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LG Ingolstadt, Endurteil v. 30.04.2020 – 51 O 1214/19
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs bei Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an finanzierende Bank (hier: Audi A6 Avant 3.0 TDI Quattro S tronic)

Normenketten:
BGB § 826
ZPO § 138
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0-Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG München BeckRS 2021, 31796; BeckRS 2021, 32277; BeckRS 2021, 32276; BeckRS 2021, 32267; BeckRS 2021, 45184; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; LG München I BeckRS 2021, 32309; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; BeckRS 2021, 41437; LG Landshut BeckRS 2021, 15304; LG Ingolstadt BeckRS 2021, 19616; LG Würzburg BeckRS 2021, 32313; BeckRS 2021, 43843. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bestreitet die Herstellerin substantiiert die Aktivlegitimation des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs unter Hinweis auf eine Abtretung möglicher Ansprüche an die den Kaufpreis zum Teil finanzierende Bank hat der Käufer hierauf zu seiner Aktivlegitimation in einem ersten Schritt schlüssig vorzutragen und in einem zweiten Schritt Beweis anzutreten. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi AG, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Aufheizstrategie, Wirkungsgrad der AdBlue-Einspritzung, Aktivlegitimation, finanzierende Bank, Sicherungsabtretung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 23.03.2021 – 21 U 3245/20
OLG München, Beschluss vom 31.05.2021 – 21 U 3245/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 55702

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 45.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Abgasskandal“.
2
Der Kläger erwarb am 16.06.2017 einen Audi A6 Avant 3.0 TDI Quattro S tronic mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer …80 als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis in Höhe von 45.500,00 € brutto mit einem Kilometerstand von 49.394 km von der Autohaus m. GmbH in B. Von dem Kaufpreis zahlte der Kläger 12.500,00 € sofort an. Der Restbetrag von 33.000,00 € wurde mit einem Darlehen der A. Bank, Vorgangsnummer 1...6, finanziert. Der Darlehensbetrag incl. Zinsen belief sich auf 35.249,13 €. Das Fahrzeug wurde der darlehensgebenden A. Bank sicherungsübereignet. Die Finanzierung sollte eine Laufzeit von 36 Monaten haben und war zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 25.02.2020 noch nicht abgeschlossen.
3
Das Fahrzeug war von der Beklagten hergestellt worden. Zur Reduzierung von Stickoxiden verfügt das Fahrzeug über eine Abgasrückführung und einen SCR-Katalysator (selektive katalytische Reduktion). Das Fahrzeug ist Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes (KBA), da nach dortiger Auffassung der Motor über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, durch die eine Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vorgenommen wurde. Dementsprechend hat die Beklagte mit Schreiben vom Dezember 2018 den Kläger aufgefordert, ein Software-Update am Motorsteuergerät des Fahrzeuges durchführen zu lassen.
4
Mit Schreiben vom 28.02.2019 an die Beklagte ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten den Rücktritt vom Kaufvertrag und dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklären und machte deliktische Ansprüche geltend. Hinsichtlich des Wortlautes des Schreibens wird auf die Anlage K3 verwiesen. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 12.03.2019 die Ansprüche zurück.
5
Am 23.02.2020 um 10:56 Uhr betrug der Kilometerstand des Fahrzeuges 78.028 km.
6
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor:
7
Die Beklagte habe in der Motorsteuerung des im Fahrzeug verbauten Motors EA 897, EURO 6 Norm, eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Es handele sich dabei um eine Konfiguration der Motorsteuerung, die bei Drehzahlen, die dem normalen Betrieb des Fahrzeugs entsprechen, die Abgasreinigung durch die Zufügung von Harnstoff (AdBlue) zunächst reduziere, später ganz abschalte. Zudem verfüge das 51 O 1214/19 - Seite 3 - Fahrzeug über eine illegale Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte werksseitig manipuliert gewesen hinsichtlich der Schadstoffwerte. Die Klagepartei stützt ihre Ansprüche gegen die Beklagte auf § 826 BGB.
8
Die Klagepartei beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 45.500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Rückgabe des Pkws Audi A6 FIN: …80.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.099,76 freizustellen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers. Neben der aufgrund der Finanzierung des Kaufpreises durch die A. Bank vorliegenden Sicherungsübereignung des Fahrzeuges an die Bank sei auch davon auszugehen, dass die geltend gemachten Ansprüche auf die Bank übergegangen sind. Insoweit sei die Klage unschlüssig.
11
Es liege zudem keine deliktische Handlung der Beklagten vor. Die Klagepartei habe eine Täuschung der Beklagten oder eine andere gegenüber der Klagepartei als besonders verwerflich anzusehende Handlung nicht dargelegt. Auch die subjektiven Voraussetzungen eines Betrugs lägen nicht vor, ebenso wenig eine Stoffgleichheit. Der Beklagten sei keinerlei Vorteil aus dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs zugeflossen.
