Titel:
Kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung bei Erwachsenen, Beihilfefähigkeit mangels schwerer Kieferanomalie verneint
Normenketten:
BayBhV § 7 Abs. 1 S. 1
BayBhV § 15 S. 2
Schlagworte:
Kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung bei Erwachsenen, Beihilfefähigkeit mangels schwerer Kieferanomalie verneint
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.02.2022 – 24 ZB 20.442
Fundstelle:
BeckRS 2020, 55233
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der am …1951 geborene Kläger begehrt die Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung gemäß ärztlichem Heil- und Kostenplan vom 22.02.2017.
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Unter dem 02.10.2017 beantragte der Kläger die Anerkennung der Beihilfefähigkeit für eine kieferorthopädische Behandlung (Rechnung vom 28.09.2017 über 1.372,68 Euro). Mit Bescheid vom 12.10.2017 verneinte das Landesamt für Finanzen die Beihilfefähigkeit der beantragten kieferorthopädischen Behandlung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Aufwendungen für kieferorthopädische Behandlungen dann beihilfefähig seien, wenn die behandelte Person bei Behandlungsbeginn das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet habe oder im Falle schwerer Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erforderten und ein Heil- und Kostenplan vorgelegt werde, § 15 der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV).
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Gegen den Bescheid vom 12.10.2017 erhob der Kläger mit Schreiben vom 20.10.2017 Widerspruch und legte einen kieferorthopädischen Behandlungsplan vom 22.02.2017 vor. Demnach sei aufgrund der schmalen apikalen Basis und der grazilen Wurzeln mit einem besonders niedrigen Kraftniveau zu arbeiten, um der erhöhten Gefahr für Wurzelresorptionen zu begegnen. Die kieferorthopädische Ausformung der Unterkieferfront sei zur Versorgung der unteren Frontzähne dringend medizinisch notwendig, da sonst der Verlust von weiteren sechs Zähnen im Unterkiefer drohe. Eine Behandlung sei zur Wiederherstellung der vollen Kaufunktion medizinisch notwendig. Weiterhin legte der Kläger ein Schreiben des … vom 29.06.2017 vor. Demnach habe sich der Kläger am 27.10.2016 mit rezidivierenden Beschwerden im Unterkiefer rechtsseitig in der Praxis vorgestellt. Es bestünden massive Beschwerden und Probleme bei Kieferschluss und beim Kauen. In einer ersten Befundaufnahme habe sich eine nicht erhaltungswürdige Brücke in Regio 44 - 47 bei massiv abgesunkener vertikaler Bisshöhe gezeigt, neben abradierter Unterkieferfront und insuffizienter Kronenversorgung im Oberkiefer. Aus medizinischer Sicht sei es absolut notwendig, dass vorerst der Oberkiefer mit Hilfe eines Langzeitprovisoriums sowohl achsgerecht, als auch ebenengerecht rekonstruiert werde, um anschließend eine Wiederherstellung der ursprünglichen Bisshöhe neben Bisslage des Unterkiefers zu rekonstruieren. Daher sei die Oberkieferversorgung mit Hilfe eines Langzeitprovisoriums und Austestung der Pfeilerzähne angeraten worden. Aufgrund der sehr weiten Brückenspanne von 23 - 27 solle entsprechend implantiert werden, um eine Einzelzahnversorgung zu erhalten. Im Unterkiefer seien in den Schaltlücken, respektive Freiendsituationen, Implantate geplant, um hier stabil eine Bisshöhe durchführen zu können. Hier würden sowohl die Pfeilerzähne 34, 35, 27, 44, 47 ebenfalls mit Langzeitprovisorien versorgt und die Implantate in Region 36, 45, 46 mit implantatgetragenen Kronen versorgt. Hierdurch könnten anschließend in Regio 33 - 43 die Zähne aufgrund der massiven Verschachtelung und Abrasion (siehe Modelle) mit Hilfe des Kieferorthopäden entsprechend den Zahnbögen aufgeweitet und die Zähne an die ursprüngliche Position repositioniert werden. Anschließend würden diese mit adhäsiven Keramikversorgungen