Titel:
Nachbarklage wegen Abweichung von Abstandsflächenvorschriften
Normenketten:
BauNVO § 15 Abs. 1, § 17 Abs. 1, Abs. 8, § 20 Abs. 3
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BayBO Art. 6, Art. 59 S. 1, Art. 63 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei der Befreiung von einer Festsetzung, die nicht den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots und danach, ob der Nachbar infolge der Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Festsetzungen zu überbaubaren Grundstücksflächen durch Baulinien und Baugrenzen haben grundsätzlich keine drittschützende Funktion, es sei denn, sie sollen nach dem Willen des Planungsgebers auch einem nachbarlichen Interessenausgleich dienen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung durch Bebauungspläne haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion, es sei denn, dass nach der Konzeption des Plangebers die Planbetroffenen in einem sie zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stehen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann angenommen werden, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens das Wohngebäude des Nachbarn "eingemauert" oder "erdrückt" wird. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
5. Belichtung und Belüftung sind in ausreichendem Maß gesichert, wenn ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad auch an den engsten Stellen an der Fassade des Nachbarn gewahrt ist; in diesen Fällen scheidet eine unzumutbare Beeinträchtigung aus. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht liegt nicht vor, weil das Bauvorhaben nach Norden und nach Süden die volle Abstandsfläche einhält und sowohl nach Westen als auch nach Osten zum Grundstück des Nachbarn hin das 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch nehmen kann. (Rn. 61 – 67) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, qualifzierter Bebauungsplan, Befreiungen, Baugrenze, Geschossflächenzahl, Bauweise, Gebot der Rücksichtnahme, Abstandsflächen, reines Wohngebiet, Bebauungsplan, Baugenehmigung, Abstandsfläche, Nachbarrechtsverletzung, Nachbarschutz, Rücksichtnahmegebot, Belichtung, Verschattung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.02.2022 – 2 ZB 20.1433
Fundstelle:
BeckRS 2020, 54633
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beigeladene vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks O.-straße …, Fl.Nr. …, Gemarkung … Dieses Grundstück grenzt im Osten an die O.-straße an.
2
Westlich des Grundstücks der Kläger liegt das im Eigentum der Beigeladenen stehende Grundstück O.-straße …, Fl.Nr. …/7, Gemarkung …, welches sich mit einem schmalen Streifen entlang der Nordgrenze des Grundstücks der Kläger bis zur O.-straße hin erstreckt. Das Grundstück der Beigeladenen wird von der O.-straße her erschlossen.
3
Wiederum westlich an das Grundstück der Beigeladenen schließt das Grundstück O.-straße …, Fl.Nr. …/8, Gemarkung …, an. Dieses Grundstück steht im Miteigentum zu einem Viertel des Klägers im Verfahren M 29 K 18.3893.
4
Südlich bzw. südwestlich der genannten Grundstücke verläuft die von Nordwesten nach Südosten führende M.-straße.
5
Die genannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Beklagten. Dieser Bebauungsplan setzt im hier maßgeblichen Bereich hinsichtlich der Art der Nutzung ein reines Wohngebiet und hinsichtlich des Maßes der Nutzung zwingend zwei Vollgeschosse, eine Geschossflächenzahl von 0,5 und eine Grundflächenzahl von 0,3 fest. Weiter ist parallel zur O.-straße und parallel zur M.-straße eine vordere Baugrenze festgesetzt.
6
Eingehend bei der Beklagten am 5. Februar 2018 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Abriss und Neubau einer Doppelhaushälfte in der O.-straße 31 (Plan Nr. …). Nach einer Berechnungsanlage zum Bauantrag soll eine GFZ von 0,67 verwirklicht werden. Weiter wurde mit dem Bauantrag eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften in Richtung des Grundstücks der Kläger beantragt.
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Mit Bescheid vom 26. Juni 2018 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die Baugenehmigung nach Plan Nr. … im vereinfachten Genehmigungsverfahren. Mit der Baugenehmigung wurde eine Befreiung wegen der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten GFZ von 0,5 um 0,17 auf 0,67 ausgesprochen. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, die GFZ-Überschreitung sei zum großen Teil durch Flächen von Aufenthaltsräumen und deren Zuwegung und Umfassungswänden in Nicht-Vollgeschossen bedingt. Nach heutiger Rechtslage bestünde die Möglichkeit, solche Flächen bei der Ermittlung der Geschossflächenzahl nicht mitzurechnen. Auch seien bereits Bezugsfälle vorhanden. Weiter wurde eine Befreiung wegen Überschreitung der festgesetzten Baugrenze im Süden mit dem Gebäude sowie der Terrasse ausgesprochen. Zur Begründung wurde wiederum auf Bezugsfälle verwiesen. Schließlich wurde eine Abweichung wegen Nichteinhaltung erforderlicher Abstandsflächen nach Osten zum Nachbargrundstück der Kläger erteilt. Zur Begründung dieser Abweichung wurde ausgeführt, die erforderliche Atypik für die Abweichung liege darin, dass die Erteilung einer Abweichung nur deshalb erforderlich sei, da durch eine Abgrabung an dieser Seite für die Bemessung der Abstandsflächentiefe auf das neue, niedrigere Niveau abzustellen sei. Bezogen auf das Bestandsniveau werde die Abstandsfläche eingehalten. Die Erteilung einer Abweichung führe zu keinerlei Einbußen an Belichtung, Belüftung und Besonnung der Nachbarbebauung, da das oberirdische Gebäude bei Entfallen der Abgrabung in gleicher Weise ohne Abweichung zulässig wäre.
