Titel:
Hauptverhandlung, Leistungen, Dienstvergehen, Freiheitsstrafe, Besoldungsgruppe, Disziplinarverfahren, Verteidiger, Soldat, Laufbahn, Wohnung, Angeklagte, Soldaten, Anerkennung, Strafrahmen, Ergebnis der Beweisaufnahme, Aberkennung des Ruhegehalts, sexuellen Missbrauch eines Kindes
Schlagworte:
Hauptverhandlung, Leistungen, Dienstvergehen, Freiheitsstrafe, Besoldungsgruppe, Disziplinarverfahren, Verteidiger, Soldat, Laufbahn, Wohnung, Angeklagte, Soldaten, Anerkennung, Strafrahmen, Ergebnis der Beweisaufnahme, Aberkennung des Ruhegehalts, sexuellen Missbrauch eines Kindes
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Urteil vom 09.12.2021 – 2 WD 29.20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 54803
Tenor
1. Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen begangen.
2. Ihm wird deswegen das Ruhegehalt aberkannt.
3. Der frühere Soldat hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Entscheidungsgründe
1
1. Der heute 30 Jahre alte frühere Soldat erwarb im Juli 2005 an der Volksschule X den qualifizierenden Hauptschulabschluss. Anschließend schloss er im August 2008 eine Lehre zum Konditor mit Bestehen der Gesellenprüfung ab.
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2. Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr trat der frühere Soldat am 1. Oktober 2008 seinen Wehrdienst bei der 6./X bataillon in X an. Am 8. Oktober 2008 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 22. Oktober 2013 zum Oberstabsgefreiten. Eine weitere Beförderung war nicht mehr möglich, weil er damit den Spitzendienstgrad seiner Laufbahn erreicht hatte. Seine auf insgesamt zwölf Jahre angelegte Dienstzeit endete mit Ablauf des 30. September 2020.
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3. Der frühere Soldat wurde zunächst aufgrund seiner Ausbildung zum Konditor in der Verpflegungsgruppe seiner Einheit eingesetzt. Im Anschluss daran wurde er im Kompanieführungsbereich verwendet und war dort im Schwerpunkt für die Urlaubs- und Arbeitszeiterfassungsbearbeitung zuständig. Im Rahmen seines Anspruchs auf Berufsförderung wurde der frühere Soldat ab dem 1. Oktober 2018 für mehrere Förderungsmaßnahmen, u.a. zum Erwerb der Mittleren Reife, vom militärischen Dienst freigestellt.
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4. Der frühere Soldat wurde in seiner Dienstzeit nicht planmäßig beurteilt. In der Hauptverhandlung beschrieb der frühere Disziplinarvorgesetzte den früheren Soldaten als einen netten Kerl und guten Soldaten, also als einen „klassischen“ Oberstabsgefreiten. Von seinen dienstlichen Leistungen habe er im oberen Leistungsdrittel der längerdienenden Mannschaftssoldaten gelegen. Auch nach dem Vorfall habe er ganz normal seine Tätigkeiten ausgeführt, ohne leistungsmäßig nachzulassen; allerdings auch ohne sich zu steigern. Zudem habe man im täglichen Umgang gemerkt, dass ihn der Vorfall und die sich daraus für ihn ergebenden Konsequenzen spürbar belastet hätten.
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5. Der frühere Soldat ist berechtigt, das Sonderabzeichen „Schützenschnur“ der Stufe III (Gold) sowie das Tätigkeitsabzeichen „Versorgungs- und Nachschubpersonal“ der Stufe I (Bronze) zu tragen. Als Dank und in Anerkennung für seine Teilnahme am Auslandseinsatz der Bundeswehr ihm Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan wurden ihm die Einsatzmedaille der Bundeswehr (in Bronze) sowie die entsprechende Einsatzmedaille der NATO „Non-Article 5“ verliehen. Für seine Teilnahme am Auslandseinsatz der Bundeswehr im Rahmen der Unterstützungsleistungen im Nord-Irak (IRAKHILFE) wurde er mit der Einsatzmedaille der Bundeswehr (in Bronze) ausgezeichnet.
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Am 20. September 2016 gewährte ihm der Kommandeur Xbataillon in Anerkennung seiner herausragenden besonderen Leistung gemäß § 42a des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) eine Leistungsprämie in Höhe von 700 Euro als Einmalzahlung.
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6. Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 30. September 2020 und der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 17. Januar 2019 enthalten lediglich die mit der Anschuldigung sachgleiche Verurteilung des Amtsgerichts X (Az. X).
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7. Ausweislich der Mitteilung des Bundesverwaltungsamtes - Außenstelle München - vom 25. September 2020 erhält der frühere Soldat seit Oktober 2020 Übergangsgebührnisse der Besoldungsgruppe A5EZ, Stufe 4, in Höhe von 75% seiner letzten Dienstbezüge in Höhe von (brutto) 2.049,49 Euro. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge verbleiben ihm davon (netto) 1 460,82. Tatsächlich wurden ihm im Oktober 2020 jedoch nur (netto) 915,83 Euro ausbezahlt, da das Bundesverwaltungsamt noch die Gehaltskürzung berücksichtigt hat. Die Übergangsbeihilfe in Höhe der sechsfachen Dienstbezüge des letzten Dienstmonats in Höhe von 16.559,82 Euro ist ihm gemäß § 82 Absatz 2 der Wehrdisziplinarordnung (WDO) noch nicht ausgezahlt worden.
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Zu den weiteren persönlichen und finanziellen Verhältnissen des früheren Soldaten befragt, erklärte der Verteidiger, dass der frühere Soldat nach seinem Kenntnisstand derzeit arbeitslos sei, zum 1. Januar 2021 aber eine neue Arbeitsstelle antreten werde. Näheres darüber wie beispielsweise die Tätigkeit, Branche oder voraussichtlicher Verdienst seien ihm nicht bekannt.
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1. Das aufgrund der Strafanzeige der Geschädigten, der Zeugin R., eingeleitete Strafverfahren endete mit dem Urteil des Amtsgerichts X (Az. X) vom 20. August 2018, in dem der frühere Soldat wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung nach §§ 177, 185, 223, 52, 56 StGB zu einer Freiheitsstrafe von elf Monate verurteilt wurde, wobei die Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gleichzeitig wurde er im Bewährungsbeschluss angewiesen, den mit der Zeugin R. geschlossenen Vergleich zu erfüllen, wonach er an diese 5.000 Euro sowie deren Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.033,40 Euro zu zahlen hatte. Das Urteil ist seit dem 28. August 2018 rechtskräftig.
