziffer 3 des Bescheides eine Ausreisefrist von 30 Tagen gesetzt. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG beträgt „in den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt“, die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Die ganz überwiegende Meinung in der Rechtsprechung geht davon aus, dass die Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG von der Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfasst ist (VG Düsseldorf, B.v. 14.11.2016 - 22 L 2936/16.A - juris Rn. 22; B.v. 2.6.2017 - 22 L 1290/17.A - juris Rn. 15; VG München, B.v. 29.12.2016 - M 21 S 16.35313 - juris Rn. 25 ff.; B.v. 17.10.2017 - M 21 S 17.47439 - juris Rn. 22; VG Bayreuth, B.v. 4.4.2017 - B 3 S 17.50316 - juris Rn. 25; VG Hannover, B.v. 26.4.2017 - 5 B 7267/16 - juris Rn. 25; VG Regensburg, B.v. 13.9.2017 - RN 14 S 17.33783 - juris Rn. 19; VG Berlin, U.v. 2.2.2018 - 23 K 733.17 A - juris Rn. 22; B.v. 23.8.2018 - 23 K 367.18 A - juris Rn. 8; U.v. 27.2.2019 - 23 K 367.18 A - juris Rn. 26; VG Augsburg, GB.v. 21.3.2018 - Au 4 K 17.35681 - juris Rn. 14; VG Dresden, U.v. 10.12.2018 - 12 K 553/16.A - juris Rn. 27; VG Magdeburg, U.v. 14.10.2019 - 8 A 274/19 - juris Rn. 61; a.A. VG Würzburg, B.v. 6.2.2020 - W 10 S 19.32292 - juris Rn. 18). Dem schließt sich der erkennende Einzelrichter aus eigener Überzeugung an.
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Wenngleich die Formulierung in § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wonach das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten „anerkennt“, für eine Anknüpfung des § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG an eine vor dem Erlass der Abschiebungsandrohung erfolgte Sachprüfung und damit an einen zulässigen Asylantrag sprechen könnte, lässt sich ein solches Verständnis schon nicht mit der Entstehungsgeschichte, erst recht aber nicht mit systematischen und teleologischen Überlegungen rechtfertigen. § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG wurde mit Wirkung vom 6. August 2016 in das Gesetz eingefügt, welches lediglich in den von §§ 36 und 37 AsylG erfassten Fällen der Ablehnung des Asylantrags als unbeachtlich bzw. offensichtlich unbegründet eine spezielle Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung - genauer: für die Zielstaatsbestimmung, die Ausreisefrist und über § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch für die sofortige Vollziehbarkeit - enthielt und die Abschiebungsandrohung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG für den Regelfall der Ablehnung des Asylantrags als (einfach) unbegründet vorsah. Schon nach dieser vom Änderungsgesetzgeber vorgefundenen Gesetzessystematik wurde die in § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG unverändert beibehaltene Formulierung „in den sonstigen Fällen“ des § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG a.F. als Abgrenzung von den vorhergehenden §§ 36 und 37 Asyl(Vf) G verstanden (vgl. zu § 38 AsylVfG: BVerwG, U.v. 17.8.2010 - 10 C 18.09 - juris Rn. 14). Des Weiteren käme für den Fall, dass § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG keine Anwendung auf die Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG fände, nur eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 AsylG in Betracht. Denn das Asylgesetz enthält keine dem § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vergleichbare Regelung, welche lediglich einen Rahmen für die von der Behörde im Einzelfall zu bemessende Ausreisefrist festlegt. Für eine Analogie zu § 36 Abs. 1 AsylG in den Fällen des § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG ist aber, wie das VG München überzeugend ausführt, weder ein Bedürfnis noch eine systematische Rechtfertigung zu erkennen (VG München, B.v. 29.12.2016 - M 21 S 16.35313 - juris Rn. 25 ff.). Insbesondere lässt sich der hinter der kurzen Ausreisefrist in § 36 Abs. 1 AsylG mit der Folge des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG stehende Beschleunigungsgedanke nicht auf die Fälle des § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG übertragen, weil hier gerade vom Bestehen von - temporären - Vollstreckungshindernissen ausgegangen wird, welche einem kurzfristigen Vollzug der Abschiebung entgegenstehen (vgl. insb. VG München, B.v. 29.12.2016 - M 21 S 16.35313 - juris Rn. 27 ff. m.w.N.). Des Weiteren ginge eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 AsylG ohne ein dies rechtfertigendes Bedürfnis in einer Vielzahl der Fälle zu Lasten des betroffenen Asylbewerbers, weil sie zur Festsetzung einer wesentlich kürzeren Ausreisefrist (1 Woche anstatt 30 Tagen) und zudem zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im Umkehrschluss aus § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG führte. Dass eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 AsylG im vorliegenden Fall ausnahmsweise wegen des dann anzunehmenden Ablaufs der Überstellungsfrist der Klägerin zugutekäme, da Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO greift trotz des zeitweiligen Untertauchens der Klägerin mangels entsprechender Mitteilung an den zuständigen Mitgliedstaat nicht greift (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 75; BVerwG, B.v. 2.12.2019 - 1 B 75.19 - juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 14.11.2019 - 13a B 19.50029 - juris Rn. 28 ff., insb. 33 f.), vermag einen solchen Analogieschluss trotz der dargelegten systematischen und teleologischen Bedenken nicht zu rechtfertigen. Es bleibt damit dabei, dass vorliegend die Klage gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG aufschiebende Wirkung hat und somit die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen ist.