wieder hergestellt. Aufgrund der medizinisch zu begründenden langzeitprovisorischen Phase ergebe sich beim Kläger ein absolut stabiles Gebiss mit entsprechend gesunden parodontalen Verhältnissen, so dass diese Rekonstruktion zum langfristigen Erhalt gedacht sei. Mit weiterem Schreiben vom 14.11.2017 legte das … dem Landesamt für Finanzen den Kläger betreffende bildgebende Diagnostik vor. Die beiden Bilder würden im Unterkieferfrontzahnbereich eine massive Kieferanomalie mit Destruktion und gleichzeitig massiv abradierten Zähnen in Regio 34, 33, 32, 31, 41, 42, 43 mit gleichzeitiger Keramikfraktur Regio 44, 45 zeigen. Das Besondere in diesem Fall sei die funktionelle Elongation in Regio 32, 31, 41 und 42 bei Lingualstand des Zahnes 42. Zahn 42 sei in dieser Stellung prothetisch nicht zu versorgen. Im Rahmen der Gesamtsanierung des Patienten müssten die Zähne entsprechend introdiert werden, um die richtige Okklusionsebene im definitiven Zahnersatz zu erreichen. Hierdurch würden spätere Abplatzungen, Chippings bzw. Frakturen im Frontzahnbereich minimiert bzw. vermieden.
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Mit Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 12.02.2018 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die Stellungnahme des Beraterarztes habe ergeben, dass beim Kläger keine schwere Kieferanomalie vorliege. Bei dem 65-jährigen Kläger liege ein stark reduziertes und umfangreich versorgtes Abrasionsgebiss vor. Die Zahnreihe im Oberkiefer sei geschlossen, es sei ein festsitzender Zahnersatz eingegliedert. Laut Behandlungsplan handele es sich um ein Langzeitprovisorium. Im Unterkiefer fehlten die Zähne 36, 45, 46 und 47, in regio 36 und 46 befänden sich Implantate, die Zähne 34 und 47 seien wurzelgefüllt. Die Zähne 34 bis 43 wiesen extreme Abrasionen auf. Laut Behandlungsplan sei als präprothetische Maßnahme eine Ausrundung und Nivellierung des Unterkieferzahnbogens mittels Miltiband-Technik von den Zähne 35 bis 44 geplant. Zudem solle eine kieferorthopädische Bisshebung durchgeführt werden. Die übersandten Modelle könnten wohl kaum die klinische Situation wiedergeben, da sie lediglich einen okklusalen Dreipunktkontakt bei den Zähnen 37, 44 und 47 zeigen würden und diese Sachlage gemäß den übersandten Intraoralaufnahmen nicht die klinische Situation beim Patienten wiedergebe. Aufgrund der stark reduzierten Unterkiefer-Bezahnung sollten artikulatormontierte Modelle in zentrischer Relation erstellt und zur Beurteilung übersandt werden. Darüber hinaus stelle sich grundsätzlich die Frage der Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer festsitzenden kieferorthopädischen Therapie bei einem derart reduzierten Zahnbestand, da eine Anbringung des Klebebrackets auf den extrem verkürzten Schneide- und Eckzähnen derzeit nicht möglich sei. Bei der laut Behandlungsplan geplanten Einbeziehung nur eines Teilbereichs des Unterkiefer-Zahnbogens dürfte auch die geplante Nivellierung und Bisshebung kaum umsetzbar sein. Die vorgesehene therapeutische Maßnahme „Herstellen einer funktionellen Okklusion und neutralen Front-Eckzahnbeziehung“ dürfte ebenfalls nur auf prothetischem Wege erreichbar sein. Nicht nachvollziehbar sei weiterhin die Aussage im Behandlungsplan, dass ohne kieferorthopädische Ausrundung im Unterkiefer-Frontzahnbereich der Verlust von weiteren sechs Zähnen drohe. Für diese Behauptung seien keinerlei Ansatzpunkte erkennbar. Ein dysfunktionelles Beschwerdebild scheine nicht vorzuliegen, da weder die klinische Funktionsanalyse noch der kieferorthopädische Behandlungsplan diesbezügliche Aussagen träfen. Für eine abschließende Beurteilung sei die Vorlage der o.g. montierten Modelle erforderlich. Eine schwere Kieferanomalie könne aufgrund der derzeit vorliegenden Befundunterlagen nicht festgestellt werden. Bei den geplanten Maßnahmen