Titel:
Kaufpreis, Kaufvertrag, Sittenwidrigkeit, Widerruf, Widerrufsrecht, Streitwert, Anfechtung, Immobilie, Zahlung, Notlage, Befristung, Eheleute, Sicherheitsleistung, Herkunft, Kosten des Rechtsstreits, Zug um Zug, notarieller Urkunde
Schlagworte:
Kaufpreis, Kaufvertrag, Sittenwidrigkeit, Widerruf, Widerrufsrecht, Streitwert, Anfechtung, Immobilie, Zahlung, Notlage, Befristung, Eheleute, Sicherheitsleistung, Herkunft, Kosten des Rechtsstreits, Zug um Zug, notarieller Urkunde
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 14.04.2021 – 1 U 494/20
OLG Bamberg, Beschluss vom 22.06.2021 – 1 U 494/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 54176
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 510.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die 72-jährige Klägerin war Eigentümerin des Anwesens …, welches sie gemeinsam mit ihrem Ehemann seit über 28 Jahren bewohnt. Nachdem die Eheleute im Jahr 2016 mit der Rückzahlung des Darlehens in Verzug geraten waren, betrieb die HypoVereinsbank bei einem Darlehensstand von noch etwa 150.000,00 € die Zwangsversteigerung der streitgegenständlichen Immobilie. Die Immobilie wurde im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens durch ein Verkehrswertgutachten vom 16.09.2017 (Bl. 126 ff. d. A.) mit 510.000,00 € bewertet.
2
Im Vorfeld des auf den 06.11.2018 bestimmten Versteigerungstermins trat die Beklagte an die Klägerin heran und unterbreitete ihr zur Abwendung der Zwangsversteigerung ein Kaufangebot.
3
Mit notarieller Urkunde der Notarin … vom 29.10.2018 (Bl. 66 ff. d. A.) wurde zwischen den Parteien ein Kaufvertrag über die streitgegenständliche Immobilie abgeschlossen. Laut notarieller Urkunde hatte die Klägerin die Option, die Immobilie ohne Rückkaufsrecht zu einem Kaufpreis in Höhe von 379.000,00 € an die Beklagte zu verkaufen oder mit einem befristeten Rückkaufsrecht zu einem Kaufpreis in Höhe von 269.000,00 €. Der Vertrag wurde mit einem befristeten Rückkaufsrecht und einem Kaufpreis in Höhe von 269.000,00 € geschlossen. Der Klägerin wurde ein Rückkaufsrecht bis zum 28.04.2020 eingeräumt, wobei sich im Falle eines Rückkaufs der Rückkaufpreis gegenüber dem Kaufpreis erhöht und zwar bei Ausübung des Rückkaufsrechts innerhalb von 3 Monaten um 10%, innerhalb von 6 Monaten um 15%, zwischen 6 und 12 Monaten um 20% und zwischen 12 und 18 Monaten um 35%. Überdies wurde der Klägerin das Recht eingeräumt, die Immobilie bis zum 29.04.2020 weiterhin zu bewohnen. Die Nutzungsentschädigung hierfür kann vereinbarungsgemäß in einer Summe nach Ablauf der 18 Monate gezahlt werden und ist im Falle des Rückkaufs im Rückkaufpreis enthalten. Die Rückkaufsoption wurde mit einer befristeten Eigentumsvormerkung nach § 883 BGB abgesichert.
4
Die Klägerin unterwarf sich in der notariellen Urkunde hinsichtlich der Verpflichtung zur Herausgabe der Immobilie der sofortigen Zwangsvollstreckung. Die Notarin hat der Beklagten nach der Vereinbarung unter Nachweis der erfolgten Kaufpreiszahlung, frühestens nach dem 15.06.2020 auf Antrag eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen.
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Eine Rückkaufsvereinbarung kam zwischen den Parteien innerhalb der vereinbarten Befristung nicht zustande. Mit Anwaltsschreiben vom 29.04.2020 erklärte die Klägerin die Anfechtung des Vertrages sowie den Widerruf. Vorsorglich und hilfsweise machte sie das Rückkaufsrecht sowie eine coronabedingte Fristverlängerung bis 31.07.2020 geltend.
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Die Auflassungsvormerkung der Klägerin im Grundbuch ist mittlerweile auf Antrag der Beklagten gelöscht worden.
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Die Klägerin hält den Kaufvertrag für sittenwidrig. Dieser sei unter Ausnutzung einer Notlage zustande gekommen. Klägerin und ihr Ehemann seien zudem geschäftlich unerfahren und aufgrund ihrer ungarischen Herkunft der deutschen Sprache nicht uneingeschränkt mächtig. Der Kaufpreis stehe außer Verhältnis zum Verkehrswert der Immobilie, den die Klägerin mit mindestens 750.000,00 € bewertet. Der Rückkaufpreis sei gemessen an dem der Klägerin gezahlten Kaufpreis wesentlich zu hoch. Ein Wahlrecht zwischen dem Kauf mit oder ohne Rückkaufsoption und der entsprechenden Variation des Kaufpreises habe es tatsächlich nicht gegeben. Vielmehr sei bereits in dem vorab übermittelten Muster-Kaufvertrag (Anlage K 20), bei dem es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten handele, die Wahl der Rückkaufsoption enthalten gewesen. Der Aufschlag für den Rückkauf in Höhe von 35% sei dagegen erst im Beurkundungstermin festgelegt worden. Der Klägerin sei auch nicht bewusst gewesen, dass die ab dem Tag der Beurkundung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen habe.
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Die Klägerin geht darüber hinaus auch von einem Widerrufsrecht nach §§ 312b, 312g BGB aus. Die Ausnahmevorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB greife nicht, da § 17 BeurkG nicht eingehalten worden sei, insbesondere die Zweiwochenfrist nicht gewahrt sei.
