Titel:
Erfüllungsübernahme von durch Versäumnisurteil titulierten Schmerzensgeldansprüchen
Normenketten:
BayBG Art. 14 S. 1, Art. 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3
ZPO § 330 Abs. 1 S. 1, § 794 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, der seinen Grund darin hat, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch ein Versäumnisurteil stellt einen Anspruch rechtskräftig iSd Art. 97 Abs. 1 S. 1 BayBG fest und unterliegt – anders als dies das Gesetz für Vergleiche gemäß Art. 97 Abs. 1 S. 2 BayBG vorsieht – nicht dem Vorbehalt der Angemessenheit. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass der Beamte keine weitergehenden Versuche unternommen hat, die zustellungsfähige Anschrift des - mit unbekanntem Wohnort in die Slowakei verzogenen - Schädigers zu ermitteln, steht einem Erfüllungsübernahmeanspruch nicht entgegen, wenn nicht erkennbar ist, wie der Beamte dies ohne jegliche Anhaltspunkte zum Verbleib des Schädigers in zumutbarer Weise hätte bewerkstelligen können (anders nachfolgend VGH München BeckRS 2022, 3146). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
titulierter Schmerzensgeldanspruch, unbekannter Aufenthalt des Schädigers in EU-Mitgliedstaat, Dienstunfall, Polizeivollzugsbeamter, Erfüllungsübernahme, Vollstreckungsversuch, Aufenthaltsermittlung, unbillige Härte, Versäumnisurteil, Vorbehalt der Angemessenheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 16.02.2022 – 3 B 21.292
Fundstelle:
BeckRS 2020, 55235
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des ... vom 5. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 3. Dezember 2019 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erfüllungsübernahme vom 15. Mai 2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Beklagte vier Fünftel und der Kläger ein Fünftel zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den Kläger war notwendig.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger steht als Polizeivollzugsbeamter bei ... im Dienst des Beklagten und begehrt hinsichtlich eines Schmerzensgeldanspruchs die Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn.
2
Am 20. März 2016 gegen 00:50 Uhr befand sich der Kläger im Rahmen eines dienstlichen Einsatzes auf der Autobahn ... in der Nähe des Rastplatzes „...“, wo er den betrunkenen Schädiger, einen slowakischen Staatsangehörigen namens, der sich zu Fuß auf der Autobahn befand, in Sicherheit bringen wollte. Dieser wehrte sich jedoch und schlug mit den Fäusten auf den Kläger ein. Letztlich konnte der Schädiger vom Kläger mit Hilfe einer Kollegin im Bereich des Seitenstreifens auf dem Boden fixiert werden. Durch die Widerstandshandlungen des Schädigers wurde der Kläger verletzt.
3
Der Vorfall wurde mit Bescheid des, Dienststelle, vom 28. April 2016 als Dienstunfall im Sinn des Art. 46 BayBeamtVG mit den Dienstunfallfolgen „Schädelkontusion; HWSDistorsion; Prellungen und Schürfungen rechter Ellenbogen, rechte Mittelhand und linkes Knie; Schürfwunden rechts thorakal dorsal; Hämatome thorakal dorsal beidseits“ anerkannt.
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Aufgrund der Schädigungen ließ der Kläger gegen den Schädiger u.a. einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 2.500,00 EUR geltend machen, der dem Kläger mit rechtskräftigem Versäumnisurteil des Amtsgerichts ... vom 4. Januar 2017 in der beantragten Höhe zugesprochen wurde.
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Am 15. Mai 2018 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Erfüllungsübernahme für den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch unter Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils des Amtsgerichts ... vom 4. Januar 2017. Der Kläger wies darauf hin, dass der Schädiger in die ... verzogen, die Wohnanschrift aber nicht bekannt sei.
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Der Antrag auf Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen wurde mit Bescheid des, Dienststelle, Bezügestelle Dienstunfall (im Folgenden: ...), vom 5. Dezember 2018 abgelehnt. Zur Begründung wurde dargelegt, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinn von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG fehle. Eine solche liege nur vor, wenn der geltend gemachte Anspruch uneinbringlich sei. Hier fehle es aber an dem Nachweis von erfolglosen Vollstreckungsversuchen. Die Einwände, der Schädiger sei unbekannten Aufenthalts bzw. sei in die ... verzogen, genügten zum Nachweis einer erfolglosen Vollstreckung nicht. Darüber hinaus fehle es an der erforderlichen rechtskräftigen Feststellung des Schmerzensgeldanspruchs, da Versäumnisurteile nur zugrunde gelegt werden könnten, wenn das Schmerzensgeld der Höhe nach angemessen sei. Das vorgelegte Versäumnisurteil des Amtsgerichts ... vom 4. Januar 2017 erfülle diese Voraussetzungen nicht. Der geltend gemachte Schmerzensgeldbetrag von 2.500,00 EUR sei in Anbetracht der erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen unangemessen hoch.