handele es sich um eine präprothetische Behandlung, für die aufgrund der Beihilferichtlinien keine Beihilfefähigkeit vorliege. Die geplanten kieferorthopädischen Maßnahmen seien nicht nachvollziehbar und versprächen keinen Erfolg. Die mit Schreiben vom 27.11.2017 übersandten Unterlagen (Schreiben des … vom 14.11.2017, zwei undatierte Intraoralaufnahmen sowie ein klinischer Funktionsstatus vom 06.12.2016 mit manueller Strukturanalyse) ließen keine andere Beurteilung zu. Gemäß klinischem Funktionsstatus bestehe Beschwerdefreiheit. Entsprechend einer erneuten Stellungnahme des Beraterarztes nach Vorlage von Zwischenmodellen vom 10.01.2018 sowie des aktuellen Fotostatus mit Gesichtsfotos und Intraoralaufnahmen würde sich im Vergleich zu den Anfangsmodellen nun eine prothetische Versorgung der beiden Schaltlücken im Unterkiefer zeigen, wodurch eine Bisshebung eingetreten und der frontale Überbiss verringert worden sei, so dass die Anbringung der Klebebrackets habe erfolgen können. Die festsitzende kieferorthopädische Teilapparatur im Unterkiefer habe nunmehr zu einer weitgehenden Ausrundung des Unterkiefer-Frontzahnbogens geführt, wobei noch eine starke Labialneigung mit Wurzeldehiszenz bei 42 lingual und die ursprüngliche Rotation und Elongation des Eckzahns 33 erkennbar seien. Gemäß Schreiben der Behandler vom 10.01.2018 sei die „präprothetische Ausformung in wenigen Monaten abgeschlossen“. Da die stark abradierten Unterkiefer-Eckzähne und -Schneidezähne wohl in Adhäsiv-Technik aufgebaut werden sollten, diese Rekonstruktion auch im ursprünglichen Zustand möglich gewesen wäre, erschließe sich die medizinische Notwendigkeit für die „präprothetische“ kieferorthopädische Ausrundung nicht, zumal die Nivellierung im Unterkiefer und die vorgesehene Bisshebung (s. Behandlungsplan vom 22.02.2017), wie der aktuelle Modellbefund zeige, auf prothetischem Wege erreicht worden sei. Da die Stellungnahme des Beraterarztes ergeben habe, dass beim Kläger keine schwere Kieferanomalie und somit auch kein Ausnahmefall einer schweren Kieferanomalie, für deren Behandlung eine alleinige kieferorthopädische Behandlung ausreichend wäre, vorliege, könne eine Leistungszusage für die beabsichtigte bzw. bereits durchgeführte kieferorthopädische Maßnahme nicht erteilt werden. Die Rechnungen für die kieferorthopädischen Behandlungen vom 28.09.2017 über 1.372,68 Euro und vom 28.12.2017 über 769,20 Euro (bzw. für künftige kieferorthopädische Rechnungen nach dem Behandlungsplan vom 22.02.2017) könnten somit nicht als beihilfefähig anerkannt werden.
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Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 05.03.2018, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 06.03.2018 eingegangen, hat der Kläger Klage erhoben.
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Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 10.08.2018 vorgetragen, dass das … mit Schreiben vom 14.11.2017 eine massive Kieferanomalie beim Kläger festgestellt habe. Da hinsichtlich der Frage, ob beim Kläger eine schwere Kieferanomalie vorliege, zwei Ärzte zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt seien, werde angeregt, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Sollte dieses zu dem Ergebnis gelangen, dass eine schwere Kieferanomalie bestehe, sei weiter zu klären, ob diese eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordere bzw. ob eine alleinige kieferorthopädische Behandlung medizinisch ausreichend sei.
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Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Aufhebung der Beihilfefestsetzung vom 12.10.2017 in Form des Widerspruchsbescheids des Landesamtes für Finanzen vom 12.02.2018 zu verpflichten, die Beihilfefähigkeit der vorgelegten Rechnung des Kieferorthopäden … vom 28.09.2017 anzuerkennen.