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Die Klägerin beantragt, wie folgt zu erkennen:
1. Es wird festgestellt, dass der Kaufvertrag gemäß Urkunde der Notarin …, Urkundenrollen Nummer ... vom 31.10.2018 über den Verkauf des Anwesens unwirksam ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Rückauflassung des Anwesens … an die Klägerin zu bewilligen, Zug um Zug gegen Zahlung i.H.v. 269.000,00 €, hilfsweise gegen Zahlung i.H.v. 285.144,77 € sowie äußerst vorsorglich hilfsweise gegen Zahlung i.H.v. 379.294,77 €.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte hält den Vertrag nicht für sittenwidrig. Die Klägerin habe hinreichend Überlegungszeit gehabt und ist unstreitig anwaltlich beraten gewesen. Der Ehemann der Klägerin habe nach Vertragsschluss im Rahmen eines Telefonats mit dem Geschäftsführer der Beklagten ein hinreichendes Einkommen und Vermögen für die Ausübung der Rückkaufsoption angegeben.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird vollumfänglich auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Die Akte 13 O 259/20 (einstweiliges Verfügungsverfahren) war beigezogen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet. Ein Widerrufsrecht der Klägerin nach §§ 312b, 312g BGB besteht nicht, da § 312 Abs. 2 Nr. 2 BGB Grundstückskaufverträge von dem Anwendungsbereich dieser Vorschriften ausnimmt. § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB ist nicht einschlägig. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Anwendung von § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB die Einhaltung von § 17 BeurkG voraussetzt.
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2. Auch eine Sittenwidrigkeit vermag das Gericht ungeachtet einer Drucksituation der Klägerin durch die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses drohende Zwangsversteigerung nicht zu erkennen. Die Bemessung des Kaufpreises rechtfertigt für sich genommen die Annahme einer Sittenwidrigkeit nicht. Für die Bewertung der Immobilie ist das Wertgutachten aus dem Zwangsversteigerungsverfahren zugrundezulegen, sodass von einem Verkehrswert in Höhe von 510.000,00 € auszugehen ist. Dieser Wert wäre für das Zwangsversteigerungsverfahren maßgebend gewesen, auch wenn die Erzielung eines höheren Preises bei der Versteigerung oder durch freihändigen Verkauf möglich gewesen wäre. Der zwischen den Parteien vereinbarte Kaufpreis liegt mit 269.000,00 € über 50% des ermittelten Wertes und steht damit noch nicht in einem die Sittenwidrigkeit begründendem Missverhältnis. Zudem hätte die Klägerin auch die Option gehabt, die Immobilie ohne Rückkaufsrecht zu einem Kaufpreis in Höhe von 379.000,00 € an die Beklagte zu verkaufen. Soweit die Klägerin in Abrede stellt, dass diese Option tatsächlich bestanden hat, ergibt sich aus der Notarurkunde etwas anderes. Der Annahme eines Wahlrechts steht auch nicht entgegen, dass bereits der Vertragsentwurf die Ausübung des Wahlrechts im Sinne einer Entscheidung für die Rückkaufsoption vorsah. Denn dies entsprach offensichtlich der alleinigen Interessenlage der Klägerin. Wie die Klägerin auch in dem vorliegenden Rechtsstreit vorträgt, war es gerade ihr Ziel, den Verlust der Immobilie angesichts der drohenden Zwangsvollstreckung zu verhindern. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie sich nicht auch für die Alternative ohne Rückkaufsrecht hätte entscheiden können, wenn sie das gewollt hätte.
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Die Klägerin hat sich allerdings für das Rückkaufsrecht, verbunden mit dem geringeren Kaufpreis entschieden. Dabei ist eine Sittenwidrigkeit auch im Hinblick auf die Ausgestaltung des Rückkaufsrechts nicht ersichtlich. Die Bemessung des Rückkaufpreises, in den noch eine Nutzungsentschädigung mit eingerechnet ist, steht jedenfalls noch nicht in einem derart gravierenden Missverhältnis zum ursprünglichen Kaufpreis, um auf eine Sittenwidrigkeit schließen zu lassen.
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Insgesamt ist auch nicht ersichtlich, dass die Vertragsgestaltung einseitig zulasten der Klägerin erfolgt ist. Der Klägerin wurde neben dem Rückkaufsrecht ein Wohnrecht über 18 Monate belassen und die Nutzungsentschädigung bis zum Ablauf des Wohnrechts gestundet. Die vertraglich vorgesehene Verrechnung mit dem Rückkaufpreis deutet darauf hin, dass die Parteien tatsächlich einen Rückkauf angestrebt haben.
18
Schließlich war die Klägerin anwaltlich beraten. Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Anwaltsschreibens vom 16.10.2018 (Bl. 215 f. d. A.) hat die Rechtsanwältin der Klägerin Vorschläge gemacht, die in die Vertragsgestaltung eingeflossen sind. Auf diese Weise wurden eine Erhöhung des Kaufpreises und eine Verlängerung der Rückkaufsfrist erreicht. Die Vertragsgrundlagen wurden also nicht einseitig von einer Vertragspartei vorgegeben, sondern verhandelt. Auch wies die Rechtsanwältin die Klägerin bei dem ursprünglichen Vertragsentwurf ausdrücklich auf Bedenken im Hinblick auf eine Sittenwidrigkeit hin und riet aus diesem Grund zu einem höheren Kaufpreis. Dies deutet darauf hin, dass die Klägerin ein eigenes Interesse an dem Abschluss eines Kaufvertrages hatte, dem nicht der Einwand der Sittenwidrigkeit entgegengehalten werden kann.
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3. Die Klage war daher abzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.