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Nach den genehmigten Plänen soll ein Baukörper mit einem Winkelgrundriss verwirklicht werden. Der nördliche Gebäudeteil ist dabei in West-Ost-Richtung ausgerichtet, der südliche Gebäudeteil in Nord-Süd-Richtung. Die Südwestecke des südlichen Gebäudeteils überschreitet die entlang der M.-straße festgesetzte vordere Baugrenze. Der nördliche Gebäudeteil schließt mit seiner Außenwand an die Grundstücksgrenze zum Grundstück der Kläger an; in diesem Bereich ist auch das Gebäude auf dem Grundstück der Kläger mit seiner westlichen Außenwand grenzständig errichtet. Der grenzständige, nördliche Gebäudeteil weist eine Länge von 9,20 m (abgegriffen) auf, der südliche, nicht grenzständige Gebäudeteil nach den genehmigten Plänen eine Länge von 11,70 m. Der nördliche Bereich des südlichen Gebäudeteils sieht auf einer Länge von 8 m (abgegriffen) eine Abgrabung vor, deren Fußpunkt mit -2,85 vermaßt ist. Im durch die Abgrabung freigelegten Gebäudeteil sind drei bodentiefe Fenster vorgesehen. Im südlichen Bereich der Abgrabung befindet sich eine Treppe, die auf ein mit -0,15 vermaßtes Geländeniveau hochführt. Der erdgeschossige, östliche Bereich des südlichen Gebäudeteils ist mit einer Höhe von + 3,00 vermaßt; um 1,10 m nach Westen zurückgesetzt ist eine Dachterrasse geplant, deren Oberkante Geländer mit 4,085 vermaßt ist. Der nach Westen zurückgesetzte zweigeschossige Bauteil weist einen Abstand zur Grundstücksgrenze mit dem Grundstück der Kläger von 5,85 m auf; die Höhe dieses Gebäudeteils ist mit + 6,00 vermaßt.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … Juli 2018, der am gleichen Tag bei Gericht einging, ließen die Kläger Klage gegen den Bescheid vom 26. Juni 2018 erheben. Zur Klagebegründung wurde mit Schriftsatz vom … August 2018 im Wesentlichen vorgebracht, aufgrund der Abgrabung auf der zum Grundstück der Kläger hin gelegenen Ostseite des Vorhabens würden die Abstandsflächen nicht eingehalten. Als Geländeoberfläche sei dabei auf die Terrassenoberfläche in der Abgrabung abzustellen. Eine Atypik für die ausgesprochene Abweichung sei nicht gegeben, insbesondere liege keine atypische Geländeform vor. Durch die Abgrabung werde eine „Atypik“ gerade erst hergestellt. Die Nutzbarkeit des Grundstücks sei auch ohne die Abweichung in keiner Weise eingeschränkt. Auch die ausgesprochene Befreiung von der durch Bebauungsplan festgesetzten GFZ sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Die GFZ-Festlegung sei vorliegend drittschützend. Die Befreiung verstoße gegen die Grundzüge der Planung. Eine drittschützende Wirkung dieser Festsetzung könne zwar nicht dem knappen Textteil des Bebauungsplans entnommen werden, ergebe sich aber aus einer Gesamtschau der zeichnerischen Festsetzungen. Der Bebauungsplan setze zwingend zwei Vollgeschosse fest; damit wäre nach § 17 Abs. 1 BauNVO 1962 maximal eine GFZ von 0,7 möglich gewesen. Der Bebauungsplan bleibe erheblich unter dieser Höchstzahl. Der Satzungsgeber habe eine einheitliche Höhenentwicklung für das Baugebiet festgeschrieben und diese Festsetzung sei in unmittelbarem Zusammenhang mit der niedrigen GFZ zu sehen. Dem Satzungsgeber sei es augenscheinlich darum gegangen, durch eine Kombination von fester Geschosszahl und niedriger GFZ eine dem zu den herausragendsten Wohnlagen M.s zählenden Gebiet entsprechende lockere Bebauung mit ausreichendem Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang sei auch die Baugrenze zu sehen. Die Voraussetzungen für eine Befreiung lägen nicht vor. Soweit die Beklagte anführe, nach heutiger Rechtslage bestünde gemäß § 20 Abs. 3 BauNVO die Möglichkeit, Flächen von Aufenthaltsräumen, Treppenräumen und ihren Umfassungswänden bei der Berechnung der Geschossfläche außer Betracht zu lassen, verkenne sie, dass diese Bestimmung nur durch Festsetzungen im Bebauungsplan getroffen werden könne. Die bloße planerische Möglichkeit, heute eine abweichende Regelung zuzulassen, könne für eine Befreiung keine Argumentation sein, da sonst sämtliche auf älterer Rechtslage geschaffene Bebauungspläne durch Befreiungen aufgeweicht werden könnten. Durch die Erhöhung der GFZ würden die Grundzüge der Planung berührt. Jedenfalls liege eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme vor. Dies ergebe sich aus der erdrückenden Bebauung, der Einsichtnahmemöglichkeit auf das Grundstück der Kläger durch die direkt unterhalb der Fensterfront der Beigeladenen liegenden Terrasse und des Pools sowie durch die erhebliche Verschattung durch den neuen Baukörper. Einen Schutz vor unerwünschten Einblicken könne sich im Einzelfall aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergeben. Während das Gebäude der Kläger an seiner der Beigeladenen zugewandten Westseite kaum Verglasung aufweise, um eine Einsichtnahme zu Lasten der Beigeladenen zu vermeiden, schaffe diese ihrerseits Einsichtnahmemöglichkeiten in erheblichem Ausmaß. Durch die komplette Verglasung der Ostseite des Vorhabens liege die gesamte klägerische Terrasse, der gesamte Garten sowie der Pool im ständigen Sichtfeld der Beigeladenen. Dies stelle eine erhebliche Beeinträchtigung der Nutzbarkeit der klägerischen Außenanlagen dar. Darüber hinaus habe das Vorhaben auch eine erdrückende Wirkung. Das streitgegenständliche Vorhaben sei in Richtung Süden bis über die Baugrenze hinaus in die Länge gezogen und umriegele damit entgegen der planerischen Vorgaben das Grundstück der Kläger. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass durch die Abgrabung die Fassade auf der Ostseite faktisch 9 m hoch sei und dem aufgelockerten klägerischen Bau geradezu die Luft nehme. Weiter nehme das Vorhaben dem Gebäude der Kläger gerade in den Sommermonaten jegliche Abendsonne auf der westlichen Terrasse; die Besonnung sei im westlichen Gebäudebereich gegenüber dem Bestand um bis zu 48% verringert. Eine Verschattungsstudie wurde vorgelegt. Auch die Befreiung von der Baugrenze vermittle Drittschutz.