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2. Mit Verfügung vom 10. Dezember 2018, dem früheren Soldaten ausgehändigt am 17. Dezember 2018, hat der Kommandeur der 10. Panzerdivision das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet. Der frühere Soldat erhielt am 3. Dezember 2018 Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Einleitung zu äußern, nachdem zuvor am selben Tage seine Vertrauensperson angehört und ihm das Ergebnis dieser Anhörung eröffnet worden war. Mit Verfügung des Kommandeurs der 10. Panzerdivision vom 24. Januar 2019, dem früheren Soldaten zugestellt am 30. Januar 2019, wurde der frühere Soldat vorläufig des Dienstes enthoben und ihm verboten, Uniform zu tragen. Weiterhin wurde angeordnet, dass die Hälfte seiner Dienstbezüge einbehalten werden. Schließlich wurde ihm in der Verfügung mitgeteilt, dass die weitere Teilnahme an der dienstzeitbeendenden Berufsförderungsmaßnahme nicht weiter zulässig ist. Dem früheren Soldaten wurde über seinen Verteidiger mit Schreiben vom 21. Februar 2019 die Möglichkeit gegeben, sich gemäß § 99 Absatz 3 WDO abschließend zu äußern. Da der frühere Soldat davon keinen Gebrauch machte, stimmte der Kommandeur der 10. Panzerdivision am 10. März 2019 der Anschuldigung zum Truppendienstgericht zu.
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3. Mit Anschuldigungsschrift vom 18. März 2019, ihm zugestellt am 16. April 2019, legte die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der 10. Panzerdivision dem früheren Soldaten folgende schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:
„Am 11. März 2018 übernachtete der Soldat, wie auch die 17-jährige Zeugin E. R., bei der Zeugin J. Ra. in deren Wohnung im X. Sie schliefen zu dritt auf einer Couch, wobei der Soldat zwischen den beiden Zeuginnen lag und wobei jeder seine eigene Decke hatte. Nachdem die Zeugin Ra. eingeschlafen war, berührte er die Zeugin R. mehrmals gegen Ihren Willen in sexueller Weise. Der Soldat steckte seine Zunge in den Mund der Zeugin R., knetete ihre Brüste, fasste wiederholt mit beiden Händen in ihre Hose und führte mindestens einen Finger in ihre Vagina ein. Schließlich öffnete er seinen Gürtel, holte seinen erigierten Penis heraus und forderte die Zeugin R. auf, ihn in den Mund zu nehmen, was sie jedoch nicht tat. Die Zeugin R. sagte dem Soldaten mehrmals, dass er aufhören solle und wehrte sich gegen dessen Handlungen, indem sie die Hände des Soldaten immer wieder wegschob, seinen Kopf an den Haaren wegzog und ihm auch in die Zunge biss. Während des Geschehens zog der Soldat die Zeugin R. mehrmals an den Haaren, würgte sie kurz am Hals und biss ihr auch einmal in die Wange und einmal in den Hals. Sie erlitt hierdurch, wie vom Soldaten zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen Bisswunden, Atemnot und Schmerzen. Darüber hinaus beleidigte er die Zeugin wiederholt als „Schlampe“, „Hure“, „Fotze“ und „Nutte“, um seine Missachtung auszudrücken. Auch fragte er die Zeugin R., ob er sie erwürgen solle.“
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Die Hauptverhandlung konnte trotz Abwesenheit des früheren Soldaten durchgeführt werden, da er zu dem Termin ordnungsgemäß geladen und in der Ladung gemäß § 104 Absatz 1 Nr. 3 WDO darauf hingewiesen worden war, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden könne. Außerdem wurde er in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger ordnungsgemäß vertreten.
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1. Die gemäß § 84 Absatz 1 Satz 1 WDO bindenden Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts X lauten:
„Im Verlauf des 10.03.2018 und in der Nacht vom 11.03.2018 konsumierte der Angeklagte eine erhebliche, nicht mehr feststellbare Menge alkoholischer Getränke. Zunächst fuhr er am Vormittag des 10.03.2018 mit Bekannten mit einem Zug nach X. zu einem Fußballspiel des X, wobei bereits auf der Anfahrt, während des Spiels und auf der Rückfahrt eine erhebliche Menge Bier getrunken wurde. Am Abend besuchte er mit seiner damaligen Verlobten mehrere Lokale in X, wo er weitere alkoholische Getränke (u. a. Whiskey-Cola und Wodka Red Bull) konsumierte. Nach einem Streit mit seiner damaligen Verlobten besuchte er noch alleine die Xbar in X. Anschließend begab er sich zu seiner in der Nähe befindlichen Wohnung. Diese war verschlossen. Seine Verlobte war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der gemeinsamen Wohnung. Da der Angeklagte im Nachbarhaus Licht sah, sandte er an seine Nachbarin J. Ra. eine Facebook-Nachricht mit der Anfrage, ob er bei ihr übernachten könne. Die Zeugin Ra. erwiderte, dass er kommen könne. Ihre Cousine sei auch da. Bei ihr und der Cousine laufe allerdings nichts.
