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LG München I, Teilurteil v. 13.10.2020 – 13 S 306/20
Titel:

Anspruchsübergang bei Erstattung von Stornokosten durch Reiserücktrittskostenversicherer

Normenketten:
BGB § 242
BGB § 651i Abs. 2 S. 2 (idF bis zum 31.12.2017)
VVG § 86
Leitsatz:
Nach § 651i Abs. 2 BGB aF verliert im Fall des Rücktritts das Reisenden vor Reisebeginn der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Soweit er ihn auf Grund unzutreffender Berechnung der Stornokosten einbehält, steht dem Reisenden ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu. Dieser geht gem. § 86 VVG auf den Versicherer über. (Rn. 9 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reisevertrag, Reiserücktritt, Stornokosten, unberechtigter Einbehalt durch Reiseveranstalter, Erstattung durch Reiserücktrittskostenversicherer, Anspruchsübergang, Rückforderung
Vorinstanz:
AG München, Endurteil vom 10.12.2019 – 159 C 11520/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 18.01.2022 – X ZR 88/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 55751

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.12.2019, Az. 159 C 11520/19, abgeändert:
Die Beklagte hat der Klägerin Auskunft zu erteilen hinsichtlich des mit dem Reisenden … unter der Vorgangsnummer … geschlossenen Reisevertrages, welche vertraglich vereinbarten Zahlungen sie zur Durchführung des Reisevertrages an die Leistungsträger bezahlen musste,
welche Werte die ersparten Aufwendungen infolge des am 6. November 2017 erklärten Rücktritts vom Reisevertrag haben,
welche Erlöse sie durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gemäß Reisevertrag vom 27. April 2017 erzielen konnte.
Die Klage wird abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen, soweit die Klägerin die Vorlage der Verträge der Beklagten mit Leistungsträgern sowie deren Rechnungen und Abrechnungen fordert (Antrag 3) und die Klägerin hilfsweise die eidesstattliche Versicherung begehrt (Antrag 4).
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 800,00 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Endurteil des Amtsgerichts München wird Bezug genommen.
2
2. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei den erstinstanzlichen Klageantrag weiter, die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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3. Mit Schriftsatz vom 09.09.2020 hat die Beklagte Reise- und Zahlungsbedingungen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.
II.
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Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs erweist sich die Klage als teilweise begründet, sodass hierüber durch Teilurteil zu entscheiden war.
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1. Soweit die Klagepartei den Übergang eines Bereicherungsanspruchs wegen zu hohem Einbehalts der Beklagten geltend macht, ist dieser dem Grunde nach gegeben.
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a) Die Reiserücktrittsversicherung stellt eine Schadensversicherung dar.
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Die Schadensversicherung ist abzugrenzen von der Summenversicherung. Der Begriff der Schadensversicherung wird dadurch bestimmt, dass die versicherungsvertragliche Leistung des Versicherers durch den Umfang des Schadens begrenzt wird, den der Versicherungsnehmer in Folge des Eintritts des Versicherungsfalls erleidet. Dass der Versicherer den Schaden vollständig zu ersetzen hat, ist nicht erforderlich. Hierbei kommt der Versicherungssumme die Funktion der Leistungsbegrenzung und der Prämienbemessungsgrundlage zu. Der Begriff der Versicherungssumme wird auch in der Summenversicherung verwendet. Dort hat er keinen leistungsbegrenzenden Charakter, sondern meint den auszuzahlenden Betrag (Beispiel: Kapitallebensversicherung). Bei der Summenversicherung existiert kein von der Versicherungssumme abweichender Versicherungswert (L./W., Mü. Kommentar zum VVG – H., 2. Auflage, § 74, Rdnr. 1).
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In der Reiserücktrittsversicherung hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer die jeweils geschuldeten Stornokosten zu ersetzen. Damit wird die versicherungsvertragliche Leistung des Versicherers durch den Umfang des finanziellen Schadens des Versicherungsnehmers begrenzt. Die logische Konsequenz, dass die möglichen Stornokosten durch den Reisepreis begrenzt sind, führt nicht dazu, dass eine Summenversicherung vorläge. Denn weder ist der Reisepreis als Versicherungsleistung vereinbart noch ist dieser regelmäßig zu erstatten.
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b) Nach § 651 i Abs. 2 BGB a.F. verliert im Fall des Rücktritts das Reisenden vor Reisebeginn der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Soweit er ihn auf Grund unzutreffender Berechnung der Stornokosten einbehält, steht dem Reisenden ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu.