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Mit Schriftsatz vom … August 2018 erwiderten die Bevollmächtigten der Beigeladenen, Abweichungen bei Abgrabungen könnten durch einen schmalen Grundstückszuschnitt gerechtfertigt sein, wenn dies zur Schaffung von zusätzlichem Raum führe und beim Nachbargrundstück im Ergebnis die Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht beeinträchtigt würden. Ein solcher Fall sei vorliegend gegeben. Auch das Gebäude der Kläger habe in erheblichem Umfang Abweichungen und Befreiungen in Anspruch genommen. Eine Befreiung von der Geschossflächenzahl stelle grundsätzlich keine drittschützende Nachbarrechtsverletzung dar. Eine Drittschutzwirkung könne auch aus den zeichnerischen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht hergeleitet werden. Ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad an den Fenstern im Gebäude der Kläger sei gewährleistet. Hinsichtlich einer drittschützenden Wirkung der südlichen Baugrenze ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte.
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Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2018 trat die Beklagte der Klage entgegen. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom … Februar 2019 brachten die Bevollmächtigten der Kläger vor,
das Baugrundstück sei ca. 15 m breit und weise damit keinen „schmalen Zuschnitt“ auf. Die Abgrabung verstoße auch gegen die Verordnung der Beklagten über besondere Siedlungsgebiete. Im Hinblick auf die Grundstücksbreite und -länge, die für eine Bebauung vollständig ausreiche, sei keine atypische Grundstücksituation gegeben. Durch die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei der Weg geöffnet worden, auch alte bauleitplanerische Festsetzungen, bei denen der Plangeber eine nachbarschützende Funktion einer Maßfestsetzung nicht explizit ausgedrückt habe, nachträglich mit subjektiv rechtlichen Inhalten „aufzuladen“.
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Mit Schriftsatz vom … Mai 2019 nahmen die Bevollmächtigten der Kläger Stellung zum Beschluss der erkennenden Kammer vom 7. Februar 2019 (M 29 E1 18.5763) in einem Verfahren des westlichen Grundstücksnachbarn der Beigeladenen. Das Abstandsflächenrecht sei in diesem Beschluss fehlerhaft angewendet worden. Mit der Abweichungsentscheidung werde die Freilegung der Außenwand im Untergeschoss bzw. eine großflächige Abgrabung zugelassen, die eine Grundstücksausnutzung bewirke, die ohne jegliches Vorbild sei und zu einer für die Kläger nicht hinnehmbaren Nutzungsintensivierung entlang der gemeinsamen Grenze führe. Die Grundstücksvertiefung, die allein dazu diene, im Untergeschoss belichtete Räume zu schaffen, habe eine erhebliche nachteilige Auswirkung auf die durch Art. 6 BayBO geschützten Belange der Kläger. Mit der unterirdischen Nutzung sei eine grenznahe Nutzungsintensivierung verbunden. Durch die Freilegung von Kellergeschossen würde eine Bauweise eigener Art entstehen, die mit der vorliegend maßgeblichen offenen Bauweise nicht in Einklang zu bringen sei. Die Schaffung eines unterhalb des natürlichen Geländes gelegenen, voll nutzbaren Wohngeschosses mit einem Hofraum, der unmittelbar an die gemeinsame Grundstücksgrenze geführt sei, sei mit erheblichen Nachteilen für die Nachbarsituation verbunden. Diese Nachteile ergäben sich bereits aus dem Umstand, dass durch die Abgrabung aus dem Kellergeschoss gewissermaßen ein Obergeschoss entstehe und dieses mit dem nutzbaren Innenhof unmittelbar an die Grundstücksgrenze heranrücke. Durch die tiefergelegte, grenzständige Hofsituation werde in der vorliegenden Bebauungs- und Nachbarsituation eine Nutzungsintensivierung erreicht, die nicht nur wegen ihrer einseitigen grenzständigen Erweiterung rücksichtslos sei.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom … August 2019, der am 22. August 2019 bei Gericht einging, ließen die Kläger weiter beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (M 29 SN 19.4251). Zur Begründung des Antrags wurde zunächst auf das Vorbringen im Klageverfahren verwiesen. Weiter wurde im Wesentlichen ausgeführt, die beanstandete Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung mit damit einhergehender Nachbarrechtsverletzung zu Lasten der Kläger stütze sich insbesondere auf die Nichteinhaltung geltenden Abstandsflächenrechts und die ermessensfehlerhafte Bewertung der nachbarlichen Belange. Die für die östliche, tiefer gelegte Gebäudeaußenwand erteilte Abweichung sei schon deshalb rechtsfehlerhaft, da das Bauvorhaben bereits für die westliche Gebäudeaußenwand das Schmalseitenprivileg in Anspruch nehme. Aufgrund des Grenzanbaus an die Haushälfte der Kläger stehe dem Bauvorhaben kein weiteres Schmalseitenprivileg zur Verfügung. Mit der erteilten Abweichung werde nicht nur eine unzulässige Verkürzung der erforderlichen Abstandsflächen bewirkt, vielmehr werde unter Missachtung der gegenseitigen Wechselbeziehungen der bestehenden Haushälftengrundstücke einseitig zu Lasten der Kläger in die Bestandssituation eingegriffen. Die grenzständige Abgrabung sei einseitig und finde kein Vorbild in der vorhandenen Anbausituation. Durch die einseitige Intensivierung der grenzständigen Bebauung sei das gegenseitige Austauschverhältnis nachhaltig und in rechtswidriger Weise zu Lasten der Kläger betroffen. Die erteilte Abweichung sei auch rechtswidrig, da sie eine nach § 5 GVO unzulässige Grundstücksvertiefung legitimieren solle. Durch das zusätzliche „Aushöhlen“ von Baugrundstücken bis zur Grenze zur Schaffung zusätzlichen unterirdischen Hauptnutzraums werfe die Frage auf, wie diese Aushöhlung in das System der Bauweise nach der BauNVO eingeordnet werden könne. Die einseitige Grundstücksvertiefung löse einen Bodennutzungskonflikt aus, der nicht lösbar sei. Die Kläger wehrten sich insbesondere gegen die Abweichungserteilung für die östliche tiefer gelegte Gebäudeaußenwand, die nicht nur eine Verkürzung der erforderlichen Abstandsfläche bewirke, sondern einen einseitigen Grenzanbau in Form einer Grundstücksvertiefung legitimieren solle. Weiter wurde ein interner Vermerk der Bevollmächtigten der Kläger zur Auswertung der Entscheidung des BayVGH vom 6. Mai 2019 (2 CE 19.515 betreffend ein Verfahren des westlichen Grundstückseigentümers des Baugrundstücks) vorgelegt. Diese Entscheidung verkenne, dass bei zutreffender abstandsflächenrechtlicher Betrachtung des Vorhabens das 16-m-Privileg nur für eine Außenwand in Anspruch genommen werden könne.