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Für den Beklagten beantragt das Landesamt für Finanzen mit Schriftsatz vom 28.08.2018,
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Zur der nicht notwendigen medizinischen Behandlung einer kieferorthopädischen Maßnahme verweist der Beklagte vollumfänglich auf den Widerspruchsbescheid vom 12.02.2018.
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Das Landesamt für Finanzen verzichtete mit Schriftsatz vom 28.08.2018 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schriftsatz vom 22.07.2019, dass mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren Einverständnis besteht.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Behördenakte, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Entscheidungsgründe
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Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit der kieferorthopädischen Rechnung vom 28.09.2017, folglich kann ihn deren Ablehnung durch Bescheid vom 12.10.2017 und Widerspruchsbescheid vom 12.02.2018 auch nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Beklagte hat die kieferorthopädischen Maßnahmen vielmehr zu Recht als nicht beihilfefähig eingeordnet.
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1. Die Einzelheiten der Beihilfegewährung gemäß Art. 96 des Bayerischen Beamtengesetzes - BayBG - sind in der Bayerischen Beihilfeverordnung geregelt. Maßgeblich ist hier die Fassung vom 02.01.2007 (GVBl S. 15; BayRS 2030-2-27-F), zuletzt geändert durch die Verordnungen zur Änderung der Bayerischen Beihilfeverordnung vom 11.03.2011 (GVBl S. 130) und vom 12.10.2018 (GVBl. S. 794). Beihilferechtliche Streitigkeiten sind grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfe beantragt wird, zu beurteilen (BVerwG, U.v. 8.11.2012 - 5 C 4.12 - juris Rn. 12), wobei sich durch die Änderungsverordnung vom 12.10.2018 für das vorliegende Verfahren keine abweichende rechtliche Bewertung ergibt.
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1), der Höhe nach angemessen (Nr. 2) sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3).
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Hinsichtlich der Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen bestimmt § 15 Satz 2 BayBhV, dass diese, wenn die behandelte Person das 18. Lebensjahr bereits vollendet hat (§ 15 Satz 1 Nr. 2 BayBhV), beihilfefähig sind bei schweren Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordern (§ 15 Satz 2 Nr. 1 BayBhV), sowie in besonderen Ausnahmefällen, wenn nach einem zahnärztlichen Gutachten (§ 48 Abs. 7 BayBhV) eine alleinige kieferorthopädische Behandlung medizinisch ausreichend ist (§ 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV).
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Die Stellungnahmen des Beraterarztes besagen eindeutig, dass eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung beim Kläger nicht erforderlich war. Hierunter wäre eine interdisziplinäre kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung im Sinne einer basalen Harmonisierung durch Umstellung eines oder beider Kiefer zu verstehen. Nach den Ausführungen des Beraterarztes handele es sich bei den am Kläger geplanten bzw. inzwischen durchgeführten Maßnahmen um eine präprothetische Behandlung. Die kieferorthopädischen Maßnahmen seien nicht nachvollziehbar und versprächen keinen Erfolg. Da die stark abradierten Unterkiefer-Eckzähne und - Schneidezähne in Adhäsiv-Technik aufgebaut werden sollten, diese Rekonstruktion auch im ursprünglichen Zustand möglich gewesen wäre, erschließe sich die medizinische Notwendigkeit für die „präprothetische“ kieferorthopädische Ausrundung nicht, zumal die Nivellierung im Unterkiefer und die vorgesehene Bisshebung - wie der Modellbefund zeige - auf prothetischem Wege erreicht worden seien.
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Ein besonderer Ausnahmefall i.S.v. § 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV lag beim Kläger nicht vor. Dieser setzt nach der Systematik der Norm eine schwere Kieferanomalie voraus, die aber gerade nicht gegeben war.