34
cc) Der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig stehen auch weder systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien (1), noch eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO (2) entgegen. Da das Gericht, wie nachfolgend noch auszuführen sein wird (siehe (1)), im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 AsylG keine Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen systemischer Mängel bezüglich Italiens zu gewinnen vermag, kommt eine Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung nicht in Betracht.
35
(1) Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 - NVwZ 2012, 417 Rn. 79; U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 80). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) sowie mit der GFK und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine widerlegliche Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das GEAS in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 83 f.). Insbesondere ist das in Art. 4 EU-GR-Charta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung und muss aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 EU-GR-Charta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch bei Überstellungen von Asylbewerbern nach den Dublin-Verordnungen vollumfänglich beachtet werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 14.11.2013 - Puid, C-4/11 - NVwZ 2014, 129; U.v. 16.2.2017 - C-578/16 - NVwZ 2017, 691 Rn. 59; U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 78). Die Vermutung, wonach der Aufnahmestaat seinen Pflichten aus Art. 3 EMRK nachkommt, kann deshalb widerlegt werden, wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass die Person, deren Rückführung angeordnet wird, einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) entgegensehen würde, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel, Nr. 29217/12 - NVwZ 2014, 127, Rn. 104; U.v. 21.1.2011 - M.S.S., Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413 Rn. 342). Die Ursache der Gefahr hat keine Auswirkungen auf das Schutzniveau der EMRK und befreit den überstellenden Staat nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und im Falle der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung die Durchsetzung der Abschiebung auszusetzen (EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel, a.a.O.). Diesen Vorgaben des höherrangigen Unionsrechts sowie des internationalen Rechts trägt Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO Rechnung. Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Unter diesen Umständen hat die Beklagte zunächst gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III (Art. 7 - 15 Dublin III-VO) fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf die Beklagte über.
36
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 - 10 LB 82/17 - juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EGMR kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 - 27725/10 - ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
37
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019, Az.: C-163/17 (juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 92 f.).
38
Entsprechend den vorstehenden Ausführungen geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aktuellen Erkenntnisstand nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen.
39
Die Republik Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union an die europäischen Grundrechte (Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta) sowie an die EMRK gebunden. Deshalb spricht zunächst die durch das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründete Vermutung für die Zulässigkeit der Abschiebung in einen solchen Staat. Diese Vermutung ist nicht durch die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen entkräftet, weil eine Zusammenschau der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien zumindest den internationalen und europäischen Mindeststandards entsprechen und jedenfalls elementare Bedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden können.
40
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Im Falle einer Ablehnung kann ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden oder Beschwerde gegen den Ablehnungsbescheid erhoben werden. Das Asylverfahren soll zwar grundsätzlich nicht länger als sechs Monate dauern (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23.2.2016). Der Umstand, dass diese Verfahrensdauer aufgrund der aktuellen Belastungssituation nicht immer eingehalten werden kann, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines unzureichenden Asylverfahrens, zumal diesbezügliche Schwierigkeiten wegen des enormen Zustroms an Schutzsuchenden nicht nur in Italien, sondern in vielen europäischen Ländern bestehen.
41
Des Weiteren erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien nach wie vor Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. BFA, a.a.O., S. 13 m.w.N.). Auch wenn Italien diesbezüglich möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
42
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden gleichwohl medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet (vgl. BFA, a.a.O., S. 19 ff.). Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylbewerber auf der Basis des „domicilio“ garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (vgl. BFA, a.a.O., S. 19 ff.).
43
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. Bundesamt, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: April 2019, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2018update.pdf, S. 80 ff.), so dass angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern nach wie vor eine Überbelegung anzunehmen ist.