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Dieser geht gemäß § 86 VVG auf den Versicherer (und hier im Wege der weiteren Zession auf die Klagepartei) über.
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Der Grundgedanke des § 86 VVG besteht darin, eine Doppelkompensation beim Geschädigten zu vermeiden (Bruck/Möller-Voit, VVG, 9. Aufl., § 86, Rdnr. 4). Entsprechend war unter der Geltung des § 67 VVG (a.F.) in der Rechtsprechung anerkannt, dass von dieser Vorschrift auch Bereicherungsansprüche erfasst werden (RGZ 163, 21; OLG Hamm VersR 1994, 975; OLG Hamm r + s, 2001, 516). § 86 Abs. 1 VVG enthält insoweit keine Abweichung von § 67 VVG (a.F.), wie zutreffend der Gesetzentwurf der Bundesregierung ausführt (BT-Drs. 16/3945 S. 81). Anders als der Gesetzentwurf der Bundesregierung (a.a.O. S. 111) annimmt, ist nicht ersichtlich, dass ohne inhaltliche Änderung § 86 VVG nunmehr nicht mehr auf Bereicherungsansprüche wegen Überzahlung anwendbar sein soll.
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Soweit im angefochtenen Endurteil (s. auch Landgericht München I, 6 S 682/20, Urteil vom 2.7.2020) darauf abgestellt wird, dass hier § 86 VVG deshalb nicht anwendbar wäre, weil der Versicherungsfall nicht durch den Dritten ausgelöst worden sei, ist dem nicht zu folgen. § 86 Abs. 1 VVG fordert alleine einen Ersatzanspruch gegen einen Dritten. Es stellt einen unzulässigen Schluss dar, aus einer als häufig vorgestellten Fallkonstellation eine abschließende Typologie zu bilden.
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Darüber hinaus ist hier folgendes anzumerken: Wenn gefordert wird, dass der Versicherungsnehmer durch einen Dritten geschädigt wird und der Versicherer vertraglich für diesen Schaden einzustehen hat, so liegt diese Konstellation hier vor. Denn ursächlich für den behaupteten Bereicherungsanspruch ist das Unterlassen der Rückzahlung des gemäß § 651 a Abs. 2 S. 1 BGB (a.F.) verlorenen Reisepreises durch den Reiseveranstalter.
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2. Der Klägerin steht der Auskunftsanspruch teilweise zu.
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a) Die Klagepartei kann den übergegangenen Anspruch auf Grundlage des § 651 i Abs. 2 BGB (a.F.) berechnen. Die vertragliche Pauschalierung ist unwirksam. Denn der Reiseveranstalter hat nicht dargelegt, dass er die Entschädigungspauschale unter Beachtung der gesetzlichen Kriterien berechnet hat (Staudinger/Staudinger, BGB, August 2015, § 651 i, Rdnr. 98).
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Dahingestellt bleiben kann hier deshalb, ob § 309 Nr. 5 lit. b BGB gilt oder entsprechendes vereinbart wurde.
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b) Die Angemessenheit der Entschädigung nach § 651 i Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. hat der Reiseveranstalter darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Nach dem Willen des Gesetzgebers gilt dies ohne Einschränkung. Aus den Materialien wird deutlich, dass der Veranstalter für die Angemessenheit der Entschädigung beweispflichtig ist. Der Reisende sei überfordert, wenn er nachweisen müsse, welche Aufwendungen der Reiseveranstalter erspart habe und welche anderweitige Verwendung der Reiseleistung möglich gewesen wäre. Folglich schuldet der Reiseveranstalter auch für die negativen Tatsachen den Beweis, dass keine höheren Aufwendungen erspart worden und er keine andere bessere Verwertung erzielen konnte. Er muss daher seine ergebnislosen Bemühungen zum anderweitigen Absatz der Reise vortragen (Staudinger/Staudinger, BGB, a.a.O., Rdnr. 95 ff.).
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Im Rahmen des Bereicherungsanspruches der Klägerin hat die Beklagte die Umstände darzulegen, aus denen sie ableitet, das Erlangte behalten zu dürfen (Palandt-Sprau, BGB, 79. Aufl., § 812, Rdnr. 76).
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IM Rahmen der Stufenklage entspricht dieser sekundären Darlegungslast eine Auskunftspflicht. Angesichts der Verpflichtung zur Angabe, keine höheren als die geltend gemachten Ersparnisse gehabt zu haben, hat die Beklagte die vertraglichen Aufwendungen darzulegen, da anders nicht zu sehen wäre, dass (welche?) weiteren Aufwendungen nicht erspart wurden.
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c) Bei der hier angenommenen sekundären Darlegungslast der Beklagten handelt es sich um eine auf § 242 BGB beruhende Auskunftspflicht; bei dieser besteht keine Pflicht zur Vorlage von Belegen (Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 260, Rdnr. 15).
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Die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist erst unter den Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB geschuldet; diese können nicht vor Erteilung der Auskunft vorliegen.
III.
22
1. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, 711 ZPO.
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2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor.