Titel:
Auswahlentscheidung, Betriebsrat, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vergabeverfahren, Vorhaben, Rechtsanwaltskosten, Beteiligung, Bundeswehr, Verletzung, Pflichtverletzung, Dienstleistungen, Betriebsvereinbarung, Kenntnis, entgangener Gewinn, Treu und Glauben, wesentlicher Bestandteil
Schlagworte:
Auswahlentscheidung, Betriebsrat, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vergabeverfahren, Vorhaben, Rechtsanwaltskosten, Beteiligung, Bundeswehr, Verletzung, Pflichtverletzung, Dienstleistungen, Betriebsvereinbarung, Kenntnis, entgangener Gewinn, Treu und Glauben, wesentlicher Bestandteil
Fundstelle:
BeckRS 2020, 54806
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 77,90%, der Kläger zu 22,10%.
4. Der Streitwert wird auf € 215.309,32 festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses und in diesem Zusammenhang um die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Im Wege der Widerklage begehrt die Beklagte vom Kläger den Ausgleich von Schadensersatzansprüchen.
2
Der 1969 geborene Kläger war seit dem 01.02.2007 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt; als Eintrittsdatum galt vereinbarungsgemäß der 01.10.1995. Der Kläger war verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Auf den Arbeitsvertrag Anlage K12 = Bl. 46 ff. d.A. wird Bezug genommen. Die Beklagte gehörte zur A Group. Zu ihren Hauptgeschäftsfeldern gehörten die Entwicklung, die Konstruktion und der Bau von Militärflugzeugen und unbemannten Luftfahrzeugen, die Raumfahrttechnik sowie Kommunikationslösungen für den Sicherheits- und Verteidigungssektor. Die Beklagte beschäftigte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG und unterhielt mehrere Standorte, einen davon in O, wo der Kläger tätig war. Im Betrieb war ein Betriebsrat gebildet. Es existierten bei der Beklagten u.a. folgende Richtlinien: Standard of Business Conduct-Richtlinie, Confidentiality-Richtlinie, Competitive Intelligence-Richtlinie, Our Integrity Principles (Anlagen B3 bis B6 = Bl. 319 ff. d.A.). Diese Richtlinien formulierten u.a. die Pflicht, dass geschützte Informationen Dritter von Mitarbeitern der Beklagten weder angefordert noch angenommen werden dürfen. Sie sahen einen Prozess für den Fall vor, dass Mitarbeiter ohne Genehmigung Informationen erhalten, die Eigentum einer dritten Partei und/oder einem besonderen Schutz unterstellt sind. Zudem galten eine Konzernbetriebsvereinbarung „Grundlagen der Einführung und Anwendung von IT-Systemen und Datenschutz vom 12.1.2012, idF 17.07.2018 (Anlage B37 = Bl. 921 ff. d.A.) sowie eine Konzernbetriebsvereinbarung „Privatnutzung betrieblicher E-Mail und Internet-Anschlüsse“ vom 12.12.2012 (Anlage B38 = Bl. 929 ff.d.A.).
3
Die Beklagte war in der Vergangenheit mehrfach als Auftragnehmerin für die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) tätig geworden, die zu ihren wichtigsten Kunden gehörten. Die Bundeswehr unterliegt als öffentlicher Auftraggeber den Vorgaben des Vergaberechts. Sie hat umfangreiche Prozesse entwickelt, um eine langfristige und strategische Planung zu sichern und Beschaffungsvorhaben zielgerichtet und rechtskonform umzusetzen. Zwei bedeutsame Prozesse sind dabei der „Integrierte Planungsprozess“ sowie der „Beschaffungsprozess“ der Bundeswehr. In beiden Prozessen werden durch Angehörige des BMVg und seiner nachgeordneten Behörden wie dem Planungsamt bestimmte Dokumente erstellt, die typischerweise einen bestimmten Prozessschritt abschließen und damit den nächsten Prozessschritt einleiten. Im Regelfall sind diese Dokumente als sog. Verschlusssachen gekennzeichnet. Der integriere Planungsprozess ist projektübergreifend ausgestaltet und auf die vorausschauende Bedarfsermittlung, Priorisierung von Vorhaben und die Umsetzung im Haushalt ausgerichtet. Ein Produkt dieses Prozesses ist die Finanzbedarfsanalyse, die jährlich neu erstellt wird und sämtliche Ausgabenbereiche der Bundeswehr umfasst. Weitere Produkte sind der Ressourcenplan, der u.a. die Grundlage des Haushaltsvoranschlags darstellt, sowie die Planungsleitlinie, die die ministeriellen Vorstellungen über die Bundeswehr abbildet und politische Vorgaben in konzeptionelle Dokumente umsetzen sollen. Die Finanzbedarfsanalyse, der Ressourcenplan, und die Planungsleitlinien sind als „Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) gekennzeichnet. Dabei handelt es sich um die geringste von vier Geheimhaltungsstufen. Eine Weitergabe derartiger Dokumente kann auch durch elektronische Übermittlung innerhalb eines geschlossenen und geschätzten firmeneigenen Netzwerkes oder durch einen Brief über private Zustelldienste erfolgen. Dabei gilt das Prinzip „Kenntnis nur, wenn nötig“. Innerhalb des integrierten Planungsprozesses ist eine Beteiligung von Industrieunternehmen generell nicht zulässig. Der Beschaffungsprozess enthält demgegenüber bezogen auf ein konkretes Projekt die zentralen Vorgaben zur Bedarfsermittlung, - deckung sowie der anschließenden Nutzung von Produkten und Dienstleistungen. Teil dieses Prozesses ist auch die Ausschreibung selbst sowie deren Vorbereitung. Der Prozess richtet sich nach dem sogenannten Customer Product Management (CPM) des BMVg, einer ca. 100 Seiten umfassenden Verfahrensregelung. Dieser Beschaffungsprozess ist in weitere Teilprozesse unterteilt, deren Abschluss jeweils in einem spezifischen Dokument festgehalten wird. Der Prozess startet mit der Analysephase (Teil 1 und Teil 2). Ziel dieser Analysephase Teil 1 ist es, eine konkrete Fähigkeitslücke durch Funktionale Forderungen zu beschreiben. An ihrem Ende steht das Dokument „Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung“ (FFF), das ebenfalls als VS-NfD gekennzeichnet wird. Ein FFF enthält insbesondere eine Beschreibung des konkreten Fähigkeitsdefizits, den Bedarfsumfang, Angaben zu den Kosten bzw. dem Finanzbedarf des jeweiligen Vorhabens und mögliche Auswirkungen und Zusammenhänge mit bestehenden Projekten. Dargestellt sind zudem der voraussichtliche Zeit- und Kostenrahmen des Projekts sowie potentielle Risiken und die Zuständigkeiten. In Teil 2 der Analysephase werden für die im FFF beschriebenen Ausrüstungsbedarf konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet. Am Ende erfolgt in der Regel eine Auswahlentscheidung (AWE) durch den Generealinspekteur der Bundeswehr. Zuständig für diesen Beschaffungsprozess das sog. Integrierte Projektteam (IPT) unter Leitung des Planungsamtes der Bundeswehr oder der Abteilung Planung des BMVg. Einem solchen IPT gehören unterschiedliche Stellen der Bundeswehr an. Eine formale Beteiligung von Industrieunternehmen am IPT ist möglich. Die Voraussetzungen sind im CPM geregelt. Es soll die Fachexpertise der Industrie einbezogen werden, um die marktverfügbaren industriellen Möglichkeiten abzuklären und miteinzubeziehen. Mittel sind z.B. Firmenpräsentationen, Markterkundungen oder der Abschluss von Verträgen über nichttechnische Studien. Dabei ist jeglicher Informationsaustausch durch den Leiter des IPT zu dokumentieren. Die Industrieunternehmen können ihrerseits ihre Ideen und Produkte im Rahmen individueller Kontakte oder auf Messen vorstellen, wobei eine Protokollierung nur bei einem über allgemein übliche Gespräche hinausgehenden Informationsaustausch erforderlich ist. Im Falle einer Industriebeteiligung müssen etwaige Informationsvorteile im Rahmen der Vergabe durch die Vergabestelle ausgeglichen werden. Ist dies nicht möglich, kann dies zum Ausschuss des Unternehmens bei dem Vergabeverfahren führen, damit Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen werden. Eine Überlassung von Dokumenten des CPM durch die Behörden an die Industrie ist außerhalb der genannten Verträge oder der offiziellen Einbeziehung in das IPT nicht vorgesehen.
4
Die Zulässigkeit der Weitergabe von Verschlusssachen an Behördenexterne bemisst sich nach der konkreten Information im Einzelfall und der Person des Empfängers. Kläger war im streitrelevanten Zeitraum zum Erhalt von VS-NfD eingestuften Dokumenten ermächtigt.
5
Mit Wirkung zum 01.07.2017 wurde dem Kläger eine Aufgabe als „Senior Strategic Programm Lead“ übertragen, wo er zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von € 11.894,33 bezog. Zuvor war der Kläger im Geschäftsbereich „Raumfahrt“ tätig. Als Senior Strategic Programm Lead war dem Kläger die sog. Programm- bzw. Kampagnenleitung für die Projekte „D-LBO“ sowie „SATCOMBw3“ übertragen. Dabei handelte es sich um Beschaffungsprojekte der Bundeswehr. Das Projekt „Mobile Taktische Informationsverarbeitung“ (MoTIV) wurde Anfang des Jahres 2018 mit dem Projekt „Mobile Taktische Kommunikation“ (MoTaKo) unter dem Programm „Digitalisierung landbasierter Operationen“ (D-LBO) zusammengeführt. SATCOMBw3 bezeichnete das Projekt „Satellitenkommunikation der Bundeswehr Stufe 3“. Ziel für die Beklagte war es, im Rahmen dieser Projekte Aufträge von der Bundeswehr zu erhalten.
6
Unmittelbar in der Kundenbetreuung waren die bei der Beklagten beschäftigten Key Account Manager (KAM) tätig. Aufgabe des Klägers war es, in Zusammenarbeit mit den KAM Chancen für mögliche Aufträge zu identifizieren und dem Kunden potentiell interessante Produkte zu präsentieren. Hierzu sollte er bei der Beklagten die nötigen Ressourcen organisieren und strukturieren, wozu er intern z.B. auch Aufträge vergeben konnte, um fachliches Knowhow zu erhalten. Er sollte verfügbare Informationen auswerten und im Team teilen, um für die Beklagte einen „Business Case“ abzuleiten (Technik, Mengen, Kosten, Zeitpläne, Kundenbudget). Er sollte ein koordiniertes und einheitliches Auftreten gegenüber dem Kunden sicherstellen und repräsentierte dabei die Beklagte gegenüber nach außen. Gegenüber den im Rahmen der jeweiligen Kampagne eingesetzten Mitarbeitern oblag dem Kläger die fachliche Weisungsbefugnis. Einzig gegenüber dem Mitarbeiter Herrn Ka hatte der Kläger disziplinarische Führungsbefugnis. In Zusammenarbeit mit dem Kläger befanden sich der Key Account Manager Herr Kl sowie dessen Vorgesetzter Herr G, zudem Herr Kr. Herr Kl war der sog. Point of Contact zum Planungsamt der Bundeswehr. Aus der Fachabteilung des Abteilungsleiters Herrn Gr wurde u.a. dessen Mitarbeiter Herr Co an den Kläger und sein Team abgestellt. Bei den Herren Ca und F handelte es sich um (wechselnde) Vorgesetzte des Klägers.
7
Die Beklagte war im streitgegenständlichen Zeitraum weder im Rahmen einer Studie noch als offizielles Mitglied des Integrierten Projektteams an dem Projekt MoTIV bzw. MoTaKo bzw. D-LBO beteiligt. Für eine Studie zur Vorbereitung des FFF-Dokuments beim Projekt SATCOMBw3 hatte sich die Beklagte beworben, war aber nicht beauftragt worden. Die Beklagte war auch nicht Mitglied im ITP. Der Abschluss der Analysephase 1 erfolgte hier im März 2018.
8
Die Beklagte leitete im Juli 2018 eine interne Untersuchung in Zusammenhang mit dem Projekt „SATCOMBw3“ ein, nachdem ein Mitarbeiter der Beklagten gegenüber der Compliance-Abteilung vom Besitz eines FFF-Dokuments berichtet hatte. Nach Einholung externen Rechtsrats ergaben sich aus Sicht der Beklagten mögliche Unternehmerrisiken für den Fall eines unzulässigen Erhalts derartiger Dokumente. Bis Ende 2018 erfolgten Gespräche mit potentiell sachverhaltsbetroffenen Mitarbeitern, so auch dem Kläger, zunächst durch Mitarbeiter der Compliance-Abteilung, im November 2018 sodann im Beisein von Rechtsanwälten einer von der Beklagten mit der internen Untersuchung beauftragten Strafrechtskanzlei. Ab Dezember 2018 wurde eine Durchsuchung der ITArbeitsmittel der betroffenen Mitarbeiter durchgeführt, sowie im Januar und Februar 2019 parallel dazu Bürobesichtigungen sowie ein Austausch von Hardware bei acht Mitarbeitern, darunter dem Kläger. Es ergaben sich über 1 Mio. auszuwertende Datensätze. Zum genauen Ablauf wird auf den Vortrag der Beklagten auf S. 50 f. des Schriftsatzes vom 07.70.2020 = Bl. 658 f. d.A. Bezug genommen. Die Kanzlei legte ihren Zwischenbericht am 16.09.2019 der Geschäftsführung der Beklagten vor. Danach ergaben sich gegenüber Mitarbeitern der Beklagten Hinweise auf eine Verletzung zumindest betrieblicher Vorschriften, teilweise strafrechtlich relevante Vorwürfe. Der Zwischenbericht enthielt auch auf den Kläger bezogene Sachverhalte, sog. Findings. Wegen der Inhalte der Findings wird auf S. 8 ff. des Schriftsatzes der Beklagten vom 29.11.2019 = Bl. 291 ff. d.A. sowie S. 29 des Schriftsatzes vom 07.07.2020 = Bl. 637 ff. d.A. Bezug genommen. Danach ergab sich u.a. Folgendes:
9
Am 25.07.2017 erhielt der Kläger eine E-Mail von Herrn G, der als Downloadlink das FFFDokument zum Planungsvorhaben MoTaKo beigefügt war, bezeichnet als „FFF+ MoTaKo Dezember 2015“. Das FFF-Dokument wies auf jeder Seite ein Wasserzeichen „A INTERNAL“ auf. Am 01.12.2017 sandte Herr Kl an Herrn Gr eine E-Mail, die der Kläger in „cc“ erhielt, mit dem Betreff „Unterlagen“. Darin hieß es u.a.:
„Hallo L, wir sind jetzt wie folgt verblieben.
U bekommt am Montag einen Umschlag von mir. die darin enthaltenen Dokumente verlassen sein Büro nicht. Du und S könnt aber vor Ort jederzeit Einsicht nehmen (sofern U euch rein lässt); -).
S bekommt Anfang der Woche von mir die FFF MoTIV in Hardcopy. Davon machst du dir eine Kopie und lässt sie gaaaaaanz weit unten in deinem Schreibtisch verschwinden. Ist der finale (aber noch nicht gebilligte) Stand…Von daher kann es sein, dass sich irgendwo noch die Formatierung ändert…Insofern auch nachvollziehbar, wo ich sie her habe. Ich verlasse mich darauf, dass die Unterlagen bei euch bleiben. Z habe ich auch eine Ausfertigung zukommen lassen. Grösser sollte der Kreis der Wissenden nicht werden…“
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Mit E-Mail vom 07.12.2017 übersandt der Kläger u.a. an Herrn Gr und Herrn Co „ein wichtiges Dokument über MoTIV“, wobei es sich um den noch nicht unterzeichneten Entwurf des FFF MoTIV handelte. Am 11.12.2017 hieß es in einer PowerPoint Präsentation für den an diesem Tag stattfindenden „MoTaKo Monthly Review“, die der Kläger u.a. an seine Vorgesetzten Herrn F und Herrn Ca versandte, „FFF+ Zeichnung in Q1 erwartet (finaler Entwurf ist verfügbar)“ (deutsche Fassung gemäß Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 29.11.2019, S. 10 = Bl. 293 d.A.; zur englischen Originalfassung wird auf den Vortrag im Schriftsatz des Klägers vom 21.02.2020, S. 31 = Bl. 447 d.A. Bezug genommen). Am 19.12.2017 schrieb der Kläger per Mail an Herrn Kl:
„Hallo St., Du hattest mir vor kurzem einen Umschlag mitgebracht bzgl. MoTIV.