44
Durch das sog. Salvini-Dekret soll die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert und ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen werden. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte („Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugiati“), wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Künftig werden Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie unbegleitete Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Ausschreibungsspezifikationen für die Unterkünfte wurde auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Zudem kann durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen sollen auch künftig Berücksichtigung finden. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich im Stichtag 5. Oktober 2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraums weiterhin bleiben. Sofern sie sich dagegen noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben sie dort so lange, bis ihnen von der Questura der Aufenthaltstitel übergeben wurde. Danach werden sie aus dem Aufnahmesystem entlassen (vgl. zum Ganzen BFA, a.a.O., S. 12 ff., S. 18 f.).
45
Neben den staatlichen Einrichtungen existieren bisher verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. In Einzelfällen ist es jedenfalls bislang gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhalten und vorübergehend obdachlos sind. Insbesondere kann es zu Problemen kommen, wenn Dublin-Rückkehrer in Italien bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt oder eine ihm zugewiesene Unterkunft gar nicht erst in Anspruch genommen hat (vgl. BFA, a.a.O., S. 19). Der Anspruch kann zwar wiederaufleben. Insoweit ist allerdings ein vorheriger Antrag bei der Questura erforderlich, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung kann erst dann wieder erfolgen, wenn die Wiederaufnahme genehmigt wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28). In dieser Übergangsphase sind Dublin-Rückkehrer auf die Hilfe von Freunden oder karitativen Einrichtungen, über deren Aufnahmekapazität es keine gesicherten und aussagekräftigen Unterlagen gibt, angewiesen, um der Obdachlosigkeit entgehen zu können. Im Ergebnis ist die Unterkunftssituation in ihrer Gesamtschau zum aktuellen Stand weiterhin problematisch.
46
Gleichwohl sind diese defizitären Umstände noch nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung von European Asylum Support Office der Europäischen Union (EASO) geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO Special Support Plan to Italy, 11.3.2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung durch das Salvini-Dekret.
47
Auf der Basis der vorstehenden Ausführungen schließt sich das Gericht unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz bestehender Mängel noch als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 9.1.2019 - 1 C 26.18 - juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 18.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris; NdsOVG, B.v. 13.6.2018 - 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 2.7.2018 - 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; OVG NW, U.v. 22.9.2016 - 13 A 2448/15.A - juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 - 12 L 3754/16.A - juris; VG Augsburg, B.v. 1.3.2018 - Au 5 S 18.50329 - juris; VG München, B.v. 6.6.2018 - M 11 S 18.51151 - Beck RS 2018, 15962; B.v. 9.8.2018 - M 26 S 18.52225, BeckRS 2018, 19472; VG Ansbach, U.v. 1.8.2018 - AN 14 K 17.50567 - juris; VG Karlsruhe, U.v. 22.3.2018 - A 5 K 15921/17 - BeckRS 2018, 7260;).
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Diese Auffassung vertritt auch der EGMR, der in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt hat, dass zwar nicht ausgeschlossen werden könne, dass ein Asylbewerber im Einzelfall keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht sei, die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien aber nicht mit der Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen (EGMR, Tarakhel ./.Schweiz, Nr. 29217/12 - NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.).
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Systemische Mängel können schließlich auch nicht mit der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit aufgrund der derzeitigen tatsächlichen Entwicklungen in Italien im Zeichen der durch das COVID-19-Virus ausgelösten Corona-Pandemie angenommen werden. Wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich in seiner Kurzinformation vom 24. März 2020 mitteilt (BfA, Kurzinformation der Staatendokumentation - ausgewählte Dublin-Länder und Ukraine, aktuelle Lage in Zusammenhang mit COVID-19 [Corona-Pandemie], S. 1/2 m.w.N.), wurden in Italien die Verwaltungsverfahren für die Erneuerung einer Aufenthaltserlaubnis ausgesetzt, was bedeutet, dass seit 2. März 2020 für 30 Tage keine Anträge auf Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen mehr angenommen werden. Ebenso kommt es zu Einschränkungen beim Zugang zu Gerichten bis