12
Der angeordnete Rückruf durch das KBA betreffe lediglich die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff (AdBlue) nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km reicht. Der Betrieb des Katalysators sei dann so eingestellt, dass es in seltenen Fällen zu einer geringfügigen Herabsetzung des Wirkungsgrades der AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator kommen könne. Dies stelle jedoch keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass im vorliegenden Fall kein Verstoß gegen Schutzgesetze vorliege. Für das Fahrzeug liege eine wirksame EG-Typengenehmigung vor. Das Fahrzeug sei für den Straßenverkehr zugelassen worden und habe jederzeit uneingeschränkt genutzt werden können.
13
Die Beklagte bestreitet die Kausalität zwischen einer etwaigen Täuschung/Schädigungshandlung und dem konkreten Vertragsabschluss mit Nichtwissen. Die Emissionswerte hätten für die Kaufentscheidung der Klagepartei keine Rolle gespielt.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen. Das Gericht hat mündlich verhandelt am 25.02.2020. Diesbezüglich wird auf das bei den Akten befindliche Protokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
15
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Ingolstadt nach §§ 12, 17 ZPO örtlich zuständig.
B.
16
Die Klage ist unbegründet.
17
I. Der Kläger ist nicht aktiv legitimiert. Die Beklagte hat substanziiert die Aktivlegitimation des Klägers unter Hinweis auf eine Abtretung möglicher Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten an die den Kaufpreis zum Teil finanzierende Bank bestritten. Unstreitig ist die Finanzierung des Kaufpreisteils von 33.000,00 € durch die A. Bank und die damit einhergehende Sicherungsübereignung des Fahrzeuges an die Bank. Dem entsprechenden Vortrag der Beklagten, der sich auf die Vorlage der Anlage K1 (Annahmeerklärung der A. Bank zum vom Kläger beantragten Darlehen) stützt, hat der Kläger nicht widersprochen. Zugleich hat die Beklagte die Aktivlegitimation des Klägers aufgrund einer von ihr vermuteten Abtretung von Ansprüchen des Klägers gegenüber der Beklagten an die A. Bank mit Nichtwissen bestritten und den Sachvortrag des Klägers als unschlüssig angesehen. Der Kläger hat hierauf zu seiner Aktivlegitimation weder in einem ersten Schritt schlüssig vorgetragen noch in einem zweiten Schritt Beweis angetreten. Das Bestreiten der Aktivlegitimation durch die Beklagte ist jedoch erheblich und hätte den Kläger veranlassen müssen, ergänzend vorzutragen. Gem. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO hat jede Partei ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Dieser Verpflichtung ist die Klagepartei nicht nachgekommen. Sie hat sich weder ausdrücklich zu der Behauptung einer im Rahmen des Darlehensvertrages vorgenommenen Abtretung der streitgegenständlichen deliktischen Schadenersatzansprüche an die Bank erklärt noch den zugrundeliegenden Darlehnsvertrag vorgelegt. Die Behauptung einer solchen Abtretung durch die Beklagte erfolgte auch nicht ins Blaue hinein. Die Beklagte ist nicht Vertragspartnerin des Darlehensvertrages gewesen. Sie hat daher keine Kenntnis von den Vertragsbedingungen. Die Vermutung, dass mit dem Darlehensvertrag zur Sicherung der Ansprüche der darlehensgebenden Bank auch eine Abtretung von Ansprüchen gegenüber dem Hersteller des Fahrzeuges vereinbart wurde, ist nicht fern jeglicher Realität und hat damit die Verpflichtung zur Erwiderung der Klagepartei hierauf ausgelöst. Die Verpflichtung, sich hierauf zu erklären, bestand auch ohne ausdrücklichen Hinweises des Gerichts. Alleine das Vorbringen der Beklagten und das darauf beruhende Bestreiten der Aktivlegitimation durch die Beklagte war eindeutig genug, um die Klagepartei zu einer Stellungnahme hierzu zu veranlassen. Ein zusätzlicher Hinweis des Gerichts war nicht geboten, da ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter bereits aufgrund des Beklagtenvorbringens davon ausgehen musste, dass dieses entscheidungserheblich ist und daher einer ergänzenden Stellungnahme bedurfte. Das Bestreiten der Aktivlegitimation durch den Beklagten mit konkretem Sachvortrag zu einer möglichen Sicherungsabtretung liefert für einen gewissenhaften und kundigen Prozessvertreter Anlass genug, bei sorgfältiger Prozessführung hierzu Stellung zu nehmen. Gem § 138 Abs. 3 ZPO sind Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen hervorgeht.
18
II. Mangels Aktivlegitimation und bestehendem Anspruch nach Ziffer 1 des Klageantrags hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Erstattung außergerichtlich angefallener Rechtsverfolgungskosten.
C.
19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO
20
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.