Zu dem Kerndokument gibt es noch einige Anlagen, die nicht mit dabei waren. Hast Du evtl. noch die Chance alle Anlage zu bekommen?“
11
Am 11.01.2018 sandte der Kläger eine Auswertung der Zahlen aus der FFF+ MoTaKo und FFF MoTIV mit den Worten „hier die Zahlen aus den beiden FFF, die ich mal ins XLS übertragen habe“, per E-Mail an Herrn G und Herrn Gr. Herr Kl versandte per E-Mail vom 17.01.2018 u.a. an Herrn G eine Excel-Datei sowie eine PowerPoint-Präsentation für einen Workshop, die Auswertungen der Finanzbedarfsanalyse, der Planungsleitlinie sowie des Ressourcenplans enthielten, mit dem Hinweis zu den zitierten Dokumenten „Sind alle eingestuft und haben wir offiziell nicht“. Die PowerPoint-Präsentation versandte Herr G mit E-Mail vom 22.06.2018 und dem Hinweis „Wie besprochen mit der Bitte um vertrauliche Behandlung“ an den Kläger und weitere Mitarbeiter der Beklagten. Am 06.03.2018 teilte der Kläger u.a. Herrn Kr per E-Mail mit, dass das FFF SBW3 gezeichnet, ein Zugang „on short notice“ wohl schwierig sei, man aber trotzdem Augen und Ohren offen halten solle. Der Kläger forderte Herrn Ka am 25.04.2018 per E-Mail auf, die FFF MoTaKo und MoTIV an alle zu verteilen und dafür zu sorgen, dass diese durch jeden gelesen und verstanden werde. Er schrieb u.a. „Ich möchte diese allerdings nicht gerne per email verteilen“. Am 26.04.2018 forderte der Kläger in einer E-Mail an Herrn G, die „Dokumentenlage zu vervollständigen“; insbesondere sei die „aktuelle MoTIV F^3 und v.a. Anlage 7, 8, 9“ wichtig. Herr G leitete diese E-Mail u.a. an Herrn Kl weiter und bat um Umsetzung. Am 12.06.2018 übergab Herr Kl einen Ausdruck der FFF SATCOMBw3 an den Kläger in einem Stadt M Flughafenhotel. Der Kläger seinerseits übergab den Ausdruck am 29.06.2018 u.a. an Herrn Kr weiter. Herr Kl übersandte am 25.06.2018 ein Einschreiben an die Privatadresse des Klägers. Der Kläger bedankte sich am selben Tag und teilte mit, dass das „D-LBOTeil“ gut angekommen sei.
12
Mit Schreiben vom 17.09.2019 (Anlage B8 = Bl. 368 ff. d.A.) wurde der Kläger - wie 16 weitere Mitarbeiter - aufgefordert, zu den ihn betreffenden Findings Stellung zu nehmen. In der Anhörung verwies die Beklagte auf den sich ihrer Ansicht nach ergebenden Verdacht, dass der Kläger im Zusammenhang mit Beschaffungsprojekten der Bundeswehr in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und der Beklagten Schaden zugefügt habe, da er Dokumente und Informationen des öffentlichen Auftraggebers, die der Geheimhaltung unterlägen und zu deren Besitz er nicht berechtigt gewesen sei, wiederholt erhalten und mit Kollegen ausgetauscht habe. Mit Schreiben vom 22.09.2019 (Anlage B9 = Bl. 375 ff. d.A.) nahm der Kläger dazu Stellung. Mit Schreiben vom 23.09.2019 (Anlage B10 = Bl. 381 ff. d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung an, wozu der Betriebsrat mit Schreiben vom 25.09.2019 (Anlage B11 = Bl. 398 ff. d.A.) Bedenken mitteilte. Mit Schreiben vom 27.09.2019, welches dem Kläger am 28.09.2019 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise ordentlich zum 30.04.2020. Gegenüber 15 weiteren Mitarbeitern sprach die Beklagte ebenfalls außerordentliche Kündigungen aus. Mit Schreiben vom 07.02.2020 machte die Beklagte gegenüber dem Kläger Schadensersatzansprüche in Höhe von € 142.732,00 u.a. wegen entstandener Rechtsanwaltskosten geltend.
13
Mit seiner Klage vom 09.10.2019, beim Arbeitsgericht München eingegangen am selben Tag, der Beklagten zugestellt am 16.10. 2019, hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt, das Vorliegen außerordentlicher Kündigungsgründe bestritten sowie die soziale Rechtfertigung gerügt; zudem hat sich der Kläger auf einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch berufen.
- 1.
-
Es wird festgestellt, dass das Anstellungsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 27.09.2019 nicht aufgelöste worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass das Anstellungsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 27.09.2019 nicht aufgelöste worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass das Anstellungsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30.04.2020 zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
- 4.
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Für den Fall des Obsiegens der Klageanträge zu Ziffer 1. und Ziffer 2. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen.
15
Die Beklagte beantragt Klageabweisung sowie widerklagend
1. Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte EUR 142.732,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten alle Schäden zu ersetzen, die der Beklagten dadurch entstanden sind und künftig noch entstehen werden, dass der Kläger vertrauliche, eingestufte Dokumente des Integrierten Planungsprozesses und des Beschaffungsprozesses (Customer Product Management) der Bundeswehr erhalten, weiterverbreitet und genutzt hat, ohne dass er dazu berechtigt war und dass der Kläger den Erhalt, die Weiterverbreitung und Verwendung dieser Dokumente weder unterbunden, noch der Beklagten gemeldet hat.
Abweisung der Widerklage.
17
Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe Kenntnis gehabt, dass weder er noch die Beklagte zum Besitz der FFF-Dokumente berechtigt gewesen seien. Auf welchem konkreten Weg Herr Kl das FFF MoTIV erhalten habe, lasse sich für die Beklagte nicht nachvollziehen, da dieser sich nicht äußere. Zur Aufgabe des Klägers, den Kunden Bundeswehr langfristig zu binden, hätte auch der pflichtgemäße Umgang mit sensiblen Daten gehört und ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein. Es sei seine arbeitsvertragliche Pflicht gewesen, dass arbeitsvertragswidrige Verhalten seiner Mitarbeiter zu unterbinden. Der Kläger habe z.B. das Verhalten nicht hinterfragt, als Herr Kl mitgeteilt habe, dass Herr Gr die Kopie „gaaaaaanz weit unten“ in seinem Schreibtisch verschwinden lassen solle; das ziehe einen unumkehrbaren Vertrauensverlust nach sich, das auch nicht durch eine Abmahnung hätte zurückgewonnen werden können. Dies erweise sich als Verstoß gegen die dem Kläger obliegenden Treue- und Rücksichtnahmepflichten, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können. Die Beklagte habe ihm besonderes Vertrauen entgegengebracht, denn er sei der Vertreter der Beklagten gegenüber dem Planungsamt der Bundeswehr gewesen. Die Verfehlungen des Klägers könnten den Ausschluss der Beklagten aus dem öffentlichen Vergabeverfahren zur Folge haben. Dies habe der Kläger zumindest billigend in Kauf genommen. Es liege ein Verstoß gegen die benannten Richtlinien vor. Diese seien im Intranet veröffentlicht und dem Kläger per E-Mail zugesandt worden. Zur Widerklage trägt die Beklagte vor, dass der bei ihr bislang entstandene Schaden im Zusammenhang mit der Aufklärung der Pflichtverletzungen des Klägers und der Verteidigung ihrer Rechtspositionen € 3.833.208,27 Mio. betrage. Dies ergebe sich aus drei Rechnungen von beauftragten Kanzleien - im Einzelnen wird auf S. 3 des Schriftsatzes der Beklagten vom 21.07.2020 = Bl. 1157 d.A. Bezug genommen. Hiervon werde unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Arbeitnehmerhaftung ein Teilbetrag gegen den Kläger geltend gemacht, der sein persönliches Jahreseinkommen nicht überschreit. Die Schadenspositionen seien der Höhe nach noch nicht abschließend, eine vollständige Bezifferung nicht möglich, weil die Ermittlungen noch andauerten. Es komme auch entgangener Gewinn in Betracht, falls die Beklagte aufgrund der Pflichtverletzungen des Klägers von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werde. Diese Pflichtverletzung sei vorsätzlich erfolgt. Der Kläger habe auch gewusst, dass sein Handeln vergaberechtlich nicht vertretbar gewesen sei und der Beklagten gravierende vergaberechtliche Konsequenzen drohten. Das Schadensrisiko für die Beklagte habe der Kläger billigend in Kauf genommen, zumindest diesbezüglich grob fahrlässig gehandelt.