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Der vom Kläger am 9. Januar 2019 hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Wi derspruchbescheid des ... vom 3. Dezember 2019 zurückgewiesen. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Darlegungen des Ausgangsbescheids wiederholt.
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Am 2. Januar 2020 ließ der Kläger gegen den am 13. Dezember 2019 zugestellten Widerspruchsbescheid Klage erheben und mit Schriftsatz vom 20. Februar 2020 beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 2019 zu verpflichten, Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen nach Art. 97 BayBG in Höhe von 2.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen dargelegt, dass die Voraussetzungen für die geltend gemachte Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG vorlägen. Der Kläger habe in Ausübung seines Dienstes einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleiden müssen. Das geltend gemachte Schmerzensgeld gegen den Schädiger in Höhe von 2.500,00 EUR sei dem Kläger mit Versäumnisurteil des Amtsgerichts ... vom 4. Januar 2017 zugesprochen worden. Auf den fehlenden Nachweis von fehlgeschlagenen Vollstreckungsversuchen könne sich der Beklagte nicht berufen, da der Kläger unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände seiner Obliegenheit in ausreichender Weise nachgekommen sei. Dem Kläger sei durch seinen früheren Prozessbevollmächtigten mitgeteilt worden, dass eine erneute öffentliche Zustellung des Vollstreckungstitels nicht möglich sei, da nach Mitteilung des Amtsgerichts ... hierfür kein Rechtschutzbedürfnis bestehe. Insoweit habe das Amtsgericht explizit darauf hingewiesen, dass grundsätzlich gegen einen Schuldner unbekannten Aufenthalts auch nicht vollstreckt werden könne. Die Einleitung von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durch den Kläger sei daher von vorneherein aussichtslos und rein formalistisch. Soweit der Beklagte geltend mache, das Schmerzensgeld sei unangemessen hoch, sei dies unrichtig, da es dem Dienstherrn nicht erlaubt sei, den Inhalt eines rechtskräftigen Urteils nachträglich in Frage zu stellen. Der Antrag des Klägers könne auch nicht gestürzt auf Ermessenserwägungen abgelehnt werden. Für eine Ermessensausübung verbleibe hier lediglich insoweit Raum, als der Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern könne, wenn aufgrund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung oder Unfallausgleich gezahlt worden sei. Hier sei jedoch nicht ersichtlich, dass das Ermessen insoweit auf null reduziert sei.
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Der Beklagte wandte sich mit Schreiben des ... vom 12. März 2020 gegen das Klagebegehren. Für ihn ist beantragt,
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Hinsichtlich der Angemessenheit des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs werde auf die Ausführungen in den ablehnenden Entscheidungen Bezug genommen. Die begehrte Erfüllungsübernahme setze voraus, dass eine nachvollziehbare zivilgerichtliche Überprüfung des Anspruchs nach Grund und Höhe stattgefunden habe. Nur so könnten zivilprozessual zwar zulässige, von der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht aber nicht gedeckte Gestaltungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Auch bei Vorliegen eines Versäumnisurteils sei zu klären, ob das Schmerzensgeld der Höhe nach angemessen sei. Eine richtige Schlüssigkeitsprüfung läge jedoch bei einem Versäumnisurteil in der Regel nicht vor, zumal Tatbestand und Entscheidungsgründe gemäß § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlten. Bei dem vorliegenden Versäumnisurteil des Amtsgerichts ... seien keine Ausführungen zur Angemessenheit des Schmerzensgeldbetrags erkennbar, da lediglich der mit der Klageschrift geltend gemachte Betrag übernommen worden sei. Das titulierte Schmerzensgeld sei jedoch in Anbetracht der festgestellten Unfallfolgen unangemessen hoch. Es entspreche nicht dem Sinn und Zweck des Art. 97 BayBG , dem Beamten bei der zivilrechtlichen Durchsetzung eines ungemessen hohen Schmerzensgeldbetrags gegen den Schädiger letztendlich auf Kosten des Dienstherrn eine übermäßige Genugtuung zu verschaffen. Zudem liege keine unbillige Härte vor, da eine solche erst angenommen werden könne, wenn die in Art. 97 Abs. 2, Abs. 3 BayBG genannte Voraussetzung, hier das Vorliegen von erfolglosen Vollstreckungsversuchen, erfüllt sei. Dies sei hier aber nicht der Fall. Der Einwand, dass der Schuldner seinen Aufenthalt in der ... habe, rechtfertige nicht das Vorliegen einer unbilligen Härte. Solange die Vermögenslosigkeit des Schuldners nicht feststehe und sich deswegen der Schmerzensgeldanspruch als für den Kläger uneinbringlich erweise, könne nicht von einer unbilligen Härte ausgegangen werden. Damit würden auch die Anforderungen an die eigenen Bemühungen des Klägers nicht überspannt. Es könne auch nicht per se ausgegangen werden, dass eine Vollstreckung in der ... aussichtslos sei. Die damit gegebenenfalls verbundenen höheren Kosten seien dem Beamten zuzumuten und rechtfertigten ebenfalls keine unbillige Härte.