Daraufhin begab sich der Angeklagte zwischen 04:30 und 05:00 Uhr in die Wohnung der Zeugin Ra., bei der deren 17-jährige Cousine E. R. zu Besuch und zum Übernachten war. Diese beiden waren nach vorherigen Lokalbesuchen ebenfalls alkoholisiert. Der Angeklagte trank dann mit den beiden noch ein Bier. Anschließend legten sich die drei auf die große Wohnzimmercouch zum Schlafen. Der Angeklagte lag zwischen den Zeuginnen Ra. und R., wobei jeder eine eigene Decke hatte. Zunächst näherte sich der Angeklagte der Zeugin Ra., in dem er diese mehrfach mit der Hand berührte. Diese wies jedoch die Annäherungsversuche zurück und schlief dann ein. Nunmehr berührte der Angeklagte E. R. mehrmals gegen ihren Willen in sexueller Weise. Der Angeklagte steckte seine Zunge in den Mund der Zeugin R., knetete ihre Brüste, fasste wiederholt mit den Händen in ihre Hose und führte mindestens einen Finger in ihre Vagina ein. Schließlich öffnete er seinen Gürtel, holte seinen erigierten Penis heraus und forderte die Zeugin R. auf, ihn in den Mund zu nehmen, was sie jedoch nicht tat. Die Zeugin R. wehrte sich gegen diese Handlungen, indem sie die Hände des Angeklagten immer wieder wegschob, seinen Kopf an den Haaren wegzog und ihm auch in die Zunge biss. Sie sagte ihm mehrmals, dass er aufhören solle und versuchte, sich die Decke wieder überzuziehen. Während des Geschehens zog der Angeklagte die Zeugin R. mehrmals an den Haaren, würgte sie kurz am Hals und biss ihr auch einmal in die Wange und einmal in den Hals. Hierdurch erlitt E. R. an der Wange ein Hämatom, dass circa zwei Wochen sichtbar war. Darüber hinaus beleidigte der Angeklagte E. R. wiederholt als „Schlampe“, „Hure“, „Fotze“ und „Nutte“, um seine Missachtung auszudrücken.“
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Das Truppendienstgericht ist gemäß § 84 Absatz 1 WDO grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen Strafurteils gebunden. Nur dann, wenn das sachgleiche rechtskräftige Strafurteil in sich oder in Verbindung mit dem Protokoll der Hauptverhandlung geeignet ist, erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zu begründen, können sich die Wehrdienstgerichte nach Maßgabe des § 84 Absatz 1 Satz 2 WDO davon lösen. Ebenso wie die Sitzungsvertreterin der Wehrdisziplinaranwaltschaft und der Verteidiger des früheren Soldaten sah die Kammer im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, sich von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils zu lösen. Die Feststellungen im sachgleichen rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts X vom 20. August 2018 hinsichtlich der Tatumstände, die den objektiven und subjektiven Tatbestand der in Rede stehenden Straftat erfüllen und den strafgerichtlichen Urteilsausspruch nachvollziehbar tragen, sind weder widersprüchlich noch sonst unschlüssig. Es liegen ferner keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie im Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen Gründen offenkundig unzureichend sind. Das Urteil ist zudem nach Durchführung einer Hauptverhandlung ergangen, die in Anwesenheit des früheren Soldaten und seines Verteidigers stattgefunden hat. Dabei erhielt der frühere Soldat hinreichend rechtliches Gehör und nutzte dieses, um den ihm vorgeworfenen Sachverhalt in der Hauptverhandlung einzuräumen.
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2. In der Hauptverhandlung hat die Kammer aufgrund der zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Niederschriften und Urkunden darüber hinaus folgende Feststellungen getroffen:
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Der frühere Soldat lernte die Zeugin R. erst am frühen Morgen des 11. März 2018 kennen, als er zwischen 4:30 Uhr und 5:00 Uhr die Wohnung der ihm seit Langem bekannten Zeugin Ra. aufsuchte, um dort zu übernachten. Insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin R. in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht X ist zugunsten des früheren Soldaten davon auszugehen, dass dieser weder wusste, noch hätte wissen können und müssen, dass die Zeugin R. zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig war.
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Im Verlaufe des 11. März 2018 versuchte der frühere Soldat dann mit der Zeugin Ra. Kontakt aufzunehmen, um die Erreichbarkeit der Zeugin R. in Erfahrung zu bringen. Noch am Abend sandte er dann von sich aus der Zeugin R. eine Nachricht, in der er sich bei ihr für sein Verhalten entschuldigte.
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Die Zeugin R. musste sich nach den etwa zwanzig Minuten andauernden Übergriffen des früheren Soldaten mindestens für drei Monate in psychologische Behandlung begeben.
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Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen gemäß § 23 Absatz 1 des Soldatengesetzes (SG) begangen, indem er der Zeugin R. am Morgen des 11. März 2018 bewusst und gewollt gegen ihren Willen seine Zunge in den Mund steckte, ihre Brüste knetete, sie am Hals würgte, in sie in ihre Wange und ihren Hals biss, seine Hände in ihre Hose steckte, mindestens einen Finger in ihre Vagina einführte und schließlich seinen Gürtel öffnete, seinen erigierten Penis herausholte und sie aufforderte, ihn in den Mund zu nehmen. Außerdem bezeichnete er die Zeugin R. währenddessen wiederholt als „Schlampe“, „Hure“, „Fotze“ und „Nutte“, um damit seine Missachtung auszudrücken.
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a) Mit diesem, strafrechtlich als Vergewaltigung in Tateinheit vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu bewertenden Verhalten hat der frühere Soldat seine Dienstpflicht gemäß § 17 Absatz 2 Satz 3, 2. Alternative SG, sich außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.
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Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Absatz 2 Satz 3, 2. Alternative SG ist betroffen, da der Strafrahmen der verwirklichten Straftatbestände (sexuelle Nötigung mit Gewalt/Vergewaltigung in einem minderschweren Fall gemäß §§ 177 Absatz 5 Nr. 1, 6 Nr. 1, Absatz 9 StGB - Freiheitsstrafe von nicht unter einem bzw. zwei Jahr(en); Körperverletzung nach § 223 StGB - Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) jeweils zeigt, dass es sich um schwerwiegende Straftaten handelt, mit deren Verwirklichung zugleich eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit einhergeht (BVerwG, Urteile vom 12. März 2015 - 2 WD 3.14, Rn. 47 und vom 20. März 2014 - 2 WD 5.13, Rn. 60).
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b) Für die Beleidigungen gegenüber der Zeugin R. gilt dies hingegen nicht, da § 185 StGB eine Beleidigung nur mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Das Bundesverwaltungsgericht lehnt im Hinblick auf eine (strafrechtlich) tateinheitlich mit einer gefährlichen Körperverletzung und Freiheitsberaubung begangenen Beleidigung eine Pflichtverletzung nach § 17 Absatz 2 Satz 3, 2. Alternative SG ab, da es sich nach diesem Strafrahmen noch nicht um eine so schwerwiegende Straftat handelt, dass ihre außerdienstliche Begehung für sich genommen schon ausreicht, um die von § 17 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. SG gemeinten ernsthaften Zweifel an der Integrität eines Soldaten zu begründen (BVerwG, Urteil vom 12. März 2014 - 2 WD 3.14, Rn. 45).