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Mit Schriftsatz vom 28. August 2019 traten die Bevollmächtigten der Beigeladenen dem Eilantrag entgegen. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 29. August 2019 dazu im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei jedenfalls mangels Nachbarrechtsverletzung unbegründet. Im Rahmen der Abweichungsentscheidung habe nicht auf § 5 GVO eingegangen werden müssen, da der Bebauungsplan Nr. … abschließende Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche treffe. Die Abgrabung befinde sich innerhalb der festgesetzten Baugrenze. Jedenfalls wären die Voraussetzungen gemäß § 7 GVO für die Erteilung einer Ausnahme bzw. Befreiung gegeben. Ein Verstoß gegen die Vorgaben der GVO führe im Übrigen zu keiner Nachbarrechtsverletzung, da örtliche Bauvorschriften grundsätzlich nicht drittschützend seien. Der ursprünglich auf den Grundstücken der Parteien vorhandene Doppelhauscharakter sei schon durch die aktuell vorhandene Bebauung auf dem Grundstück der Kläger „verlassen“ worden. Der VGH habe in der Entscheidung vom 6. Mai 2019 zutreffend festgestellt, dass kein Doppelhaus vorliege. Selbst eine fehlerhafte Anwendung des 16-m-Privilegs würde die Kläger nicht in den abstandsflächenrelevanten Belangen der Belichtung, Belüftung und Besonnung beeinträchtigen. Die Abstandflächentiefe von 1 H werde nur wegen der vorgesehenen Abgrabung nicht eingehalten. Soweit man sich „die Abgrabung wegdenke“ seien die Kläger so gestellt wie bei der Einhaltung einer Abstandsfläche von 1 H. Den Klägern sei es im Übrigen nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit verwehrt, sich auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften zu berufen. Die Kläger hätten ihrerseits mit Baugenehmigung vom 17. Juli 2000 Abweichungen von gesetzlichen Abstandsvorschriften erhalten.
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Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 29 SN 19.4251) lehnte die erkennende Kammer mit Beschluss vom 5. September 2019 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. November 2019 (2 CS 19.1891) zurück. Auf die Begründung der Beschlüsse wird Bezug genommen.
17
Mit Schriftsatz vom … September 2019 (noch im Eilantragsverfahren) nahmen die Bevollmächtigten der Kläger ergänzend Stellung. Die Beklagte berücksichtige in ihrer Abweichungsentscheidung nicht, dass sich die durch Abgrabung ermöglichte vollständige Freilegung des Untergeschosses mit Ausführung der bodentiefen Fenster- und Türöffnungen in der östlichen Gebäudewand unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung des Wohnfriedens als zusätzlicher Eingriff in die Abstandsflächenfunktion zu Lasten der Kläger darstelle. Durch das Vorhaben entstehe ein vollständig freigelegtes Geschoss mit Hof als Grenzanbau. Durch die Abgrabung trete das Untergeschoss vollständig in Erscheinung. Bei der vorliegenden offenen Bauweise in Gestalt eines Doppelhauses gelte, dass die Nachbarn aufgrund des gegenseitigen Austauschverhältnisses grundsätzlich nur eine solche Grenzbebauung hinnehmen müssten, soweit diese ihre Entsprechung auf dem jeweiligen Nachbargrundstück finde. Selbst wenn man nicht von einem klassischen Doppelhaus, sondern von einem untypischen Doppelhaus aufgrund der von der gemeinsamen Grenze abgerückten Anbauten ausgehe, finde diese untypische Doppelhausbauweise ihre Grenze in der Bebauungssituation, wie sie tatsächlich vorhanden sei. Die vorliegende Abgrabung gehe weit über das Vorhandene hinaus und verstoße aufgrund des einseitigen Grenzanbaus gegen das nachbarliche Rücksichtnahmegebot.
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Die Verwaltungsstreitsache wurde nach Durchführung eines Augenscheins am 12. Februar 2020 mündlich verhandelt. Die Kläger beantragten,
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die Baugenehmigung der Beklagten vom 26. Juni 2018 aufzuheben.
20
Die Beklagte beantragte
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Die Beigeladene beantragte ebenfalls
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, auch auf die des vorangegangenen Eilverfahrens sowie auf die der Verfahren des westlichen Grundstücksnachbarn, sowie die vorliegenden bzw. vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Nachbarklage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
26
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH v. 8.7.2013 - 2 CS 13.807 - juris, Rn. 3; BayVGH v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris, Rn. 20, m.w.N.). Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung dabei dann nicht verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind (BVerwG v. 16.1.1997 - 4 B 244/96 - juris, Rn. 3; BayVGH v. 14.10.2008 - 2 CS 08.2132 - juris, Rn. 3). Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Nur nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen, Änderungen zu seinen Lasten haben außer Betracht zu bleiben (BVerwG v. 8.11.2010 - 4 B 43/10 - juris, Rn. 9, m.w.N.).
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Die angefochtene Baugenehmigung vom 26. Juni 2018 verletzt keine die Kläger schützenden Rechte im vorgenannten Sinn. Weder liegt ein Verstoß gegen drittschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts noch gegen solche des Bauordnungsrechts vor.
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Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt nicht gegen die Kläger schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Die ausgesprochenen Befreiungen vom Bebauungsplan Nr. … wegen Überschreitung der Baugrenze im Süden und wegen Überschreitung der festgesetzten GFZ betreffen keine drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans. Weiter ist kein Drittrechtsverstoß hinsichtlich der Bauweise gegeben. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liegt nicht vor.
