Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 17.12.2020 – 8 O 2040/20
Titel:

Leistungen, Kostenerstattung, Krankenhaus, Versicherungsnehmer, Gemeinschaftspraxis, Rechtsanwaltskosten, Heilbehandlung, Heilmittel, Auslegung, Implantation, Arzneimittel, Wohnung, Zustellung, Krankheitskostenversicherung, neuropathisches Schmerzsyndrom, Zustellung der Klageschrift, gefestigter Rechtsprechung

Schlagworte:
Leistungen, Kostenerstattung, Krankenhaus, Versicherungsnehmer, Gemeinschaftspraxis, Rechtsanwaltskosten, Heilbehandlung, Heilmittel, Auslegung, Implantation, Arzneimittel, Wohnung, Zustellung, Krankheitskostenversicherung, neuropathisches Schmerzsyndrom, Zustellung der Klageschrift, gefestigter Rechtsprechung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 28.02.2022 – 8 U 224/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 55138

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.033,58 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 3.026,68 € seit 01.09.2019 und aus weiteren 2.007,30 € seit 25.04.2020 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 413,64 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 25.04.2020 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.033,58 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Kostenerstattung im Rahmen einer privaten Krankheitskostenversicherung.
2
Die am ….1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die bis 25.06.2020 noch als … Krankenversicherung AG firmierte, seit dem 01.06.1999 unter der Vertragsnummer Nr. … privat krankenversichert. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Tarife „C. 5“, „E. 42“ und „P.“ zugrunde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Nachtrag zum Versicherungsschein vom 28.02.2019 (vorgelegt als Anlage K1) umfassend Bezug genommen. Einbezogen in den Vertrag wurden allgemeine Versicherungsbedingungen in Form der „Rahmenbedingungen 2008 (RB/KK 2008)“ sowie der „Tarifbedingungen 2008 (TB/KK 2008)“. Diese wurden als Anlage K2 vorgelegt. Ferner finden die „Tarif ….c. (c.)“-Bedingungen auf das Versicherungsvertragsverhältnis Anwendung, die als Anlage K3 vorgelegt wurden.
3
Die Klägerin ist schwer erkrankt und leidet insbesondere unter folgenden Erkrankungen/Diagnosen:
dialysepflichtige terminale Niereninsuffizienz CIHD seit 4/18;
renale Grunderkrankung; Niereninfarkt beidseitig bei Aortendissektion;
arterielle Hypertonie;
Aortendissektion Typ A, Implantation einer Rohrprothese unter Aortenklappenrekonstruktion 23.3.2018, Zustand nach Tracheotomie 4/18;
inkomplettes Conus-Cauda-Syndrom betont nach vaskulärer Schädigung des RM Höhe BWK12; neurogene Blasenentleerungsstörung bei Cauda-equina-Syndrom; neurogene Darmentleerungsstörung;
Mediainfarkt links und bifrontale Ischämie mit schlaffer Hemiparese rechts an den oberen Extremitäten zurückbildend;
neuropathisches Schmerzsyndrom
Sepsis 2/19, Pneumonie DDHWI; Enterobacter aerogenes;
renale Anämie;
Anämie bei sonstigen chronischen anderenorts klassifizierten Krankheiten;
sekundärer renaler Hyperparathyreoidismus
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Wegen der terminalen Niereninsuffizienz wird die Klägerin dreimal wöchentlich in einer etwa 3,5 km von ihrem Wohnort entfernten Dialysepraxis in … behandelt. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes kann die Klägerin nicht selbst fahren, sondern muss befördert werden. U.a. am 01.03.2019 wurde der Klägerin durch die überörtliche Gemeinschaftspraxis Dr. med. Dr. med. univ. … die Krankenbeförderung zum Krankenhaus (Hin- und Rückfahrt von der Wohnung) verordnet. Eine zusätzliche Begleitperson wurde hierbei als erforderlich angesehen (Anlage K7.1). In der Folge bediente sich die Klägerin zum Transport zu den jeweiligen Dialysebehandlungen der Personenbeförderung …. Dieser rechnete zwischen dem 12.03.2019 und dem 07.12.2019 mit insgesamt neun Rechnungen einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.278,08 € ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen K8 bis K23 umfassend Bezug genommen.