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Für den vorliegenden Fall teilt die Kammer diese rechtliche Einschätzung nicht. So ist zum einen anerkannt, dass eine „Disziplinarwürdigkeit“ bei solchen Straftaten auch aus qualifizierenden Umständen folgen kann, aus denen sich verlässlich Rückschlüsse auf mangelnde Gesetzestreue oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein ableiten lassen (BVerwG, Urteile vom 24. August 2018 - 2 WD 3.18, Rn. 55 und vom 20. März 2014 - 2 WD 5.13, Rn. 61). Zum anderen können außerdienstliche Verhaltensweisen selbst dann dem in § 17 Absatz 2 Satz 3 SG enthaltenen außerdienstlichen Wohlverhaltensgebot widersprechen, wenn sie nicht im disziplinarrechtlich relevanten Umfang strafbar sind (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19, Rn. 23).
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Im Übrigen ist die strafrechtliche Wertung für die disziplinare Bewertung nur ein objektives Kriterium für die Bewertung der Schwere des Verstoßes. Sie soll verhindern, dass die Wehrdienstgerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts oder die Einschätzung der Wehrdisziplinaranwaltschaft an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 - 2 WD 21.18, Rn. 26, und Beschluss vom 4. April 2019 - 2 B 32.18, Rn. 16). Sie rechtfertigt jedoch nicht, einen einheitlichen Lebenssachverhalt, dessen „Disziplinarwürdigkeit“ insgesamt zu bewerten ist, in strafrechtliche Tatbestände aufzuteilen und diese isoliert zu gewichten. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung des Lebenssachverhaltes stehen die Beleidigungen nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall in einem untrennbaren inhaltlichen Zusammenhang mit der Vergewaltigung und der Körperverletzung. Neben der mit dem Eindringen des Fingers in die Vagina der Zeugin R. verbundenen Erniedrigung hat der frühere Soldat ihr mit den begleitenden Beleidigungen auch verbal seine Missachtung zum Ausdruck gebracht, insbesondere, nachdem sie sich gegen seine sexuellen Übergriffe zur Wehr setzte. Anders als eine isolierte Beleidigung im außerdienstlichen Bereich sind die beleidigenden Äußerungen gegenüber der Zeugin R. hier in den Gesamtkontext des sexuellen Übergriffs eingebettet und neben den körperlichen Übergriffen eine weitere Form der Herabwürdigung, die sich im Übrigen auch gegen dasselbe Schutzgut richten. Insoweit griffe es aus Sicht der Kammer zu kurz, die Beleidigung nur deshalb nicht als eigenständige Pflichtverletzung zu qualifizieren, weil der gesetzliche Strafrahmen dafür lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht.
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Für eine Verletzung der Pflicht nach § 17 Absatz 2 Satz 3, 2. Alternative SG kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob gegebenenfalls eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das angeschuldigte Verhalten dazu geeignet war (z.B. BVerwG, Urteile vom 21. Januar 2016 - 2 WD 6.15, Rn. 26 und vom 11. September 2014 - 2 WD 11.13, Rn. 60).
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Davon ist bei den vom früheren Soldaten verwirklichten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auszugehen.
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Bei Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr“). Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Absatz 7 in Verbindung mit § 38 Absatz 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Danach wiegt das Dienstvergehen des früheren Soldaten sehr schwer.
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Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme nimmt die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine zweistufige Prüfung vor (vgl. dazu aus der neueren Rechtsprechung: BVerwG, Urteile vom 16. Juli 2020 - 2 WD 16.19, Rn. 11 und vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19, Rn. 20).
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1. Auf der ersten Stufe ist zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu bestimmen.
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Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bei Dienstvergehen in der Form außerdienstlich begangener, vorsätzlicher Sexualdelikte zulasten Erwachsener ist grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2012 - 2 WD 28.11, Rn. 52 und vom 2. April 2008 - 2 WD 13.07, Rn. 49). Beim sexuellen Missbrauch eines Kindes oder der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen ist der Soldat für die Bundeswehr hingegen im Grundsatz untragbar geworden und kann nur in minder schweren Fällen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe in seinem Dienstverhältnis verbleiben (BVerwG, Urteile vom 27. Juli 2010 - 2 WD 5.09, Rn. 28, vom 18. Juli 2001 - 2 WD 51.00 Rn. 64 und vom 29. Januar 1991 - 2 WD 18.90, Rn. 4 - jeweils zitiert nach juris).
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Die Kammer geht im vorliegenden Fall von einer Dienstgradherabsetzung als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen aus. Sie teilt insoweit die Auffassung, dass angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fälle vorsätzlich begangener Sexualdelikte zulasten Erwachsener eine typisierende Berücksichtigung auf der ersten Stufe der, wie beispielsweise beim sexuellen Missbrauch eines Kindes oder der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen, Zumessungserwägungen nicht geboten erscheint. Erschwerenden Aspekten, insbesondere aus den Umständen der Tatbegehung oder den Auswirkungen der Tat, kann auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen ausreichend Rechnung getragen werden, soweit sich aus diesen Gesichtspunkten im Einzelfall die Untragbarkeit von Soldatinnen oder Soldaten für die Bundeswehr ergeben sollte.
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Auch der Umstand, dass die Zeugin R. zur Tatzeit noch minderjährig war, führt im vorliegenden Fall nicht dazu, von der Höchstmaßnahme als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen auszugehen. Dafür sind aus Sicht der Kammer folgende beiden Erwägungen ausschlaggebend.
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Zunächst knüpft der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in den o.a. Entscheidungen bei der Einstufung in Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes bzw. der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen im außerdienstlichen Bereich an die jeweiligen Vorschriften des StGB an. Nach dem geltenden Strafrecht ist indes nicht jeder sexuelle Kontakt zwischen Volljährigen und Minderjährigen stets strafbar. Den Straftatbeständen zum Schutz von Minderjährigen vor sexuellem Missbrauch liegt insoweit ein differenziertes Schutzkonzept zugrunde, das verschiedene Regelungen für verschiedene Schutzaltersstufen trifft. Durch dieses abgestufte Konzept soll der mit zunehmendem Alter und Entwicklungsstand wachsenden Fähigkeit der oder des Minderjährigen zur sexuellen Selbstbestimmung Rechnung getragen werden. Personen über achtzehn Jahre dürfen danach grundsätzlich sexuellen Kontakt mit Jugendlichen haben. Die Schwelle zur Strafbarkeit wird in diesen Fällen nur überschritten, wenn eine Zwangslage des Jugendlichen ausgenutzt wird (§ 182 Absatz 1 StGB) oder wenn die Person über achtzehn Jahre einen Jugendlichen dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an diesem vornimmt oder von diesem an ihr vornehmen lässt (§ 182 Absatz 2 StGB). Der Neufassung des § 177 StGB durch das 50. Strafrechtsänderungsgesetz 2016 liegt zudem der Gedanke zugrunde, dass das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung bei allen Personen - unabhängig von deren Alter - gegen jede sexuelle Handlung strafrechtlich geschützt werden soll, die gegen den Willen einer Person erfolgt (Fischer, Kommentar zum StGB, 67. Auflage 2020, § 177 Rn. 6). Im vorliegenden Fall hat der frühere Soldat hingegen keinen Straftatbestand verletzt, der speziell dem Schutz Jugendlicher dient, sondern eine Handlung vorgenommen, die nach § 177 StGB strafbar ist, ohne dass es insoweit tatbestandlich (erschwerend) auf das Alter der Geschädigten angekommen wäre.