zum 3. April 2020 und Aussetzung von Asylinterviews und Beschwerdeanhörungen. Für Asylsuchende oder Flüchtlinge sollen dieselben Maßnahmen gelten wie für italienische Staatsbürger, was Gesundheitskontrollen und Quarantäne betrifft. Auch Integrationsleistungen wie Hilfe bei der Jobsuche, Rechtshilfe durch den italienischen Staat und Nichtregierungsorganisationen wurden demnach stark reduziert und Italienischkurse bis auf weiteres ausgesetzt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese der Situation geschuldeten und vorübergehenden, wenn auch in ihrer Dauer unbestimmten Einschränkungen zu systemischen Mängeln führen, welche die ernsthafte Gefahr einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EU-GR-Charta zu Lasten nach Italien überstellter Personen begründen. So kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Nichtverlängerung von Aufenthaltstiteln zu einem Verstoß gegen das Verbot des Non-Refoulements, d.h. zu einer verbotenen Abschiebung tatsächlich Schutzbedürftiger in den Verfolgerstaat führt. Vielmehr verweigern derzeit zahlreiche afrikanische Staaten allen Personen die Einreise, weshalb eine Abschiebung tatsächlich unmöglich sein dürfte, jedenfalls aber wegen des vom BfA (a.a.O.) geschilderten anderweitigen Einsatzes von Polizeikräften zur Seuchenbekämpfung nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Dass Einschränkungen beim Gerichtszugang bestehen, die nicht näher spezifiziert werden, bedeutet nicht, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Klagen (beispielsweise durch Einreichen eines Schriftsatzes bei Gericht) erhoben werden können oder gar ein endgültiger Rechtsverlust beispielsweise durch den Eintritt der Bestandskraft einer Rückkehrentscheidung droht. Vielmehr dürften auch im italienischen Prozessrecht, entsprechend der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 60 VwGO), geeignete Verfahrensinstrumente zur Verfügung stehen, um von den Betroffenen nicht zu vertretende Rechtsverluste zu verhindern. Dass schließlich derzeit in der Regel keine Anhörungen im Asylverfahren durchgeführt werden und Integrationsleistungen nicht im gewohnten Umfang zur Verfügung stehen, vermag ersichtlich keine systemischen Mängel zu begründen, zumal ohne Anhörung auch keine Entscheidung über den Asylantrag zulasten des Antragstellers ergehen dürfte und Integrationsleistungen als solche nicht für den von Art. 4 EU-GR-Charta geforderten Mindeststandard von Bedeutung sind. Zusammenfassend kann trotz einer anzunehmenden Verschlechterung der Aufnahmesituation in Italien mangels anderer Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass dorthin überstellte Asylbewerber auf ein solches Maß von Gleichgültigkeit der zuständigen Stellen treffen, dass ihre Grundrechte, insbesondere das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung nach Art. 4 EU-GR-Charta, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit verletzt werden.
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Gründe für eine Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides bestehen somit nicht unter dem Gesichtspunkt systemischer Mängel. Dem steht nicht entgegen, dass im Falle der Klägerin zur Überzeugung des Gerichtes individuell die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nach Italien und deshalb das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG besteht (siehe nachfolgend b)). Dem gegenüber ist die Entscheidung des EuGH vom 13. November 2019 in der Rechtssache Adel Hamed und Amar Omar, C-540/17 (juris) im Fall eines in Italien anerkannten Schutzberechtigten ergangen und schließt es allein im Falle systemischer Mängel der Aufnahmebedingungen im schutzgewährenden Mitgliedstaat aufgrund einer teleologischen Reduktion des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie n.F.) aus, den Asylantrag als unzulässig abzulehnen. Selbst wenn man von einer Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Dublin-Überstellungen ausgeht, welche zwar allein nach der Dublin III-Verordnung und nicht nach der - insoweit unanwendbaren - Asylverfahrensrichtlinie zu beurteilen sind, sich allerdings am selben primärrechtlichen Maßstab (insbesondere Art. 4 EU-GR-Charta) messen lassen müssen, beschränkt sich die Aussage auf die Feststellung systemischer Mängel. Dies folgt sich schon daraus, dass der EuGH in Randnummer 36 der Entscheidung von „größeren Funktionsstörungen“ im jeweiligen Mitgliedstaat spricht. Dem gegenüber bedarf die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG einer Prüfung der individuellen Umstände des Betroffenen und der daraus folgenden Überzeugungsgewissheit des erkennenden Gerichtes, dass im Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht. Eine solche Feststellung stellt den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens - der eine Funktionsbedingung der EU darstellt - auch bei einer Vielzahl solcher „Einzelfälle“ nicht in Frage, wie der EuGH in den Randnummern 40 und 41 der genannten Entscheidung verdeutlicht.