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Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
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1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder
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2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
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3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würden
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und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
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Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BayVGH v. 23.5.2017 - 1 CS 17.693 - juris, Rn. 3; BayVGH v. 26.2.2014 - 2 ZB 14.101 - juris, Rn. 3; jeweils m.w.N.).
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Die Befreiung hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenze betrifft keine drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. …
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Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien und Baugrenzen haben grundsätzlich keine drittschützende Funktion. Solche Festsetzungen vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (BayVGH v. 29.8.2014 - 15 CS 14.615 - juris, Rn. 24, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann. Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollte (BayVGH v. 29.8.2014 a.a.O., Rn. 25, m.w.N.).
37
Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit ihrem Bebauungsplan Nr. … der Bauraumfestsetzung drittschützende Wirkung zukommen lassen wollte. Nach der (nur eine Seite umfassenden) Begründung zum Bebauungsplan soll mit diesem vor allem die Trasse des …rings, Teil II, festgelegt werden. Weiter ist festgehalten, dass die Führung des …rings II die Anlegung einer Reihe von Zubringer- und Nebenstraßen auslöst; weiter dann, dass störende Altbauten beseitigt werden müssen und die in einzelnen Teilen des Plangebiets genehmigten Baulinien aufgehoben oder in Anpassung an den Baubestand geändert werden müssen. Dass insoweit drittschützende Aspekte eine Rolle gespielt haben könnten, kann diesen Begründungselementen nicht entnommen werden. Die Textfestsetzungen des Bebauungsplans enthalten keinerlei Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. Dem Planteil kann entnommen werden, dass die vordere (südliche) Baugrenze, von der befreit wurde, in etwa parallel zur M.-straße verläuft. Durch diese Baugrenze sollte also offensichtlich der Schaffung von Vorgärten einheitlicher Tiefe dienen. Eine (auch) drittschützende Funktion der festgesetzten Baugrenze kann nach alledem nicht festgestellt werden.
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Auch die Maßfestsetzung über die zulässige Geschossflächenzahl im Bebauungsplan Nr. … hat keinen nachbarschützenden Charakter.
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Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung durch Bebauungspläne haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion (BayVGH v. 16.7.2002 - 2 CS 02.1236 - juris, Rn. 34). Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab (BVerwG v. 9.8.2018 - 4 C 7/17 - juris, Rn. 14). Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung können auch dann drittschützende Wirkung entfalten, wenn der Bebauungsplan aus einer Zeit stammt, in der man ganz allgemein an einen nachbarlichen Drittschutz noch nicht gedacht hat. Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses, in dem der nachbarliche Interessenkonflikt durch Merkmale der Zuordnung der Verträglichkeit und der Abstimmung benachbarter Nutzungen geregelt und ausgeglichen ist. Dieser Gedanke prägt nicht nur die Anerkennung der drittschützenden Wirkung von Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, sondern kann auch eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung rechtfertigen. Stehen solche Festsetzungen nach der Konzeption des Plangebers in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis, kommt ihnen nach ihrem objektiven Gehalt Schutzfunktion zugunsten der an dem Austauschverhältnis beteiligten Grundstückseigentümern zu. Daraus folgt unmittelbar, dass der einzelne Eigentümer die Maßfestsetzungen aus seiner eigenen Rechtsposition heraus auch klageweise verteidigen kann (BVerwG v. 9.8.2018 a.a.O., Rn. 15, m.w.N.). Der Umstand, dass ein Plangeber die Rechtsfolge einer nachbarschützenden Wirkung der Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung zum Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte, verbietet es nicht, die Festsetzungen nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen. Es entspricht allgemeiner Rechtsüberzeugung, dass das öffentliche Baurecht nicht in dem Sinne statisch aufzufassen ist, dass es einer drittschutzbezogenen Auslegung unzugänglich wäre. Baurechtlicher Nachbarschutz ist das Ergebnis einer richterrechtlichen Rechtsfortbildung, welche hierbei von einer Auslegung der dafür offenen Vorschriften ausgeht (BVerwG v. 9.8.2018 a.a.O., Rn. 16, m.w.N.).
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Voraussetzung für eine ausnahmsweise nachbarschützende Wirkung einer Festsetzung über das Maß der baulichen Nutzung ist also, dass der Plangeber insoweit ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis geschaffen hat. Insoweit kann es nicht ausreichen, dass die gleichen Maßfestsetzungen für ein bestimmtes Gebiet im Bebauungsplan getroffen wurden, da ein Drittschutz für entsprechendes Gebiet damit stets anzunehmen wäre. Ein Drittschutz der Maßfestsetzungen würde in diesem Fall nur dann entfallen, wenn der Bebauungsplan sehr kleinteilig unterschiedliche Maßfestsetzungen treffen würde. Die Ausnahme würde zur Regel gemacht. Allein der Umstand, dass für das Anwesen der Kläger und für das der Beigeladenen sowie für weitere Anwesen in der Umgebung einheitlich eine Festsetzung einer GFZ von 0,5 erfolgte, genügt also nicht, um eine drittschützende Wirkung dieser Regelung herzuleiten.
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Soweit die Klägerbevollmächtigten davon ausgehen, dass sich die drittschützende Wirkung der Festsetzung über die Geschossflächenzahl aus der Gesamtschau der zeichnerischen Festsetzungen ergebe, folgt das Gericht dem nicht. Die Bevollmächtigten der Kläger stützen sich dabei auf ein Urteil der 8. Kammer des erkennenden Gerichts vom 4. Juli 2011 (M 8 K 10.3170 - juris). Dieses Urteil wurde durch Urteil des BayVGH vom 19. März 2013 (2 B 13.98 - juris) aber aufgehoben.