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Hinzu kommt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht sicher nachgewiesen werden konnte, dass der frühere Soldat das tatsächliche Alter der Zeugin R. kannte oder auch nur hätte kennen und müssen; eine Einschätzung, die nach der Beweisaufnahme im Übrigen auch von der Sitzungsvertreterin der Wehrdisziplinaranwaltschaft geteilt wurde. Denn der frühere Soldat lernte die Zeugin R. erst kurz vor der Tat kennen und konnte sich am Nachmittag des Tages noch nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern.
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2. In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Absatz 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Danach liegen in dem hier zu entscheidenden Fall erschwerende Umstände von solchem Gewicht vor, die ein Abweichen „nach oben“ erfordern, sodass dem früheren Soldaten, der als Soldat im Ruhestand gilt, im Ergebnis gemäß §§ 58 Absatz 2, 67 Absatz 4 WDO das Ruhegehalt abzuerkennen war.
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a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflicht(en). Danach wiegt das Dienstvergehen sehr schwer.
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aa) Seine Schwere wird vor allem dadurch bestimmt, dass der frühere Soldat eine kriminelle Straftat (Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung nach §§ 177 Absatz 6 Satz 1, 223 Absatz 1, 185, 52 StGB) begangen hat und dafür zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine Straftat gegen die körperliche Integrität und die sexuelle Selbstbestimmung eines anderen Menschen wiegt stets schwer, da damit die rechtlich besonders geschützte Intimsphäre eines anderen Menschen in grober Weise missachtet wird. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind ebenso wie eine körperliche Misshandlung mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der Menschenrechte unvereinbar. Nach Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot gilt innerhalb wie außerhalb der Streitkräfte. Soldatinnen und Soldaten, die außerhalb des Dienstes durch eine schwere Straftat eine Missachtung der Grundwerte der Verfassung dokumentieren, werfen ernsthafte Zweifel daran auf, dass sie den sich aus dem Auftrag der Streitkräfte ergebenden Anforderungen im dienstlichen Bereich genügen können. Sie beeinträchtigen Achtung und Vertrauen, die ihre dienstliche Stellung erfordert, in erheblicher Weise und verletzen eine Grundpflicht, die funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Wahrung des militärischen Dienstbetriebes hat und der schon deshalb besondere Bedeutung zukommt.
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bb) Allerdings stand der frühere Soldat als Oberstabsgefreiter nicht in einem Vorgesetztenverhältnis gemäß § 1 Absatz 3 Satz 1 und Satz 2 SG in Verbindung mit § 4 Absätze 1 und 3 der Vorgesetztenverordnung. Er war deswegen auch nicht in gleichem Maße wie Vorgesetzte gemäß § 10 Absatz 1 SG zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet.
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cc) Die besondere Schwere der Pflichtverletzung resultierte aus Sicht der Kammer aus den Gesamtumständen der Tat.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass der frühere Soldat zunächst die Zeugin Ra. mehrfach mit sexueller Intention mit der Hand berührte, diese die Annäherungsversuche jedoch erfolgreich zurückwies. Im Anschluss wandte sich der frühere Soldat dann der Zeugin R. zu und berührte diese über einen längeren Zeitraum von etwa zwanzig Minuten hartnäckig immer wieder in sexueller Weise mit unterschiedlicher Intensität. Die Zeugin R. gab ihm dabei wiederholt verbal und nonverbal zu verstehen, dass sie mit seinen sexuellen Handlungen nicht einverstanden war und biss ihm sogar in die Zunge, als er ihr einen Zungenkuss geben wollte. Die Abwehrversuche der Zeugin R. führten indes nicht dazu, dass der frühere Soldat von seinem Tun abließ. Vielmehr fühlte er sich dadurch noch angestachelt und zog die Zeugin R. an den Haaren, würgte sie kurz am Hals und biss ihr schließlich sogar in die Wange. Auch steigerte der frühere Soldat die Intensität seiner Übergriffe, indem er zunächst ihre Brüste knetete, dann wiederholt seine Hände in deren Schlafhose steckte und schließlich, wenn auch nur kurz, mit einem Finger in ihre Vagina eindrang. Anschließend öffnete er noch seine Hose, holte seinen erigierten Penis hervor und forderte die Zeugin R. - letztlich erfolglos - auf, diesen in den Mund zunehmen, was sie jedoch nicht tat.
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Strafrechtlich ist das - wenn auch kurze - Eindringen mit dem Finger in die Vagina als Vergewaltigung im Sinne der Legaldefinition von § 177 Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 StGB anzusehen, da dieses regelmäßig für das Opfer besonders erniedrigend ist (vgl. nur BGH NStZ 2002, 440, 441; ders. NStZ 2001, 598). Auch wenn dieses Eindringen nur kurz war und das Strafgericht im konkreten Fall das Vorliegen des Regelbeispiels des § 177 Absatz 6 Satz 2 Nr. 1 StGB verneint hat, ist dieser Umstand aus Sicht der Kammer disziplinarrechtlich nicht geeignet, der Gesamttat die Schwere zu nehmen. Auch wenn es sich hier - im Vergleich zu Vergewaltigungsfällen, in den der Täter den Beischlaf mit dem Opfer vollzieht - strafrechtlich um einen minderschweren Fall der Vergewaltigung handeln sollte, ist es immer noch ein schwerer Fall des sexuellen Übergriffs, nämlich eine sexuelle Nötigung durch Anwendung von Gewalt nach § 177 Absatz 5 Nr. 1 StGB. Dafür sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr vor.
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Zudem beließ es der frühere Soldat nicht einmal bei diesen Handlungen, sondern verletzte die Zeugin R. durch einen Biss in die Wange und erniedrigte sie auch zudem noch verbal, indem er sie als „Schlampe“, „Hure“, „Fotze“ und „Nutte“ bezeichnete.