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Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 25. Mai 2020 wurde darauf hingewiesen, dass dem Kläger nicht zugemutet werden könne, auf das unionsrechtliche Vollstreckungsregime der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 (Vollstreckungstitel-Verordnung) zurückzugreifen, wenn - wie hier - die Adresse des ins Ausland verzogenen Schuldners nicht bekannt sei. Genau dies sei jedoch zur Anwendung der Verordnung notwendig.
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Der Beklagte äußerte sich mit Schreiben des ... vom 5. Juni 2020 abschließend zur Sache und wies darauf hin, dass die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 nicht anwendbar sei, da diese nur auf unbestrittene Forderungen Anwendung finde, was bei einem durch Versäumnisurteil titulierten Anspruch nicht der Fall sei. Im Übrigen habe der Kläger bislang keine ausreichenden eigenen Bemühungen nachgewiesen, den Aufenthaltsort des Schädigers in der ... zu ermitteln.
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Am 10. September 2020 fand mündliche Verhandlung statt. Die Sache wurde mit den Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers und der Vertreter der Beklagten wiederholten die bereits schriftsätzlich gestellten Klageanträge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichtsund Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist (nur) insoweit begründet als der Kläger hier beanspruchen kann, dass der Beklagte über seinen Antrag auf Erfüllungsübernahme vom 15. Mai 2018 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet. Die im Bescheid des ... vom 5. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörden vom 3. Dezember 2019 enthaltene Ablehnung des Antrags auf Erfüllungsübernahme ist wegen rechtsfehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2, § 114 Satz 1 VwGO). Soweit der Kläger begehrt, den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger den titulierten, aber nicht realisierbaren Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 2.500,00 EUR im Wege der Erfüllungsübernahme zu gewähren nebst Verzinsung in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, ist die Klage unbegründet.
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Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, der seinen Grund darin hat, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG).
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Die Voraussetzungen für eine Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG liegen im vorliegenden Fall grundsätzlich vor. Der Kläger war bei der Rettung des Schädigers auf der Autobahn ... durch dessen Gegenwehr in Ausübung seines Polizeivollzugsdienstes einem tätlichen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt und hat dabei (jedenfalls) die im Bescheid des ... vom 28. April 2018 festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen „Schädelkontusion; HWS-Distorsion; Prellungen und Schürfungen rechter Ellenbogen, rechte Mittelhand und linkes Knie; Schürfwunden rechts thorakal dorsal; Hämatome thorakal dorsal beidseits“ erlitten. Aufgrund des gegen den Schädiger ... deshalb erwirkten rechtskräftigen Versäumnisurteils des Amtsgerichts ... vom 4. Januar 2017 verfügt der Kläger über einen rechtkräftig festgestellten Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgelds gegen einen Dritten in Höhe von 2.500,00 EUR.