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§ 15 Satz 2 BayBhV ist so strukturiert, dass beide Alternativen einer Ausnahme von der Altersbegrenzung nach § 15 Satz 1 Nr. 2 BayBhV nur bei Vorliegen einer schweren Kieferanomalie einschlägig sind. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist nämlich nicht nur in Nr. 1 genannt, sondern wurde in Satz 2 „vor die Klammer gezogen“, so dass § 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV nur schwere Ausnahmefälle einer schweren Kieferanomalie, aber keine sonstigen kieferorthopädischen Krankheitsbilder unterhalb dieser Schwelle erfasst.
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Eine schwere Kieferanomalie ist beim Kläger nicht feststellbar.
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Der Begriff der schweren Kieferanomalie ist in den Beihilfevorschriften selbst nicht näher definiert. Es kann aber auf die Krankheitsbilder zurückgegriffen werden, bei denen auch im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausdrücklich eine Ausnahme vorgesehen ist. (s. Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 4., A III, § 6 (5)). Darunter fallen zum einen angeborene Missbildungen des Gesichts und der Kiefer und angeborene oder durch Unfall verursachte skelettale Kieferfehlstellungen, wie Progenie, Mikrogenie, Formen des skelettal offenen Bisses bzw. tiefen Bisses oder ausgeprägte skelettal bedingte Unterschiede der Zahnbogen- oder Kieferbreite. Schwere Kieferanomalien sind nach obergerichtlicher Rechtsprechung nicht schon bei jeder fehlerhaften Stellung oder Lagebeziehung der Zähne im Kiefer gegeben. Hierunter versteht man vielmehr angeborene Missbildungen des Gesichts und der Kiefer, schwere skelettale Dysgnathien und verletzungsbedingte Kieferfehlstellungen (OVG NRW, B.v. 1.2.2010 - 3 A 2979/07 - juris Rn. 12).
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Der Kläger litt unstreitig nicht an einer durch Unfall verursachten Kieferfehlstellung. Auch eine angeborene oder sonst erworbene schwere Anomalie des Kiefers bestand beim Kläger nach den Stellungnahmen des Beraterarztes nicht. Die Ausführungen des Beraterarztes sind für die erkennende Kammer schlüssig und nachvollziehbar. Sie werden von der Klägerseite auch nicht substantiiert in Frage gestellt. Vielmehr erschöpft sich der klägerische Vortrag im gerichtlichen Verfahren in einem Verweis auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorliegenden Ausführungen des … Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den umfangreichen beratungsärztlichen Stellungnahmen erfolgte nicht, obgleich der Beraterarzt bei der Abfassung seiner Stellungnahmen die von Klägerseite eingereichten ärztlichen Ausführungen seiner Behandler bereits berücksichtigt und gewürdigt hat. Damit ist mit dem Beraterarzt davon auszugehen, dass eine Kieferfehlstellung im oben genannten Sinne beim Kläger nicht vorliegt bzw. vorlag. Vielmehr handelt(e) es sich um ein stark reduziertes und umfangreich versorgtes Abrasionsgebiss. Die begehrten Maßnahmen stellen eine präprothetische Behandlung dar. Kieferorthopädische Maßnahmen sind beim Kläger entsprechend der widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des Beraterarztes medizinisch nicht indiziert.
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Die Ausnahmevorschrift des § 15 Satz 2 Nr. 2 BayBhV ist naturgemäß streng zu handhaben und nicht auf sonstige Fälle einer kieferorthopädischen Erkrankung auszudehnen. Die Ansprüche der Beihilfeberechtigten in Bezug auf zahnärztliche Behandlungen sind in den Beihilfevorschriften umfassend und abschließend geregelt. Die Verwaltungsgerichte können sich nicht über die eindeutige Beschränkung hinwegsetzen und den Beihilfevorschriften gleichwohl Leistungsansprüche des Beihilfeberechtigten entnehmen (BayVGH, B.v. 5.10.2006 - 14 B 04.2997 - juris Rn. 17; a.A. VGH BW, U.v. 2.5.2012 - 2 S 2904/10 - juris Rn. 33 f.). Für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift entgegen deren eindeutigem Wortlaut besteht hier kein Anlass.