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(2) Des Weiteren sind vorliegend auch keine außergewöhnlichen Umstände gegeben, welche zu einer Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt zugunsten der Klägerin bzw. zu Ermessensfehlern bei der Entscheidung über die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führten. Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts steht grundsätzlich im (freien) Ermessen der Mitgliedstaaten (sog. Ermessensklausel, vgl. EuGH, U.v. 23.1.2019 - M.A. u.a., C-661/17 - juris; U.v. 5.7.2018 - X., C-213/17 - juris; U.v. 16.2.2017 - C.K., C-578/16 PPU - juris Rn. 88; U.v. 30.5.2013 - Halaf, C-528/11 - juris Rn. 35 ff.). Allerdings kann sich nach der Rechtsprechung des EGMR ein Mitgliedstaat seiner Verantwortlichkeit für eine Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nicht unter Verweis auf dessen Zuständigkeit entziehen, wenn er die Befugnis zum Selbsteintritt besitzt, von dieser Möglichkeit aber trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. U.v. 30.6.2005 - Bosphorus, Nr. 45036/98 - NJW 2006, 197). Des Weiteren ist die Beklagte bei der Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 1 Abs. 3 GG - in dem durch den Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Grundrechte nach Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta gezogenen Rahmen - an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden (vgl. BVerfG, U.v. 6.11.2019 - 1 BvR 16/13 - juris und 1 BvR 276/17 - juris). Eine Pflicht zum Selbsteintritt kann deshalb aus verfassungs- bzw. konventionsrechtlichen Gründen angenommen werden, wenn sich das der Beklagten eingeräumte Ermessen derart verdichtet hat, dass jede andere Entscheidung unvertretbar wäre (sog. Ermessensreduktion auf Null), weil außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 - 13a B 15.50124 - juris Rn. 22 ff.; VG München, GB v. 29.2.2016 - M 12 K 15.50784 - juris Rn. 43 f.).
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Derartige außergewöhnliche Umstände liegen hier aber nicht vor. Die von der Klägerin vorgetragene Lebensgemeinschaft mit dem angeblichen Vater ihres Kindes ist nicht vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst, da es sich hierbei nicht um eine rechtlich anerkannte Ehe handelt (vgl. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, § 6 Rn. 7 ff.). Des Weiteren ist weder die Vaterschaft, noch die niederländische Staatsangehörigkeit des Kindes der Klägerin nachgewiesen worden. Ein Nachweis der Vaterschaft kann neben dem Beweis der biologischen Vaterschaft nur durch eine rechtswirksame Anerkennung derselben gemäß gem. §§ 1592 Nr. 2, 1598 Abs. 1 BGB erbracht werden; dem gegenüber stellt eine eidesstattliche Versicherung der Klägerin kein zulässiges Beweismittel im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren dar, weil § 294 Abs. 1 ZPO nicht anwendbar ist. Das Gericht entscheidet nicht aufgrund einer Glaubhaftmachung durch die Parteien, sondern gemäß § 108 Abs. 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es steht damit nicht fest, dass zwischen der Klägerin und dem angeblichen Vater ihres Kindes ein rechtlich schutzwürdiges Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, welches die Anwesenheit der Klägerin im Bundesgebiet zwingend erforderte (vgl. Hofmann in Kluth/Heusch, BeckOK, AuslR, EMRK, Art. 8 Rn. 16 ff.). Überdies wären etwaige aufenthaltsrechtliche Folgerungen aus der niederländischen Staatsangehörigkeit des angeblichen Kindsvaters im aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu klären.
53
b) Die Klägerin hat jedoch in Anbetracht ihrer individuellen Situation als Mutter eines Kleinstkindes einen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutzes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.v.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Italiens.
54
Abzustellen ist bei der erforderlichen Gefahrenprognose bei realitätsnaher Betrachtung darauf, dass die Klägerin nur gemeinsam mit ihrem Kind nach Italien zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris). Die Klägerin und ihr Kind zählen zu dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis der Familien bzw. Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie). Nach dieser Regelung ist die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie zu berücksichtigen. Auch nach italienischem Recht muss grundsätzlich auf die spezifischen Bedürfnisse vulnerabler Personen Rücksicht genommen werden. Abzustellen ist bei der erforderlichen Gefahrenprognose bei realitätsnaher Betrachtung darauf, dass die Klägerin entweder im Familienverband - d.h. auch gemeinsam mit ihrem Kleinstkind - oder überhaupt nicht nach Italien zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris).
55
Der EGMR hat für den Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt, dass die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 - NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht ist. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst sind, müssen vor deren Abschiebung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass diese Personen in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werden, die ihrer Schutzbedürftigkeit angemessen sind (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, a.a.O., Rn. 120, 122).
