Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.04.2020 – 20 NE 20.704
Titel:

Kein Kirchengang für Katholiken wegen Corona

Normenketten:
GG Art. 4
VwGO § 47 Abs. 6
BayIfSMV § 1 Abs. 1
IfSG § 32 S. 3
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Einstweiliger Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren, Verbot der Teilnahme an katholischen Gottesdiensten, Rechtsschutzbedürfnis, Verbot religiöser Zusammenkünfte, liturgische Feier, Religionsausübungsfreiheit, COVID-19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 5450

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt der Antragsteller das Ziel, den Vollzug des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV - BayMBl. 2020 Nr. 158) vom 27. März 2020 einstweilen auszusetzen.
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1. Der Antragsgegner hat am 27. März 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, deren § 1 Abs. 1 folgenden Wortlaut hat:
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㤠1 Veranstaltungs- und Versammlungsverbot
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(1) Veranstaltungen und Versammlungen werden landesweit untersagt. Dies gilt auch für Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen und Synagogen sowie die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften. Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.“
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Die Verordnung wurde am 27. März 2020 im Bayerischen Ministerialblatt (2020 Nr. 158) bekanntgemacht und auf die Bekanntmachung im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 7. April 2020 (Nr. 9/2020 S. 196) hingewiesen.
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2. Der Antragsteller, der in München wohnt, hat mit Schriftsatz vom 3. April 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am selben Tag, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung (BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 158) beantragt. Er trägt zur Begründung seines auf Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV gerichteten Eilantrags vor, er sei Einwohner Bayerns und sei katholischen Glaubens und Mitglied der römisch-katholischen Kirche. Er versuche, sein Leben an der katholischen Glaubenslehre auszurichten. Hierzu gehöre der regelmäßige Besuch von Gottesdiensten als wesentlicher Teil seines religiösen Lebens. Aufgrund der in § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV enthaltenen Untersagung von Zusammenkünften in Kirchen sei es ihm unmöglich geworden, bis zum 19. April 2020 einen Gottesdienst zu besuchen. Dadurch sei er in seiner Religionsausübungsfreiheit als Teil seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt. Es fehle bei der Verordnung an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in die Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG, weil § 32 Satz 3 IfSG diese nicht als einschränkbares Grundrecht nenne. Darüber hinaus rechtfertige der Infektionsschutz zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht das generelle, bayernweite Verbot religiöser Zusammenkünfte. Die Teilnahme an liturgischen Handlungen gehöre bei der katholischen Kirche zum Kernbereich der Glaubensausübung. Deshalb hätte die Rechtsverordnung religiöse Zusammenkünfte wenigstens unter strengen infektionsrechtlichen Auflagen zulassen müssen. Die Erlaubnis von Zusammenkünften unter Auflagen sei gegenüber einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt das mildere Mittel. Gerade weil Ostern, das heiligste Fest der Katholiken bevorstehe, stelle der Verzicht auf liturgische Feiern für den Antragsteller eine schwere Belastung dar.
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Der Senat hat den Antragsteller mit Schreiben vom 3. April 2020 angehört.
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Der Antragsteller nahm hierauf mit Schreiben vom 6. April und 8. April 2020 Stellung und verwies nochmals auf die besondere Bedeutung des christlichen Osterfestes für ihn als Katholiken. Die kirchlichen Anweisungen seien aufgrund der umfangreichen Maßnahmen der staatlichen Seite erlassen worden. Es wäre lebensfremd und den vom Konkordat geprägten Usancen eines auf Kooperation und Kohabitation ausgerichteten Staat-Kirche-Verhältnis widersprechend, anzunehmen, dass die Kirche in der derzeitigen Krise eigenständige Verbote von öffentlichen Gottesdiensten ausspreche, wenn nicht bereits der Staat entsprechende Versammlungsverbote erlassen hätte. Die heilige Kommunion erfordere eine physisch-personale Anwesenheit. Die Gottesdienstfeier außerhalb eines Gottesdienstes stelle lediglich eine Ausnahme dar. Wenn der betroffene Bürger von seinem Recht auf Rechtsschutz Gebrauch mache, werde ihm dieser verkürzt, wenn man von ihm verlange, erst im kirchlichen Binnenbereich Einvernehmen herzustellen. Schließlich sei es nicht auszuschließen, dass der für den Antragsteller zuständige Erzbischof von München und Freising sein kircheninternes Verbot zurücknehme, wenn der Staat im Lichte eine für den Antragsteller positiven Entscheidung des Gerichts ein milderes Mittel als ein Vollverbot hätte wählen müssen. Im Übrigen fände der Antragsteller bei einem für ihn positiven Beschluss ohne weiteres die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen bei Ordensgemeinschaften, die nicht der Direktionsgewalt des Erzbischofs unterstünden, am Oster-Triduum teilzunehmen. Diese Erwägungen belegten eindeutig ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers. Schließlich seien gerade zu Ostern wegen des hohen Stellenwerts der Eucharistie für Katholiken trotz des staatlichen Verbots Ausweichreaktionen der Gläubigen in „Untergrund- und Katakombenmessen“ zu befürchten.