18
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger die ihm obliegenden Haupt- und Treuepflichten schwerwiegend verletzt habe. Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger Straftaten begangen habe, etwa eine Beihilfe zur Dienstgeheimnisverletzung gemäß §§ 353b Abs. 1, 27 StGB iVm. § 48 WStG sowie zur Geheimnishehlerei nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG, denn er habe wiederholt unbefugt erlangte Geheimnisse aus dem Geschäftsbereich des BMVg ausgewertet und an Mitarbeiter der Beklagten weitergeleitet. Zugleich habe er gegen die streitgegenständlichen unternehmensinternen Richtlinien verstoßen, indem er vertrauliche, als VS-NfD gekennzeichnete Dokumente erhalten und versendet hat.
19
Hierzu erwidert der Kläger, dass er weder im Zusammenhang mit der Erstermächtigung zur Entgegennahme von VS-Dokumenten noch bei der Erneuerung explizit geschult worden sei. „Die Zustellung bzw. zur Kenntnisbringung der Richtlinien an den Kläger hat die Beklagte an keiner Stelle nachgewiesen und wird vom Kläger bestritten.“ (S. 18 des Schriftsatzes vom 21.02.2020 = Bl. 434 d.A.). Drei der vier Richtlinien seien erst im April 2018 veröffentlicht worden. Bei den genannten FFF-Dokumenten habe es sich um Anfangsunterlagen in dem Verfahren zur Bedarfsermittlung, Bedarfsdeckung und Nutzung der Bundeswehr gehandelt, welches im CPM beschrieben sei. Dabei sei eine Einbindung der Fachkompetenz der Wirtschaft vorgesehen. Konkret trägt der Kläger vor (Protokoll der Kammerverhandlung vom 21.07.2020 = Bl. 1107 d.A.): „Die Key-Account-Manager sind das Spiegelbild zum Planungsamt. Bei uns war Herr Kl der Point of Contact zum Planungsamt. In der Analysephase waren aber auch Fachbereiche der Bundeswehr involviert. Bei fachlichen Diskussionen wurde dann die Fachabteilung der Beklagten, in den fraglichen Programmen also ich mit meinem Team, eingebunden, für die entsprechenden Dialoge mit den Fachbereichen der Bundeswehr.“ Teilweise seien Dokumente bereits im Unternehmen im Umlauf gewesen, als der Kläger in der betreffenden Abteilung noch gar nicht tätig gewesen sei. Im Übrigen habe er die Informationen lediglich im firmeninternen Verteilerkreis empfangen. Sie seien ihm von Mitarbeitern der Beklagten übermittelt worden und auch eine Weiterleitung / Weitergabe seitens des Klägers sei ausschließlich an Kollegen erfolgt. Die Mails, mit denen Dokumente an ihn geleitet worden seien, hätten keinen Hinweis auf eine formale Einstufung oder Geheimhaltung enthalten. Es seien sämtliche beteiligten Kollegen zum Empfang von VS-Sachen ermächtigt gewesen und es sei das „Kenntnis nur, wenn nötig“-Prinzip beachtet worden. Aufgrund der ihm im Unternehmen der Beklagten zugeordneten Funktion im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Planungsvorhaben der Bundeswehr habe die Notwendigkeit zur Kenntnis für die Auftragsanbahnung eindeutig vorgelegen. Ein Verstoß gegen die Richtlinie betreffend Competitive Intelligence (Wettbewerbs- und Marktbeobachtung) liege nicht vor, denn die darin genannten Handlungen habe der Kläger nicht begangen. Der Umstand, dass gegen weitere 88 Mitarbeiter ermittelt worden sei, zeige, dass der Umgang des Klägers mit den ihm zugeleiteten Verschlusssachen der gängigen Praxis und ständigen Übung bei der Beklagten entsprach. Er habe stets regelmäßig und vollständig seine Vorgesetzten über den jeweiligen Sachstand und die entsprechende Vorgehensweise informiert. Es habe keine Rückmeldung gegeben, dass dieses Vorgehen nicht im Einklang mit Unternehmensrichtlinien steht. Sein direkter Vorgesetzter (ab März 2018 Herr Ca) sowie der nächsthöhere Vorgesetzte Herr F hätten aufgrund ihrer Nationalität und der Standorte selbst keinerlei detaillierte Kenntnis über Regularien und Verfahren der deutschen Planungs-, Beschaffungs- und Geheimschutzprozesse. Zu den Inhalten der drei streitgegenständlichen FFFDokumente sei seitens Vertreter des BMVg und nachgeordneter Dienststellen auf öffentlichen Veranstaltungen öfters ausführlich berichtet und diskutiert worden. Z.B. wurden auf der GOSATCOM Konferenz am 14.11.2017 wesentliche Inhalte des SatComBw3 FFFDokuments der Öffentlichkeit vorgestellt. Das D-LBO Systemkonzept der Firma b sei am 02.10.2018 veröffentlicht worden, welches als wesentlicher Bestandteil der Auswahlentscheidung den ausgewählten technischen Lösungsvorschlag für das Vorhaben MoTaKo/MoTIV darstelle. Die Offenlegung sei eine bewusste Entscheidung des BMVg gewesen, um allen interessierten Industrieunternehmen das Systemkonzept als technischen Standard vorzuschreiben. Damit sei die Einstufung der in der FFF MoTaKo und FFF MoTIV eventuell enthaltenen technischen Anforderungen als VS-Sache nachträglich obsolet geworden. Die E-Mail am 01.12.2017 habe er nie bearbeitet oder beantwortet. Bei bis zu 100 empfangenen E-Mails pro Tag sei nicht zu erwarten, dass der Kläger E-Mails, die in cc empfangen werden, aktiv lese und wahrnehme. Deswegen könne er sich an diese E-Mail nicht erinnern. Bei der Mail vom 06.03.2018 handele es sich um einen Austausch von Sachstandsinformationen zwischen Kollegen bezüglich des Zeichnungszeitpunktes des Kundendokuments, über den es widersprüchliche Informationen gegeben habe. Der Kläger sei bezüglich des FFF SBW3 der gerechtfertigten Annahme gewesen, dass dieses Dokument der Beklagten rechtmäßig und in dienstlichem Interesse des BMVg zur Verfügung stand. Er habe stets im Interesse der Beklgten gehandelt. Jedenfalls weise ein FFF-Dokument keine wettbewerbliche Relevanz auf, weil die Entscheidung, ob überhaupt eine Beschaffung im Wettbewerb durchgeführt werde, erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt mit der Auswahlentscheidung festgelegt werde. Außerdem enthalte das FFF nur einen abstrakten Ausrüstungsbedarf; erst der ausgewählte Lösungsvorschlag sei das zentrale Dokument zur Vorbereitung der Vergabe. Auch bestünden Zweifel am korrekten Ablauf der personenbezogenen Daten- und IT-Analyse und Einhaltung entsprechender Betriebsvereinbarungen und der gesetzlichen Regelungen wie der DSGVO. Der Kläger ist der Ansicht, es liege keine schwerwiegende Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten durch den Kläger vor. Die Kündigungsentscheidung sei am 16.09.2019 ohne nochmalige Anhörung des Klägers erfolgt und beruhe allein auf der „Cluster-Einordnung“ auf Grundlage des Zwischenberichts der Strafrechtskanzlei. Es habe keine Einzelfallabwägung stattgefunden. Auch sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Die Beklagte habe insbesondere aufgrund der Anhörung des Klägers spätestens am 12.11.2018 Kenntnis von den zentralen Gründen erlangt, auf die sie die Kündigung stütze. Zu den Ausführungen des Klägers betreffend die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung wird auf S. 11 der Klage = Bl. 11 d.A. Bezug genommen. Die Anhörung des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Der Betriebsrat sei z.B. nicht informiert worden, warum der Besitz bestimmter Informationen für den Kläger illegal gewesen sein sollte. Aus den Ausführungen der Beklagten in der Anhörung, dass der Kläger die Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht eingeräumt habe, ergebe sich, dass die Stellungnahme des Klägers vom 22.09.2019 nicht gewürdigt worden sei.