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b) Das Dienstvergehen hatte erhebliche nachteilige Auswirkungen zunächst für die Geschädigte, weiterhin aber auch für den Dienstherrn und das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit.
45
aa) Durch das kriminelle Fehlverhalten des früheren Soldaten wurde die Zeugin R. in ihrer körperlichen Integrität und in ihrer Intimsphäre in gravierender Weise verletzt. Der Intim- und Sexualbereich ist als Teil der höchstpersönlichen Privatsphäre verfassungsrechtlich durch Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG besonders geschützt. Insbesondere steht jedem Menschen das Recht zu, seine Einstellung zum Geschlechtlichen und sein sexuelles Verhalten eigenverantwortlich selbst zu bestimmen und allein darüber zu befinden, ob und in welcher Weise er sexuelle Kontakte aufnehmen oder eingehen will. Dieses fundamentale Recht der Geschädigten hat der frühere Soldat grob missachtet. Dadurch hat er bei ihr erhebliche psychische Beeinträchtigungen verursacht, die eine mehrmonatige ambulante psychologische Behandlung nötig machten. Außerdem hat die Geschädigte durch seinen Angriff auch körperliche Verletzungen davongetragen; so war die Bisswunde auf der Wange der Geschädigten über drei Wochen sichtbar und musste schließlich noch im Krankenhaus behandelt werden.
46
bb) Nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn ergaben sich weiterhin daraus, dass die Einleitungsbehörde mit Verfügung vom 24. Januar 2019 den früheren Soldaten vorläufig des Dienstes enthob und zugleich die Einbehaltung der Hälfte seiner Dienstbezüge anordnete. Der daraus resultierende finanzielle Schaden ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Lasten des früheren Soldaten zu gewichten (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19, Rn. 48, vom 28. April 2020 - 2 WD 4.19, Rn. 27 und vom 4. Dezember 2014 - 2 WD 23.13, Rn. 38). Durchgreifende Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung sah die Kammer nicht, auch wenn eine andere Entscheidung in einem etwaigen Verfahren nach § 126 Absatz 5 Satz 4 WDO vertretbar gewesen wäre. Der frühere Soldat machte im Übrigen von seinen Rechtsschutzmöglichkeiten keinen Gebrauch.
47
cc) Zu Lasten des früheren Soldaten fällt ferner ins Gewicht, dass sein Fehlverhalten in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist und damit ein schlechtes Licht auf die Bundeswehr und ihre Angehörigen geworfen hat. Dies muss er sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurechnen lassen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Februar 2016 - 2 WD 4.15, Rn. 92, vom 16. Januar 2014 - 2 WD 31.12, Rn. 39, vom 30. Oktober 2012 - 2 WD 28.11, Rn. 39 und vom 2. April 2008 - 2 WD 13.07, Rn. 32). So berichteten regionale Medien über die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht X mit der Titelzeile „Soldat vergewaltigt 17-Jährige - Elf Monte auf Bewährung“.
48
dd) Weitere negative Auswirkungen auf den Dienstbetrieb, die zu Lasten des früheren Soldaten in die Abwägung einzustellen wären, hatte das Dienstvergehen des früheren Soldaten darüber hinaus nicht. Nach Aussage des früheren Disziplinarvorgesetzten wurde der Vorfall im Kameradenkreis nicht weiter bekannt. Seines Wissens nach habe der frühere Soldat zwar wenigen engen Freunden in der Einheit davon erzählt, die aber insoweit Stillschweigen bewahrt hätten. Im Übrigen sei der Vorgang nur im Führungskreis der Einheit bekannt gewesen.
49
c) Die Beweggründe des früheren Soldaten sprechen gegen ihn. Der Wunsch, sich unter Anwendung von Gewalt gegen Dritte sexuelle Befriedigung zu verschaffen, offenbart schwere Charaktermängel.
50
d) Das Maß der Schuld wird durch das vorsätzliche Handeln des früheren Soldaten bestimmt. Bindend für das gerichtliche Disziplinarverfahren steht durch die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils auch fest, dass der Soldat durch den Grad seiner Alkoholisierung nicht schuldunfähig war.
51
aa) Ob er im Tatzeitpunkt wegen vorangegangenen Alkoholgenusses vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB war, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Denn nach ständiger Rechtsprechung der Wehrdienstgerichte führt eine aufgrund von Alkoholgenuss verminderte Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit nicht zu einer Milderung der Disziplinarmaßnahme, da dies einer Prämierung des übermäßigen Trinkens gleichkäme, dessen Gefahren heute allgemein bekannt sind. Es gibt im vorliegenden Fall auch keinen Hinweis darauf, dass der frühere Soldat für Art und Umfang seines Alkoholkonsums vor der Tat nicht selbst verantwortlich gewesen wäre (BVerwG, Urteile vom 14. Juni 2018 - 2 WD 15.17, Rn. 39; vom 6. Juli 2016 - 2 WD 18.15, Rn. 71 und vom 7. Mai 2013 - 2 WD 20.12, Rn. 54 m.w.N.; erstmals unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 - 2 WD 32.04, Rn. 18 - jeweils zitiert nach juris).
52
bb) Schuldmindernde Umstände bei der Begehung der Tat liegen aus Sicht der Kammer nicht vor. Solche Milderungsgründe in der Tat wären nach der ständigen Rechtsprechung des Wehrdienstsenates des Bundesverwaltungsgerichtes nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der frühere Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet wäre, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden könnte. Dazu hat der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Rechtsprechung verschiedene - nicht abschließende - Fallgruppen entwickelt, z.B. ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln in einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischen Zwang.
53
Insbesondere sieht die Kammer auch keine Umstände, die das Dienstvergehen des früheren Soldaten als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen. Für das Vorliegen einer solchen Augenblickstat ist entscheidend, ob der frühere Soldat das Dienstvergehen in einem Zustand begangen hat, in dem er die rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedacht hat, wozu ein gewisses Maß an Spontanität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit gehört. Eine Augenblickstat liegt demnach nicht vor, wenn sich das Dienstvergehen als mehraktiges Verhalten darstellt, das immer wieder neue, wenn auch kurze Überlegungen erfordert (BVerwG, Urteile vom 14. Mai 2019 - 2 WD 24.18, Rn. 27, vom 25. August 2017 - 2 WD 2.17, Rn. 40 und vom 27. Juli 2010 - 2 WD 5.09, Rn. 23). Dies war hier der Fall, da der frühere Soldat insgesamt über einen Zeitraum von etwa zwanzig Minuten in verschiedener Weise gegenüber der Zeugin R. sexuell übergriffig wurde, obwohl diese ihre Ablehnung mehrfach eindeutig gezeigt und dem früheren Soldaten bei einem Zungenkuss sogar in die Zunge gebissen hatte. Ungeachtet dessen setzte der frühere Soldat seine Übergriffe nicht nur fort, sondern steigerte auch noch deren Intensität und drang schließlich mit seinem Finger in die Vagina der Zeugin R. ein.