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Darüber hinaus erhielt die Klägerin physiotherapeutische Behandlungen durch die Physiotherapiepraxis …. Mit Rechnungen vom 06.03.2019, 22.03.2019, 17.04.2019, 18.10.2019 und 06.12.2019 liqudierte die genannte Praxis jeweils zehn physiotherapeutische Behandlungen, die allesamt bei der Klägerin Zuhause vorgenommen wurden. Für die Hausbesuche wurden jeweils 14,00 € geltend gemacht. Das Wegegeld wurde pro Rechnung mit 10,50 € angesetzt. Mit der hiesigen Klage geltend gemacht wurden die zuletzt genannten Positionen, die von der Beklagten nicht erstattet wurden. Es handelt sich insgesamt um einen Betrag in Höhe von 755,50 €.
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In den Rahmenbedingungen RB/KK 2008 wurde unter § 4 (Umfang der Leistungspflicht) u.a. folgendes geregelt:
(1) Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif, diesen Rahmenbedingungen und den Tarifbedingungen.
[…]
(3) Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel müssen von den in Absatz (2) genannten Behandlern verordnet, Arzneimittel außerdem aus der Apotheke bezogen werden.
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In den Tarifbedingungen TB/KK 2008 wurde unter Teil II: § 5 zu § 4 RB/KK 2008 („Umfang der Leistungspflicht“) u.a. folgendes geregelt:
(3) zu § 4 (3) RB/KK 2008 Heilmittel
Als Heilmittel gelten die im Gebührenverzeichnis der geltenden Gebührenordnung für Ärzte unter Abschnitt E „Physikalisch-medizinische Leistungen“ aufgeführten Leistungen, soweit sie von einem der unter § 4 (2) RB/KK 2008 aufgeführten Therapeuten oder von einem staatlich geprüften Masseur oder von einem staatlich geprüften medizinischem Bademeister erbracht werden.
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In den „Tarif ….c. (c.)“-Bedingungen (Anlage K3) ist unter Ziffer 1. (Erstattungsfähige Aufwendungen/Umfang der Versicherungsleistungen) u.a. aufgeführt:
1.1 Erstattungsfähig sind bei ambulanter Heilbehandlung einschließlich Vorsorgeuntersuchung, Entbindung und Fehlgeburt Aufwendungen für
a)
ärztliche Leistungen
b)
Arzneimittel- und Verbandmittel
c)
Heilmittel
[…]
1.2 Erstattungsfähig sind bei stationärer Heilbehandlung einschließlich Entbindung und Fehlgeburt
zu 100 % Aufwendungen für:
a) allgemeine Krankenhausleistungen
[…]
f) medizinisch notwendigen Transport zum und vom Krankenhaus jeweils bis zu einer Entfernung von 100 km. Sofern innerhalb dieser Entfernung kein Krankenhaus erreichbar ist, das die medizinisch notwendige Behandlung durchführen kann, sind die Aufwendungen für den Transport zum und vom nächst gelegenen geeigneten Krankenhaus erstattungsfähig.“
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Mit Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 20.08.2019 wurde die Beklagte aufgefordert, Kosten der Hausbesuche in Höhe von 451,50 € sowie Fahrtkosten zur Dialyse in Höhe von 2.574,78 €, mithin im Hinblick auf einen Gesamtbetrag von 3.026,28 €, bis 31.08.2019 zu erstatten.
10
Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie Anspruch auf Erstattung der Transportkosten zu den Dialysebehandlungen in … sowie für die Hausbesuchskosten ihres Physiotherapeuten hat. Würden die Kosten nicht erstattet werden, würde das Leistungsversprechen aus dem Vertrag ausgehöhlt sein. Im Übrigen könne die Klägerin die Transportkosten als Rettungskosten gem. § 83 VVG ersetzt verlangen. Schließlich sei die Dialysebehandlung mit einer stationären Aufnahme vergleichbar. Die Kosten der Hausbesuche des Physiotherapeuten seien zu ersetzen, da die Physiotherapie nur zuhause möglich gewesen sei, es sei denn, die Klägerin hätte sich zur Physiotherapie mit einem Taxi fahren lassen.
11
Die Klägerin beantragt daher:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.033,58 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 3.026,68 € seit 01.09.2019 und aus weiteren 2.007,30 € seit Zustellung der Klageschrift zu bezahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 431,64 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu bezahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Ansicht, dass die geltend gemachten Zahlungen vertraglich ausgeschlossen seien. Die Rechnung vom 12.03.2019 sei zumindest teilweise erstattet worden.
14
Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen umfassend Bezug genommen.
15
Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet.
1. Transportkosten zur Dialysebehandlung
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Aufgrund einer Auslegung der einschlägigen Vertragsbestandteile kann die Klägerin den Ersatz der geltend gemachten Transportkosten zu den Dialysebehandlungen beanspruchen.