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Zum Vorbringen der Parteien wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Weder Klage noch Widerklage haben Erfolg.
22
Die Klage ist teils unzulässig, im Übrigen unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist infolge der Kündigung vom 27.09.2019 außerordentlich fristlos beendet worden.
23
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, § 2 Abs. 1 Nr. 3a), b) ArbGG.
24
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München ergibt sich aus § 48 Abs. 1a ArbGG.
25
Der Klageantrag zu 3. ist unzulässig, denn ihm fehlt das Feststellungsinteresse, § 256 Abs. 1 ZPO. Über die streitgegenständliche Kündigung hinaus sind keine weiteren Beendigungstatbestände im Verlaufe des Rechtsstreits zwischen den Parteien streitig oder auch nur ersichtlich geworden, so dass ein Interesse des Klägers fehlt, den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Übrigen, das heißt abgesehen von der streitgegenständlichen Kündigung vom 27.09.2019, durch das Arbeitsgericht feststellen zu lassen. Hierauf ist der Kläger auch hingewiesen worden. Im Übrigen bestehen an der Zulässigkeit der weiteren Anträge keine Bedenken, insbesondere hat der Kläger mit den Klageanträgen zu 1. und zu 2. jeweils einen besonderen Feststellungsantrag nach §§ 4, 7 KSchG gestellt, für den ohne Weiteres ein Feststellungsinteresse besteht.
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Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet.
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1. Der Klageantrag zu 1. ist unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis infolge der außerordentlichen Kündigung vom 27.09.2019 mit deren Zugang am 28.09.2019 beendet ist.
28
a) Die außerordentliche Kündigung vom 27.09.2019 gilt nicht bereits gemäß §§ 13 Abs. 1 S. 2, 4 S. 1, 7 KSchG als wirksam. Die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG ist auch bei außerordentlichen Kündigungen einzuhalten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, da der Kläger weit länger als sechs Monate iSv. § 1 Abs. 1 KSchG bei der Beklagten tätig ist und diese mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt. Der Kläger hat gegen die ihm am 28.09.2019 zugegangene Kündigung mit bei Gericht am 09.10.2019 eingegangenem Schriftsatz Klage erhoben. Die Kündigungsschutzklage ist der Beklagten am 16.10.2019 zugestellt worden. Damit hat der Kläger die nach §§ 4, 7 KSchG erforderliche dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage gewahrt.
29
b) Die außerordentliche Kündigung vom 27.09.2019 ist wirksam. Es liegen hinreichende Gründe iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor.
30
aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Dienstverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zu prüfen ist zunächst, ob der Sachverhalt „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Auf einer zweiten Stufe erfolgt die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles (st. Rspr., vgl. etwa BAG vom 16.12.2010 - 2 AZR 485/08).
31
bb) Auch Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten kann „an sich“ einen wichtigen Grund iSv § 626 Abs. BGB darstellen. Das betrifft sowohl auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflichten, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung dienen und diese ergänzen, als auch sonstige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) erwachsende Nebenpflichten. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (BAG vom 25.04.2018 - 2 AZR 611/17 Rn. 43, 44). Zu den Nebenpflichten gehört auch die Schadensabwendungspflicht, nach welcher der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. In Zusammenhang damit steht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bemerkbare oder voraussehbare Schäden oder Gefahren dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen. Verstößt der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden, liegt darin eine erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt (BAG vom 20.10.2016 - 6 AZR 471/15 Rn. 43).
32
cc) Als Grund „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden (BAG, Urteil vom 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243). Eine solche Verdachtskündigung ist nur dann wirksam, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die einen verständigen Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen würden. Die Verdachtsmomente müssen geeignet sein, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (st. Rspr., vgl. nur BAG vom 23.06.2009 - 2 AZR 474/07 Rn 51 mwN.). Es muss sich um Tatsachen handeln, die eine außerordentliche fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Der Verdacht muss sich auf eine erhebliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers beziehen, folglich auf eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Vertragsverletzung (BAG vom 27.11.2008 - 2 AZR 98/07). Die strafrechtliche Bewertung der Handlung ist allenfalls sekundär, maßgeblich ist auf die Intensität des Verstoßes gegen die vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten abzustellen (BAG vom 25.11.2010 - 2 AZR 801/09). Die Verdachtskündigung ist weiter nichts als ein Anwendungsfall des Rechtssatzes, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung immer dann vorliegt, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für vorübergehende Zeit unter Berücksichtigung der Interessen des einen Vertragsteiles dem anderen Vertragsteil nicht mehr zuzumuten ist. Nicht nur die erwiesene Tat, die von der Rechtsordnung missbilligt wird, sondern auch schon der dringende Verdacht, eine solche Tat begangen zu haben, kann einem Arbeitsverhältnis die Vertrauensgrundlage entziehen oder das Arbeitsverhältnis unerträglich belasten (BAG vom 04.06.1964 - 2 AZR 310/63). Wird die Kündigung von Arbeitgeberseite zunächst nur mit dem Verdacht eines pflichtwidrigen Handels begründet, steht jedoch nach der Überzeugung des Gerichts (bspw. aufgrund einer Beweisaufnahme) die Pflichtwidrigkeit fest, so lässt dies die Wirksamkeit der Kündigung aus materiellrechtlichen Gründen unberührt. Das Gericht ist nicht gehindert, die nachgewiesene Pflichtwidrigkeit als Kündigungsgrund anzuerkennen. Hat der Arbeitgeber lediglich eine Verdachtskündigung ausgesprochen und auch im Kündigungsschutzprozess keine Tatkündigung nachgeschoben, so kann das Gericht trotzdem sein Urteil darauf stützen, dass sich der Verdacht als Kündigungsgrund in seiner schärfsten Form erwiesen hat, dass nämlich das Gericht von der Tatbegehung überzeugt ist (BAG vom 03.07.2003 - 2 AZR 437/02).
33
dd) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung oder eines dahingehenden dringenden Verdachts jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG vom 21.11.2013 - 2 AZR 797/11 Rn. 17).
34
ee) Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die die Kündigung rechtfertigen. Ihn trifft auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die die Handlung des Arbeitnehmers als gerechtfertigt erscheinen lassen. Dabei braucht der Arbeitgeber allerdings nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Vielmehr ist der Arbeitnehmer im Rahmen einer abgestuften Darlegungsund Beweislast gehalten, die Gründe, aus denen er die Berechtigung für sein Verhalten herleitet, so konkret vorzutragen, dass dies dem Arbeitgeber die Überprüfung der Angaben und im Falle, dass er sie für unrichtig hält, auch einen erforderlichen Beweisantritt ermöglicht (BAG, Urteil vom 28.08.2008 - 2 AZR 15/07, NZA 2009, 193 Rn 23).