54
e) Die Kriterien Persönlichkeit und bisherige Führung sprechen, wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht, zu Gunsten des früheren Soldaten.
55
aa) So zeigte der frühere Soldat stets gute dienstliche Leistungen, die sein früherer Disziplinarvorgesetzter in der Hauptverhandlung im oberen Leistungsdrittel einordnete. Diese überdurchschnittlichen Leistungen werden auch dadurch dokumentiert, dass der Kommandeur Xbataillon dem früheren Soldaten am 20. September 2016 in Anerkennung seiner herausragenden Leistungen eine Leistungsprämie nach § 42a des Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von 700 Euro als Einmalzahlung gewährte.
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bb) Allerdings hat sich der frühere Soldat nach Auffassung der Kammer weder nachbewährt noch Spitzenleistungen beibehalten.
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Eine Nachbewährung setzt neben einer Leistungssteigerung in fachlicher Hinsicht voraus, dass sich Soldatinnen und Soldaten während des Verfahrens in jeder Hinsicht ohne Anlass zu Beanstandungen durch ihre Vorgesetzten führen und so durch ihr Gesamtverhalten im Laufe des gerichtlichen Disziplinarverfahrens deutlich wird, dass das Verfahren selbst nachhaltig pflichtenmahnend auf sie wirkt und sie unter dem Eindruck des Verfahrens durch ihre dienstliche Führung in jeder Hinsicht dokumentieren, dass sie die durch die Dienstpflichtverletzungen begründeten Zweifel an ihrer charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung durch besonders korrekte Pflichterfüllung ausräumen wollen (BVerwG, Urteile vom 7. Mai 2020 - 2 WD 13.19, Rn. 40 und vom 23. Januar 2020 - 2 WD 1.19, Rn. 29). Im vorliegenden Fall hat der frühere Disziplinarvorgesetzte in der Hauptverhandlung bekundet, dass der frühere Soldat nach Bekanntwerden der Vorwürfe in seinen dienstlichen Leistungen zwar nicht nachgelassen habe, allerdings habe er auch keine Leistungssteigerung feststellen können. Gegen eine Nachbewährung spricht aus Sicht der Kammer zudem, dass der frühere Soldat nach Bekanntwerden der Vorwürfe überhaupt nur noch wenige Monate militärischen Dienst in seiner Einheit leisten musste, bis er dann ab dem 1. Oktober 2018 vom militärischen Dienst freigestellt wurde, um im Rahmen seines Anspruchs auf Berufsförderung eine schulische Bildungsmaßnahme wahrzunehmen, bevor er schließlich im Januar 2019 vorläufig des Dienstes enthoben wurde.
58
Auch greift vorliegend der Milderungsgrund der Beibehaltung von Spitzenleistungen nicht zugunsten des früheren Soldaten ein. Zwar kann auch die Kontinuität von Spitzenleistungen unter den Belastungen des laufenden Verfahrens ebenso wie eine Leistungssteigerung dokumentieren, dass Soldatinnen und Soldaten die durch die Dienstpflichtverletzungen begründeten Zweifel an ihrer charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung durch besonders korrekte Pflichterfüllung ausräumen wollen (BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2018 2 WD 12.18, Rn. 28 und vom 16. Februar 2017 - 2 WD 14.16, Rn. 40). Allerdings hatte der frühere Soldat keine solchen Spitzenleistungen gezeigt, da sein früherer Disziplinarvorgesetzter ihn zwar den oberen Leistungsdrittel hingegen nicht der absoluten Leistungsspitze zugeordnet hat. Zudem erscheint es fraglich, ob der kurze Zeitraum (etwa sechs Monate), die der frühere Soldat überhaupt noch militärischen Dienst geleistet hat, ausreichend sein können, um diesen Milderungsgrund anzunehmen, selbst wenn die Zuordnung zum oberen Leistungsdrittel entgegen der Auffassung der Kammer bereits als Spitzenleistung in Sinne des Milderungsgrundes anzusehen sein sollte.
59
Im Übrigen wäre eine etwaige Nachbewährung im vorliegenden Fall ohnehin unerheblich, da für eine Nachbewährung kein Raum mehr besteht, wenn das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18, Rn. 40, vom 24. November 2015 - 2 WD 15.14, Rn. 80 und vom 25. Oktober 2012 - 2 WD 33.11, Rn. 71 - jeweils zitiert nach juris).
60
cc) Zugunsten des früheren Soldaten ist weiterhin zu berücksichtigen, dass er im Laufe seiner Dienstzeit an zwei Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilgenommen hat. (zur Bedeutung von Auslandseinsätzen im Rahmen der Maßnahmebemessung: BVerwG, Urteile vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19, Rn. 52, vom 28. August 2019 - 2 WD 28.18, Rn. 62 und vom 17. Mai 2018 - 2 WD 2.18, Rn. 30).
61
dd) Für den früheren Soldaten spricht weiter, dass er sein Fehlverhalten im Strafverfahren in der strafrechtlichen Hauptverhandlung - wenn auch nur mittels einer Erklärung seines Verteidigers - eingeräumt und die der Zeugin R. auf diese Weise umfassende und für sie belastende Zeugenaussage erspart hat. Zudem hatte er der Zeugin R. bereits am Abend des 11. März 2018 eine persönliche Nachricht über einen Messenger-Dienst geschrieben, in der er ihr mitteilte, dass ihm sein Verhalten „mega leid“ tue. Auch im Vergleich hat er sich bei der Zeugin R. nochmals entschuldigt, die seine Entschuldigung auch angenommen hat.