56
Dem folgend vertritt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass den Belangen besonders schutzbedürftiger Personen, wozu sowohl Familien mit Klein- und Kleinstkindern bis zu einem Alter von drei Jahren als auch (erst recht) Alleinerziehende gehören, unter Berücksichtigung der Grundsätze der Tarakhel-Entscheidung des EGMR besonders Rechnung getragen werden muss (vgl. BVerfG, B.v. 31.7.2018 - 2 BvR 714/18 - juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 - 2 BvR 157/17 - juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 - 2 BvR 746/15 - NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 u.a. - juris Rn. 16). Bei Vorhandensein belastbarer Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im Zielstaat hat das Bundesamt deshalb vor der Überstellung von Familien mit Klein- bzw. Kleinstkindern in Anbetracht der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung (Garantieerklärung) der Behörden des Zielstaats einzuholen, dass die Familie dort eine gesicherte Unterkunft für alle Familienmitglieder erhalten wird (vgl. BVerfG, B.v. 31.7.2018 - 2 BvR 714/18 - juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 - 2 BvR 157/17 - juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 - 2 BvR 746/15 - NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 u.a. - juris Rn. 16).
57
Die vorgenannte Rechtsprechung ist nicht durch das bereits zitierte Urteil des EuGH vom 19. März 2019 (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17, Jawo - juris) überholt. In dieser Entscheidung - die allerdings keine vulnerable Person betraf - hat der EuGH ausgeführt, dass der Überstellung einer Person in den zuständigen Mitgliedstaat „entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen“ entgegenstehen können (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O., Rn. 90 mit Verweis auf EuGH, U.v. 5.4.2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU, Aranyosi und Caldararu - Rn. 89). Der EuGH hält somit ausdrücklich auch solche Schwachstellen für beachtlich, welche nur bestimmte Personengruppen betreffen, und übernimmt damit der Sache nach den entsprechenden Grundsatz der Tarakhel-Entscheidung des EGMR. Damit trägt der EuGH der Schutzniveauklausel in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EU-GR-Charta Rechnung, wonach diejenigen Rechte der Charta, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird (so auch ausdrücklich EuGH a.a.O., Rn. 91; Borowsky in Meyer-Ladewig, Charta der Grundrechte, vor Art. 51 Rn. 1a; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 52 Rn. 60 ff.). Ohne ausdrückliche Abkehr des EuGH von der Rechtsprechung des EGMR ist daher nicht davon auszugehen, dass er Art. 4 EU-GR-Charta grundlegend anders auslegen will, als der EGMR das entsprechende Grundrecht des Art. 3 EMRK auslegt. Hinsichtlich der relevanten Gefahrenschwelle ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass zwar sowohl der EuGH als auch der EGMR eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit verlangen, welche von sämtlichen Umständen des Einzelfalls wie insbesondere der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenden körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen abhängt (vgl. EuGH a.a.O., Rn. 91 mit Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; vgl. auch EGMR, U.v. 4.10.2016 - Nr. 30474/14, Ali u.a. ./. Schweiz und Italien - Rn. 31; U.v. 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili ./. Belgien - Rn. 174; BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 11). Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Kriterium des „Mindestmaßes an Schwere“ nicht zugänglich, vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 11). Von dieser Gefahrenschwelle ausgehend stellt der EGMR in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich auf die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Personengruppe ab (vgl. EGMR a.a.O., Rn. 97 ff., insb. 99; Rn. 119). Daraus folgt, dass die Gefahrenschwelle einer Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Gesundheit oder einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Verelendung hinsichtlich der von der Tarakhel-Entscheidung erfassten Personengruppen, insbesondere der Familien bzw. Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern, wegen deren besonderer Bedürfnisse bereits bei Verhältnissen erreicht sein kann, welche bei einer nicht vulnerablen Person noch nicht zu einer Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta bzw. des Art. 3 EMRK führen würden, etwa weil Klein- und Kleinstkinder infolge einer nicht altersgerechten Unterbringung auf Verhältnisse treffen, welche ihren besonderen Bedürfnissen nicht gerecht werden, oder weil sie infolge einer Trennung des Familienverbands ohne Bezugsperson auf sich allein gestellt sind.
58
Des Weiteren sieht sich das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung eines nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG an die oben genannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden, welche im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung - und damit grundsätzlich unabhängig vom Unionsrecht - die Berücksichtigung der Tarakhel-Grundsätze verlangt (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 10.10.2019 - 2 BvR 1380/19 - juris; BVerfG, B.v. 29.8.2017 - 2 BvR 863/17 - juris Rn. 16; B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 - juris Rn. 15 f.). Denn in diesem Rahmen wendet das Gericht eine nicht unionsrechtlich determinierte nationale Rechtsvorschrift an und ist deshalb in vollem Umfang an die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG), welche insoweit nicht durch die unionsrechtlichen Grundrechte verdrängt werden (BVerfG, U.v. 6.11.2019 - 1 BvR 16/13 - juris und 1 BvR 276/17 - juris).