35
ff) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist das Verhalten des Klägers im vorliegenden Fall an sich und auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
36
(1) Auf Basis des beiderseitigen Vortrags ergibt sich, dass der Kläger seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Rücksichtnahme- und Treuepflichten bei der Ausübung seiner Tätigkeit erheblich verletzt hat, sodass der damit einhergehende Vertrauensverlust eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Der Kläger als verantwortlicher Projektleiter hat seine Arbeitsleistung nicht lauter erbracht und hat derartiges Verhalten der ihm fachlich unterstellten Mitarbeiter nicht unterbunden. Dadurch hat er die Beklagte der Gefahr ausgesetzt, allein aufgrund dieses Verhaltens nicht im Rahmen einer Ausschreibung berücksichtigt zu werden, was zu hohe wirtschaftlichen Schäden führen kann.
37
Das unlautere Handeln des Klägers liegt in der Verwendung der streitgegenständlichen FFF-Dokumente. Dabei handelt sich unstreitig um interne Dokumente des potentiellen Kunden Bundeswehr, die nicht zur Kenntnisnahme außerhalb der befassten Behörden bestimmt sind. Der Kläger kannte den Beschaffungsprozess, wie sich aus seinen ausführlichen Darstellungen im Prozess ergibt. Er wusste, dass die ihm zugewiesenen Projekte sich in der Analysephase befanden. Er kannte die Regeln des CMP und die Bedeutung eines FFF-Dokuments. Er wusste, dass es sich um ein internes Papier der Bundeswehr aus der Analysephase handelt und dass erst der ausgewählte Lösungsvorschlag bekannt gegeben wird. Er wusste, dass die Beklagte bei den konkreten Projekten nicht zum Besitz der FFF-Dokumente berechtigt war, denn ihm war bekannt, dass die Beklagte nicht offiziell im Rahmen einer Industriebeteiligung mit der Bundeswehr bzw. den verantwortlichen Behörden zusammenarbeitete. Die Beklagte hat dies entsprechend vorgetragen. Der Kläger hat dies nicht erheblich bestreiten können. Im Gegenteil hat er selbst in der Kammerverhandlung vorgetragen, dass in der Analysephase (um die es hier geht) auch die Fachbereiche der Bundeswehr beteiligt waren und er mit seinem Team in die Dialoge mit diesen Bereichen eingebunden war. Jegliche offizielle Beteiligung der Beklagten, sei als Teil des IPT, sei es im Rahmen von Studien wäre ihm daher bekannt gewesen.
38
Als unlauter erweist sich das beschriebene Verhalten, weil es zu einem Mitwirkungs- bzw. Bewerbungsverbot der Beklagten wegen einer Vorbefassung hätte führen können. Das kann sich aus den allgemeinen aus § 97 GWB resultierenden Grundsätzen, insbesondere dem Wettbewerbsgebot und dem Gleichbehandlungsgebot, ergeben. Wer als potentieller Auftragnehmer ein internes Planungsdokument - noch vor den Mitbewerbern - in Händen hält, verschafft sich einen Wissensvorsprung, den das Vergaberecht als problematisch ansieht. Insoweit kommt - entgegen der Ansicht des Klägers - auch einem FFF-Dokument wettbewerbliche Relevanz zu. Dass der Kläger diese grundlegenden Prinzipien einer Ausschreibung als der für die Auftragsgewinnung zuständige Projektleiter nicht kennt, erscheint nicht plausibel. Dabei spielt es keine Rolle, dass er erst im Juli 2017 in den Verteidigungsbereich der Beklagten gewechselt ist, denn diese Problematik besteht in allen Bereichen der öffentlichen Auftragsvergabe, auch im Bereich Raumfahrt, in dem der Kläger zuvor tätig gewesen ist. Zudem entsprach das Handeln nicht den bei der Beklagten geltenden Compliance-Regeln, hier konkret niedergelegt in der Richtlinie „Competitive Intelligence“, Stand Juli 2017. Sie galt also im streitgegenständlichen Zeitraum und es ist von einer Kenntnis des Klägers hiervon auszugehen. Die Ausführungen des Klägers, eine Zustellung bzw. zur Kenntnisbringung der Richtlinien an ihn habe die Beklagte an keiner Stelle nachgewiesen, stehen nicht entgegen. Ausreichend ist, dass - wie von der Beklagten vorgetrageneine Veröffentlichung im Intranet erfolgt ist und sich die Verbindlichkeit aus der Regelung selbst ergibt, was vorliegend der Fall ist (siehe Präambel: „Die vorliegenden Guidelines […] enthalten Informationen dazu, wie sich Mitarbeiter […] verhalten müssen…“). In Ziffer 3. der Richtlinie heißt es ausdrücklich, dass geschützte Informationen Dritter, z.B. zu technischen Daten oder Preisangaben, nicht angenommen werden dürfen, wenn der Eigentümer der Freigabe nicht zugestimmt hat. Daraus ergibt sich nochmal ganz klar, dass ein internes FFF-Dokument, das derartige geschätzte Informationen enthält, nämlich zum festgestellten Bedarf sowie Angaben zu den Kosten bzw. dem Finanzbedarf des jeweiligen Vorhabens, darunterfällt. Eine Freigabe im Sinne der Richtlinie ist nur bei einer offiziellen Industriebeteiligung anzunehmen. Diese gab es bei den fraglichen Beschaffungsprojekten in Bezug auf die Beklagte aber nicht.
39
Dass der Kläger sich hier rechtswidrig verhielt, geht auch aus seiner Kommunikation gemäß den Findings hervor. Zwar mag die FFF+ MoTaKo, die der Kläger am 25.07.2017 von Herrn G erhielt, noch Wasserzeichen der Beklagten aufgewiesen haben, sodass eine Freigabe durch den Kunden zumindest möglich erschien. Allerdings findet sich dieses Wasserzeichen unstreitig nicht auf dem FFFDokument MoTIV. Dieses hat der Kläger, wie sich aus seiner Mail vom 19.12.2017 ergibt, von seinem KAM Herrn Kl erhalten, wobei er es als „Umschlag“ bezeichnet. Herr Kl hatte zuvor angekündigt, eine derartige „Hardcopy“, also ein Dokument in Papierform, an Herrn Gr zu geben. Wenn Herr Kl hier nun schreibt, die Kopie solle „gaaaaanz tief in der Schublade“ verschwinden, zeigt das im Kontext, dass der KAM Herr Kl sehr genau wusste, dass er das Dokument nicht hätte haben dürfen. Er teilt diese Einschätzung auch ganz offen mit Herrn Gr, an den die Mail adressiert ist, und dem Kläger, der sie in „cc“ erhält; zudem wird der Kläger in der Mail noch direkt angesprochen („bekommt Anfang der Woche von mir die FFF MoTIV in Hardcopy…“). Dass er sie nicht gelesen haben will, erscheint als Schutzbehauptung, denn in der Mail vom 19.12.2017 nimmt der Kläger genau auf den angekündigten Ablauf Bezug („Du hattest mir vor kurzem einen Umschlag mitgebracht bzgl. MoTIV.“). Bezogen auf die FFF SATCOMBw3 ergibt sich ein ähnliches Bild. Hier weist der Kläger in der E-Mail vom 06.03.2018 an sein Team darauf hin, dass ein Zugang zum FFF schwierig sei, fordert aber z.B. den ihm fachlich unterstellten Mitarbeiter Herrn Kr auf, Augen und Ohren offen zu halten. Diese Aufforderung wäre überflüssig, wenn es einen offiziellen Weg gegeben hätte, das Dokument von der Bundeswehr bzw. vom BMVg zu erhalten. Der Kläger erweist sich nicht nur - wie von ihm dargestellt - als „passiver“ nichts ahnender Empfänger von Dokumenten, sondern wie gezeigt, war er sich der Bedeutung, aber auch der Brisanz der Dokumente bewusst. Spätestens am 01.12.2017 hätte der Kläger als Projektleiter jedoch bgzl. des FFF MoTIV zumindest Anlass zur Nachfrage gehabt, um was für Dokumente es sich handelt und ob seine Teammitglieder berechtigter Weise in deren Besitz sind, denn er wusste, dass es bei einer offiziellen Beteiligung der Beklagten keinen Grund gegeben hätte, Dokumente der Bundeswehr „gaaaaaanz unten“ in der Schublade verschwinden zu lassen. Dessen ungeachtet hat der Kläger sie in seinem Team weiter verteilt, z.B. per E-Mail vom 07.12.2017 den Entwurf der FFF MoTIV, z.B. durch die Aufforderung an Herrn Ka am 25.04.2018, die FFF MoTIV an alle zu verteilen.