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Soweit der Klägerbevollmächtigte im Rahmen seiner Klagebegründung im Hinblick auf die divergierenden Einschätzungen des Beraterarztes auf der einen und der behandelnden Ärzte des Klägers auf der anderen Seite, die Einholung eines Sachverständigengutachtens anregt, war dieser Beweiserhebung nicht nachzukommen. Der Beraterarzt hat sich in seinen Stellungnahmen dezidiert mit den Ausführungen der behandelnden Ärzte auseinandergesetzt. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wurden darüber hinaus keine weiteren Anhaltspunkte, die auf das Bestehen einer schweren Kieferanomalie beim Kläger hindeuten würden, vorgetragen. Vor diesem Hintergrund spricht für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Vielmehr erscheint die Beweisanregung „ins Blaue hinein“, d.h. erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage. Auch bestand vorliegend keine Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung über den Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO. Der Klägerbevollmächtigte selbst regte eine Beweiserhebung lediglich an. Darüber hinaus gilt die Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge. Zwar gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 6.9.2011 - 9 B 48.11 - NVwZ 2012, 376 Rn. 10; U.v. 28.11.1962 - 4 C 113.62 - BVerwGE 15, 176 [176]). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Beweisantrag - wie hier - vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 - 1 B 15.13 - juris Rn. 7; B.v. 29.3.1979 - 7 B 27.78).
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2. Die beim Kläger bestehende Erkrankung mag durchaus behandlungsbedürftig gewesen sein. Da sie aber nicht unter einen der Ausnahmetatbestände des § 15 Satz 2 BayBhV fällt, ist sie von der Beihilfefähigkeit ausgenommen, vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 3 BayBhV. Dies ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Mit der Altersbegrenzung ist in typisierender und generalisierender Weise eine angemessene Einschränkung der besonders kostenintensiven Aufwendungen für kieferorthopädische Behandlungen festgelegt worden. Mit der Beschränkung auf Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, trägt die Regelung der Tatsache Rechnung, dass eine rein kieferorthopädische Behandlung in der Regel deutlich mehr Aussicht auf Erfolg bietet, wenn mit ihr zu einem möglichst frühen Lebenszeitpunkt - jedenfalls vor Abschluss des Körperwachstums - begonnen wird, weil zu diesem Zeitpunkt der Kiefer noch besser formbar ist. Ein weiterer Grund für den grundsätzlichen Ausschluss der Übernahme der Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung Erwachsener liegt in der Erwägung, dass eine solche Behandlung bei Erwachsenen häufig nur aus ästhetischen Gründen oder wegen mangelnder zahnmedizinischer Vorsorge in früheren Jahren erfolgt. Die Beihilfevorschriften des Dienstherrn eines Beamten enthalten im Grundsatz eine abschließende Konkretisierung dessen, was der Dienstherr für diesen Rechtsbereich aufgrund seiner Fürsorgepflicht an - den diesbezüglichen Anteil in der Besoldung ergänzenden - Leistungen u. a. in Krankheitsfällen für geboten und angemessen ansieht. Sie sind eine den durchschnittlichen Verhältnissen angepasste Regelung, bei der in Kauf genommen werden muss, dass nicht in jedem Einzelfall eine volle Deckung der Aufwendungen erreicht wird (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 7.8.2013 - 5 LA 95/13 - juris Rn. 7 m.w.N.). Es ist zu berücksichtigen, dass die Beihilfe als alimentative Fürsorgeleistung lediglich ergänzend zu der zumutbaren Eigenfürsorge des Beamten hinzutritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise zu erleichtern. Die Beihilfe muss demnach nicht sicherstellen, dass sämtliche im Zusammenhang mit einer Krankheit auftretenden Kosten berücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung der Beihilfe kommt dem Normgeber ein weites Ermessen zu. Er muss mithin nicht jeden Unterschied zum Ansatzpunkt für eine Differenzierung nehmen. Der Beamte muss wegen des ergänzenden Charakters der Beihilfe auch Härten und Nachteile hinnehmen, die sich aus der am Alimentationsgrundsatz orientierten pauschalisierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht ergeben und keine unzumutbare Belastung bedeuten (BVerwG, U.v. 31.1.2002 - 2 C 1/01 - juris Rn. 17; BayVGH B.v. 8.1.2007 - 14 ZB 06.2911 - juris Rn. 13).
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.