59
Hinsichtlich des anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabs ist nach der Überzeugung des Gerichts auf den Maßstab der ernsthaften Gefahr bzw. des ernsthaften Risikos („real risk“) abzustellen, welcher auch sonst bei einer durch die Abschiebung bedingten Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK aufgrund der humanitären Verhältnisse im Aufnahmestaat anzuwenden ist und dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 6 m.w.N.). Auf diesen Maßstab nimmt auch der EGMR in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich Bezug (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, a.a.O., Rn. 93, 104 f.), sieht ihn aber bereits dann als erfüllt an, wenn „die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann“, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht wird (vgl. EGMR a.a.O., S. 131 Rn. 115).
60
Gemessen daran stellen sich die Aufnahmebedingungen für Familien bzw. Alleinerziehende mit Klein- oder Kleinstkindern in Italien wie folgt dar:
Die Unterkunftssituation in Italien ist nach der aktuellen Erkenntnismittellage nach wie vor problematisch. Nach der bisherigen Unterbringungsstruktur stehen geeignete Einrichtungen für Vulnerable hauptsächlich in den sekundären Aufnahmeeinrichtungen (SPRAR) zur Verfügung, in denen regelmäßig gute Unterstützungsleistungen erbracht werden. Es handelt sich hierbei um ein Unterbringungssystem auf kommunaler Ebene, das vom italienischen Staat zentral verwaltet wird und eine Unterbringung bei privaten oder kommunalen Trägern vorsieht (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amts an das OVG NW vom 23. Februar 2016). Diese machen jedoch einen eher geringeren Prozentsatz der staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten aus, so dass nicht jeder Asylsuchende einen Platz erhalten kann und die Zuteilung häufig mit langen Wartezeiten verbunden ist (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Stand: 31.12.2018, S. 57, 86; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 41). Derzeit wird die Unterbringung zwar völlig neu organisiert, wobei die Bedürfnisse von Familien und vulnerablen Personen Berücksichtigung finden sollen, unabhängig davon, wo die Unterbringung erfolgt. Die bisherigen SPRAR-Unterkünfte werden in SIPROIMI umbenannt und sollen nur noch Personen mit internationalem Schutzstatus (Flüchtlingsschutz, subsidiärem Schutz) und unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung stehen, ausdrücklich aber nicht mehr sog. Dublin-Rückkehrern (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien - Gesamtaktualisierung v. 9.10.2019, S. 12, 18; AIDA, Country Report: Italy a.a.O., S. 80). Die aktuellen Erkenntnisse sind jedoch nicht ausreichend, um derzeit davon ausgehen zu können, dass eine angemessene Unterbringung von Familien bzw. Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern auch ohne individuelle Garantieerklärung sicher erfolgt, sofern nicht im Einzelfall konkrete Umstände vorliegen, die eine andere Einschätzung rechtfertigen. Insbesondere gibt es derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass der am 8. Januar 2019 versandte neue Rundbrief Italiens zu Einrichtungen, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, die als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 18 f.), eine belastbarere generelle Garantie bietet, als das bisher der Fall war, zumal fraglich ist, inwiefern die Umstrukturierung infolge des Salvini-Dekrets bereits vollumfänglich erfolgreich umgesetzt wurde (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 10.10.2019 - 2 BvR 1380/19 - juris Rn. 23).
61
Darüber hinaus liegen dem Gericht Berichte über Defizite bei der Zuweisung schutzbedürftiger Personen an geeignete Einrichtungen vor. Auch Obdachlosigkeit von Asylbewerbern und Schutzberechtigten in Italien sowie festzustellende Mängel und Defizite in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen stellen ein nach wie vor bestehendes Problem dar (vgl. US Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2017 - Italy, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/document/1430262.html; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation in Italien, 8.5.2019). Erschwerend kommt hinzu, dass Dublin-Rückkehrer auf eigene Faust und zumeist auch auf eigene Kosten von ihrem Ankunftsflughafen zu der jeweils zuständigen Questura reisen müssen, was bisweilen problematisch sein kann, insbesondere, wenn Italien einer Überstellung nicht ausdrücklich zustimmt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 18 f. m.w.N.).
62
In Ansehung der vorgenannten Entscheidungen und der dort zu entnehmenden Maßstäbe besteht deshalb die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu Lasten der Klägerin, die Angehörige einer Kernfamilie mit einem Kleinstkind im Alter von noch nicht einmal einem Monat ist. Denn das am 3. Mai 2019 geborene Kind der Klägerin ist als Klein(st) kind alleine völlig hilflos und daher ständig auf die Fürsorge seiner Mutter angewiesen. Diese kann ihren elterlichen Schutz-, Fürsorge- und Unterhaltspflichten aber nur nachkommen, wenn sie über eine Unterkunft verfügt, welche die notwendigsten Bedürfnisse hinsichtlich Schlafmöglichkeit und Hygiene deckt, und wenn sie Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten bzw. Sozialleistungen oder entsprechenden Naturalleistungen hat, welche es ihr ermöglichen, für sich selbst und ihr Kind N. zu besorgen. Vor diesem Hintergrund liegt selbst die vom EuGH in oben genannter Entscheidung verlangte extreme materielle Not bzw. Verelendung nahe, wenn keine (gemeinsame) Unterbringung bzw. keine den besonderen Bedürfnissen angepasste Unterbringung erfolgt.