40
Nicht gehört werden kann der Kläger mit seinem Einwand, am 02.10.2018 sei betreffend das Projekt „D-LBO“ eine Auswahlentscheidung zugunsten des Lösungsvorschlags der Firma b getroffen worden, sodass die Einstufung der FFF-Dokumente MoTIV und MoTaKo als VS-Sache nachträglich obsolet geworden sei. Das dem Kläger hier vorzuwerfende Verhalten spielt sich vor dem 02.10.2018 ab. Soweit der Kläger sich darauf beruft, Inhalte des FFF SAT- COMBw3 seien auf einer Konferenz im November 2017 vorgestellt worden, ist schon nicht ersichtlich, um welche Inhalte genau es sich handeln soll, sodass der Kläger seiner sekundären Vortragslast nicht genügt. Auch der weitere Einwand des Klägers, er habe alle Regeln in Bezug auf den Umgang mit Verschlusssachen beachtet, greift nicht durch. Es geht nicht um seinen Umgang mit VS-Sachen allgemein, sondern konkret um seinen Umgang mit den fraglichen FFF-Dokumenten. Deren Brisanz im vorliegenden Fall besteht unabhängig von einer generellen Einstufung als „VS-NfD“ vor allem darin, dass es sich um interne Papiere eines möglichen Kunden handelt. Es ist zwar nicht in Abrede zu stellen, dass der Kläger nach den arbeitsvertraglichen Regelungen ermächtigt war, als „VS-NfD“ gekennzeichnete FFF-Dokumente zu erhalten und ggf. intern weiterzugeben. Dies konnte aber berechtigter Weise erst ab dem Zeitpunkt der Freigabe des Dokuments durch den jeweiligen Ersteller gelten.
41
(2) Die Beklagte war nicht darauf beschränkt, dem Kläger eine Abmah nung zu erteilen. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16). Vorliegend geht es um einen Compliance-Verstoß in Bezug auf die Erbringung der Hauptleistungspflicht und nicht etwa nur in Bezug auf eine korrekte Reisekostenabrechnung. Der Kläger konnte nicht annehmen, dass die Beklagte die begehrten Aufträge von der Bundeswehr unter rechtswidrigen Bedingungen erlangen wollte, die letztlich zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren hätten führen können und damit das Hauptgeschäft der Beklagte beeinträchtigen. Dabei kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass hier in Rede stehende Verhalten sei der Beklagten bekannt und von ihr gebilligt worden. Zwar kann in einem Fall, in dem etwa der Arbeitgeber selbst (durch Vorstandsentscheidung) mehrfach von einer internen Richtlinie auf Vorschlag des betroffenen Arbeitnehmers abweicht, der Arbeitnehmer erwarten, in der Folge für einen eigenen Verstoß (ohne Zustimmung des Vorstands) zunächst abgemahnt zu werden (ArbG Mannheim vom 09.11.2017 - 8 Ca 121/17 mit Anm. Mengel CCZ 2018, 236 ff.). Derartiges ist aber vorliegend nicht konkret ersichtlich. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte selbst derartiges Verhalten geduldet oder gar initiiert hätte, was eine auf das Verhalten gestützte Kündigung treuwidrig, weil widersprüchlich erscheinen lassen könnte (dazu ArbG München vom 02.10.2008 - 13 Ca 17197/07), liegen nicht vor. Eine ausdrückliche darauf gerichtete Erklärung der Beklagten behauptet der Kläger selbst nicht. Sein Vortrag enthält aber auch keine Tatsachen, die den Schluss zulassen, die Beklagte dulde und/oder billige dies. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass Entscheidungsträger der Beklagten Kenntnis davon gehabt hätten, der Kläger verwende für seine Arbeit die FFFDokumente des Kunden, und nicht nur die vom Kunden etwa in offiziellen Tagungen und Kontakten hieraus preisgegebenen Inhalte (zumal nach der Einschätzung des Klägers hatten seine unmittelbaren Vorgesetzten ohnehin nicht die nötige Kenntnis, um eine etwaige Brisanz von FFF-Dokumenten zu erkennen…). Dies ergibt sich auch nicht aus der sonstigen streitgegenständlichen E-Mail-Korrespondenz.
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(3) Im Rahmen der Interessenabwägung sprechen zugunsten des Klä gers die Dauer der Beschäftigung, die bestehenden Unterhaltspflichten sowie der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis bisher offensichtlich beanstandungsfrei verlief. Zu seinen Gunsten ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kläger sich nicht - unmittelbar - persönlich bereichern wollte, es also nicht um Bestechlichkeit geht (möglicherweise aber um ein Präsentieren als besonders guter Arbeitnehmer). Das Lebensalter des Klägers schlägt weder zur einen noch zur anderen Seite aus. Insgesamt überwiegen die Interessen der Beklagten an der Vertragsbeendigung. Dabei spielen etwaig drohende Sanktionen für die Arbeitgeberin eine Rolle, selbst wenn sich diese (noch) nicht verwirklicht haben (Dzida NZA 2012, 881 unter Verweis auf LAG Hessen vom 25.01.2010 - 17 Sa 21/09). Die Beklagte war vorliegend durch das Verhalten des Klägers dem Risiko ausgesetzt, aus Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden und damit wichtige Aufträge nicht generieren zu können. Dies ist eine ernsthafte Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Beklagten. Auch ist das Interesse des Arbeitgebers, durch eine Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers seine vergaberechtliche Zuverlässigkeit wieder zu erlangen, zu Gunsten des Arbeitgebers und zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (Dzida NZA 2012, 881, 885).
43
c) Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist eingehalten aa) § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand. Ziel der Norm ist es, für den Kündigungsempfänger rasch Klarheit zu schaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken. Der zeitliche Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB soll den Kündigungsberechtigten weder zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben, noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen. Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Es spielt keine Rolle, ob die Ermittlungsmaßnahmen etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder im Ergebnis überflüssig waren. Es besteht aber für weitere Ermittlungen kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt ist oder der Gekündigte ihn sogar zugestanden hat (BAG vom 01.02.2007 - 2 AZR 333/06).
44
bb) Die sehr lange Dauer von über einem Jahr erklärt sich aber vorliegend zum einen aus dem sehr großen Umfang auszuwertender Daten, nämlich 1 Mio. Datensätze bei zunächst 89 betroffenen Mitarbeitern (vgl. BAG vom 01.02.2007 - 2 AZR 333/06: Der Vortrag des kündigungsberechtigten Arbeitgebers, es seien insgesamt mehr als 12 000 Rechnungen und Sammelrechnungen mit mehreren Lieferscheinen zu prüfen gewesen, lässt bereits auf Grund des Umfangs der Unterlagen einen Überprüfungszeitraum von gut zwei Monaten plausibel erscheinen; Dzida/Förster NZA-RR 2015, 561, 564: je nach Menge der auszuwertenden Dokumente und E-Mails können auch Ermittlungen für ein oder sogar mehrere Jahre angemessen sein). Zum anderen ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die hierzu durchzuführenden Verfahren auf Basis der anwendbaren Konzernbetriebsvereinbarungen bereits mehrere Monate in Anspruch nahmen. Es gehört nämlich zu den vom Kündigungsberechtigten zu ergründenden maßgeblichen Umständen, mögliche Beweismittel für eine ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern (LAG Hamm vom 15.07.2014 - 7 Sa 94/14). Anhaltspunkte dafür, die Beklagte habe in diesem Zeitraum nicht die gebotene Eile an den Tag gelegt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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d) Die Betriebsratsanhörung ist ordnungsgemäß erfolgt. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“ (BAG vom 21.11.2013 - 2 AZR 797/11). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm - dem Arbeitgeber - bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können. Diese Grundsätze hat die Beklagte beachtet. Die Mitteilung der Beklagten an den Betriebsrat, dass der Kläger „die tatsächlichen Vorwürfe eingeräumt“ habe, macht die Anhörung nicht unrichtig. Das war ersichtlich die Schlussfolgerung der Beklagten, die sie berechtigt ist, dem Betriebsrat zu unterbreiten, solang sie ihm alle zugrundeliegenden Informationen mitteilt, was vorliegend der Fall war, denn die fragliche Stellungnahme des Klägers lag dem an den Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben als Anlage 2 bei.