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Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, Versäumnisurteile könnten nur dann einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG ergeben, wenn die Höhe des dort tenorierten Schmerzensgeldes angemessen ist, vermag dies nicht zu überzeugen. Auch ein Versäumnisurteil stellt einen Anspruch rechtskräftig im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG fest und unterliegt - anders als dies das Gesetz für Vergleiche gemäß Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG vorsieht - nicht dem Vorbehalt der Angemessenheit. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht, auf welche prozessuale Weise die rechtskräftige Feststellung des Schmerzensgeldanspruchs zustande gekommen ist. Ein Versäumnisurteil erwächst ebenso wie ein Endurteil in formelle und materielle Rechtskraft, sodass dieses auch einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG begründen kann. Im Übrigen hat der Kläger vor dem Zivilgericht keine Einflussmöglichkeiten auf das Prozessverhalten des Beklagten, sodass es eine Klagepartei nicht in der Hand hat zu entscheiden, ob nunmehr ein Versäumnisurteil oder ein Endurteil ergeht. Dies kann dem Kläger jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Zudem ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG lediglich bei Vergleichen eine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass Vergleiche nur dann einem rechtskräftig festgestellten Anspruch gleichstehen sollen, wenn die Höhe des im Vergleichsweg vereinbarten Schmerzensgeldes angemessen ist. Eine Korrektiv dieser Art sieht die Norm in Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG für durch Versäumnis- oder Endurteil rechtskräftig festgestellte Ansprüche auf Schmerzensgeld gerade nicht vor. Im Übrigen wäre eine solche Einschränkung für Versäumnis- oder Endurteile nach dem Sinn und Zweck der Norm auch nicht veranlasst. Bei Vergleichen nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet keine richterliche Kontrolle dahingehend statt, ob der festgesetzte Schmerzensgeldanspruch seiner Höhe nach auch durch die Schädigung und deren gesundheitliche Folgen gerechtfertigt ist. Aus diesem Grund liegt es auf der Hand, dem Dienstherrn zu ermöglichen, die Angemessenheit des im Wege eines Vergleichs zwischen den Parteien einvernehmlich vereinbarten Schmerzensgeldes zu überprüfen. Dieser Kontrollmöglichkeit bedarf es jedoch beim Vorliegen eines durch ein Versäumnisurteil erlangten Vollstreckungstitels nicht. Zwar werden bei einem Versäumnisurteil die Tatsachenbehauptungen des Klägers als wahr unterstellt (§ 330 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Jedoch hat das Gericht auf der Rechtsfolgenseite eine eigene Prüfung vorzunehmen, welcher Schmerzensgeldbetrag durch die Schädigung angemessen ist, da die Bestimmung der Höhe des zustehenden Schmerzensgeldes nach § 287 ZPO im Ermessen des Gerichts steht. Ein Schmerzensgeldanspruch, der in zivilprozessualer Hinsicht mittels Versäumnisurteils zustande gekommen ist, stellt somit (auch) einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinn des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dar (so bereits VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 - W 1 K 19.792 - BeckRS 2020, 3573 Rn. 17).
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Der Beklagte kann dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erfüllungsübernahme auch nicht entgegenhalten, dass bislang keine (erfolglosen) Vollstreckungsversuche (Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG) nachgewiesen wurden. Im vorliegenden Fall hat der Kläger das ihm nach den Umständen des Falls Mögliche getan, um die Vollstreckung seines Anspruchs zu erreichen. Er hat durch die Einholung einer melderechtlichen Auskunft (Bl. 15 der Behördenakte) in Erfahrung gebracht, dass der Kläger in die ... verzogen ist, wobei dieser der Meldebehörde keine genaue Wohnanschrift angegeben hat. Dass der Kläger hier keine weitergehenden Versuche unternommen hat, die zustellungsfähige Anschrift des Schädigers in der ... zu ermitteln, steht dem geltend gemachten Erfüllungsübernahmeanspruch nicht entgegen, da nicht erkennbar ist, wie der Kläger dies ohne jegliche Anhaltspunkte zum Verbleib des Schädigers in zumutbarer Weise hätte bewerkstelligen können zumal der Beklagte in Bezug auf die gemäß Art. 14 Satz 1 BayBG infolge der an den geschädigten Beamten geleisteten Dienstunfallfürsorgeleistungen auf ihn übergegangenen gesetzlichen Schadensersatzansprüche nach den Angaben des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung selbst ebenfalls keine weitergehenden Versuche unternommen hat, die zustellungsfähige Anschrift des Schädigers in der ... zu ermitteln. Ist der Aufenthaltsort des Schädigers in der ... nicht bekannt und hat der Beamte die ihm zumutbaren Eigenbemühungen zur Ermittlung der Wohnanschrift des Schädigers ausgeschöpft, so ist dies grundsätzlich dem in Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG vorausgesetzten Fehlschlagen der Vollstreckung gleichzusetzen (vgl. Buchard in BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand 1. April 2019, Art. 79 BayBG Rn. 40.4).