63
Die Klägerin befindet sich zwar wohl noch im Asylverfahren, sodass sie grundsätzlich einen Anspruch auf Unterbringung hat. Angesichts der vorstehenden Ausführungen bestehen jedoch Zweifel daran, dass die Klägerin unmittelbar nach ihrer Ankunft in Italien nicht nur einen entsprechenden Antrag stellen kann, sondern dass sie darüber hinaus unverzüglich eine angemessene Unterkunft erhalten würde. Derartige Bedenken ergeben sich vorliegend insbesondere aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln. Dass sich die Situation für Asylsuchende in Italien zwischenzeitlich verbessert haben könnte, lässt sich den Erkenntnismitteln nicht entnehmen; teilweise wird sogar von einer weiteren Verschlechterung gesprochen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation in Italien, 8.5.2019).
64
Angesichts der vorstehenden Ausführungen bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin gemeinsam mit ihrem minderjährigen Kind unmittelbar nach ihrer Ankunft in Italien eine angemessene Unterkunft erhalten würde. Dies gilt umso mehr, als sich die Unterbringung einer alleinstehenden Frau erfahrungsgemäß einfacher gestaltet, als die Unterbringung einer Frau bzw. einer Familie mit Kind, an die deutlich höhere Anforderungen zu stellen sind. Da mithin das Risiko einer (wenn auch nur vorübergehenden) Obdachlosigkeit auch im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend entkräftet ist, ist trotz des Ausnahmecharakters der Erforderlichkeit individueller Garantieerklärungen oder Zusicherungen bei der Rückführung vulnerabler Personen nach Italien die vom EuGH in oben genannter Entscheidung formulierte Gefahrenschwelle überschritten, wenn die Beklagte nicht vor einer Überstellung nach Italien eine entsprechende individuelle Zusicherung der italienischen Behörden einholt, dass die Klägerin einen sicheren Platz in einer Unterkunft erhalten, die insbesondere den individuellen Bedürfnissen von Kleinstkindern gerecht wird und eine adäquate hygienische Umgebung gewährleistet. An einer derartigen individuellen Zusicherung der italienischen Behörden fehlt es zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Damit besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin und ihr Kind im Fall ihrer Rückkehr nach Italien in eine ausweglose Lage geraten würden, welche dem durch Art. 4 EU-GR-Charta, Art. 3 EMRK garantierten Mindeststandard widerspricht (so neuerdings auch OVG Lüneburg, B.v. 20.12.2019 - 10 LA 192/19 - juris Rn. 21 ff.; VG Würzburg, B.v. 11.2.2020 - W 3 S 20.50012 -; VG Freiburg, U.v. 31.1.2020 - A 1 K 2755/19 - juris Rn. 21 ff.; VG Würzburg, U.v. 17.1.2020 - W 10 K 19.50405; VG Würzburg, U.v. 10.1.2020 - W 4 K 19.50458 -; VG Berlin, GB v. 3.6.2019 - 34 K 1487.17 A - juris Rn. 23 ff.; VG Magdeburg, U.v. 2.5.2019 - 8 A 126/19 -, juris Rn. 17 ff.; VG Minden, U.v. 24.4.2019 - 10 K 1685/18.A -, juris Rn. 53 ff.; VG Lüneburg, B.v. 3.4.2019 - 8 B 65/19 - juris Rn. 8).
65
Da die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einen einheitlichen, nicht weiter aufteilbaren Streitgegenstand darstellen (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24/10 - juris Rn. 9), musste über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gesondert entschieden werden.
66
c) Infolge der Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes fehlt es an den tatbestandlichen Voraussetzungen der Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, weshalb diese im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 AsylG) ebenfalls rechtswidrig ist.
67
d) Aufzuheben ist schließlich das in der Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in Ziffer 4 des Bescheides implizit mitverfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F. (BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21.17 - juris Rn. 25; U.v. 25.7.2017 - 1 C 10.17 - juris Rn. 23 m.w.N.), weil dieses tatbestandlich eine Abschiebung voraussetzt, die hier nicht erfolgen darf. Die Befristung wird damit gegenstandslos.
68
3. Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO stattzugeben. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
69
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.