46
e) Die im Rahmen der Auswertung des PCs des Klägers gefundenen E-Mails und Dokumente, welche zu den Findings führten, unterliegen auch keinem Beweisverwertungsverbot, weder aufgrund eines etwaigen Verstoßes gegen die genannten Konzernbetriebsvereinbarungen noch aus sonstigen Gründen. Die Kammer schließt sich in diesem Punkt den Ausführungen der 25. Kammer des Arbeitsgericht München in einem Parallelfall an und macht sich diese zu eigen (vgl. 25 Ca 11433/19 vom 04.06.2020).
47
aa) Etwaige Verletzungen von Bestimmungen in Konzernbetriebsvereinbarungen durch die Beklagten hinderten die Verwertung der von der Beklagten im Rahmen der Untersuchung des Computers des Klägers erhobenen Daten nicht. Eventuelle in den Betriebsvereinbarungen zum Ausdruck kommende eigenständige Verwertungsverbote bei Verstößen gegen die in den Betriebsvereinbarungen zur Auswertung und Erhebung von Daten befindlichen Regelungen begründen kein gerichtliches Verwertungsverbot oder eine Einschränkung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) durch das Gericht. Die Betriebsparteien können gegenüber der Rechtspflege, zu denen u.a. die Gerichte berufen sind, mangels Regelungskompetenz keine über die Gesetze hinausgehenden Verwertungsverbote schaffen (in diesem Sinne wohl auch BAG vom 22.09.2016 - 2 AZR 848/15). Auch eine Umdeutung eines in einer Betriebsvereinbarung geregelten Verwertungsverbots in einen Prozessvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dem Sinne, dass der Arbeitgeber sich auf Sachvortrag, der auf einem Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung beruht, redlicherweise nicht berufen darf, ist nicht möglich (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 06.06.2018 - 21 Sa 48/17 Rn. 148).
48
bb) Es kann dahingestellt bleiben, aufgrund welchen konkreten Anfangsverdachts die Beklagte die Auswertung der Daten vorgenommen habe. Ein Verwertungsverbot liegt nicht vor. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ging mit der Auswertung der Daten nicht einher. Vorliegend überwiegt das Interesse an der Funktionsfähigkeit einer Rechtspflege das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Entscheidend dabei ist, dass die Durchsuchung nicht heimlich erfolgte, sich auf dienstlichen Daten erstreckte und konzernbetriebsvereinbarungsgemäß in Kenntnis des Betriebsrats und des Datenschutzbeauftragten erfolgte.
49
f) Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht erkennbar, so dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 28.09.2019, dem Tag des Zugangs der außerordentlichen Kündigung endete.
50
2. Der Antrag zu 2. ist damit unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr bestand.
51
3. Der Antrag 3 ist nicht zur Entscheidung angefallen
52
Die Widerklage bleibt erfolglos.
53
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist auch für die Widerklage eröffnet, § 2 Abs. 1 Nr. 3a) ArbGG.
54
Der Widerklageantrag zu 1. ist zulässig, aber unbegründet. Mit ihm verlangt die Beklagte einen Zahlungsbetrag für aufgewendete Rechtsanwaltskosten. Jedoch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, wie sich der von der Beklagten genannten Betrag von über 3 Mio. € auf den Kläger und die weiteren in die Untersuchung einbezogenen Mitarbeiter verteilt. Es ist nicht schlüssig, dem Kläger einfach einen an seinem Jahresgehalt ausgerichteten Betrag aufzuerlegen.
55
Bezogen auf den Antrag zu 2. bestehen bereits Bedenken an der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Haftungsfeststellungsklage im Arbeitsverhältnis. Ob und ggf. in welchem Umfang ein Arbeitnehmer zum Ersatz verpflichtet ist, bestimmt sich nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung auf Basis einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlass und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Primär ist auf den Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, die Versicherbarkeit des Risikos, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, die Höhe seines Arbeitsentgelts sowie die persönlichen Umstände des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse sowie das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers abzustellen (st. Rspr., vgl. BAG vom 15.11.2012 - 8 AZR 705/11 Rn. 25 ff. mwN.). Unter Berücksichtigung, dass auch die Höhe des Schadens für den Umfang der Schadensersatzverpflichtung Bedeutung hat, erscheint es durchaus zweifelhaft, die Schadenshaftung des Arbeitnehmers bereits im Wege des Feststellungsantrages verfolgen zu können, wenn der konkrete Schaden noch nicht umrissen und bezifferbar und deshalb die Abwägung der weiteren Umstände nicht möglich ist. Würde man einen Feststellungsantrag, der sich nur auf die Feststellung einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung als solchem erstreckt für zulässig erachten, so wäre es gleichwohl möglich, dass der Arbeitnehmer trotz Unterliegens in diesem ersten Prozess letztlich nichts bezahlen muss, da sich auf Grund des oben dargestellten Abwägungsprozesses das Verschulden auch auf den konkreten Schadenseintritt beziehen muss und die Haftungserleichterung danach vorzunehmen ist, ob der konkrete eingetretene Schaden vorsätzlich gewollt war oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Ist die Schadenshöhe nicht feststehend, erscheint eine Aussage darüber, ob ein Arbeitnehmer gerade diesen Schaden in seiner konkreten Höhe zumindest als möglich vorausgesehen und ihn für den Fall des Eintritts billigend in Kauf genommen hat oder ob die Schadensverursachung lediglich grob fahrlässig einschließlich der erforderlichen subjektiven Umstände herbeigeführt wurde, nicht möglich. Im Fall leichtester Fahrlässigkeit hinsichtlich des Schadenseintritts wäre damit z.B. selbst bei vorsätzlicher Missachtung von Arbeitsanweisungen eine Haftung ausgeschlossen und der zuvor geführte Feststellungsprozess nutzlos gewesen (LAG Köln vom 22.11.2004 - 2 Sa 491/04).
56
Unabhängig davon ist der Antrag aber ohnehin unbegründet. Zum einen fehlt es schon an hinreichendem Vortrag, dass ein weiterer Schaden überhaupt wahrscheinlich ist. Weitere Rechtsanwaltskosten sind nicht ersichtlich. Und es sind auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte tatsächlich in den fraglichen Beschaffungsprojekten auch nach nunmehriger Aufdeckung und Selbstbereinigung noch vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden könnte. Zum anderen kommt ein Schaden nur dann in Betracht, wenn sich das Verschulden des Arbeitnehmers auch auf den konkreten Schadenseintritt bezieht (doppelter Vorsatz, st. Rspr. vgl. BAG vom 28.10.2010- 8 AZR 418/09 Rn. 20: Das Verschulden des Schädigers muss sich dabei sowohl auf die pflichtverletzende Handlung als auch auf den Eintritt des Schadens beziehen. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinem Willen aufgenommen haben, das heißt im Falle des bedingten Vorsatzes, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat. Das ist vorliegend nicht ersichtlich, zumal durchaus davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger durchaus der Ansicht war, im Interesse der Beklagten zu handeln.
57
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO.
58
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.
59
Die Voraussetzungen für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben.
60
Gegen diese Entscheidung können beide Parteien nach Maßgabe der folgenden RechtsmittelbelehrungBerufung zum Landesarbeitsgericht München einlegen.