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3. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen und hat hierzu mit Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 7. April 2020 Stellung genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
11
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats nicht vor.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat schon deshalb keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO nicht gegeben sind. Die Aussetzung des Vollzugs des § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV ist nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, B.v. 18.5.1998 - 4 VR 2.98, 4 CN 1.98 - juris Rn. 3). Ein schwerer Nachteil i.S.v. § 47 Abs. 6 VwGO liegt dann vor, wenn rechtlich geschützte Interessen in ganz besonderem Maße beeinträchtigt sind und dem Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden (BeckOK VwGO/Giesberts, § 47 VwGO Rn. 92). Bei dieser Betrachtung ist auch zu berücksichtigen, ob der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besitzt. Das ist ausnahmsweise nicht der Fall, wenn der begehrte Rechtsschutz dem Antragsteller keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, § 47 VwGO Rn. 151 m.w.N.).
13
So liegt der Fall hier. Die katholische Kirche in Deutschland und Bayern, insbesondere das Erzbistum München und Freising, hat anlässlich der Corona-Epidemie darauf hingewiesen, dass die katholische Kirche in Deutschland sich der aktuellen Herausforderung zum Coronavirus (SARS-CoV-2) stellt. Zunächst seien alle Anweisungen von staatlichen Stellen, insbesondere der Gesundheitsämter, zu beachten. Grundsätzlich gelte, dass für Maßnahmen in den Bistümern ausschließlich die Bistümer selbst verantwortlich sind und zwar nach Maßgabe der staatlichen Behörden und der damit verbundenen Entscheidungen für Konsequenzen in den Bistümern. Alle 27 (Erz-)Bistümer haben umfangreiche Maßnahmen erlassen, dazu zählen in fast allen Bistümern auch die Entbindung von der Sonntagspflicht und der Ausfall von Gottesdiensten (vgl. https://dbk.de/themen/coronavirus/). Das Erzbistum München und Freising hat sich dafür entschieden, keine öffentlichen Gottesdienste bis mindestens 19. April 2020 abzuhalten.
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Nachdem das Erzbistum München und Freising bereits am 13. März 2020 - also schon vor Inkrafttreten der vom Antragsteller angegriffenen Bestimmung und auch vor Inkrafttreten der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 16. März 2020, Az. 51-G8000-2020/12267 - alle öffentlichen Gottesdienste abgesagt und die Gläubigen zunächst bis zum 3. April 2020 von der Sonntagspflicht dispensiert hatte (vgl. https://www.erzbistum-muenchen.de/news/bistum/Erzbistum-sagt-alle-oeffentlichen-Gottesdienste-ab-36411.news), hat Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, am 2. April 2020 folgendes Allgemeine Dekret gemäß can. 29 CIC mit sofortiger Wirkung erlassen (abrufbar unter https://www.erzbistum-muenchen.de/im-blick/coronavirus):
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„Um weiterhin der Ausbreitung der durch den Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten COVID-19-Erkrankungen durch die Zusammenkunft von Menschen nicht Vorschub zu leisten und insbesondere die besonders gefährdeten alten und kranken Menschen zu schützen, verfüge ich vor dem Hintergrund weitergehender Maßnahmen der Bundesregierung wie der bayerischen Staatsregierung und nachdrücklicher Empfehlung des betriebsärztlichen Dienstes der Erzdiözese München und Freising die folgenden Maßnahmen:
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1. In der Zeit bis einschließlich 19. April 2020 sage ich alle öffentlichen Gottesdienste im Gebiet der Erzdiözese München und Freising ab.
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2. Zugleich befreie ich bis zu dem genannten Datum alle Gläubigen, die sich im Gebiet der Erzdiözese München und Freising aufhalten, von der Verpflichtung zur Teilnahme an der Messfeier an Sonn- und gebotenen Feiertagen gemäß can. 1247 CIC.