62
ee) Dass der frühere Soldat der Zeugin R. 5.000 Euro Schmerzensgeld gezahlt hat, entlastet ihn dagegen disziplinarrechtlich nicht erheblich, weil dem bereits im Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt des Täter-Opfer-Ausgleichs nach §§ 46a Nr. 1, 49 Absatz 1 Nr. 3 StGB strafreduzierende Bedeutung beigemessen wurde und dies mit ursächlich dafür war, dass dort keine bereits kraft Gesetzes zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führende Freiheitsstrafe verhängt wurde (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19, Rn. 53, vom 2. Mai 2019 - 2 WD 15.18, Rn. 26 und vom 14. Juni 2018 - 2 WD 15.17 Rn. 45).
63
ff) Zu Gunsten des früheren Soldaten ist hingegen noch zu berücksichtigen, dass er - ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein - seinem Disziplinarvorgesetzten zeitnah gemeldet hat, dass die Polizei gegen ihn Ermittlungen wegen eines Sexualdelikts aufgenommen hatte.
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gg) Schließlich ist dem früheren Soldaten lediglich ein einmaliges, persönlichkeitsfremdes Fehlverhalten angelastet worden. Dass ein “klassischer“ Milderungsgrund in den Umständen der Tat - wie oben ausgeführt - nicht erfüllt ist, schließt nicht aus, die Persönlichkeitsfremdheit der Tat - wenn auch mit geringerem Gewicht - mildernd im Rahmen der Maßnahmebemessung zu würdigen (BVerwG, Urteile vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18, Rn. 27 und vom 14. Mai 2019 - 2 WD 24.18, Rn. 28). Dass es sich vorliegend bei dem Dienstvergehen um eine für den früheren Soldaten persönlichkeitsfremde Tat handelt, ergibt sich nach Auffassung der Kammer vor allem aus der Aussage des früheren Disziplinarvorgesetzten in der Hauptverhandlung, der glaubhaft bekundete, dass er dem früheren Soldaten eine solche Tat nicht zugetraut hätte. Außerdem habe sich der frühere Soldat sowohl im täglichen Dienst als auch bei dienstlichen Veranstaltungen geselliger Art gegenüber den Soldatinnen der Einheit stets anständig verhalten und sei in keiner Weise mit Bemerkungen sexuellen Inhalts aufgefallen. Dabei sei der Anteil von Soldatinnen in seiner Einheit sogar eher hoch gewesen. Diese Einschätzung wird von der Vertrauensperson gestützt, die den früheren Soldaten als sehr höflichen und zuvorkommenden Kameraden einschätzte und sich nicht erklären konnte, wie es zu einem solchen Fehlverhalten kommen konnte.
65
hh) Die fehlende disziplinare und strafrechtliche Vorbelastung spricht für ihn, auch wenn diesem Umstand kein großes Gewicht zukommt, da der Soldat hiermit nur die Mindesterwartungen seines Dienstherrn pflichtgemäß erfüllt, aber keine Leistung erbringt, die ihn aus dem Kreis der Kameraden heraushebt (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. April 2020 - 2 WD 4.19, Rn. 33 und vom 23. Januar 2020 - 2 WD 1.19, Rn. 29).
66
f) Ohne Bedeutung ist hingegen, dass gegen den früheren Soldaten im sachgleichen Strafverfahren eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verhängt wurde, sodass das Dienstverhältnis nicht bereits mit Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils zur Beendigung des Soldatenverhältnisses führte. Steht im Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19, Rn. 59 und vom 25. Oktober 2012 - 2 WD 33.11, Rn. 74 - beide zitiert nach juris). Eine die disziplinare Maßnahmebemessung begrenzende Indizwirkung kommt ihr nicht zu. Dies beruht auf den unterschiedlichen Zwecken von Straf- und Disziplinarrecht. Während die konkrete Strafzumessung strafrechtlichen Kriterien folgt, wird die disziplinarrechtliche Maßnahmebemessung insbesondere durch den Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit bestimmt (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19, Rn. 59).
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3. Bei einer Gesamtwürdigung der den früheren Soldaten be- und entlastenden Umstände überwiegen Erstere bei Weitem. So rechtfertigen Eigenart und Schwere sowie die Auswirkungen des Dienstvergehens eine „Hochstufung“ zur nächsthöheren Maßnahmeart, d.h. zur Höchstmaßnahme, die bei dem Oberstabsgefreiten der Reserve, der als Soldat im Ruhestand gilt, in der Aberkennung des Ruhegehalts liegt. Da verwerfliche Beweggründe und ein vorsätzliches Verhalten hinzutreten, erreichen die mildernden Umstände wie insbesondere die sehr ordentlichen dienstlichen Leistungen, die Teilnahme an zwei Auslandseinsätzen sowie die Persönlichkeitsfremdheit der Tat aus Sicht der Kammer kein derartiges Gewicht, von einer „Hochstufung“ abzusehen und stattdessen nur eine Dienstgradherabsetzung auszusprechen, zumal auch die Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen, je schwerer das Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18, Rn. 28 - zitiert nach juris). Dies führt dazu, dass dem früheren Soldaten objektiv betrachtet das notwendige Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht mehr entgegengebracht werden kann.
68
Mit der Aberkennung des Ruhegehalts verliert der frühere Soldat, der als Soldat im Ruhestand gilt, kraft Gesetzes gemäß § 67 Absatz 4 WDO den Anspruch auf eine noch nicht gezahlte Übergangsbeihilfe sowie Ansprüche auf Übergangsgebührnisse, Ausgleichsbezüge, Unterhaltsbeitrag, Altersgeld nach dem Altersgeldgesetz und Berufsförderung. Er verliert ferner seinen Dienstgrad und die sich daraus ergebenden Befugnisse.
69
4. Ist danach das Vertrauen des Dienstherrn in den früheren Soldaten zerstört, kann auch die hier um etwa sechs Monate überlange Verfahrensdauer nicht maßnahmemildernd wirken, da es in diesem Fall bei einer zeitnahen Betrachtung nach dem Dienstvergehen an der für die Fortsetzung eines gegenseitigen Dienst- und Treueverhältnisses notwendigen Vertrauensgrundlage fehlt (BVerwG, Urteile vom 16. Juli 2020 - 2 WD 16.19, Rn. 20, vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18, Rn. 28 und vom 14. Juni 2018 - 2 WD 15.17, Rn. 56).
70
Es lagen keine Gründe vor, den Verlust des Dienstgrades nach § 67 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 4 WDO auszuschließen.
71
Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Absatz 1 Satz 1, 1. Halbsatz WDO. Danach sind die Kosten dem früheren Soldaten aufzuerlegen, wenn er verurteilt wird.