23
Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG sieht auf der Rechtsfolgenseite die Erfüllungsübernahme „bis zur Höhe“ des festgestellten Betrages und mithin eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Höhe des zu übernehmenden Betrages vor. Ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage, ob eine Erfüllungsübernahme erfolgt ist, ist hingegen nicht gegeben (VG München, U.v. 5.7.2017 - M 5 K 16.4266 - juris). Eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe des im Wege der Erfüllungsübernahme auszugleichenden Schmerzensgeldanspruchs hat der Beklagte hier aber nicht getroffen, da er zu Unrecht vom Fehlen sowohl eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs im Sinn von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG als auch von erfolglosen Vollstreckungsversuchen gemäß Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG ausgegangen ist (§ 114 Satz 1 VwGO).
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Eine unbillige Härte im Sinn von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG ist zudem auch nach Auffassung des Dienstherrn nicht ausgeschlossen, da dieser im Ausgangsbescheid (S. 3) und im Widerspruchsbescheid (S. 4) davon ausgeht, dass bei den im vorliegenden Fall festgestellten Verletzungen des Klägers zumindest ein Schmerzensgeld zwischen 255,65 EUR und 818,07 EUR als angemessen betrachtet werden kann und damit der in Art. 97 Abs. 2 BayBG genannte (Mindest-)Betrag übertroffen wäre. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass dem Schmerzensgeld eine Doppelfunktion zukommt. Zum einen dient es dem Ausgleich für Schäden nichtvermögensrechtlicher Art, zum anderen trägt es den Umstand Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Was als „billige“ und damit gerechte Entschädigung des Nichtvermögensschadens anzusehen ist, kann nur aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller maßgeblichen Fallumstände vor dem Hintergrund der Funktion des Schmerzensgeldes bestimmt werden. Hierzu stellt die einschlägige aktuelle Rechtsprechung einen wesentlichen Orientierungsrahmen dar. Im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion richtet sich die Höhe des Schmerzensgeldes nach den hervorgerufenen Verletzungen, ihrer Versorgung, künftigen gesundheitlichen Risiken sowie den physischen und psychischen Auswirkungen auf den Verletzten und sein berufliches und soziales Leben. Hinsichtlich der Genugtuungsfunktion hingegen ist etwa der Verschuldensgrad sowie eine Mithaftung des Verletzten zu berücksichtigen. Im Hinblick der auf Seiten des Beklagten unter Bezugnahme auf „einschlägige Schmerzensgeldtabellen“ als Vergleichsrechtsprechung herangezogenen Fälle (z.B. AG Wiesbaden, U.v. 19.1.1993 - 97 C 1764/92; OLG Brandenburg, U.v. 4.11.2000 - 12 U 87/10; OLG Frankfurt a. Main, U.v. 22.11.1990 - 16 U 89/90 - BeckRS 1990, 115962) bleibt festzuhalten, dass die als maßgeblich eingestuften Entscheidungen älteren Datums sind (s. oben) und damit - auch unter Berücksichtigung aktuellerer Schmerzensgeld-Judikate (vgl. Slizyk, Schmerzensgeld, 16. Aufl. 2020) - in Bezug auf die angemessene Höhe des Schmerzensgelds nicht unerhebliche Zweifel an der Vergleichbarkeit der vom Beklagten herangezogenen Fälle bestehen.
25
Ein sonstiger Grund für eine Verweigerung der Erfüllungsübernahme (Gewährung einer einmaligen Unfallentschädigung nach Art. 62 BayBeamtVG oder eines Unfallausgleichs nach Art. 52 BayBeamtVG) ist nicht ersichtlich (Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG).
26
Der Klage war daher mangels Spruchreife (nur) mit der Verpflichtung des Beklagten zur Neuentscheidung stattzugeben (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus folgend hat der Kläger derzeit keinen Anspruch auf Prozesszinsen nach § 291 Satz 1, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
27
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO und berücksichtigt den jeweiligen Grad des Obsiegens und Unterliegens (vgl. hierzu z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 155 Rn. 3 m.w.N.).
28
Der Anspruch auf die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
29
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 VwGO).