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3. Taufen und Trauungen sind zu verschieben. In dringlichsten Ausnahmesituationen ist es Priestern und Diakonen erlaubt, das Sakrament der Taufe im engsten Familienkreis zu spenden. Sofern nach dem klugen Urteil des Taufspenders die Spendung der Taufe in einem Privathaus geboten ist, wird hiermit die Erlaubnis gemäß can. 860 § 1 CIC erteilt.
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4. Hauskommunion und Krankensalbung werden allgemein eingestellt. Bei dringlicher Notwendigkeit insbesondere in lebensbedrohlichen Situationen besteht weiterhin die Verpflichtung, den Kranken und Sterbenden beizustehen und unter Beachtung der gebotenen Hygienemaßnahmen die Kommunion und die Krankensalbung zu spenden.
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5. Requien (Totenmessen) sind als öffentliche Gottesdienste nicht erlaubt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Verstorbenen Gläubigen ist jedoch weiterhin das kirchliche Begräbnis gemäß can. 1176 CIC zu gewähren.
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6. Die Kirchen haben den Gläubigen für das persönliche Gebet zu den üblichen Zeiten offen zu stehen.
22
Dieses Dekret tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft (vgl. can. 8 § 2 CIC).“
23
Ergänzend hat Kardinal Reinhard Marx in einem veröffentlichen Brief an die pastoralen Mitarbeiter des Erzbistums ausgeführt, es gebe keine andere Möglichkeit, das Leben möglichst vieler Menschen zu retten. Die Katholiken trügen auch Verantwortung für das ganze Gemeinwesen, in dem sie lebten (vgl. https://www.erzbistum-muenchen.de/gottesdienste-veranstaltungen).
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Deshalb muss der Senat davon ausgehen, dass jedenfalls das Erzbistum München und Freising, in dessen Gebiet sich der Antragsteller aufhält, aus freien Stücken - und damit unabhängig von der angegriffenen Bestimmung des Antragsgegners - die Durchführung öffentlicher Gottesdienste bis zum 19. April 2020 abgesagt und die Gläubigen (und damit auch den Antragsteller) von der Pflicht zur Teilnahme an der Messfeier befreit hat, um eine weitere Ausbreitung der COVID-19-Erkrankungen zu verhindern und besonders gefährdete Personengruppen zu schützen. Die gegenteilige Behauptung des Antragstellers erweist sich folglich als unzutreffend. Vielmehr zeigt sich die Entscheidung des Erzbistums München und Freising als autonome Rechtssetzung im innerkirchlichen Bereich, welche der Antragsteller als Mitglied der katholischen Kirche zunächst zu respektieren hat. Der Vortrag des Antragstellers, der für ihn zuständige Bischof würde das innerkirchliche Verbot bei einer für ihn positiven gerichtlichen Entscheidung aufheben, ist von Tatsachen nicht gestützt und damit Spekulation. Folglich besitzt der Antragsteller derzeit bereits aus tatsächlichen, von dem Vollzug der angegriffenen Norm unabhängigen Gründen nicht die Möglichkeit, an einem Gottesdienst seiner Glaubensgemeinschaft teilzunehmen (vgl. hierzu auch HessVGH, B.v. 7.4.2020 - 8 B 892/20 - juris Rn. 25).
25
Der Antragsteller war auch nicht in der Lage zu benennen, in welcher Pfarrei es ihm erreichbar erscheint, nach einer Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV am Gottesdienst teilzunehmen. Falls eine Pfarrei - entgegen dem o.g. Dekret nach kanonischen Recht - bereit wäre, Gottesdienste durchzuführen, an denen der Antragsteller teilnehmen könnte, wäre zudem vorrangig zu prüfen, ob in diesem Fall eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV erteilt werden könnte. Eine vorläufige bayernweite Außervollzugsetzung der Norm rechtfertigen die vom Antragsteller vorgetragenen Gründe jedenfalls nicht. Soweit der Antragsteller schließlich noch vorträgt, er hätte bei einer für ihn positiven Entscheidung ohne weiteres die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen bei Ordensgemeinschaften, die nicht der Direktionsgewalt des Erzbischofs unterstünden, am Oster-Triduum teilzunehmen, handelt es sich zum einen um eine unsubstantiierte Behauptung des Antragstellers. Zum anderen wäre auch hier, sollte eine solche Zusammenkunft unterfallen in ihrer konkreten Ausgestaltung dem Verbot des § 1 Abs. 2 BayIfSMV, eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV zu beantragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller teilweise angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 19. April 2020 außer Kraft tritt (§ 7 Abs. 1 BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht erscheint.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).