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Auch aus dem Bebauungsplan selbst bzw. aus seiner Begründung kann nichts für ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis im Hinblick auf die Maßfestsetzungen entnommen werden. Die Begründung zum Bebauungsplan führt insoweit lediglich aus, die teilweise ermittelte Überschreitung der höchstzulässigen Geschossflächenzahl würde durch die vorhandene, rechtlich zulässige Bebauung gemäß § 17 Abs. 8 BauNVO gestützt. Der Plangeber ging also davon aus, dass die höchstzulässige Geschossflächenzahl teilweise, aber eben nur teilweise, überschritten wurde. Dies steht der Annahme, dass ein wechselseitiges Austauschverhältnis geschaffen werden sollte, aber gerade entgegen.
43
Der Geschossflächenzahlfestsetzung im Bebauungsplan Nr. … kommt also keine drittschützende Wirkung zu.
44
Der Nachbarschutz in bauplanungsrechtlicher Hinsicht richtet sich vorliegend nach alledem nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebotes, § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO.
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Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits den Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits den Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH v. 6.4.2018 - 15 ZB 17.36 - juris, Rn. 21, m.w.N.).
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Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann in Betracht kommen, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens das Wohngebäude des Nachbarn „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab (BayVGH v. 23.11.2011 - 14 ZB 10.493 - juris, Rn. 8, m.w.N.). Eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung infolge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens kann dabei ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind mithin - neben der bloßen Distanz - insbesondere die besonderen Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude (BayVGH v. 6.4.2018 a.a.O., Rn. 28, m.w.N.). Die Möglichkeit einer erdrückenden Wirkung ist dabei grundsätzlich zu verneinen, wenn der Baukörper des angegriffenen Gebäudes nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Nachbargebäudes (BayVGH v. 6.4.2018 a.a.O., Rn. 31, m.w.N.).
47
Nach diesen Vorgaben scheidet eine einmauernde bzw. erdrückende Wirkung des streitgegenständlichen Vorhabens auf das Gebäude der Kläger aus. Dies folgt schon daraus, dass sich beide Gebäude entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze relativ spiegelbildlich gegenüberliegen. Dies gilt insbesondere auch für den jeweils südlichen, nicht grenzständig errichteten Gebäudeteil. Das streitgegenständliche Gebäude erstreckt sich hier nur geringfügig weiter nach Süden als das Gebäude der Kläger. Vergleichbar sind die beiden Gebäude auch dahingehend, dass sie im jeweils grenznäheren Bereich eingeschossig und im grenzferneren Bereich zweigeschossig ausgestaltet sind. Auch der Umstand, dass bei dem streitgegenständlichen Vorhaben durch die Abgrabung in Richtung des klägerischen Grundstücks optisch ein weiteres Geschoss entsteht, kann nicht zu einer erdrückenden oder einmauernden Wirkung führen. Diese Abgrabung lässt die Höhenentwicklung bezüglich der Oberkante des Gebäudes unberührt. Bezogen auf die Gebäudeoberkante stehen sich beide Gebäude relativ einheitlich gegenüber. Das gegenüber dem Gebäude der Kläger „tiefergelegte“ zusätzliche Geschoss des streitgegenständlichen Vorhabens wirkt sich auf dessen gegenüber dem Gebäude der Kläger relative Höhe nicht aus. Eine einmauernde bzw. erdrückende Wirkung kommt dem angefochtenen Vorhaben nach alledem nicht zu.
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Das streitgegenständliche Vorhaben ist gegenüber den Klägern auch nicht dadurch rücksichtlos, dass Einsichtsmöglichkeiten in das Anwesen der Kläger geschaffen würden.
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Der Nachbar hat in der Regel keinen Schutz vor der Schaffung neuer Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück. Vor allem hat er keinen Rechtsanspruch darauf, dass Räume, Fenster, Balkone oder Dachgauben des Bauvorhabens so angeordnet werden, dass sein Grundstück nicht oder nur eingeschränkt eingesehen werden kann. So liegt die Möglichkeit, aus Fenstern Einblicke in die Nachbargrundstücke zu erhalten, in Baugebieten in der Natur der Sache und ist von Eigentümern und Bewohnern eines Gebietes regelmäßig hinzunehmen. Das gilt auch dann, wenn im innerstädtischen Bereich aus anderen Häusern in Fenster der Nachbargebäude hineingesehen werden kann. Unzumutbare Nachteile für den Nachbarn sind deshalb auch dann nicht anzunehmen, wenn die Nutzung des Nachbargrundstücks durch Sichtverbindungen zwischen dem entstandenen Vorhaben und dem Nachbargrundstück beeinträchtigt ist. Mit Balkonen und Fenstern ist eine gewisse Einsehbarkeit immer verbunden; sie ist grundsätzlich nicht zu vermeiden und zumutbar (BayVGH v. 13.7.2005 - 14 CS 05.1102 - juris, Rn. 9, m.w.N.). Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen grundsätzlich kein Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt, allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas anderes ergeben (BayVGH v. 15.1.2018 - 15 ZB 16.2508 - juris, Rn. 20, m.w.N.). Voraussetzung hierfür wäre, dass sich besondere - außergewöhnliche, über die herkömmlichen Einsichtsmöglichkeiten in Innerortslagen hinausgehende - Belastungen für den Nachbarn ergeben (vgl. BayVGH v. 15.1.2018 a.a.O., Rn. 21).
50
Ein Ausnahmefall im vorgenannten Sinn liegt nicht vor. Zwar ist den Klägern zuzugeben, dass das streitgegenständliche Vorhaben zu ihrem Grundstück hin Fenster in insgesamt drei Geschossen aufweist. Besondere Einblicksmöglichkeiten aus den Fenstern im tiefer gelegten Geschoss sind jedoch nicht zu besorgen, da der von hier aus nur mögliche Blick von unten nach oben keinen Einblick in die Außenanlagen auf dem Grundstück der Kläger ermöglicht. Gegen Einblicke aus den Fenstern im Erdgeschoss des gegenständlichen Vorhabens wäre ein wirksamer Schutz vor Einblicken durch eine „architektonische Selbsthilfe“ dadurch möglich, dass entsprechende Bepflanzungen vorgenommen werden (vgl. BayVGH v. 14.2.2018 - 15 CS 17.2549 - juris, Rn. 10). Für das Obergeschoss trifft es zwar zu, dass sich eine Fensterfront - in zwei Teilen - über ca. ¾ der gesamten Gebäudelänge hinzieht, der ein Balkon über nahezu die gesamte Gebäudelänge vorgelagert ist. Einblicksmöglichkeiten auf das Grundstück der Kläger in vergleichbarem Umfang wären hier aber auch dann gegeben, wenn lediglich ein einzelnes Fenster mit einem davorliegenden kleineren Austritt verwirklicht würde. Ein Anspruch des Nachbarn auf eine komplett fensterlose Wand - bzw. hier komplett fensterlose Etage - auf der ihm zugewandten Gebäudeseite besteht aber nicht. Der Nachbar kann auch nicht verlangen, dass die Fenster gegenüber einem anderen benachbarten Grundstück angeordnet werden. Eine besondere Situation, die ausnahmsweise zur Rücksichtslosigkeit neu geschaffener Einblicksmöglichkeiten führen würde, ist nach alledem nicht gegeben.