18
Gemäß Ziffer 1.2 f) der „Tarif ….c. (c.)“-Bedingungen sind bei der stationären Heilbehandlung medizinisch notwendige Transportkosten zum und vom Krankenhaus jeweils bis zu einer Entfernung von 100 km erstattungsfähig.
19
Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung des IV. Senats des BGH so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. nur BGH, Urteil v. 16.07.2014, Az.: IV ZR 88/13; Brömmelmeyer in: Rüffer, Halbach, Schimikowski, Versicherungsvertragsgesetz, 4. Aufl. 2020, Einleitung Rdnr 66; Beckmann in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, Rdnr 166 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Es kommt mithin auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGH, Urteil vom 23.06.1993, Az. IV ZR 135/92, veröffentlicht in NJW 1993, 2369; Basedow in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 305c Rn. 35).
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Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird jedoch eine mehrstündige Dialysebehandlung im Krankenhaus als stationäre Heilbehandlung ansehen dürfen. Zunächst ist zu sehen, dass der Terminus ‚stationäre Heilbehandlung‘ gesetzlich nicht definiert ist. Anerkannt ist jedenfalls, dass davon auch die teilstationäre sowie die vor- und nachstationäre Behandlung mitumfasst ist (Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, SGB V § 44 Krankengeld, Rn. 37). Von der vollstationären wird die teilstationäre Behandlung vor allem durch den fehlenden Verbleib über Tag und Nacht (ohne ‚Rund-um-die-Uhr-Versorgung‘) abgegrenzt (Gamperl in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 11. Ergänzungslieferung (September 2020), SGB V, § 39 Rn. 20). Aus Gründen der Klarheit der Versicherungsbedingungen wäre es nach Ansicht des Gerichts erforderlich gewesen, Behandlungsformen, die - wie die streitgegenständlichen Dialysebehandlungen - einen teilstationären Charakter aufweisen, in den Versicherungsbedingungen klar zu regeln. Unklarheiten gehen zum Nachteil des Verwenders.
21
Damit kann die Klägerin sämtliche geltend gemachten Rechnungsbeträge im Zusammenhang mit den Fahrten zur Dialyse erstattet verlangen. Dass auf Rechnung vom 12.03.2019 Fahrten zu den stationären Aufenthalten vom 15.02.2019 bis 22.02.2019 voll erstattet worden seien, wurde klägerseits zulässigerweise bestritten. Ein Beweisangebot erfolgte durch die Beklagte nicht.
2. Erstattung von Hausbesuchskosten des Physiotherapeuten
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Auch die Kosten der Hausbesuche des Physiotherapeuten hat die Beklagte zu erstatten.
23
Die Argumentation der Beklagten, dass sich in Abschnitt E der geltenden GOÄ kein Erstattungsanspruch für Kosten der Hausbesuche finden lasse, verfängt nicht. Wie oben zitiert findet sich in Teil II: § 5 zu § 4 RB/KK 2008 („Umfang der Leistungspflicht“) u.a. definiert, dass „[a]ls Heilmittel“ die in der GOÄ unter Abschnitt E aufgeführten Leistungen anzusehen sind. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf welchen abzustellen ist (s.o.) bedeutet der Verweis auf Abschnitt E (dieser ist überschrieben mit den Worten „PHYSIKALISCH-MEDIZINISCHE LEISTUNGEN“) nicht, dass hierdurch § 8 („Wegegeld“) und § 9 („Reiseentschädigung“) der GOÄ und die Verweise auf II des Gebührenverzeichnisses ausgeschlossen werden sollten.
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Auch im Hinblick auf diese Vorschrift wäre von der Beklagten zu fordern gewesen, ihre Klausel entsprechend klar zu formulieren. Unklarheiten gehen zu ihren Lasten.
25
Nachdem die Beklagte mit Schreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 20.08.2019 aufgefordert wurde, Kosten der Hausbesuche in Höhe von 451,50 € sowie Fahrtkosten zur Dialyse in Höhe von 2.574,78 € bis 31.08.2019 zu erstatten, befand sie sich bezüglich eines Hauptsachebetrages von 3.026,28 € seit spätestens 01.09.2019 im Zahlungsverzug.
26
Die Klägerin hat ferner Anspruch auf Erstattung der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 €. Nachdem die Klägerin 431,64 € geltend gemacht hat, war die Klage teilweise abzuweisen.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.