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Auch soweit die Kläger mit der vorgelegten Verschattungsstudie eine Rücksichtslosigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens im Hinblick auf die Belichtung rügen, greift dies nicht durch.
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Belichtung und Belüftung sind in ausreichendem Maß gesichert, wenn ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad auch an den engsten Stellen an der Fassade des Nachbarn gewahrt ist; in diesen Fällen scheidet eine unzumutbare Beeinträchtigung des Nachbarn aus (BayVGH v. 9.6.2011 - 2 ZB 10.2289 - juris, Rn. 5). Diese Voraussetzungen erfüllt das streitgegenständliche Vorhaben, wie sich aus dem genehmigten Schnitt Abstandsflächen ergibt.
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Auch hinsichtlich der Bauweise ist eine Rechtsverletzung der Kläger durch die Baugenehmigung vom 26. Juni 2018 auszuschließen. Insoweit ist schon fraglich, ob die Feststellungswirkung der Baugenehmigung sich auf die Bauweise erstreckt.
54
Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften Mindestfestsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält (Qualifizierter Bebauungsplan) ein Vorhaben zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Eine Festsetzung auch über die Bauweise ist für das Vorliegen eines Qualifizierten Bebauungsplans damit nicht erforderlich.
Der Bebauungsplan Nr. … enthält für den Bereich, in dem die Grundstücke der Verfahrensbeteiligten gelegen sind, keine Festsetzung über die Bauweise. Die Bauweise war damit auch nicht Prüfungsgegenstand im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens. Dies spricht dafür, dass eine Rechtsverletzung der Kläger durch die angefochtene Baugenehmigung im Hinblick auf die Bauweise schon dem Grunde nach ausgeschlossen ist.
55
Diese Frage muss indes nicht abschließend geklärt werden. Auf unterirdische Bauteile kommt es im Zusammenhang mit der Bauweise nicht an (vgl. OVG RP v. 28.1.2016 - 8 B 11203/15 - juris, Rn. 23, zu einer Tiefgarage). Die vorliegend an der Grundstücksgrenze vorgesehene unterirdische Stützmauer ist damit für die Frage der Bauweise rechtlich nicht von Belang.
56
Das streitgegenständliche Vorhaben verstößt auch nicht gegen die Kläger schützende Regelungen des Bauordnungsrechts. Dies gilt sowohl hinsichtlich des gerügten Abstandsflächenverstoßes als auch hinsichtlich des Verstoßes gegen die Verordnung über die besonderen Siedlungsgebiete.
57
Die Vorschriften des Abstandsflächenrechts dienen zwar in ihrer Gesamtheit auch dem Nachbarschutz (vgl. BayVGH v. 11.12.2014 - 15 CS 14.1710 - juris, Rn. 15). Ein Abstandsflächenverstoß zu Lasten der Kläger liegt aber nicht vor.
58
Maßgeblich ist vorliegend die Rechtslage zum Zeitpunkt der im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung vom 26. Juni 2018. Die Aufnahme der Abstandsflächenvorschriften in das Prüfprogramm zum 1. September 2018 ist keine Rechtsänderung zugunsten des Bauherrn, sondern erweist sich ihm gegenüber als rechtlich neutral. Zwar waren nach Art. 59 Satz 1 BayBO in der bis zum 31. August 2018 gültigen Fassung die Abstandsflächen nicht Gegenstand des Prüfprogramms. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO a.F. waren aber beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO Gegenstand des Prüfprogramms. Vorliegend hat die Beigeladene die Erteilung einer Abweichung hinsichtlich der Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger hin beantragt. Jedenfalls hinsichtlich der Ostseite des streitgegenständlichen Vorhabens ist das Abstandsflächenrecht damit Gegenstand des Prüfprogramms.
59
Da auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung abzustellen ist, kommt es vorliegend nicht auf die Frage an, ob die gesetzgeberische Absicht durch den mit Gesetz vom 10. Juli 2018 mit Wirkung vom 1. September 2018 eingefügten Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO das Erfordernis einer Atypik bei Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften entfallen zu lassen (vgl. dazu die Gesetzesbegründung zu Nr. 5), gelungen ist.
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Vorliegend kann also offen bleiben, ob für die beantragte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Abstandsflächenvorschriften zum Grundstück der Kläger hin erforderliche Atypik (vgl. dazu BayVGH v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris, Rn. 16) gegeben ist. Das Vorliegen einer Atypik ist allerdings aus Sicht der Kammer äußerst zweifelhaft. Zwar kann eine atypische Fallgestaltung aufgrund eines bogenartigen schmalen Zuschnitts des Baugrundstücks, seiner besonderen Topografie und seiner Lage im Altstadtgefüge angenommen werden (vgl. BayVGH v. 11.12.2014 - 15 CS 14.1710 - juris, Rn. 20, m.w.N.). Eine solche Situation des Grundstücks der Beigeladenen ist aber nicht gegeben. Dieses Grundstück hat eine Breite von ca. 14,50 m (abgegriffen), was durchaus einer typischen Breite eines Baugrundstücks entspricht. Auf die Frage des Vorliegens einer atypischen Situation kommt es entscheidungserheblich aber nicht an.
61
Ein Verstoß der angefochtenen Baugenehmigung gegen die Kläger schützendes Abstandsflächenrecht liegt nicht vor. Das Bauvorhaben der Beigeladenen hält nach Norden und nach Süden jeweils die volle Abstandsflächentiefe von 1 H entsprechend Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO ein. Das Vorhaben kann daher sowohl nach Westen als auch nach Osten - zum Grundstück der Kläger hin - das 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch nehmen. Die insoweit im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Abweichung geht damit ins Leere.
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Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Hs. 1 BayBO genügt vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge als Tiefe der Abstandsflächen die Hälfte der nach Art. 6 Abs. 5 BayBO erforderlichen Tiefe, mindestens jedoch 3 m. Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 2 Hs. 1 BayBO gilt Satz 1 der Vorschrift, wenn ein Gebäude mit einer Außenwand an eine Grundstücksgrenze gebaut wird, nur noch für eine Außenwand. Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO sind aneinandergebaute Gebäude wie ein Gebäude zu ein behandeln.
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Das streitgegenständliche Vorhaben wird nicht im Sinn von Art. 6 Abs. 6 Satz 2 Hs. 1 BayBO mit einer Außenwand an eine Grundstücksgrenze gebaut. Insoweit stellen z.B. die seitlichen Abschlusswände eines Reihenmittelhauses insoweit keine Außenwände im Sinn dieser Vorschrift dar, als sie profilgleich aneinandergefügt sind, wohingegen Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO für solche Teile der Abschlusswände zwischen aneinandergebauten Gebäuden, die horizontal oder vertikal versetzt sind und dadurch nach außen in Erscheinung treten, gilt (BayVGH v. 21.5.1990 - GrS 2/1989 - juris, Rn. 25). Soweit das streitgegenständliche Gebäude mit seinem nördlichen Teil auf eine Länge von ca. 9 m an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Kläger errichtet wird, erfolgt dies als deckungsgleicher Anbau an das Gebäude auf dem Grundstück der Kläger. Der südliche Teil des streitgegenständlichen Vorhabens mit einer Länge von ca. 11 m ist nicht an die Grenze zum Grundstück der Kläger angebaut, sondern hält dazu einen Abstand von 3 m ein. Ein Grenzanbau i.S.v. Art. 6 Abs. 6 Satz 2 Hs. 1 BayBO liegt damit nicht vor; das streitgegenständliche Vorhaben ist für die Anwendung des 16 m-Privilegs nicht auf eine Außenwand beschränkt.
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Es liegen auch keine aneinandergebauten Gebäude im Sinn von Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO vor.
65
Zwar können aneinandergebaute Gebäude im Sinn dieser Vorschrift auch Gebäude sein, die auf verschiedenen Buchgrundstücken bestehen oder errichtet werden sollen (BayVGH v. 21.5.1990 - a.a.O., Rn. 16). Diese Vorschrift soll aber - insbesondere für Doppelhäuser - verhindern, dass mit Hilfe des 16 m-Privilegs Baukörper entstehen, die eine Außenwandlänge von bis zu 32 m aufweisen, jedoch gleichwohl das 16 mPrivileg für sich in Anspruch nehmen können (BayVGH v. 6.5.2019 - 2 CE 19.515 - juris, Rn. 10, m.w.N.). Geschützt werden durch diese Vorschrift also diejenigen Nachbarn, die der Außenwand eines auch über eine Grundstücksgrenze hinweg zusammengebauten Gebäudes gegenüberliegen, nicht jedoch die Nachbarn, die Gebäude an einer gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinanderbauen. Der Schutzgedanke des Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO betrifft - übertragen auf den vorliegenden Fall - damit nicht das Verhältnis der Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen zueinander.
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Darüber hinaus ist der Gesetzgeber bei der Festlegung von Art. 6 Abs. 6 BayBO offenbar vom Regelfall eines Gebäudes mit vier Außenwänden ausgegangen (vgl. BayVGH v. 21.4.1986 - GrS 1/85 - 15 B 84 A.2534 - BayVBl 1986, 397, 399). Auch dieser Umstand spricht gegen eine Anwendung des Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO auf die vorliegend gegebene Konstellation, in der von einem sechsseitigen Gebäude auszugehen wäre. Einen solchen Sachverhalt hatte der Gesetzgeber aber offensichtlich nicht im Blick.
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Nach alledem kann das streitgegenständliche Vorhaben sowohl nach Westen als auch nach Osten - zu den Klägern hin - das 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch nehmen. Die zulässige Wandlänge von maximal 16 m ist in beiden Fällen mit einer abstandsflächenrelevanten Außenwand nach Westen mit einer Länge von 15,99 m und nach Osten mit einer Länge von 11,70 m gewahrt.
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Auf die Frage, ob den Klägern eine Berufung auf einen Abstandsflächenverstoß durch das streitgegenständliche Vorhaben nach Treu und Glauben wegen vergleichbarer eigener Abstandsflächenverletzung versagt bleibt, kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
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Auch im Hinblick auf die Vorschriften der besonderen SiedlungsgebietsVO (GVO), die nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 GVO von ihrem räumlichen Geltungsbereich her Anwendung findet, liegt kein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften vor. Insoweit kann offen bleiben, ob nach § 6 GVO vorliegend Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … der Verordnung vorgehen, ob eine nach § 5 Abs. 2 GVO zulässige Abgrabung vorliegt oder ob eine Befreiung bzw. Ausnahme nach § 7 GVO in Frage käme. Die ortsrechtliche Vorschrift der Verordnung über die besonderen Siedlungsgebiete hat jedenfalls keinen nachbarschützenden Charakter (vgl. BayVGH v. 16.7.1999 - 2 B 96.1048 - juris, Rn. 16, zur mittlerweile für nichtig erklärten Regelung des § 2 Abs. 1 GVO über die Mindestabstandsflächen).
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Zusammenfassend ist also festzustellen, dass mit der Baugenehmigung vom 26. Juni 2018 nicht gegen die Kläger schützenden Nachbarrechte verstoßen wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat einen Sachantrag gestellt und sich damit nach § 154 Abs. 3 VwGO in ein Kostenrisiko begeben, so dass es der Billigkeit im Sinn von § 162 Abs. 3 VwGO entspricht, auch ihre außergerichtlichen Kosten den Klägern aufzuerlegen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.